Beliebte Posts

Sonntag, 5. April 2009

Angesteckt vom Leben - Palmsonntag, 5.4.2009, Reihe I

Text: Johannes 12,12-19

Liebe Gemeinde!
1910 - Kaiser Wilhelm kommt in die Stadt. Alle haben sich fein herausgeputzt, Fähnchen werden geschwenkt, alle jubeln, der Männergesangverein und das Blasorchester stimmen „Heil dir im Siegerkranz“, die Nationalhymne, an, als der ersehnte Gast auftaucht.
15. März 1938 - Eine unüberschaubare Menge hat sich auf dem Heldenplatz in Wien versammelt, um IHM zuzujubeln. Als er auftaucht, gibt es kein Halten mehr. Zehtausendfach „Heil Hitler“, da ist er, von dem man sich Heil verspricht, der es geschafft hat, Österreich dem Deutschen Reich einzuverleiben.
30. September 1989 - Tausende DDR-Flüchtlinge im Garten der Deutschen Botschaft in Prag starren erwartungsvoll auf den Mann im gelben Pullunder, der auf dem Balkon steht. Hans-Dietrich Genscher, der Außenminister der Bundesrepublik, beginnt: „Ich bin gekommen, um ihnen mitzuteilen…“ Weiter kommt er nicht, alles andere geht im Jubel unter.
20. Januar 2009, Washington DC. Millionen stehen auf den Straßen, um ihm zuzujubeln, ihm, der als kleiner Fleck auf den Stufen des Kapitols gerade so auszumachen ist, der später meist im schwarzen Wagen sitzt. Ihm, von dem sie sich Glück, Verbesserung ihrer Verhältnisse, eine Wende in der Weltpolitik versprechen.
Berlin, im Februar 2009. Tausende stehen frierend vor dem Sony-Center am Potsdamer Platz, in dem an diesem Abend der neue Film von Brad Pitt Premiere hat. Als er mit seiner Frau Angelina Jolie auf dem roten Teppich erscheint, bricht Geschrei und Jubel aus. Tausende wollen den sehen, den sie für den schönsten Mann der Welt halten.
Menschen jubeln, immer wieder. Begeisterung ist ansteckend - auch wenn sie manchmal falschen Zielen oder falschen Menschen gilt. Heute ist es einfach zu sagen: „Wie konntet ihr nur Hitler zujubeln?“ Aber wenn ich vor gut 70 Jahren gelebt hätte - ich weiß nicht, ob ich so vernünftig gewesen wäre, nicht mit zu jubeln! Menschen erwarten immer wieder, dass jemand kommt, der ihnen Gutes tut, der ihnen die Schwierigkeiten im Leben erleichtert - und nicht immer setzen sie dabei auf den Richtigen. Menschen lassen sich verführen, von den falschen Menschen für falsche Ziele einspannen. Menschen jubeln - und manche stehen daneben und schütteln mit dem Kopf. Sie sind nachdenklich, ob wirklich dem Richtigen zugejubelt wird. Oder sie sind neidisch, weil man ihnen nicht zujubelt.
Ich kann die Pharisäer gut verstehen, von denen die Bibel erzählt, dass sie mit dem Jubel um Jesus, als er nach Jerusalem kommt, nichts anfangen konnten. „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet! Alle Welt läuft ihm nach!“ Da wird einer zum Liebling der Massen - das kann doch nicht gut gehen! Der ist doch so anders. Der erzählt von Gott nicht als dem strengen Richter, der nach Gut und Böse sortiert und bestraft, sondern der erzählt von dem Gott, der Schuld vergibt. Der lässt sich mit denen ein, die einen schlechten Ruf haben. Mit Prostituierten, Ehebrechern, Armen, Kranken, mit Frauen, mit Ausländern. Zu neu, zu anders. Kein Wunder, dass sie dem Jubel nicht trauen.
Lange her, dass Jesus in Jerusalem so begrüßt worden ist. Für mich aber nicht lang genug, um mir und uns die Frage zu stellen: Wo wären wir damals gewesen? Hätte ich, hätten sie mitgejubelt? Oder wie die Pharisäer den Kopf geschüttelt? Oder, wie wahrscheinlich ganz viele, von denen nichts in der Bibel steht, gesagt: „Was geht mich das an? Ich hab genug mit mir und meinem Leben zu tun!“
Ich finde es schön, wenn man sich begeistern und mitreißen lassen kann. Und ich hoffe, dass das auch heute noch klappt. Dass Menschen sich für das Leben begeistern. Darum geht es doch hier. Die Menschen jubeln, erzählt Johannes, weil sie von den Zeichen gehört haben, die Jesus gesetzt hat. Ein Toter ist ins Leben zurückgekehrt. Ich glaube mal, dass die Menschen damals nicht so blöd waren, dass sie geglaubt haben, dass jetzt jeder Tote einfach so weiter lebt in dieser Welt und sich nichts mehr ändert. Aber das Zeichen war klar: Da ist einer, der nimmt unsere Angst, unsere Trauer ernst. Da ist einer, der kümmert sich nicht um ein Jenseits, sondern der setzt Zeichen der Hoffnung hier und jetzt! Da ist einer, der bringt Gott zu den Menschen. Da ist einer, der nicht verlangt, dass die Menschen perfekt werden müssen und Mätzchen machen, damit Gott sie liebt, sondern der macht deutlich: die Liebe ist da. Jetzt. Auch wenn nicht alles in Ordnung ist. Da ist einer, der bringt Leben und Freude. Die anderen Zeichen haben das ja schon vorbereitet. Da wird Wasser zu Wein, da gibt’s Essen im Überfluss, da werden einem Blinden die Augen geöffnet und einer, der sich nicht bewegen kann, wird mobil. Frauen, die nichts galten, werden ernst genommen und Menschen, die Falsches getan haben, nicht verdammt. Da geht es ums Leben! Die Menschen spüren: Wir müssen nicht in ein Raster passen, sondern da ist einer, der interessiert sich für uns, für unser Leben, der steht auf unserer Seite. Ob der Glauben an Gott, die Begegnung mit Jesus auch heute noch eine solche Begeisterung auslösen kann? Ich hoffe es, vor allem, wenn Menschen spüren, dass es gerade im Glauben nicht darauf ankommt, den Vorstellungen von anderen zu entsprechen und bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, sondern dass es wirklich darum geht, dass Gott den Menschen ganz nahe kommt.
Ich glaube nicht, dass die Menschen, die damals gejubelt haben, erwartet haben, dass ihr Leben durch Jesus perfekt wird. Ich glaube, dass auch sie gespürt haben, dass die Zeichen auf etwas hinweisen, das noch nicht da ist. Nicht alle Menschen wurden und werden gesund. Der Tod spielt immer noch eine Rolle. Trauer gibt es immer noch. Aber das alles hat nicht das letzte Wort. Die Menschen damals haben Jesus als König begrüßt. Die Jünger, die ihn kannten, haben sich gewundert. Weil er so gar nichts von einem König hatte. Er stammte nicht aus den angesehensten Familien, er hat nicht auf militärische Stärke oder Gewalt gesetzt, er hat nicht beansprucht, neue Gesetze zu erlassen, er kam nicht reich und prächtig daher. Hinterher, als Jesus am Kreuz hing, starb, da verstanden auch die: Ja, das ist wirklich der wahre König. Nicht der, der Gewalt ausübt, der seine Macht darauf baut, dass andere Angst haben, ist wirklich stark, sondern wirkliche Macht hat der, der es auch aushält, Opfer zu sein. Der sich zum Opfer macht, damit die, die von anderen zu Opfern gemacht werden, neuen Mut schöpfen können. Der vor dem Leiden nicht wegläuft, sondern der durch sein Leiden sich ein für allemal auf die Seite des Lebens stellt und dem Leben zum Sieg verhilft.
Es geht nicht darum, auch nicht im Glauben, sich etwas schön zu reden. Und vor lauter Begeisterung die Augen zuzumachen. Wie wenig perfekt die Menschen sind, das sieht man ja auch in der Fortsetzung der Geschichte. Diejenigen, die Jesus so begeistert empfangen haben, haben keine Woche später geschrieen: „Lasst den Verbrecher Barrabas frei und kreuzigt Jesus!“ Es geht nur darum, sich die Begeisterung nicht schlecht reden oder kaputt machen zu lassen. Mit offenen Augen zu leben und zu glauben. Den Blick nicht einseitig immer nur auf das zu richten, was nicht in Ordnung ist, im eigenen Leben, in der Gesellschaft, in der Kirche, im Glauben, sondern auch offene Augen zu haben für das, was gut ist und gut tut. Für die Zeichen des Lebens, die Gott auch durch Jesus gesetzt hat. Manchmal sind das Kleinigkeiten. wie die zwei Jugendlichen, die mir letzte Woche klar gemacht haben, dass ich sie nicht per SMS erinnern muss, mir zu helfen, sondern die zu Recht gesagt haben: „Sie können sich schon auf uns verlassen.“
Ja, Augen auf. Es gibt Grund, zu jubeln. Auch mitten in der Passionszeit. Auch mitten im Leid. Denn unser Gott ist ein Gott des Lebens.
Amen.

Keine Kommentare: