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Donnerstag, 9. April 2009

In Schönheit sterben? - Karfreitag 2009, Reihe I

Text: Johannes 19,16-30

Liebe Gemeinde!
So möchte ich einmal sterben. Nicht nur ich, sondern die meisten, mit denen ich über das Sterben geredet habe. Bis zuletzt klar im Kopf und in der Lage, mit den mir wichtigen Menschen, die selbstverständlich dabei sind, das Leben zu teilen und das Sterben zu ordnen. Für klare Verhältnisse sorgen. Und dann, ohne einen Schmerzenschrei oder sichtbares Leid abtreten. „Es ist vollbracht“ - mein Leben hat sein Ziel gefunden. Ideal, ein solches Sterben. Aber gefragt wird keiner von uns. Die Opfer des Erdbebens in Italien, die in der Nacht unvorbereitet aus dem Leben gerissen wurden. Der 37-jährige Vater und seine 12-jährige Tochter, durch einen Fahrfehler eines Busfahrers aus dem Leben gerissen. Die krebskranke Frau, die seit Monaten unvorstellbare Schmerzen leidet, die sterben will und doch nicht sterben kann, der an Demenz erkrankte Mann, der seiner Ehefrau und seinen Kindern gegenüber aggressiv wird, dessen Leben nicht mehr viel mit Selbstbestimmung zu tun hat. Die nach einer Operation Dahindämmernde 92-Jährige, die nur noch dank künstlicher Ernährung lebt, ohne Hoffnung, dass sie je wieder zu sich kommt.
Sterben kann nicht nur gelassen und sanft sein, sondern auch verdammt dreckig, gemein und wehtun. Es ist gut, dass die Bibel nicht nur auf eine so ideale Weise wie im Johannesevangelium vom Sterben Jesu erzählt. Markus und Matthäus erzählen von den Schmerzen und vom Blut, das geflossen ist. Sie erzählen, dass Jesus mit dem verzweifelten Ausruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ starb. Was ist denn nun die Wahrheit? Der verzweifelte Jesus, der wirklich leidet, von dem Matthäus und Markus erzählen? Der vertrauensvolle Jesus, von dem Lukas erzählt, der sich im Sterben mit den Worten: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ ganz Gott anvertraut? Oder der Jesus, von dem Johannes erzählt? Der Jesus, der selbstbestimmt seinen Weg als Gottes Sohn zu Ende geht, der bis zum Schluss souverän handelt und mit dem selbstbewussten „Es ist vollbracht“ auf den Lippen stirbt?
Die Wahrheit ist die, dass es den idealen Tod nicht gibt. Die Wahrheit ist die, dass es, auch an Karfreitag, nicht um den Tod, sondern um das Leben geht. Karfreitag ist der große Tag des Protestes gegen die Macht, die der Tod hat. Als Mensch habe ich auch Angst vor dem Tod, Angst vor dem Leid. Und Dank der frohen Botschaft, die Matthäus und Markus weitererzählt haben, darf ich glauben und hoffen, dass Gott das Leid von Menschen, die Angst und die Einsamkeit angesichts des Todes nicht egal ist. Gott ist im Leid, in der Einsamkeit gegenwärtig. Als der, der mitleidet. Jesus läuft nicht weg vor dem letzten Schrecken, den Menschen aushalten müssen. Er bleibt Mensch - bis ans bittere Ende. Sein Tod ist ein einziger Protest gegen Grausamkeit, gegen sinnloses Leid. Dass dieser Protest gegen den Tod, dieser Aufstand gegen die Macht des Todes nicht erst mit Ostern, mit dem neuen Leben, seine Wendung zum Guten findet, macht die frohe Botschaft, die Johannes erzählt deutlich. Es ist derselbe Jesus, der stirbt. Aber Johannes erzählt neu, anders von ihm. Klar, geschichtlich gesehen kann nur eine der Sichtweisen stimmen. Wahrheit in diesem Sinn lässt sich aber nicht mehr feststellen. Aber neben der Wahrheit, die man äußerlich nachprüfen kann, gibt es eine innere Wahrheit. Und diese innere Wahrheit ist, dass die Wahrheit über den Tod, über das Sterben, und damit auch über das Leben, erst dann zu Tage tritt, wenn kein Teil der Wahrheit ausgeblendet wird. Deshalb ist es gut, dass die Evangelisten, die Überlieferer der frohen Botschaft, die Wahrheit der Gegenwart Gottes in Jesus aus verschiedenen Blickwinkeln beschreiben und so der ganzen und großen Wahrheit zum Durchbruch verhelfen.
Durch die Art und Weise, wie Johannes das Sterben Jesu beschreibt, wird erkennbar, dass der Tod schon jetzt seine letzte Macht verloren hat. Er ist noch da, er lässt sich nicht verleugnen, aber das von Jesus geschenkte neue Leben ist stärker. Jesus verweist die, die um ihn trauern werden, die wegen der Grausamkeit, die ihm angetan wird, leiden, zurück in ihr Leben. Seine Mutter und der Jünger, von dem Johannes erzählt, dass er Jesus besonders nahe war, werden nicht auf ein Später vertröstet, sondern in diesem Leben zusammengebracht. „Siehe, dein Sohn! - Siehe, deine Mutter“. Der Blick bleibt nicht am Tod, am Verlust hängen, sondern geht in die Zukunft, ins Leben. Das ist die Sichtweise, die wir im Glauben an Jesus Christus dem Karfreitag verdanken können: der Tod ist eine Wirklichkeit, die ernst zu nehmen ist, eine Wirklichkeit, die weh tut. Aber der Blick, mit dem Gott uns ansieht, geht in das Leben. Aber dieses Leben geht eben nicht bruchlos weiter, so, als ob nichts geschehen wäre. Es ändert sich, neue Beziehungen sind nötig. Und es braucht, trotz allem, Zeit - zum Trauern, zum Loslassen. Maria und der Lieblingsjünger sind ja auch nicht gleich freudestrahlend vom Kreuz weg gesprungen, haben schnell noch gerufen „Danke, lieber Jesus“ und ein neues Leben gestartet. Es braucht Zeit, bis der Blick auf das Leben und in das Leben wieder scharf werden kann und die Tränen über den Tod nicht alles wie einen Schleier verwischen. Wörtlich und bildlich.
Denn es wäre zu billig, dem Vater eine 3-jährigen Jungen, der seine hochschwangere Frau bei einem Autounfall verloren hat, den Eltern, deren Kinder bei dem Amoklauf getötet wurden, der Ehefrau, die mit ansehen musste, wie ihr Mann elend und schmerzvoll starb, und so vielen anderen, die den Tod alles andere als sanft oder erlösend erleben mussten, zu sagen: „Wird schon wieder, wechselt doch einfach mal den Blickwinkel, Gott ist schon mit euch!“ Das kann nicht verordnet werden. Das kann nur wachsen. Manchmal unerträglich langsam.
„Es ist vollbracht“ - vielleicht müssen wir, manchmal traurig genug, ernst nehmen, dass diese Worte tatsächlich Jesu Worte sind und nicht Worte von uns Menschen. In Jesus hat Gott sich wortwörtlich festnageln lassen - ich denke, wir dürfen das im übertragenen Sinn auch tun. Wir dürfen - und müssen - ihn darauf ansprechen, dass er ein Gott des Lebens ist, wo im Leben oft so viel Tod spürbar ist. Wir müssen ihn darauf ansprechen, dass er uns immer wieder neu die Augen für das Leben öffnen möge und unseren Blick nicht am Kreuz, am Leiden, damals und vor allem heute, gefangen halten möge.
Wie gesagt, ich denke erst in der ganzen Breite, in der die frohe Botschaft von ihren Boten erzählt wird, wird die Wahrheit Gottes über uns, unser Leben, den Tod und das wahre Leben, das stärker ist, deutlich. Deshalb finde ich es manchmal schade, dass nur im Zusammenhang von einem selbstbestimmten Tod, bei dem der Sterbende bis zuletzt alle Fäden in der Hand hält, von einem gnädigen und wünschenswerten Tod die Rede ist. So, als ob Gott nicht da wäre, wenn der Tod anders ist. Es gibt nicht den idealen, gnädigen Tod. Tod tut weh. Weil er das Leben derer, die in diesem Leben bleiben, verändert. Weil er einen Bruch darstellt, der spürbar bleibt. Es gibt aber keinen Tod, der uns von Gott trennen würde. Jesus will uns von der Sorge befreien, was danach kommt, er will uns von der Sorge befreien, dass wir die idealen Umstände für das Sterben oder den guten Tod schaffen müssten. Wir müssen nichts schaffen. Wir müssen uns nicht sorgen, weil für uns gesorgt ist. Wir müssen uns nicht von der Sorge um den Tod gefangen nehmen lassen, sondern wir dürfen uns dem Leben zuwenden. Immer wieder. So, wie Paulus es im Römerbrief sagt: „Niemand lebt für sich selber und niemand stirbt für sich selber. Ganz gleich, ob wir leben oder sterben: Wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und zu neuem Leben auferstanden, um Herr über die Toten und die Lebenden zu sein.“ Gebe Gott, dass wir gerade am Karfreitag, gerade dann, wenn uns der Tod als bestimmende Macht zu begegnen scheint, diese Botschaft annehmen und uns ins Leben weisen lassen. So wie Maria und der Lieblingsjünger. Nicht, weil wir den Tod verdrängen und vor ihm weglaufen wollen, sondern weil wir ihm ins Auge sehen können. Gott sei Dank.
Amen

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