Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Mittwoch, 30. Dezember 2009
Die guten ins Töpfchen... - Silvester 2009, Reihe II
Liebe Gemeinde!
„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“ Mache es wie Aschenputtel, besser gesagt, wie ihre Tauben, und behalte das Gute und lass das Schlechte einfach ver-schwinden. Oder: „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl’ die heitren Stunden nur!“ Oder denke ganz einfach positiv! Es gibt jede Menge Ratschläge und Poesiealbumsprüche, die dem Leben Gutes abgewinnen wollen. Und jetzt, am letzten Abend des zu Ende gehenden Jahres, da kann man Bilanz ziehen. Wie viel Gutes ist im letzten Jahr im Töpfchen gelan-det und wie viel Schlechtes musste ins Kröpfchen? Wie viele heitere Stunden hatte die eigene Sonnenuhr am Ende zu zäh-len? Ich kann auch etwas böser fragen: wie viel Staub musste unter den Teppich gekehrt werden, wie hoch sind die Staub-berge, die sich da türmen, damit der Rest der eigenen Le-benswohnung einigermaßen sauber, ordentlich und aufge-räumt an das neue Jahr übergeben werden kann? Natürlich wird das alles ganz unterschiedlich sein. Bei manchen war das zu Ende gehende Jahr ein Jahr mit ganz vielen schönen Erfahrungen, mit überraschenden, schönen Begegnungen, mit Menschen, die einen selbst positiv beeinflusst haben und vo-rangebracht haben oder auch mit der Erfahrung, dass Gott wirklich im eigenen Leben da ist und hilft und Neuanfang und viel Gutes schenkt. Für andere ist das Jahr eins, das am besten gar nicht angefangen hätte und das man so schnell wie möglich wieder vergessen möchte. Ich denke an ein Eltern-paar, denen ich in der Notfallseelsorge begegnet bin, die auf dramatische Art ihr Kind verloren haben. Ich denke an zwei Menschen in meinem Bekanntenkreis, ungefähr in meinem Alter, die gegen Jahresende die Diagnose einer schweren Leukämie mit eher schlechten Heilungsaussichten bekommen haben. Und an einige andere mehr. Ganz persönlich fällt meine Bilanz sehr gemischt aus. Aber ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich verschluckt hätte und mir den Magen verdorben hätte, wenn ich alles Schlechte verschluckt und gegessen hätte, damit nur das Gute übrig geblieben wäre. Am Ende des Jahres 2009 bin ich froh, dass mich Paulus in den letzten Stunden begleitet. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom schreibt er eben nicht, dass Christen immer alles Böse und Schlimme und Traurige und Schlechte verleugnen, ver-stecken und runterschlucken müssten, damit sie gute Christen seien. Er schreibt nicht, dass ein echter Christ immer lustig, immer fröhlich und immer gut drauf sein muss. Er schreibt nicht, dass das Leben eines Christen nur aus Sonnenschein-stunden bestehen wird und bestehen muss. Paulus schreibt etwas ganz anderes. Mit einem ehrlichen Blick auf das Leben will er mut machen. Und gerade am letzten Abend dieses Jahres finde ich das wunderbar. Im 8. Kapitel seines Briefs an die Römer schreibt er: Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns ver-tritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen über-winden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünf-tiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Ich liebe es an meinem christlichen Glauben, dass er mir nicht sagt: „Wenn dir im Leben etwas Schlimmes passiert, dann hast du etwas falsch gemacht und die Liebe Gottes nicht verdient.“ Ich liebe es, dass ich nicht so tun müsste, als müss-te ich im Glauben ein ganz anderes Leben leben und meine Wirklichkeit wäre etwas, das nichts mit dem Glauben zu tun hat. Paulus macht deutlich, dass Christen auch traurige und schlimme Erfahrungen machen. Er geht sogar soweit, dass er die Gefahr sieht, die darin steckt. Es gibt Momente und Er-fahrungen im Leben, die Menschen, auch wenn sie noch so fest im Glauben stehen, an der Güte und Liebe Gottes zwei-feln lassen. Für die einen sind das vielleicht Erfahrungen von Zwangsarbeit und Vertreibung, von Not und Hunger, von Toten durch Hunger, Kälte, und Krieg. Für andere sind das Krankheiten, die zu einem qualvollen Tod geführt haben oder führen. Oder böse Trennungen mit ganz vielen Scherben. Kinder, die sterben. Menschen, die helfen wollen, die aber darunter leiden oder diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen. Ich glaube, dass jedem von uns Momente einfallen, in denen der Glauben an einen lieben und gütigen Gott fragwürdig geworden ist. Wenn nicht aktuell im Jahr 2009, dann in ei-nem anderen Jahr des Lebens. Wenn Paulus schreibt: ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünf-tiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn, dann leugnet er nicht, dass es Erfahrungen der Gottesferne gibt. Paulus ermutigt die Christen in Rom – und auch mich heute – dazu, nicht in einem Scheinleben zu ver-harren, sondern für dieses Leben, das wir haben, auch mit seinen schweren Seiten, das Beste von Gott zu erwarten. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen! Gott hat alles für uns gegeben, seine ganze Liebe, seinen Sohn. Er ist Mensch geworden. Mit allen schönen Seiten, die es dabei gibt. Mit allem, woran man sich im Leben wirklich freuen kann. Aber eben auch mit der Erfahrung des Todes, der Verfolgung, des oft genug ja ungerechten Leides. Gott hat sich in Jesus dem nicht entzogen, er ist nicht weggelaufen, als es hart wurde. Deshalb die Zuversicht, die Paulus hat. Gott weiß, wie es ist, unten zu sein. Nichts kann uns von der Liebe trennen. Nichts. Letztlich auch nicht das, was gut läuft. Typisch, das mir wie-der mal zuerst das Schwierige, Schlechte und Traurige einge-fallen ist. Die meisten Menschen denken wohl zuerst daran, wenn es um Erfahrungen geht, die den Glauben schwer ma-chen, die von Gott trennen könnten. Die dunklen Stunden des vergangenen und all der anderen Jahre, die keine Sonnenuhr zählen konnte. Aber ich glaube, dass auch die andere Erfah-rung es schwer machen kann, an Gott zu glauben. Wie war es denn in den guten Zeiten, die gut sichtbar im Töpfchen lie-gen, die ich gern den anderen präsentiere? Ich bin gewiss, dass weder Tod NOCH Leben, weder Hohes NOCH Tiefes uns von der Liebe Gottes scheiden kann, schreibt Paulus. Für mich mit Recht. Es sind manchmal eben auch die Erfolge, die es mir schwer machen, mit Gott zu rechnen und an Gott zu glauben. „Das habe ich jetzt doch verdient! Ich habe mich so eingesetzt, so hart dafür gearbeitet!“, so geht es mir dann durch den Kopf. Dass auch die schönen Momente im Leben, die vielen guten Erfahrungen Geschenke sind, für die ich dankbar sein kann und dass all die Möglichkeiten, die ich habe und nutzen kann auch ein Ausdruck der Liebe Gottes zu mir und meinem Leben sind – ich übersehe es immer wieder im Laufe des Jahres, im Laufe des Lebens. Manchmal blen-det die sonne, die die heiteren Stunden hervorruft, doch ziem-lich stark. Mir geht es nicht darum, jetzt zu sagen: „Ulrich, sie nicht so sicher und überheblich! Ihr Menschen in der Ge-meinde, genießt lieber nicht das Schöne, es kommt wieder anders!“ Im Gegenteil. wir haben jeden Grund, uns an allem Guten, was uns begegnet ist, zu freuen – so, wie wir auch über das wenig Schöne traurig sein können. Mir geht es dar-um, dass Paulus hier deutlich macht, dass weder unsere gele-gentliche Trauer noch unsere gelegentliche Überheblichkeit für Gott ein Grund ist, seine Liebe von uns zu nehmen. Nichts kann uns von Gott und seiner Liebe trennen. Gott steht auch da unverbrüchlich zu uns, wo wir unsere Schwie-rigkeiten haben. Gott sagt Ja zu unserem Leben. Zu dem Le-ben, das wir im zu Ende gehenden Jahr 2009 gelebt haben. Zu dem Leben, das uns im Jahr 2010 bevorsteht. Gott sei Dank. Amen
Donnerstag, 24. Dezember 2009
Ich hab's doch nur gut gemeint - 1. Weihnachtstag 2009, Reihe II
Liebe Gemeinde!
„Ich hab’ doch nur gut gemeint!“ Enttäuschung hat sich breit gemacht, wenn ich diesen Satz sage. In meinen Augen habe ich mein Bestes gegeben. Natürlich nicht für mich selbst, sondern für jemand anders. Meine Frau. Meine Eltern. Kon-firmanden. Aber die haben komischerweise gar nicht so rea-giert, wie ich mir das ausgemalt hatte. „Ich hab’s doch nur gut gemeint!“ – Vielleicht war dieser Satz ja heute Morgen auch schon im Himmel zu hören. Da meint es Gott gut mit den Menschen. Menschenfreundlich ist er. Er will uns Men-schen nicht länger damit quälen, dass wir die guten Regeln, die er für unser Zusammenleben gegeben hat, sowieso nicht richtig einhalten können. Er will uns nicht damit quälen, dass wir sowieso nicht gerecht werden können. Nein, er schenkt uns seine Freundlichkeit und Liebe. Und die schenkt er uns nicht irgendwie abstrakt, sondern in Jesus wird sie greifbar. Gott meint es gut. Er schenkt uns Liebe, er schenkt uns Gna-de und Vergebung, er schenkt uns Leben, das stärker ist als der Tod, er schenkt uns seinen Sohn. Wir feiern seinen Ge-burtstag, wir feiern, dass Gott uns freundlich entgegenkommt und uns liebt. „Ich hab’s doch nur gut gemeint“ – Ja, und dann gibt es gerade um dieses Geburtstagsfest der Liebe her-um Streit, Kriege, die immer noch nicht aufgehört haben. Menschen, die den Sinn dieses Festes in schöner Deko, gu-tem Essen und vielen Geschenken sehen. Menschen, die in diesen Tagen völlig verzweifeln, weil sie den Ansprüchen, die dieses Fest an die scheinbare Harmonie unter den Men-schen stellt, an das perfekte Leben, nicht genügen. Weil sie krank sind, allein, verzweifelt, abhängig oder, oder, oder. Menschen, die gar nicht mehr wissen oder gar nicht mehr wissen wollen, was da eigentlich gefeiert wird. Vorgestern war in der Frankfurter Rundschau eine große Doppelseite mit Zeichnungen von Grundschulkindern, die Weihnachten ge-malt haben. Ungefähr 30 Zeichnungen. Auf zwei Zeichnun-gen waren Engel zu sehen, eine davon stammt von einem türkischen Mädchen. Und nur auf einer einzigen eine Krippe. Auf allen Zeichnungen aber Tannenbäume, Rentiere, Weih-nachtsmänner und vor allem: Geschenkeberge. „Ich hab’ doch nur gut gemeint!“ – Ob im Himmel heute wohl Kater-stimmung herrscht? Ich glaube nicht.
Freundlichkeit und Menschenliebe, das ist es, was Gott durch Jesus in die Welt gebracht hat. Und dazu passt kein beleidig-ter Rückzug. Sie ist erschienen, so schreibt es der Titusbrief. Gott hat sozusagen den Vorhang weggezogen und hat sich gezeigt. Nicht als der, der Menschen schikanieren oder be-strafen will, sondern als der, dessen Liebe allen gilt. Als der, der durch Jesus alle Menschen einlädt, unabhängig von ihren Verdiensten. „Ich hab’s ja nur gut gemeint“ – wenn wir Men-schen diesen Satz sagen – und ehrlich gesagt, benutze ich ihn auch immer mal wieder, dann drückt sich darin Enttäuschung aus. Über andere, die nicht so sind, wie ich sie gern hätte. Und ein bisschen auch über mich. Darüber, dass ich es nicht geschafft habe, anderen das nahezubringen, was mir wichtig ist. Darüber, dass ich die anderen – meine Frau, meine Eltern, Kinder, wohl doch nicht so gut kenne, wie ich gedacht habe. Darüber, dass ich meine Grenzen ganz deutlich spüre. Von dieser Last der Selbstüberschätzung, von dieser Last der Freundlichkeit will Gott uns eigentlich befreien. Als aber er-schien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, machte er uns selig – nicht um der Werke der Ge-rechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit“ – Die Selbstüberschätzung, es mit allen gut meinen zu können und für alle gut machen zu müssen, nimmt Gott von uns. Ich bin nicht für dich Mensch geworden, ich habe dir nicht meine Liebe gebracht, weil du eine Belohnung für deine Vollkommenheit haben solltest, sondern damit du als Mensch leben kannst und menschlich sein kannst. Gottes Liebe zeigt uns immer wieder sehr deutlich unsere Grenzen – weil wir genau sehen, wo wir eben nicht zur Liebe fähig sind. Jetzt könnte man natürlich auf die Idee kommen, dass es dann ja keine Rolle mehr spiele, wie wir auf diese Liebe rea-gieren. Wenn Gott uns doch sowieso liebt und unsere Liebe Grenzen hat, dann können wir uns doch zufrieden in unserem Leben und in der Welt, so wie sie ist, einrichten. Dann müs-sen wir es mit niemandem mehr gut meinen und wenn es je-mand mit uns gut meint, können wir das ruhig ignorieren, wenn es uns nicht in den Kram passt. Hauptsache, Gott liebt uns. Ja, Hauptschache, Gott liebt mich. Und Weihnachten ist es unabhängig davon, wie viele Kinder und Erwachsene noch wissen, warum wir das feiern und wie viele Menschen in den Gottesdiensten sind und wie glücklich die Menschen sind und wie viel Frieden tatsächlich auf Erden ist. Aber können wir wirklich so tun, als ginge uns das alles nichts an? Wir können, aber dadurch entgehen wir nicht dem, dass wir schon längst mit hinein genommen sind in diese Liebesbewegung, in diese Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Lasse ich die Liebe zu und damit auch die Hoffnung oder ignoriere ich das so gut ich kann. Darum geht es, auch an Weihnachten. Lasse ich zu, dass ich geliebt werde? Zur Liebe gehört ja auch mit dazu, dass mir vor Augen geführt wird, was nicht in Ordnung ist. Liebe ist ja nicht das Bedingungslose Gutfinden von allem, was der, der geliebt wird. Liebe, die keine Gren-zen zur Lieblosigkeit setzt, ist keine Liebe sondern sie ver-hindert, dass der andere am leben wachsen kann und im Le-ben Orientierung findet. Liebe ermöglicht Orientierung. Lass ich das zu oder bleibe ich lieber im großen Feld der orientie-rungslosen Beliebigkeit, in dem jeder machen kann, was er will: Ich bin okay, du bist okay, wir haben Weihnachten, da sind wir alle lieb und haben uns alle lieb und lassen uns an-sonsten schön in Ruhe. Alles ist richtig, nichts ist falsch – nein, das ist nicht das Geschenk, das Gott uns gemacht hat. Das ist nicht die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Gott gibt uns Orientierung – und damit Hoffnung, dass nicht alles so bleibt, wie es ist. Er zeigt uns ein Ziel, dass unser Leben in seiner Liebe hat. Wie diese Orientierung aussieht, darüber waren und sind Menschen immer wieder aneinander-geraten und an ihre menschlichen Grenzen gestoßen. In den Zeiten, in denen der Titusbrief geschrieben wurde – und ei-gentlich bis heute – sehen viele die Orientierung darin, dass Menschen in feste Ordnungen gebracht sind mit einem Oben und Unten. mit Menschen, die anderen, in Gottes Namen, sagen, wo es lang geht und solchen, die gehorchen müssen. Mit Männern, die das Wort Gottes verkünden und Gemein-den leiten und Frauen, die zuhören und sich um die Familie kümmern sollen. Im Namen Gottes. Andere sehen, seit diese Ordnungen Gott sei Dank fraglich geworden sind, die Orien-tierung darin, dass sie mit aller Gewalt versuchen, die Men-schenfreundlichkeit Gottes zu kopieren. Immer fröhlich, im-mer freundlich, immer lächeln – aber wehe, Menschen lassen sich davon nicht anstecken! Wehe, Menschen weigern sich, genauso zu leben, genauso zu glauben. „Ich hab’s doch nur gut gemeint! Ich war freundlich zu dir, ich hab dich so ge-liebt, wie dich sonst nur Gott leiben kann -wenn du anders bist, hast du die Liebe nicht verdient!“ Menschen sollen in bestimmte Richtungen zu glauben gezwungen werden, weil andere denken, sie wüssten genau, wie Gottes Liebe und de-ren menschliche Weitergabe auszusehen habe. Ich glaube, dass wir Weihnachten dann richtig gut feiern können, wenn wir uns davon frei machen, dass wir glauben, wir Menschen könnten die richtige Ordnung im Sine Gottes herstellten. Gott hat uns gezeigt, auch durch Jesus, auch durch seine Geburt im Stall, auch dadurch, dass die Hirten und nicht fromme Priester die ersten waren, die ihn sahen, dass seine Liebe immer wieder unsere Pläne durchkreuzt. Klar, wir Menschen können lieben und Freundlichkeit weiterschenken. Klar, „Ich hab’s doch nur gut gemeint“ – und manchmal hab ich’s ja nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht. Aber die Gnade liegt eben nicht darin, dass wir durch unsere Ordnun-gen oder unsere Taten die vollkommene und menschen-freundliche Welt Gottes herstellen könnten und müssten, sondern dass wir durch Jesus nicht nur die Bedürftigkeit der Welt sondern auch unsere eigene Bedürftigkeit sehen und annehmen können. Dass wir das, was wir können, weiter-schenken, auch Liebe, ohne dass wir Ansprüche stellen müss-ten. Die Gnade liegt darin, dass wir hoffen dürfen. Hoffen darauf, dass wir es nicht nur gut meinen müssen, sondern dass Gott es gut machen wird. Nicht nur mit uns, sondern mit er ganzen Welt, mit seiner Schöpfung. Die Hoffnung liegt darin, dass das, was Weihnachten seinen Anfang genommen hat, die Erscheinung der Menschenliebe Gottes, nicht durch Menschen kaputt gemacht wird, sondern sich durchsetzt. Dass nicht die Zerstörung der Schöpfung durch menschliche Gedankenlosigkeit, dass nicht die Zementierung er Armut in der Welt durch den Egoismus der Reichen, zu denen wir ja auch gehören, dass nicht die Zerstörung des Lebens durch Unmenschlichkeit, Egoismus und Krieg am Ende wirklich den Sieg behält, sondern dass der Anfang, den Gott gemacht hat, durch ihn und mit uns zu einem guten Ende führt, an dem sich da leben, Frieden und die Gerechtigkeit wirklich durchsetzen. „Ich hab’s doch nur gut gemeint“- auch mit me-iner Predigt. Aber Gott hat es längst gut gemacht. Nicht nur für mich, nicht nur für uns in unseren Kirche, sondern für alle Welt.
Amen
Alle Jahre wieder...- Christmette 2009
Alle Jahre wieder! Weihnachten ist’s. Heilige Nacht. Alle Jahre wieder. Vertraute Menschen und Lieder. Essen und Be-scherung. Worte aus der Bibel. Das war doch schon immer so! Weihnachten, das ist so vertraut und das soll doch auch so sein. Das gibt Sicherheit. Heimat. Alle Jahre wieder das Gleiche. Oder auch nicht. Der Heilige Abend, der ist alle Jah-re wieder am 24. Dezember. Aber sonst? Für manche Men-schen in unserer Gemeinde, vielleicht auch hier im Gottes-dienst, ist dieses Fest eben nicht wie „alle Jahre wieder“. Es ist das erste Fest in der neuen Heimatstadt. Das erste Fest als eigene Familie. Das erste Fest mit dem Kind, das in diesem Jahr zur Familie hinzugekommen ist. Das erste Fest mit dem neuen Freund, der neuen Freundin. Das erste Fest, an dem man die Geschenke mit selbstverdientem Geld bezahlen konnte. Der Jubel mit de himmlischen Heerscharen – ja, viel-leicht ist der in diesem Jahr besonders laut und fällt beson-ders leicht. Oder er fällt aus. Der Jubel. Weil es das erste Fest ohne ist. Eben nicht alle Jahre wieder. Ohne einen geliebten Menschen, der im letzten Jahr starb. Ohne Arbeit. Ohne Geld. Ohne das Gefühl, gebraucht zu werden. Ohne die Kin-der, die längst ihre eigenen Wege gehen, und das jetzt auch noch zu Weihnachten. Alle Jahre wieder. Gut, dass es nicht so ist! Ach, es wäre schön, wenn es so wäre! Gut, dass es so ist! Ach, es wäre schön, wenn es anders wäre! Vermutlich gibt es von alldem etwas heute, in dieser Heiligen Nacht hier bei uns. Und vermutlich gibt es das auch im Blick auf ds Lied, das wir gerade gesungen haben. Ein kindliches Lied. Ein Kinderlied. Erinnerungen an eine schöne Zeit, an Ver-trautes. Oder für manche vielleicht auch doch dem Gehalt des Festes nicht angemessen oder zu kitschig.
Verwirrend und verwirrt – so komme ich mir, so kommen mir Menschen an diesem Abend, in dieser Nacht manchmal vor. Als sei es schwer, es Weihnachten allen recht zu machen und Weihnachten alles richtig zu machen. Und weil das so ist, ist für mich das Lied, das wir eben gesungen haben, in den letzten Jahren zu meinem Weihnachtslied geworden. Weil es en unglaublichen Trost der Weihnachtsbotschaft in unglaublich einfache Worte fasst.
Alle Jahre wieder – egal, wie es mir gerade geht. Egal, was gerade in der Welt los ist. Egal, ob ich mich vorbereitet, Ge-schenke gekauft, geputzt und geschmückt habe oder ob ich mit einer Flasche Schnaps allein zu Hause sitze – alle Jahre wieder lässt Gott seine frohe Botschaft laut werden. „Kommt das Christuskind“ – kein Weihnachtsmann, keine Fantasyfi-gur, die am Nordpol oder wo auch immer wohnt, keine Mär-chenfigur, sondern ein Kind. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, in dem Gott sich zu erkennen gegeben hat. Und dieses Christuskind kommt nicht irgendwo hin, sondern „auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind“. Gott bleibt nicht fern. Er geht dahin, wo es unbequem wird, wo wir Menschen sind. Nicht in eine ideale Welt. Wir Menschen. Mit unseren Ängs-ten und Freuden. Mit unserer Schuld und dem, was wir an Gutem machen. Er kommt in diese Welt, die wir so oft nicht verstehen, weil vieles nicht zu verstehen ist. In eine Welt, in der es Hunger und Unrecht, Krankheit und Armut, Egoismus, Hass und Krieg gibt. Er kommt nicht, weil wir so toll sind. Sondern einfach aus Liebe zu uns. Diese Welt ist der richtige Ort für das Christuskind. Und was macht es? „Kehrt mit sei-nem Segen ein in jedes Haus.“ Da wird es mir nicht nur am Richtsberg schwer mit dem Singen. Kaputte Familien und Beziehungen. Eltern, die ihre Kinder vielleicht nicht unbe-dingt äußerlich, aber seelisch verwahrlosen lassen. Kinder, die ihren Eltern das Leben schwer machen. Armut. Und ganz viel Gleichgültigkeit. Heute Abend in ganz vielen Häusern. Nicht nur auf dem Richtsberg, im Waldtal, im Stadtwald. Nicht nur in den Krisengebieten dieser Welt. In viel zu vielen Gegenden auch, in denen man es nicht vermutet und nicht sehen will. Ich glaube, wir brauchen das „alle Jahre wieder“. Der Segen ist nicht immer in jedem Haus, in jeder Wohnung zu spüren. Gott gibt nicht auf. Wieder und wieder geht er hin und bietet seinen Segen an, legt seinen Segen auf die Men-schen, bis sie stark genug sind. Bis sie stark genug sind, wirklich mit Gott zu gehen. „Geht auf allen Wegen mit uns ein und aus.“ Gott lässt uns Menschen auch auf den Umwe-gen und Abwegen nicht allein. Dieses Kind, in dem Gott in das Leben der Menschen gekommen ist, ist ja gerade zu den Menschen gegangen, deren Wege nicht gerade und leicht wa-ren. Auf allen Wegen will dieser Mensch gewordene Gott uns begleiten. Nicht weil er alle Wege gut findet. Liebe heißt auch, nicht nur das Schöne und Einfache mitzumachen. „Steht auch mir zur Seite“ – Durch Jesus wird Gott Gott für mich – nicht nur für die anderen, nicht nur für die, die Be-dürftiger, Ärmer, Reicher, Notleidender, Frommer oder was auch immer sind. Für mich. „Still und unerkannt!“ – Das ist für mich eine ganz wichtige Einsicht, nicht nur einmal son-dern alle Jahre, alle Tage wieder. Gott ist nicht der, der mit spektakulären Aktionen sofort für alle eindeutig zu erkennen ist. Im Alltag nehmen wir, nehme ich ihn oft genug nicht wahr. Jesus, Gottes Liebe scheint manchmal wirklich weit weg zu sein. Irgendwie ist die Liebe im Alltag abhanden ge-kommen. Mir kommt es vor, als würde das Gedicht von Jean Anouilh, das eben vor dem Lied gelesen wurde, auch unsere Gegenwart beschreiben. Eben war er doch noch da. Und dann sind andere Dinge in den Vordergrund getreten, auch zu Weihnachten. Da hat man auf Vertrautes und Äußeres geach-tet, da sollte alles sein wie immer – es war auch alles da, aber das Entscheidende fehlte. Weil es, weil er still und unerkannt ist. Weil er nicht Deko ist, sondern Herzen lebendig machen will. Durch Liebe, nicht durch Schock und nicht durch Scho-kolade. Wir brauchen es immer wieder, alle Jahre wieder, diese Erinnerung, dass Gott schon längst da ist. Dass er zu uns kommt, lange bevor wir uns überhaupt zu ihm aufma-chen. Dass er schon längst unsere Wege mitgeht. Und uns zu einem Ziel hinführen will. Dieses Ziel ist ein Ende der Hoff-nungslosigkeit, ein Ende der Armut, ein Ende der Ungerech-tigkeit, die wir heute noch erleben. In den Herzen der Men-schen, die darunter leiden, will Gott sein und ist er. Weil er in dem Kind in der Krippe sich selbst arm in diese Welt ge-bracht hat. Weil er als Mann Jesus zu denen ging, die keine Hoffnung hatten. In einem auf den ersten Blick ganz unweih-nachtlichen Brief an Titus drückt Paulus das so aus: Tit 2,11 Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Men-schen 12 und nimmt uns in Zucht, daß wir absagen dem un-göttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und beson-nen, gerecht und fromm in dieser Welt leben 13 und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Un-gerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.
Die Gnade Gottes für alle Menschen – auf der Erde, wo wir Menschen sind. Aber nicht, damit alles alle Jahre wieder so bleibt, wie es ist, sondern damit wir seinen Segen in unseren Häusern wachsen lassen und uns an der Hand nehmen lassen, auf einen Weg, der zu Gerechtigkeit führt. Auf einen Weg, der uns Menschen dazu anstiftet, zu leben, weil er für uns und mit uns lebt. Nicht nur an den Weihnachtstagen, nicht nur einmal. Sondern alle Jahre wieder. Jeden Tag neu. Gott kommt. Damit die Welt sich ändert. Ein Anfang ist gemacht. Aber wir brauchen noch Zeit. Damit Weihnachten ist. Heilige Nacht Alle Jahre wieder. Nicht nur in der Nacht vom 24. auf den 25.12., sondern in jedem Leben an jedem Tag. In mei-nem Leben. Alle Jahre, alle Tage wieder.
Amen.
Frohe Weihnachten!
Liebe Menschen, die ihr diesen Blog lest! Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten. Leider ist mir meine Festplatte abgestürzt, so dass ich nicht alle meine Weihnachtspredigten online stellen kann. Christmette und 1. Weinachtstag sind noch da, Christvesper und Krippenspiel fehlen. Ersatzweise aber eine kleine Betrachtung zur "Maria im Hof" von Martin Schongauer:
Vermutlich ist es ganz schön unbequem in dem leeren, ummauerten Hof, in dem sich die Mutter und das Kind niedergelassen haben. Ausgerechnet neben einem völlig entlaubten Baum! „Das geht doch nicht“, mag mancher vielleicht bei sich denken. Weihnachten, das schreit doch förmlich entweder nach drangvoller Enge und prallem Leben in einem Stall oder nach der Fülle und dem Überfluss der himmlischen Heerscharen. Aber die Mutter und das Kind auf dem Kupferstich von Martin Schongauer scheinen trotzdem zufrieden zu sein.
Die Welt ist kein idealer Ort. Sie war es nicht in der Provinz am Rande des römischen Reichs „zu der Zeit, da ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde“. Sie war es nicht im ausgehenden 15. Jahrhundert, in der Zeit, in der der Künstler dieses Werk gestaltete. Heute ist sie es erst recht nicht. Bewaffnete Friedenseinsätze, die eigentlich Kriegseinsätze sind, haben vielleicht Schlimmeres verhindert, aber Frieden haben sie nicht gebracht. Zehntausende von Arbeitsplätzen sind bedroht, Familien in unserem reichen Land werden Weihnachten mit bangen Gefühlen feiern. Es scheint auch nur eine unaufhaltsame Frage der Zeit zu sein, bis Südseeparadiese von den Landkarten und Eisbären von den Eisschollen verschwunden sein werden. Leben wird in vielfacher Hinsicht karger, zumindest hat es diesen Anschein.
Genau einen solchen Ort sucht sich das Kind, in dem Gott in dieser Welt erscheint, aus. Schönheit mitten im Kargen. Schönheit, Liebe, die die Kraft zur Veränderung und des neuen Lebens in sich trägt. Die Mutter präsentiert dem Kind diese Welt und es scheint nicht nur nachzusinnen über das, was es umgibt. Es sieht so aus, als hätte es etwas im Blick, das diese Tristesse verändern und dem kahlen Baum Leben einhauchen kann. Ein Bild der Hoffnung. Nicht die Flucht in die Idylle, sondern die Begegnung mit der Wirklichkeit verändert sie. Gott setzt sich dieser Welt aus. Damit wir nichts beschönigen und fliehen müssen, sondern die Kraft gewinnen und behalten, in dieser Welt zu leben. Damit wir aus der Hoffnung auf den Aufbruch Kraft schöpfen, selbst aufzubrechen.
Sonntag, 6. Dezember 2009
Geduld nicht verlieren?! - 2. Advent, 6.12.2009, Reihe II
Liebe Gemeinde!
Eine Familie im Advent. Die Wunschzettel sind schon längst geschrieben. Neue Spiele für die Spielekonsole, DVDs mit tollen Filmen. Ein i-Pod, sollte es natürlich auch sein. Das Original natürlich, keine Kopie von einer anderen Marke. Klar, das Geld ist in diesem Jahr knapp, haben die Eltern ge-sagt. Teure Geschenke sind nicht drin. Nur Kleinigkeiten. Und dann kurz vor Weihnachten. Die Erwachsenen sind aus dem Haus, Einkäufe machen. Das Kind allein. Die Gelegen-heit ist da. Werden meine Wünsche erfüllt? Warum bis Weihnachten warten, wenn ich es jetzt gleich wissen kann! Die Neugier siegt. Im Schlafzimmer der Eltern, unter den Betten, auf dem Wohnzimmerschrank. Überall wird nachge-schaut. Nirgends ist was zu finden. Als letzte Idee kommt noch der Putzschrank in Frage. Und tatsächlich. Hinter den Eimern und Putzmitteln sind zwei Spiele für die PS3 und ein nagelneuer i-Pod. Super! Schnell noch alles so hinstellen, wie es war. Die Eltern sollen ja nichts merken. Und dann, ein paar Tage später, Heiligabend. Bescherung. Die Eltern, die lange für die teuren Geschenke gespart haben, schauen sich lächelnd an. Sie freuen sich auf die Freude und Überraschung des Kindes. Und das packt mit einem schlechten Gewissen aus. Wie kann ich jetzt Freude darstellen? So geht es ihm durch den Kopf. Ich muss mich freuen. Aber ich weiß doch schon längst was drin ist. Ob ich nicht doch hätte warten sol-len? Aber die Versuchung war doch so groß… Die Eltern wundern sich nur, warum ihr Kind, das sonst das Papier nie schnell genug aufreißen konnte, plötzlich so viel Geduld beim Auspacken hat.
Geduld. Dazu zwei Verse aus dem Jakobusbrief in einer neueren Übersetzung:
Geduldet euch nun, meine Schwestern und Brüder, bis Jesus kommt! Auch diejenigen, die vom Acker leben, erwarten die kostbare Frucht der Erde so, dass sie sich gedulden und auf den Regen im Frühling und im Herbst warten und darauf, dass frühe und späte Früchte reif werden. Geduldet euch! Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!
Geduld. Die Zeit wird kommen. Mit der Geduld ist es aber so eine Sache. Wir leben in einer Zeit, in der alles sofort passieren muss. Nikoläuse, Weihnachtsgebäck und mehr werden ab September, spätestens aber im Oktober in die Regale ge-räumt. Im Dezember mag man sie fast schon nicht mehr se-hen. Wenn die Krankheit nicht schnell besser wird, wird der Arzt gewechselt oder das Medikament einfach abgesetzt. Nutzt ja doch nichts. Wenn das Kind nicht am Ende der Kindergartenzeit seinen Namen schreiben und einfache Wörter lesen kann, bricht die Panik aus. So wird es ja nie aufs Gym-nasium gehen, denkt man. Geduld. Dingen und Menschen Zeit lassen, sich zu entwickeln? Das scheint von vorgestern zu sein. Jedes Obst, jedes Gemüse das ganze Jahr über frisch auf den Tisch, notfalls von weit her eingeflogen. Die Zeit reif werden lassen – wer hat denn dafür noch Zeit? Rentner? Von wegen, die haben ja auch einen vollen Terminkalender. Wer Zeit hat, taugt nichts. Der arbeitet bestimmt nicht richtig! Und wenn sich doch mal eine Zeitlücke auftun sollte – Gott bewahre! – dann wird da Sporttraining oder irgendwas ande-res reingequetscht. Müßiggang ist schließlich aller Laster An-fang und Geduld doch nur eine Form davon, oder etwa nicht? Haben sie eigentlich noch Geduld mit mir oder warten sie drauf, dass ich endlich fertig werde? Geduld wird ja manch-mal auch überstrapaziert und missbraucht. Von Predigern. Während der Predigt läuft eben niemand einfach so weg. Aber manchmal auch viel dramatischer im Namen Gottes. Du musst Geduld haben, das ist alles eine Prüfung Gottes! Kran-ke kriegen so etwas durchaus mal zu hören. Geduld kann ein wichtiger Faktor sein, wenn es darum geht, wieder gesund zu werden. Oder wenn es darum geht, sich mit einer Situation, die nicht zu ändern ist, abzufinden und möglichst viel Gutes aus ihr zu machen. Aber wenn ich Geduld und Gott missbrauche, um anderen zu verbieten, sich zu beschweren oder meine eigene Faulheit, mich für sie einzusetzen, zu verde-cken, wird es schwierig. Es ist immer die Frage, wer von Geduld, die nötig ist, redet. Als Gesunder ist es leicht, von einem Kranken Geduld zu fordern. Als Reicher ist es leicht, einen Armen um Geduld zu bitten. Als Mächtiger, als Politiker, Befehlshaber, Chef, ist es leicht, von seinen Untergebenen Geduld zu fordern. Immer dann, wenn ich selbst nicht betroffen bin, muss ich mir dreimal überlegen, ob ich einem anderen zu Geduld raten kann.
Glaubhaft und glaubwürdig kann ich das nur tun, wenn ich selber gespürt habe, dass Geduld gut tut. Bevor die Aufforde-rung zur Geduld im Jakobusbrief kommt, die ich eben vorgelesen habe, geht es darum, dass Gott sehr wohl sieht, was Reiche und Mächtige Armen antun. Gott steht klipp und klar auf der Seite der Armen. Wo Unrecht ist, wo geklaut wird, wo der Wert von Menschen nach ihrer Kleidung und ihrem Schmuck gemessen wird, überall da ist Gott nicht zu finden. So steht es da in der Bibel. Für mich aktuell bis heute. Die Aufforderung, Geduld zu haben, heißt für mich nicht: Bleibt Opfer! Sie heißt: Passt auf, dass ihr nicht die gleichen Me-thoden anwendet und euch dadurch selbst ins Unrecht setzt. Ungeduld vernebelt oft genug die Sinne.
Wir Menschen sind auf Geduld angewiesen. Auch wenn es oft genug schwer fällt. Unreife Früchte, vor der Reife gepflückt, schmecken nicht und verderben vielleicht sogar den Magen. Warten, bis die Zeit reif ist – das fällt schwer. Aber Leben braucht Zeit. Und Geduld. Wir leben zum Beispiel von der Geduld, die Gott mit uns hat. Wenn Gott uns nicht durch Jesus immer wieder Vergebung und einen Neuanfang schen-ken würde – wer könnte dann überhaupt bestehen? Wir brau-chen uns doch nur einmal das anzuschauen, was Jesus als die Zusammenfassung aller Gebote uns mitgegeben hat: „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Wenn ich ihnen jetzt aufzählen würde, wie oft ich bei anderen Menschen denke: „Gut, dass ich mit dem nichts zu tun haben muss“ – sie würden wahrscheinlich erst zum Kaffeetrinken hier raus kommen. Gott hat mit uns die Geduld, die wir miteinander und mit uns selbst oft nicht haben. Gerade auch mit uns selbst: „Ich muss das doch können! Alle anderen schaffen das, nur ich bin zu blöd!“ Mit mir selbst bin ich oft viel un-geduldiger als mit anderen. Gott sagt durch Jesus zu uns: „Du musst nicht alles von dir selbst erwarten, aber du darfst alles von mir erwarten!“
Geduld ermöglicht und festigt Beziehungen. Wenn Eltern Kindern nicht mit Geduld begegnen, werden sie nicht in Si-cherheit und Geborgenheit aufwachsen. Sie werden immer das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein und nur dann was wert zu sein, wenn sie richtig funktionieren. Ohne Geduld kann Vertrauen nicht wachsen. Für mich gehört da auch das verhindern von Überraschungen durch Ungeduld dazu. Das Stöbern nach Geheimnissen und das Aufdecken um jeden Preis. Der andere – mein Mann, meine Frau, mein Kind, mein Vater, mein Freund… - lässt mir meine Geheimnisse. Er lässt zu, dass für alle Seiten schöne Überraschungen und Momente erst entstehen können. Ein tolles Gefühl, wenn es klappt. Liebe braucht Geduld. Wer ständig den neuen Kick sucht, wer einen Beziehung nach der anderen anfängt, Schluss macht, wenn der Alltag einkehrt, der wird nicht er-fahren und erleben, wie tief und haltbar Liebe sein kann. Wie viel Halt Liebe geben kann. Ohne Geduld werde ich haltlos. Beziehungen braucht Geduld, Liebe braucht Geduld, Vertrauen braucht Geduld – und nicht zuletzt braucht auch der Glauben Geduld. Zum einen, wie gesagt, natürlich die Geduld, die Gott aufbringt, mit der er uns nicht auf unsere Feh-ler, auf unser Versagen festnagelt. Zum anderen aber auch Geduld von uns Menschen. Jesus kommt bald – nach 2000 Jahren fällt es schon schwer, geduldig zu bleiben. In den letz-ten Jahrtausenden ist das menschliche Miteinander nicht un-bedingt besser geworden. Viel zu viel lässt uns das Warten auf eine Verwandlung der Welt schwer werden. Aber welche Alternative haben wir? Weg mit dem Vertrauen, weg mit der Liebe, bringt ja nichts und die Welt auch durch jeden von uns noch härter, egoistischer und schlechter werden lassen? Ist das wirklich eine Alternative? Ich glaube, dass Gott noch gute Überraschungen für uns bereit hält und wir uns etwas verderben, wenn wir alles erzwingen wollen. Geduldet euch! Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald! Amen.
Sonntag, 29. November 2009
Und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht - 29.11.09, 1. Advent, Reihe II
Liebe Gemeinde!
Zeit der Liebe, Zeit der Geschenke - jetzt fängt sie wieder an. Die Adventszeit. Die Zeit, in der ich als Pfarrer immer die mitfühlendsten Blicke und Bemerkungen bekomme. „Für sie beginnt ja jetzt die Hauptarbeitszeit. Da kommen sie doch zu kaum was anderem!“ So höre ich es oft. Ich finde es schön, dass es Menschen gibt, die versuchen, sich ein bisschen in mich hinein zu denken. Es gibt für mich als Pfarrer Zeiten, die ähnlich mit Arbeit voll gestopft sind. Trotzdem ist es schön, dass Menschen mich und meinen Beruf wahrnehmen. So ein bisschen fühle ich mich in die-sen Momenten, als bekäme ich etwas von dem, was hier im Römerbrief geschrieben steht: „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt.“ Was heißt das eigentlich, einander zu lieben? Nicht zuletzt doch auch: offene Augen für den Anderen zu haben. Anteil am Leben des Anderen zu nehmen und nicht zu denken: „Der ist mir doch grad egal!“ Adventszeit - Zeit der Liebe, Zeit der offenen Augen, Zeit der Geschenke. Zumindest Zeit der Gedanken rund um die Geschenke, die anderen gemacht werden sollen oder die ich mir von anderen wünsche. Adventszeit - nicht zuletzt auch Zeit gut gemeinter Ratschläge und erhobenen Zeigefinger. Gerade wenn’s um Geschenke geht. An Geschenken wird nicht gespart! Das war jetzt wie-der in einer Umfrage zu hören. Geschenke sind doch nicht das Wichtigste! Tausendmal gehört. Mit Liebe schenken. Ja doch. Schenk doch mal dich selbst, Zeitgutscheine, Gut-scheine für Spaziergänge, gemeinsame Kinobesuche, Kaffeenachmittage oder was auch immer. Es muss doch nicht viel kosten, Hauptsache du bist mit ganzem Herzen dabei. Dankeschön, kann ich da nur sagen. Wenn mir was Stress macht, dann ist es das Gefühl, meine Zeit noch mehr festlegen zu müssen. Im Namen der Liebe! Statt hilfreicher Tipps kriege ich ein schlechtes Gewissen. Es ist eben Advent. Zeit der Liebe? Zeit des schlechten Gewissens? „Bleibt niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt!“ Manchmal ist gerade in diesen Tagen die Angst die dunkle Schwester der Liebe. Mir wurde das deutlich bei einem Gespräch zwischen acht jungen Müttern, dass ich zuerst unfreiwillig wegen der Lautstärke, in der es geführt wurde, dann aber sehr interessiert in einer Pizzeria belauscht habe. Da ging es um die Weihnachtsgeschenke. Um die Angst, sich zu blamieren, wenn das ausgesuchte Geschenke nicht groß genug ist. Um die Angst der Großeltern mütterlicherseits, dass die Enkel sie weniger lieben, wenn ihr Geschenk billiger war als das der Großeltern väterlicherseits. Um die Angst davor, dass die Kinder denken könnten, man hätte sie nicht lieb, wenn sie beim Familientreffen am 1. oder 2. Weihnachtstag feststellen, dass die Cousins und Cousinen mehr Geschenke bekommen haben. Besserwisserisch und rechthaberisch kann man werden und sagen, wie pervers die Adventszeit doch geworden ist, wenn sie für viele Menschen anscheinend mit so viel Angst verbunden ist. Besserwisserisch und rechthaberisch kann man sagen: „Da sieht man mal, wie es ist, wenn die Adventszeit von allem christlichen Inhalt und Sinn entleert wird und es sich nur noch um Kaufen, Geschenke, Bräuche dreht!“ - Am besten sogar mit dem Nachsatz: „Gut, dass ich anders bin! Gut, dass bei mir weihnachtsmannfreie Zone ist und ich gar nichts oder Zeitgutscheine oder nur selbst Gebasteltes ver-schenke!“ Ich finde es schade. Gut gemeinte Ratschläge werden anderen lieblos um die Ohren gehauen. Gut, dass ich so schlau bin und weiß, was richtig bist. Du bist ja dumm. So kommen diese gut gemeinten Ratschläge manchmal an. Auch bei mir, obwohl ich kein so großer Geschenkefreak bin und mir diesen Schuh, glaube ich, eigentlich nicht anziehen muss. Aber Besserwisserei und Rechthaberei werden auch nicht durch einen christlichen oder kirchlichen Rahmen gut. Oft spricht nämlich aus ihnen nicht die Liebe für die, die in ihren vielleicht ja tatsächlich ganz falschen Vorstellungen und Gedanken gefangen sind. Oft spricht Verachtung und das Gefühl, durch Abgrenzung besser sein zu können oder zu wollen, aus solchen Ratschlägen. „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt!“ Ein guter Wegweiser. Nicht nur für die Adventszeit. Vielleicht zu allgemein? Kann sein. Aber Gott hat uns schließlich einen Kopf zum Denken gegeben, ein Herz zum Fühlen und Hände zum Handeln. Und von Liebe kann man auf der einen Seite nur ganz allgemein reden, weil sie sich auf der anderen Seite nur ganz persönlich mit Leben füllen lässt. Liebe ist immer abhängig von mir selbst. Als Mensch, der liebt. Als Mensch, der geliebt wird. Liebe braucht mich. Aber was ist das eigentlich? Was heißt das? Gerade in dieser Zeit? Paulus hat einen schönen Satz geschrieben, der vielleicht erst einmal verwirrend klingt. „Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!“ Die Werke der Finsternis. Das ist für mich zuallererst die Angst. Die Angst, zu kurz zu kommen und deshalb egoistisch alles nehmen zu müssen, auch das, was mir nicht gehört. Die Angst, nicht geliebt zu werden und mir deshalb Liebe kaufen zu müssen. Durch teure Ge-schenke genauso wie durch gekaufte Liebe in jeder Form. Die Angst vor eigener Schwäche. Und deshalb den anderen mit Gewalt zeigen, wie stark ich bin oder durch möglichst viele Geliebte wie potent ich bin oder durch möglichst viele Liebhaber, wie attraktiv ich bin. Es ist kein böser Teufel, sondern viel zu oft die Angst, die Leben finster macht. Du musst deine Angst nicht leugnen, sie nicht verstecken und ihr dadurch erst so richtig Macht über dich geben. Du darfst sie ablegen und eintauschen gegen die Waffen des Lichts. Gegen die Liebe, die der Angst Grenzen setzt. Für mich ist das die Grundbotschaft, die Paulus nicht nur den Menschen in Rom vor langer Zeit geschrieben hat. Bis heute spielt die Angst eine viel zu große Rolle. Und leider ja auch in der Liebe. Denn selbst dann, wenn ich mich begeistert auf die Liebe, auf den Glauben und das Vertrauen stürze, bin ich nicht sicher vor dem Gefühl, nicht genug lieben zu können. Zu schwach zu sein, in meiner Liebe das falsche zu tun oder eben nicht so lieben zu können, wie es eigentlich nötig wäre. Ich spüre in der Liebe meine Grenzen und die machen mir auch wieder Angst. „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern“, schreibt Paulus. Die Nacht ist vorge-rückt - und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht. Vielleicht sind wir gerade da, wo es grau wird. Noch nicht wirklich Licht. Angst ist noch da. Im Alltag. In der Liebe. In der Adventszeit. Zu Weihnachten. Aber sie muss nicht mehr alles bestimmen. Da ist einer, der liebt mich wirklich. Der gibt mich nicht auf, auch wenn ich kurz davor bin, mich selbst aufzugeben. Da ist einer, der hat mir tatsächlich das ganz große Geschenk gemacht: Liebe, die auch Angst, Schuld und Versagen aushält. Weihnachten ist nicht mehr weit. Das Fest, an dem wir uns alle Jahre wieder versichern lassen dürfen und feiern dürfen, dass Gott durch den Menschen Jesus, sich selbst und seine Liebe in diese Welt gebracht hat. Das Fest, an dem wir feiern dürfen, dass das keine fromme Einbildung ist, sondern dass die Liebe greif-bar geworden ist. Weihnachten ist nicht mehr weit - Advent ist da. Die Zeit, in der wir uns im Blick auf diese Liebe un-seren Ängsten, der Finsternis stellen können, vielleicht auch müssen. In der Hoffnung, die Paulus beschreibt: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern!“ Und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht. Grau vielleicht im Moment, mit viel schwarz. Noch nicht Licht. Die Werke der Finsternis, die Angst und alles, was aus ihr kommt - die sind noch nicht ganz abgelegt. Aber die Waffen des Lichts, die Liebe, die die Angst besiegt, die stehen bereit. Zeit für Liebe, Zeit für offene Augen, Zeit, ohne Angst zu schenken und Geschenke anzunehmen - ich wünsche es uns allen.
Montag, 23. November 2009
Mit allem rechnen - Ewigkeitssonntag, 22.11.09, Reihe I
Liebe Gemeinde!
Ein Notfallkoffer, damit ich auf alles vorbereitet bin, was passieren kann. Vieles kann passieren. Straßenkarten sind drin, damit ich mich ohne Navi nicht verfahre. Handschuhe, falls ich jemand Krankes oder Blutendes anfassen muss. Taschenlampe und Ersatzbatterien. Spielzeug, falls Kinder-getröstet werden müssen. Bibel und Gebetbuch, falls mir eigene Worte fehlen. Kerzen und Kreuz, sogar Traubenzucker, falls die eigenen Energiereserven zur Neige gehen. Jetzt kann’s losgehen, jetzt bin ich auf alles vorbereitet. Ein Notfallkoffer. Was wäre eigentlich in eurem, in ihrem Notfallkoffer? --- Bilder von den Liebsten? Versicherungen? Geld? Egal. Vorbereitet sein ist wichtig. Man muss mit allem rechnen.
Wirklich? Muss man das? Kann man das? Seit Monaten liegt der Mann schwerstkrank im Bett. „Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen“ hat der Arzt gesagt. Gespräche mit-einander, Trauer, Angst, mal versteckt, mal offen voreinander gezeigt. Er wird sterben, klar. Gebete vorher, Gebete jetzt. Er stirbt. Und trotz aller Vorbereitung ist die Lücke so groß, dass Loch so tief, und Angst da, nie mehr rauszukommen. Vorbereitet sein? Der Unfall stellt das ganze Le-ben auf den Kopf. Alle Versicherungen, alle Vorsorgemaß-nahmen haben nicht davor bewahrt, dass das Leben völlig umgekrempelt wird. Vorbereitet sein? „Ich kriege keinen mehr ab! Alle haben einen Liebsten gefunden! Ich muss mich drauf einstellen, allein zu bleiben.“ Und dann kommt aus dem Nichts die Begegnung, die alles verändert. Es gibt wieder Grund zur Freude, und Liebe ist nichts, was in Büchern steht, worüber Filme gedreht werden und was immer nur anderen passiert, sondern Liebe wird Teil des eigenen Lebens.
„Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Trotz Vorbereitung und Notfallkoffer stehe ich oft genug da und merke, dass ich alles, was ich gedacht habe, nicht brauchen kann. Trotz Vorbereitung und Vorwarnung tut Abschied nehmen weh und Liebe, meistens wenigstens, gut. Und wirklich vorbereiten kann man sich auf Beides nicht. Die Wirklichkeit ist anders als alle Träume und alle Ängste.
Mit allem rechnen, auf alles vorbereitet sein. Eine Ge-schichte aus der Bibel, aus dem Matthäusevangelium:
Mt 25,1-13
Wir denken heute besonders an die Menschen aus unserer Gemeinde, die im letzten Jahr gestorben sind. Manche sind heute hier, weil sie sich auch an Menschen erinnern, die schon länger in ihrem Leben fehlen. Und dann eine Geschichte von Jesus, in der er von einer Hochzeit, etwas ganz Fröhlichem redet. Die, die nicht ordentlich vorbereitet sind, dürfen erst gar nicht mitfeiern. Ein bisschen hart und grausam. Du kommst hier nicht rein! Ganz offensichtlich scheint es das zu geben. Leute, die von Jesus weggeschickt werden, die zu spät kommen, weil sie nicht mehr mit ihm gerechnet haben. Die Hoffnung auf ein besseres Leben bei Gott, die Hoffnung auf eine völlige Neugestaltung der Welt, auf ein Leben mit Gott als Fest ohne Tränen und Schmerzen wird zur Angst, da nicht dazugehören zu dürfen. Oder wenigstens: Sie kann zu dieser Angst werden. Bin ich einer von denen, die gut vorbereitet sind? War mein Mann, meine Mutter, mein Vater gut vorbereitet? Oder gehöre ich, gehören die, die mir lieb waren und sind, zu denen, die draußen bleiben müssen? Ich weiß es nicht. Gott sei Dank. Gott sei Dank bin ich nicht der Türsteher. Ich weiß, dass ich mich oft schwer damit tue, viel Hoffnung zu haben und damit zu rechnen, dass die Party bei Gott, die Hochzeit, das schöne und gute Leben bei ihm endlich losgehen. Ich kann die Frauen aus der Geschichte gut verstehen, die beim Warten auf das Fest müde geworden sind und einschlafen. Es gibt vieles, was müde macht. Auch heute, wenn Menschen darauf warten, dass es mit dem Himmelreich endlich losgeht. Heute, am Totensonntag, da denke ich zu-erst natürlich an die Macht, die der Tod immer noch hat. An Schmerzen und Trauer über Verluste. Ich denke an Menschen, die bei Unfällen sterben, an andere, die keinen Ausweg mehr sehen und sich selbst töten, an Kinder, die sterben. Die Bilder von sinnlosen Opfern bei Selbstmordattentaten kommen hoch und die schon fast vergessenen Bilder von Kindern und Erwachsenen, die sterben, weil sie nichts zu essen haben. Mich macht es müde, auf die Welt ohne Schmerz und Tränen zu warten, die Gott verspricht, weil ich immer wieder sehe, dass es trotz aller Gebete und aller Hilfsmaßnahmen sinnlose und vermeidbare Tote gibt. Ich glaube auch, dass ich eigentlich gar nichts mehr aufzählen muss, was Hoffnung schwer macht. Ich glaube, dass es nicht lang dauert, bis jedem von uns noch etwas einfällt, was die eigene Hoffnung darauf, dass die Welt einmal wirk-lich gut wird, müde werden lässt.
Jesus weiß das und leugnet es nicht. Mir macht das Mut und Hoffnung. Die zehn Jungfrauen, die sind ein Bild für alle, die gern glauben möchten, die gern mit Gott wirklich feiern möchten und auf das Gute warten. Und die werden müde. Weil die Zeit richtig lang werden kann. Der Glauben an Gott, die Hoffnung darauf, dass das, was er verspricht, wahr wird, ist kein Aufputschmittel, kein Ecstasy, mit dem ich mich schlagartig gut fühle, die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehme und nur noch grinsend durchs Leben laufe. „Hipp hipp hurra, alles ist super, alles ist wunderbar!“ Nein. Jesus ist realistisch. Party, ja klar. Aber der Weg dahin - der kann schon müde machen. Glauben verdrängt nicht die Wirklichkeit, sondern er lebt in der Wirklichkeit. Und lässt die Party bei Gott, das Gute dann anfangen, wenn es soweit ist. Ohne Absturz, ohne Kater, ohne Nebenwirkungen.
Es geht in der Geschichte nicht um die Angst, die Party, das große Fest, das Gute zu verpassen und nicht dazuzugehören. Es geht darum, einen Notfallkoffer zu haben, wenn ich müde werde, wenn meine Hoffnung müde wird. Ein kleines Fünkchen Hoffnung, ein kleines Tröpfchen Öl. Das Warten wird ein Ende haben. Sicher nicht dann, wenn ich meine, dass es soweit sein müsste. Wir dürfen mit dem Besten rechnen. Auch wenn wir es ganz lange nicht im Blick haben. Für mich ist mein Notfallkoffer, dass Gott mir sagt: „Du darfst auch zwischendurch müde werden. Es ist nicht leicht!“ Ich muss nicht so tun, als wäre alles immer leicht, als müsste das Leben im Glauben immer eine Riesenparty sein. Ich darf traurig sein, verzweifelt, müde, vielleicht sogar denken, dass ich keine Hoffnung mehr habe. Komischerweise ist es genau das, was mir Hoffnung macht. Da ist keiner, der sagt: „Du musst wach bleiben und immer gut drauf sein.“ Nein. Da ist einer, der sagt: „Lebe, und wenn du zwischendurch müde wirst, dann komme ich trotzdem auch zu dir und weck dich wieder auf.“ Da ist einer, der nimmt mich ernst. Der fordert nichts Unmögliches von mir. Das ist mein Notfallkoffer, mein Tröpfchen Öl, von dem ich hoffe, dass es meine Lampe am Brennen hält, wenn das Fest losgeht. Nicht meine Planun-gen und Vorbereitungen sind entscheidend. Es kommt so-wieso anders und ich kann nie vorhersehen, wann ich wie-der das Gefühl habe, dass Leben gut ist. „Ich mach dir nichts vor. Ich verspreche dir nicht, dass es nur Gutes gibt. Aber ich verspreche dir, dass du was Richtiges zum Feiern erleben wirst. Die Müdigkeit wird nicht das Letzte sein.“ diese Zusage Gottes ist für mich besser als jeder von mir gepackte Notfallkoffer. Und was ist ihr Notfallkoffer?
Amen
Montag, 9. November 2009
Die Zeichen stehen auf... - Drittletzter Sonntag d. Kirchenjahres, 08.11.2009, Reihe I
Unruhig geht er hin und her. Immer wieder schaut er auf die Uhr. „Sie müsste doch schon längst zu Hause sein!“ denkt er immer wieder. „Ob was passiert ist?“ Sicher, die letzten Wochen waren alles andere als einfach. Da war so viel Streit. Über Kleinigkeiten. Die offen gelassene Zahnpasta-tube, die Hosen, die auf dem Fußboden gelandet sind. So viel nerviger Kleinkram. Ins Bett gehen - ohne Kuss, ohne freundliches Wort, einfach so. „Ich halt das nicht aus. Es geht alles kaputt.“ So hat er mehr als nur einmal gedacht. „Aber jetzt, wenn sie reinkommt, die Blumen sieht, lächelt, dann wird alles gut. Ja, wenn sie lächelt, dann ist es ein gu-tes Zeichen. Dann wird alles gut.“ Aber sie kommt nicht. Wieder ein Blick auf die Uhr. „Ob ihr was passiert ist? Oder macht sie sich einfach so aus dem Staub. Ohne Gruß, ohne Abschied. Sie hätte doch wenigstens anrufen können. Aber es ist doch ein gutes Zeichen, dass das Telefon nicht geklin-gelt hat. Wenn sie einen Unfall gehabt hätte, dann hätte sie angerufen. Wenn ihr was passiert wäre, dann hätte das Krankenhaus angerufen. Es ist ein gutes Zeichen. Oder nicht? Wenn ich von rechts die Scheinwerfer sehe, dann ist das ein gutes Zeichen, dann kommt sie. Direkt von der Ar-beit. Dann wird alles gut. Da ist Licht! Endlich. Das ist die falsche Seite. Mist! Das ist bestimmt die Polizei, die fahren so langsam. Die suchen bestimmt unsere Hausnummer. Und dann steigen sie aus und fangen an: Wir haben ihnen leider eine traurige Mitteilung zu machen… - Aaah, ein Glück, vorbei. Falscher Alarm. Da, jetzt, von rechts. Endlich! Der blöde Paketdienst. Wo bleibt sie denn? Wenn sie rein-kommt, lächelt, die Blumen sieht, die Tischdecke, die Kerzen, die Weingläser. Dann muss sie doch lächeln. Frauen stehen auf so was, hat Sven gesagt. Das klappt. Du wirst schon sehen. Du musst einfach die richtigen Zeichen setzen. Sven kennt sich aus. Seit acht Jahren glücklich verheiratet. Wenn der es nicht weiß… - Endlich! Das ist ihr Auto. Aber warum von links? Sie hat bestimmt einen anderen und war noch bei ihm. Warum passiert ausgerechnet mir immer so was? Aber wenn sie jetzt reinkommt und lächelt, wenn sie die Blumen sieht, den Tisch, den Wein…“. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Die Tasche, der Mantel, einfach in die Ecke geschleudert. Er scheint Luft zu sein. Kein Lächeln, kein freundliches Wort. Blumen, Tisch - das existiert gar nicht. Sie wirft sich auf die Couch, dreht das Gesicht zur Wand. In diesem Moment scheint der sowieso schon schwarze Himmel völlig auf ihn einzustürzen und ihn zu Tode zu quetschen. Alle Zeichen stehen auf…
Aus dem Lukasevangelium im 17. Kapitel:
Lesen: Lk 17,20-24
Die Zeichen stehen auf… - Ja, auf was denn nun? Men-schen sind da, die Zeichen wollen. Pharisäer. Die wollen sehen, wo Gottes Reich ist. Die wollen Gott hier auf dieser Welt sehen. Die wollen eine gerechte Welt sehen, auf der sich jeder ganz selbstverständlich an das hält, was Gottes Willen ist. Gottes Reich. Einfach gut. Einfach schön. Das muss doch möglich sein! Das muss man doch sehen können. „Jesus, du erzählst doch davon! Zeige es uns!“ „Das Reich Gottes ist mitten unter Euch!“ Sagt Jesus. „Wenn ihr auf sichtbare Beweise wartet, wenn ihr hofft, euch absichern zu können, wenn ihr in mir nicht eure Hoffnung sehen könnt, werdet ihr das, was ihr euch erhofft, nie sehen können.“ Die Zukunft hat mit mir angefangen. Sagt Jesus.
Auf was stehen die Zeichen eigentlich? „Ihr werdet euch noch wünschen, wenigstens an einem Tag wieder zu sehen, dass ich Liebe, Gerechtigkeit, Gesundheit für Kranke, Ann-erkennung für Außenseiter und so viel mehr gebracht habe und immer noch bringe! Aber ihr erdet dann nichts sehen.“ Sagt Jesus zu denen, die eigentlich wirklich ihre Hoffnung auf ihn setzen. Fromme Wünsche haben die Jünger damals. Fromme Wünsche sind das heute erst recht.
Stehen die Zeichen nicht schon längst drauf, dass die Welt zum Teufel geht? AIDS - es gibt genug, die sagen: „Das ist eine Strafe Gottes. Sex zum Spaß, Homosexuelle - Gott haut mit AIDS rein“, sagen sie, die glauben, dass sie wissen, was Gott will. Klimakatastrophe, Inselstaaten, die es viel-leicht bald nicht mehr geben wird, Dürren und Überflutun-gen, alles Gottes Strafe für den sorglosen Umgang mit sei-ner Schöpfung. Sicheres Zeichen für den Weltuntergang. Gottes Gericht. Sagen nicht wenige, die glauben, dass Gott ihnen seine Weisheit gegeben hat. Finanzkrise, Arbeitslo-sigkeit, Hungerkatastrophen. Sichere Zeichen, dass die Welt zum Teufel geht und nur die davon kommen, die als Frau lange Haare und Röcke tragen, die auf die richtige Art beten und nicht fernsehen, die Gesetze und Regeln befolgen, von denen behauptet wird: „Das ist Gottes endgültiger Wille!“
Jesus bleibt da ganz gelassen. „Lauft denen nicht nach, die euch erzählen wollen: Wir wissen, welche Zeichen Gott be-nutzt!“
Worauf die Zeichen stehen, was die Zeichen bedeuten, das weiß ich nicht. Aber das weiß niemand. Kein noch so frommer Christ, kein Moslem, kein Buddhist, kein Wis-senschaftler, kein Politiker. Für mich stehen die Zeichen nicht drauf, dass der Himmel einstürzt und die Welt zum Teufel geht und Gott anfängt, die zu vernichten, die seinem Willen irgendwie im Weg stehen. Benutzt euren Verstand, eure Möglichkeiten und fangt an das, was ihr verbockt habt, aufzuräumen. Darauf weisen für mich die Zeichen hin. nicht mehr. Das wär’ doch schon was.
Außerdem frage ich mich die ganze Zeit: „Warum suchen Menschen schon seit Jahrtausenden immer wieder in Ka-tastrophen und schlechten Dingen Anzeichen dafür, dass Gott endlich wiederkommt und die Welt zum Guten bringt?“ Ich finde keine Antwort auf diese Frage. Ich finde es doch viel logischer, bei dem Guten anzufangen. Gott ist die Liebe. Jesus hat Kranke gesund gemacht. Er ist zu den Opfern gegangen. Er hat Menschen vergeben, die sich selbst nicht vergeben konnten. Selbst der Tod war nicht das Ende. So viel Gutes und noch viel mehr. Und dann suchen Menschen im Bösen Zeichen dafür, dass die Welt besser wird? Versteh ich nicht.
Was ich verstehe, ist was anderes. Wir Menschen brauchen Zeichen. Wir sehnen uns nach Sicherheit. Und scheinbar geben uns Zeichen genau das. Wenn der Lehrer die Arbeit in der Mitte mit einem Lächeln zurückgibt, kann sie nicht schlecht gewesen sein. Wenn ich meinen Glücksschuh trage, schieße ich bestimmt ein Tor. Wenn meine Frau mein Lieblingsessen kocht, dann hat sie bestimmt gute Laune und ich kann ihr auch was Unangenehmes sagen. Moment mal! Hat sie vielleicht ein schlechtes Gewissen und will mir was beichten und mit dem Essen gut Wetter machen? Zeichen halt.
Wenn der Menschensohn kommt, wenn das, wofür Jesus steht, wenn das Gute, wenn die Liebe diese Welt endgültig und total verändern, dann ist das nicht vorhersehbar. Wie ein Blitz, der den ganzen Himmel hell macht. Plötzlich, oh-ne Vorhersage, werden wir das Gute, das neue Leben haben. Plötzlich, ohne Vorwarnung, werden wir eins sein mit Gott. Nicht durch die Zeichen, bei denen wir glauben, wir müss-ten ihnen irgendwie nachlaufen.
Liebe kann ich nicht planen. Liebe kann ich nicht vorherse-hen. Sie trifft mich, sie trifft die Welt wie ein Blitz. Oder gar nicht.
Wenn sie jetzt reinkommt und lächelt, wenn sie die Blumen sieht, den Tisch, den Wein…“. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Die Tasche, der Mantel, einfach in die Ecke geschleudert. Er scheint Luft zu sein. Kein Lä-cheln, kein freundliches Wort. Blumen, Tisch - das existiert gar nicht. Sie wirft sich auf die Couch, dreht das Gesicht zur Wand. In diesem Moment scheint der sowieso schon schwarze Himmel völlig auf ihn einzustürzen und ihn zu Tode zu quetschen. Alle Zeichen stehen auf…
Wie von ganz weit weg hört er ihre Stimme. „Schatz, die letzten Wochen waren so blöd. Du weißt schon. Lass uns essen gehen. Ich hab keine Lust, zu kochen oder aufzu-waschen. Ich mach mich nur schnell frisch…“ Sie steht auf, nimmt ihn in den Arm, gibt ihm einen Kuss auf die Nase, lächelt, geht ins Bad. Und der Himmel…
Amen
Freitag, 30. Oktober 2009
Hohe Berge - Reformationstag 2009, Reihe I
Text: Mt 5,2-10
Liebe Gemeinde!
Wer ist eigentlich wirklich ein Christ? Bin ich überhaupt ein Christ? Wie komme ich zu Gott? Der ist doch weit weg, der interessiert sich doch nicht für mich! Das ist mir zu schwer, zu kompliziert, Christ zu sein! Ich glaube zwar an Gott, aber trotzdem lebe ich doch nicht christlich. Fragen, Aussagen von Zehntklässlern in einer Vertretungsstunde in der letzten Woche. Und nicht nur bei Zehntklässlern oder manchmal auch Konfirmanden, auch bei Taufeltern oder älteren Menschen, die ich bei Geburtstagsbesuchen kennen lerne, bei Angehörigen, die im Altenheim zu Besuchen dazu kommen tauchen genau die Fragen und Bemerkungen auf. Menschen, die nicht selbstverständlich regelmäßig in den Gottesdienst kommen, die nicht selbstverständlich in der Bibel lesen oder beten haben oft den Eindruck, dass es ganz schwer ist, Christ zu sein, an Gott zu glauben und auf ihn zu vertrauen. Und wenn ich mich selbst anschaue, dann merke ich, dass auch ich als Pfarrer manchmal ganz ähnliche frage oder denke: Was muss ich eigentlich machen, damit ich ein guter Christ bin? Schaffe ich das überhaupt? Ist das nicht in einer Welt wie heute, in der Leben so vielfältig und kompliziert geworden ist, nicht viel zu schwer?
Ich habe heute ein Bild verteilt. Der Mount Everest ist darauf zu sehen, der höchste Berg der Welt, fast 9000 Meter erhebt sich der Gipfel über den Meeresspiegel. Wer mich kennt und weiß, dass ich Berge mag, findet es vielleicht nicht ganz so merkwürdig, aber es hört sich trotzdem vielleicht komisch an: dieser Berg, der Predigttext von heute und die Erinnerung daran, dass wir heute auch den Reformationstag nachfeiern und uns an Martin Luther erinnern, haben mir dabei geholfen, bei den ganzen Fragen über die Schwierigkeiten, Christ zu sein und als Christ zu leben, etwas klarer zusehen. Zwei, drei Punke gibt es, bei denen ich glaube, dass der Berg, das Gebirge, manches wirklich anschaulich machen kann.
Da ist einmal die Frage: Wie komme ich da hoch? Auf den Mount Everst kommt nicht jeder. Da braucht es jahrelanges Training, Ausdauer, Geschick, und vor allem: viel, viel Geld. Ich muss die Anfahrt bezahlen, Bergführer bezahlen, die Ausrüstung bezahlen. Es ist schwer und teuer. Christsein als Frage des Geldes und der Anstrengung? Das hat schon Martin Luther beschäftigt. Es gab damals Menschen, Tetzel hieß einer von ihnen, die haben den Menschen erzählt, sie müssten nur für ihre Sünden bezahlen und schon hätte Gott sie wieder liebe. Und es gab Menschen, die haben erzählt, dass man sich nur genug Mühe geben müsste und genug gute Taten vollbringen müsste, möglichst perfekt werden müsste, und schon wäre man ein guter Christ und Gott nahe. Martin Luther hat erkannt, dass beides nicht stimmt. Weder Geld noch eigene Anstrengung bringen Menschen auf Dauer Gott nahe. Da bin ich wieder beim Berg, der ja in vielen Religionen als Wohnsitz der Götter angesehen wird und auch im Judentum, zum Beispiel bei den 10 Geboten, und im Christentum, unser Predigttext ist ja Teil der Bergpredigt, ein Bild dafür ist, Gott nahe zu sein. Ich kann mir noch so viel Mühe geben, mich noch so sehr anstrengen, noch so viel Geld ausgeben und noch so viel tun, um das Ziel, am Gipfel anzukommen, zu erreichen: ich werde nie am Gipfel bleiben. Am Ende stehe ich wieder unten. Vielleicht mit dem schönen Gefühl, es mal geschafft zu haben. Aber auf Dauer kann ich nicht oben bleiben. Auf Dauer bringt mich nichts, was ich tun kann, wirklich nahe zu Gott. Immer wieder gibt es im Leben auch Abstiege und die Erfahrung, dass Anstrengungen, gut zu sein, Gutes zu tun, nicht reichen, sondern dass sich auch immer wieder die andere, dunkle Seite im Menschen, das Aufgeben, nach unten gehen, bemerkbar macht. Wer aus der Bergpredigt den Schluss zieht, er müsse alle Anstrengungen unternehmen, um immer friedfertig, barmherzig, sanftmütig, reinen Herzens und gerecht zu sein, wird scheitern. Jesus sagt in der Bergpredigt nicht: Ihr müsst euch anstrengen, dass ihr sanftmütig, friedfertig, reinen Herzens seid und wenn ihr das geschafft habt, seid ihr selig, seid ihr besonders nahe bei Gott. Sondern er stellt ganz einfach fest: dort, wo das jetzt da ist, wo Menschen an Unrecht leiden, wo Menschen friedfertig sind und barmherzig sind, also vergebungsbereit und bereit, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, da ist jetzt schon ein Stück Himmel auf der Erde. Die, von denen man vielleicht sagt: Das sind doch die Opfer, die am Boden liegen, das sind die, die eigentlich auf dem Gipfel stehen.
Und da bin ich beim zweiten Punkt, der mir diesen Berg für die Bergpredigt so wichtig gemacht hat. Das, was unten liegt, wird ins Licht gestellt und nach oben geholt. Die größten Berge der Welt sind so ähnlich entstanden. Da sind zwei Kontinente, zwei Welten aufeinander geprallt und das, was ganz unten, unsichtbar, war ist nicht nur ans Licht gekommen, sondern hat sich zu beeindruckenden, majestätischen Gebirgen aufgetürmt. Da stoßen zwei Wirklichkeiten zusammen. Die Welt, die Erfolge sehen und messen will. Die Welt, in der Opfer nichts gelten, die Opfer, Schwache braucht, damit andere oben stehen können. Die Welt, die das Unrecht feiert, weil der Stärkere es nutzen kann, um sich vom Schwächeren zu nehmen. Die Welt, in der nicht Barmherzigkeit, Vergebung, Verzicht auf den eigenen Vorteil, sondern das oft genug rücksichtslose Durchsetzen der eigenen Interessen, das Aufrechnen und Gegenrechnen von Schuld wichtig ist. Diese Welt stößt zusammen mit der Welt Gottes. In Jesus greifbar geworden. Mit der Welt Gottes, der auf der Seite der Opfer steht. Mit der Welt Gottes, der Liebe und Vergebung und nicht Rache und Gewalt will. Mit der Welt Gottes, in der Liebe stärker als der Tod ist. Da stoßen zwei Welten zusammen - und erstmal wird nichts vernichtet, aber eine neue Wirklichkeit wird sichtbar. Eine Wirklichkeit, die größer und schöner ist als das, was bisher für normal und richtig und unverrückbar gehalten wurde. Die Opfer der alten Welt kommen nicht nur ans Licht, sondern ihnen wird eine besondere Würde und Wertschätzung zugesprochen. Die alte Welt ist noch da. Aber die Zeichen für das neue, für die große Wirklichkeit der Liebe Gottes werden unübersehbar. Wie beim Entstehen der Gebirge geschieht dieses Auffalten der neuen Wirklichkeit nicht ohne Brüche und Schmerzen, nicht ohne Widerstände. Und so, wie die Gebirge auch heute noch wachsen, wächst die neue Wirklichkeit weiter. Sie ist noch nicht fertig. Aber wir können sie sehen und staunend davor stehen.
Und da ist das dritte, was mir am Bild des Berges wichtig geworden ist, das ist das, was ein Mensch sehen kann, wenn er tatsächlich vor einem Berg steht. Wenn ich hoch schaue, erkenne ich, wie klein ich eigentlich bin, wie schutzbedürftig, manchmal auch schwach, wie arm angesichts dieser Größe. „Selig sind, die geistlich arm sind“ - für mich heißt das nicht nur: Gott hat ein besonders Auge auf die, die mit nicht so viel Intelligenz ausgestattet sind, Gott hat ein Auge auf die in ihrem Geist und ihrer Seele Kranken, auf die mit geistigen Einschränkungen. Das heißt es für mich sicher auch. Aber es heißt auch, gerade im Blick auf die mit weniger solchen Einschränkungen: Gott ist denen besonders nahe, die sich ihrer eigenen Armut, ihrer eigenen Fehlbarkeit und ihrer eigenen Schwäche bewusst sind. Denen, die sich trauen, das ehrlich einzugestehen. Denen, die wissen, dass sie sich oft genug schwer tun mit dem Glauben, mit der Liebe, mit der Hoffnung, die aber nicht aufgeben wollen. Denen, die anderen keine geistige oder moralische Größe vormachen, die sich nicht aufblasen, sondern die als Arme und Bedürftige unter Armen und Bedürftigen leben. Für mich ist dieses Dastehen vor dem Berg aber nichts, was mich hoffnungslos macht. Als Christ muss ich weder mir noch anderen ständig sagen, wie schlecht die Welt im Ganzen ist und ich im Besonderen bin. Nein, ich darf staunend dastehen: obwohl ich so klein bin, so arm, ist diese große andere, neue Wirklichkeit auch Teil meiner Wirklichkeit. Ich darf mich am Berg, an der Güte Gottes freuen. Ich darf staunen, wie anders die Welt sein kann.
Lass mich nicht in Ruhe! - 17. n. Tr., 11.10.2009, Reihe I
Liebe Gemeinde!
„Lasst mich doch einfach mal in Ruhe!“ - Können Sie sich vorstellen, dass Jesus so gedacht hat? Jesus war doch mehr als nur ein guter Mann. Als Gottes Sohn war er rund um die Uhr im Einsatz für die Kranken, Armen, Bedürftigen, für die großen und kleinen Sorgen und Nöte der Menschen. Wahrer Gott eben. Nein, so einer wird nie müde, will nie Ruhe haben. Aber Jesus ist eben nicht nur wahrer Gott, er ist auch wahrer Mensch. Was für mich eigentlich das Schönste am christlichen Glauben ist, ist, dass Gott uns Menschen da abholt, wo wir sind. Durch Jesus und in ihm kommt uns Gott entgegen. Er sagt nicht: „Bevor ich irgendwie für euch da bin, müsst ihr viele tausend Regeln befolgen und Bedingungen erfüllen und mir eure Liebe und Verehrung beweisen.“ Er sagt: „Bevor ihr überhaupt wirklich lieben könnt, komme ich euch entgegen, hole ich euch da ab, wo ihr seid, kenne ich längst eure Nöte. Ich bin für euch da, bevor ihr für mich da sein könnt. Ich liebe euch. Und deshalb könnt ihr auch lieben.“ Jesus ist eben auch wahrer Mensch. Und deshalb kann er den Menschen, uns Menschen, wirklich helfen und uns wirklich nahe sein. Hier, in dieser Geschichte aus dem Neuen Testament, wird das für mich wieder sehr deutlich. „Lasst mich doch einfach mal in Ruhe!“ Dieses Gefühl: Ich brauche jetzt mal Abstand, das außer mir sicher auch noch andere hier kennen, das steht ganz am Anfang. Jesus zieht sich zurück in die Gegend von Sidon und Tyrus. So fängt die Geschichte an. Er geht weg von den Menschenmassen, in eine Gegend, in der die Menschen eine ganz andere Religion haben. In eine Gegend, in der ihn vermutlich keiner kennt und keiner was von ihm will. Vorher wird erzählt von großen Reden, die Jesus gehalten hat, von Heilungen, von vielen Menschen, denen er begegnet ist und die etwas von ihm wollten. Jetzt reicht es ihm scheinbar. Mit seinen engsten Freunden will er auftanken. Neue Kraft für neue gute Taten sammeln. Und ausgerechnet da, wo man gar nicht vermuten kann, dass ihn überhaupt jemand kennt und was von ihm will, ausgerechnet da belästigt ihn eine Frau. Eine mit einer fremden Religion, eine, für die er doch gar nicht zuständig ist. „Sorg doch dafür, dass sie endlich Ruhe gibt“ - die Jünger, die Freunde von Jesus, sie sind genervt. Und Jesus reagiert gar nicht. So kennen wir ihn gar nicht, oder? Jesus, einer von uns, einer wie wir? Genervt, Ruhebedürftig, schlecht gelaunt?
Oder ist die Frau eine wie wir? Eine, die verzweifelt ist. Ihre Tochter ist schwer krank. Keiner kann der Tochter helfen. In ihrer Not sind ihr der Anstand, die Sitten, die Bräuche, die Religion egal. Hauptsache, ihrer Tochter wird geholfen. Dass eine Frau einen Mann anspricht - damals undenkbar. Dass eine Heidin, eine Ungläubige, etwas von einem jüdischen Lehrer und Meister will - ging gar nicht. Und dass sie ihn dann auch noch mit den besonderen Ehrentiteln „Sohn Davids“ und „Herr“ anredet, dass darf sie doch eigentlich gar nicht, sie glaubt doch an andere Götter! Aber in ihrer Not weiß sie sich nicht anders zu helfen. Für ihre Tochter tut sie alles. Und wenn Jesus wirklich so ein Freund der Menschen ist, wie immer erzählt wird, dann muss er doch auch für sie da sein! Ja, ich hoffe, dass die Frau eine von uns ist. Ich hoffe, dass wir wie die Frau sind. Dass wir uns nicht abspeisen lassen und nicht schnell zufrieden geben, wenn es um das Leben von Menschen geht, die uns wichtig sind. Dass wir uns trauen Jesus, Gott, anzusprechen, ihn auf die Liebe, die er doch nicht nur sein will, sondern auch ist, festnageln und uns nicht damit zufrieden geben, dass er manchmal einfach schweigt. Im Konfirmandenunterricht haben wir in den vergangen Wochen auch über das Gebet geredet. Und mehrere Konfirmanden haben das gesagt, was doch jeder, der es einmal ernsthaft mit dem Beten versucht hat, wahrscheinlich nachvollziehen kann: „Aber Gott antwortet doch nicht. Er lässt auch sinnvolle Bitten unerfüllt, er spricht nicht direkt so, dass ich es verstehen könnte.“ Ich wünsche allen, die diese Erfahrung machen, die Kraft der Frau in der Geschichte, die sich vom Schweigen nicht irre machen lässt, die dagegen hält, als sie eine Antwort bekommt, die sie nicht versteht, ich wünsche allen, die diese Erfahrung machen, die Kraft, dranzubleiben, dagegenzuhalten, die Hoffnung nicht zu verlieren. Wir dürfen Gott mit unseren Anliegen wirklich ansprechen. Das macht die Geschichte deutlich. Glauben, der Zweifel und Zurückweisung überwindet, hat eine Hoffnung und eine Verheißung.
Mir ist diese Geschichte wichtig geworden. Nicht nur, weil Jesus hier auch menschlich begegnet, und ich so wissen darf, dass mich auch meine manchmal schwierigen Seiten, Gereiztheit, Ruhebedürftigkeit und manches andere mehr nicht von ihm trennen. Gott kennt mich und meine Schwächen. Und in dieses Leben kommt er. Nicht in ein ideales Leben. Mir ist die Geschichte nicht nur wichtig, weil sie von der Hoffnung erzählt, dass Gott zuhört, dass er Not wirklich wendet. Mir ist sie vor allem auch deshalb wichtig, weil er das so tut, dass er auch Grenzen, die Menschenziehen, überwindet. Dass er auch die Grenzen, die auf ihn zurückzuführen sind, die Grenzen der Religionen, überwindet. Gottes Liebe macht nicht dort Halt, wo der Glauben an ihn seine Grenze hat. Die durch Jesus sichtbare Menschlichkeit Gottes lässt Menschen die Menschenfreundlichkeit Gottes erkennen. Es ist menschlich, dass wir Grenzen brauchen. Wir wären von einer Forderung nach Grenzenlosigkeit überfordert. Grenzen geben auch Halt und Orientierung. Da, wo zum Beispiel auch in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Grenzen vorenthalten werden, wird Leben schnell unmenschlich. Wir brauchen Grenzen. Nicht als absolute Trennung, sondern zur Orientierung, als Einladung, daran zu wachsen, zu schauen, wo sie nötig oder überflüssig sind. Aber diese Grenzen von uns dürfen wir nicht zu Grenzen Gottes machen. Hilfe, Zuwendung, zuhören, reden nur für die, mit denen, die so sind, so denken, so glauben wie wir - das ist nicht Gottes Programm. Menschsein, Menschlichkeit - das hat keine Grenze, das darf keine Grenze haben. Der wahre Mensch Jesus hat Gottes Liebe, Gottes Kraft über die Grenzen hinaus getragen und so Wege zu Gott geöffnet, von denen die Menschen, die an Gott glaubten, dachten, dass es sie gar nicht gäbe. Wenn wir als Menschen Gottes Liebe einschränken wollen, anderen vielleicht auch Glauben absprechen wollen, dann müssen wir mehr als nur vorsichtig damit sein. Jesus ist für Überraschungen gut, Gottes Liebe ist für Überraschungen gut.
Aber bei allem, was für mich in dieser Geschichte schön und wichtig ist, eine Frage bleibt. Die Tochter wird gesund. Der große Glaube der Frau hat geholfen. Aber wie ist das bei den vielen Söhnen und Töchtern, die nicht gesund werden? Bei dem Sohn, der an Leukämie stirbt und nach dessen Tod die Familie zerbricht? Bei dem Mädchen, dass die Schrecken des Missbrauchs nie verkraftet hat und dessen Leben in eine tödliche Spirale aus Abhängigkeiten gerät? War dort, war bei viel zu vielen anderen Fällen der Glauben etwa nicht groß genug? Nicht jeder, der glaubt, erfährt wirklich diese Hilfe - oder, und da sind wir wieder bei den Schwierigkeiten, die nicht nur Konfirmandinnen und Konfirmanden mit dem Beten haben, er erfährt diese Hilfe nicht so, dass er sie als Hilfe auch erkennt und wahrnimmt. Auch wenn ich lange predigen und reden kann - manchmal bin ich auch sprachlos. Gerade wenn es um die Erfahrungen geht, die in der Geschichte auftauchen. Um Krankheit und erfolgreiche oder eben erfolglose Versuche, sie zu beseitigen. Glauben und Gesundheit - nein, einen automatischen und immer erkennbaren Zusammenhang kann ich nicht sehen. Ich wünsche mir dann, dass ich auch dann so sein kann wie die Frau - mit Durchhaltevermögen und dem Mut, auch kritische Fragen zu stellen. Und dass ich die Hoffnung auf eine Antwort, die ich verstehe, nicht verliere. Diese Hoffnung und diese Kraft wünsche ich uns allen. Damit wir mitten in diesem oft so fragwürdigen Leben Gottes Zuwendung und Nähe erfahren, die Liebe des Mensch gewordenen Gottes, der unsere Not kennt, der uns liebt, bevor wir überhaupt auf die Idee kommen, ihm irgendetwas zurückgeben zu müssen. Ich wünsche uns, dass wir die Hoffnung behalten, auch dann, wenn wir uns schwer tun. Damit wir unsere Grenzen aushalten und Gott zutrauen, dass er größer ist als unsere Grenzen. Auch wenn wir manchmal zu anderen sagen: „Lasst mich doch in Ruhe“ - Gott lässt uns nicht endgültig in Ruhe. Wir sind geliebt. Gott sei Dank.
Überflüssig!? - Erntedankfest 2009
Anspiel:
A: sehr habgieriger Mensch / B: macht bei A mit, wird dann von ihm im Stich gelassen, C, D: erstmal Opfer der Habgier von A (und B)
A: Ich bin froh, dass ich genug Kohle hab. Hartz IV und immer rechnen, das wär nichts für mich!
B: Ja, da müsste man immer in so Billigkram rumlaufen. Und iPod oder iPhone wären auch nicht drin, höchstens so’n blödes altes Zeug.
A: Klar, aber guck mal. Siehst du den da drüben? Der hat auch n krasses Handy. Das hat der doch echt nicht verdient. Wollen wir ihm das abziehen?
B: Verdient hat der’s nicht, das Opfer. Aber lass den ruhig mal in Ruhe. Wir haben doch unsere iPhones.
A: Na und? Der Trend geht klar zum Zweithandy. Und ich brauch jetzt noch eins. Ich will doch nicht jeden Tag mit dem Gleichen telefonieren!
C: Hallo!
A: Was quatscht du uns denn an? Wer hat dir das denn erlaubt?
C: Ich geh ja schon, schon gut!
B: Moment, so einfach kommst du hier nicht weg.
C: Lasst mich doch in Ruhe!
A: Das könnte dir so passen. Du hast was, was eigentlich uns zusteht!
C: Quatsch!
A: Du hast so ein Handy gar nicht verdient. Nen Blackberry könnte ich gut gebrauchen.
C: Aber du hast doch schon ein iPhone! Mein Patenonkel hat mir das geschenkt, sonst hätte ich es mir ja nie leisten können.
B: Siehst du, du hast es nicht verdient.
A: Und jetzt her damit. Du kennst doch Sascha und Kolja. Und wenn wir denen erzählen, was du neulich in der Schule über die gesagt hast und dass du damit dafür gesorgt hast, dass die jetzt fliegen…
C: Macht das nicht!
B: Dann her mit dem Blackberry!
A: Und zwar sofort. Und wehe, du sagst was! Du bist doch versichert. Erzähl doch, dass ein Laster drüber gefahren ist! Los, her damit und hau ab!
Kurz danach
B: Ich hab jetzt Hunger.
A: Ich auch. Guck mal, da kommt einer, der bestimmt Geld dabei hat.
B: Den kenn ich, der hat bestimmt nichts. Der geht nie auf Geburtstage, weil die es sich nicht leisten können, Geschenke zu kaufen.
A: Aber heute wird das Geld für die Klassenfahrt eingesammelt. Und ich weiß, dass der immer ein bisschen bezahlt, den Rest kriegt er vom Förderverein. Und das bisschen Geld hat er jetzt dabei. Reicht bestimmt für zweimal Subway!
B: Hey, komm mal her!
D: Ich?
A: Siehst du sonst noch jemanden? Wir haben Hunger!
D: Und?
A: Kohle her oder ich mach dir das Leben hier an der Schule so zur Hölle, dass du dir wünscht, nie geboren worden zu sein.
D: Aber ich brauch doch das Geld für die Klassenfahrt!
B: Quatsch, du erzählst halt, dass es diesmal gar nicht reicht und der Förderverein alles bezahlen muss. Und jetzt her damit und wehe du sagst was!
Einige Tage später
B: Hey, Glück muss man haben! Weißt du noch, das Preisausschreiben von neulich? Wir haben gewonnen! 5.000,-- Euro!
A: Ich weiß!
B: Woher denn? Die Mail hab ich doch gekriegt!
A: Bist du so blöd oder tust du nur so? Ich kenn doch dein Passwort. Meinst du, du kannst das an mir vorbei machen?
B: Wollte ich doch gar nicht! Du bist total fies!
A: Quatsch, ich geh nur gern auf Nummer sicher. Und deshalb habe ich denen auch schon meine Kontonummer gegeben. Und das Geld ist auch schon da.
B: Dann kannst du mir ja meinen Anteil überweisen. Aber fies ist das schon!
A: Wovon träumst du nachts? Du kriegst gar nichts! Wer so blöd ist wie du, hat es nicht besser verdient!
B: Und ich dachte, wir wären Freunde…
Liebe Gemeinde!
Freundschaft kann man nicht kaufen, nicht klauen, nicht erpressen. Für manche Menschen ist es das Wichtigste auf der ganzen Welt, möglichst viel für sich zu haben. Nicht viel Freundschaft, sondern viel Geld, viel Besitz, egal, wie es dazu kommt. Echte Freunde dabei zu finden, das geht gar nicht. Andere Menschen sind gut, solange sie einem dabei helfen, was für sich zu kriegen. Und sie sind lästig und im Weg, wenn man mit ihnen teilen muss. Das, was ich für mich habe, ist das einzige was zählt. Egal, mit welchen Mitteln und woher ich das kriege. So leben diese Menschen. Das ist schon ein bisschen anders, als es in der Geschichte aus der Bibel war, die wir vor dem Lied gehört haben. Der Bauer in der Geschichte hat seinen Reichtum ehrlich bekommen. Aber er hat auch gedacht, dass sein Besitz ihn von allen seinen Sorgen befreit und dass materieller Besitz das Wichtigste im Leben ist. Was gehört mir eigentlich im Leben? Was brauche ich? Was ist mir geschenkt? Wofür kann ich eigentlich wirklich „Danke“ sagen? Und kann ich das überhaupt noch? Oder habe ich das Gefühl, alles selbst nehmen oder machen zu müssen? Das Erntedankfest, das wir heute feiern, ist für mich ein Fest, in dem es nicht nur darum geht, was eigentlich im letzten Jahr auf dem Feld oder im Garten gewachsen ist, und wofür ich da dankbar sein soll oder kann. Erntedankfest ist für mich ein Fest, das die Chance bietet, mal drüber nachzudenken, welche Einstellung ich zum Leben, zum Besitz, zum Verdienen habe. Und vielleicht auch einen Ort zu finden, an dem die Seele wirklich Ruhe finden kann, einen Ort, der sicherer ist als volle Scheunen, volle Bankkonten, teure Handys oder scheinbare Freunde, die doch nur dazu gut sind, beim Ausnutzen von anderen zu helfen.
Etwas ganz anderes haben wir am Anfang vom Gottesdienst heute gesungen: Danke für alle guten Freunde, danke oh Herr für jedermann - für mich ist das der Beginn eines ErnteDANKfestes, wenn ich mich als Mensch unter Menschen begreifen kann. Der Beginn einer gesunden Seele, die sich nicht als Insel begreift, in der man sich gegen andere absichert, sondern einer Seele, die sich für das Leben, die Menschen und auch die Unsicherheiten öffnet. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele schaden nimmt? so heißt es an anderer Stelle in der Bibel. Dadurch, dass ich mich als Mensch unter Menschen sehen kann, dass ich die Welt nicht als Eigentum, sondern als gute Leihgabe sehen kann, öffne ich mich, meine Seele, für Gottes Geschenk, für das Leben. Wenn ich mich abschließe von anderen, vom Leben, das manchmal auch Risiken hat, schließe ich mich damit auch von Gott ab. Das wollte der Bauer in der Geschichte. Und das wollte die eine, die zum Schluss übrig blieb, in der Geschichte der Konfis.
Mensch unter Menschen sein, das Leben mit seinen Möglichkeiten als Leihgabe und nicht als Eigentum sehen - geht das denn? Sind wir nicht doch eher Egoisten, Menschen die alles haben wollen? Sicher, perfekt sind wir nicht. Und ich glaube auch, dass es eine Überforderung wäre, wenn wir auf alles, was wir über das absolut Notwendige hinaus haben, verzichten müssten. Aber ich glaube auch, dass es gut ist, sich immer mal wieder darauf zu besinne, woher mein Leben eigentlich kommt, was ich eigentlich alles habe. Und wofür ich auch dankbar sein kann, was oft genug auch wirklich unverdient gut ist.
Hier vorn auf dem Altar gibt es zwei Teile: der eine Teil, den man vom Erntedankfest auch erwartet. Brot, Obst Gemüse, Blumen. Lauter eigentlich selbstverständliche Sachen. Ich will jetzt nicht mit dem Zeigefinger drohen und sagen: dafür müssten wir alle immer dankbar sein. Zu viele Menschen auf der Welt haben das nicht. Wer im Krieg oder in anderen Notzeiten froh war, wenn es überhaupt Brot gab und wenn das Wasser genießbar war, der weiß das zu schätzen. Meine Generation und erst recht die, die noch jünger sind, haben doch nur den zumindest relativen Überfluss erlebt. Ich will jetzt kein schlechtes Gewissen machen, nur weil Gott sei Dank vieles für uns selbstverständlich ist.
Auf dem anderen Teil des Altars sind andere Dinge zu sehen. Sekt. O-Saft. Exotische Lebensmittel. Computer. Schulheft. Ein Autoschlüssel, weil das Auto doch zu groß war. Zeichen für zumindest ein bisschen Luxus. Ich will jetzt kein schlechtes Gewissen machen und sagen: wir müssen lernen, auf so was zu verzichten, wir müssen uns auf die Natur und was Gott uns durch sie schenkt konzentrieren.
Nein. Ich bin dankbar, dass unser Leben meistens eben kein Kampf um das tägliche Überleben ist, sondern dass wir mehr haben. Ich bin dankbar, dass Kinder bei uns in die Schule gehen dürfen und nicht unter unwürdigen Bedingungen als Sklaven arbeiten müssen. Ich bin dankbar, dass ich nicht nur Wasser zu trinken habe und dass wir mobil sein können und dadurch andere Städte und Länder, andere Menschen und Ideen kennen lernen können. Dankbar, dass ich damit leichter als Mensch unter Menschen leben kann und nicht gegen andere um mein Dasein kämpfen muss. Dankbar, dass ich leben darf - und dass mit manches im Leben leichter fällt oder gemacht wird. Dankbar leben - das ist das Stichwort. Gott hat uns die Erde mit ihren Möglichkeiten gegeben, damit wir LEBEN - wer wie der Bauer oder die eine im Anspiel nur den Besitz sieht und glaubt, der würde Ruhe und Sinn verschaffen, der verpasst das Leben. Weil er sich an letztlich tote Dinge hängt. Weil er Hilfsmittel, Nebensächlichkeiten, zur Hauptsache werden lässt. Dankbar LEBEN - für mich heißt das, die Möglichkeiten erkennen und annehmen und, trotz allem, was dabei schief geht, etwas damit machen. Für andere und für sich. Andere zum Leben einzuladen, so wie Gott uns zum Leben einlädt. Immer wieder neu. Auch dann, wenn wir uns schwer mit dem Leben tun. Gott gibt uns nicht auf. Gebe Gott, dass wir daraus Kraft zum dankbaren Leben als Mensch unter Menschen ziehen. Amen