Liebe Gemeinde!
Ich will heute zuallererst mal unsere Bundesregierung, die Landesregierung und den Oberbürgermeister und den Bürgermeister von Marburg loben. Ich finde es einfach toll, dass es Menschen gibt, die einen großen Teil ihres Privatlebens aufgeben. Die sich in die Öffentlichkeit stellen, weil eben Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden müssen. Die sich angreifbar machen, nicht nur für berechtigte Kritik, sondern auch für jede Menge üble Beschimpfungen und Beleidigungen. Die trotzdem nach bestem Wissen und Gewissen und nach Recht und Gesetz Arbeit machen, die, so vermute ich mal, keiner von uns hier im Gottesdienst machen will und die wenigsten, mich eingeschlossen, gut machen würden. Ein großes, dickes Lob. Ein Lob auch an die Lehrer, die mit einer oft unverständlichen Bürokratie kämpfen müssen, die täglich oft unmotivierten, frustrierten, manchmal respektlosen Schülerinnen und Schülern gegenüberstehen, die sich mit Eltern beschäftigen müssen, die grundsätzlich alles besser wissen oder die sich nicht um die Erziehung ihrer Kinder kümmern, und die sich trotzdem oft gut vorbereitet jeden Morgen aufmachen um jungen Menschen zu helfen, ihr Leben zu meistern. Ein großes, dickes Lob. Und ein genauso großes Lob auch an alle Schüler. An die Hauptschüler, denen oft nichts zugetraut wird, über die andere lästern. An die Gymnasiasten, die mit übervollen Stundenplänen zu kämpfen haben. An die Schüler der Mittelstufe, die manchmal nicht nur wegen der Pubertät total orientierungslos sind. An alle, die mit manchmal schon ziemlich ungerechten Noten oder Vorurteilen zu kämpfen haben und die sich trotzdem jeden Morgen aus dem Bett quälen, die trotz allem die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass im Schulbesuch doch ein tieferer Sinn steckt. Ein großes und ernstgemeintes Lob an sie, an euch alle.
Was soll das jetzt? Könnten vielleicht manche denken. Politiker treffen viele unsinnige Entscheidungen, manchmal nicht zum Wohl der Mehrheit, sondern zum eigenen Wohl oder zum Wohl guter Freunde. Lehrer haben lang Ferien und werden gut bezahlt. Und Schüler sollen doch mal sehen, dass es in anderen Ländern nicht selbstverständlich ist, kostenlos in relativ gute Schulen gehen zu dürfen. Da muss man doch nicht loben! Nicht geschimpft ist gelobt genug! Der Rest ist doch selbstverständlich!
Ja, so leben Menschen manchmal. Nicht geschimpft ist gelobt genug! Erwachsene – aber auch Jugendliche und Kinder. Ich wahrscheinlich auch. Schade eigentlich. Und egoistisch. Diese Haltung drückt nämlich einen ziemlich egoistischen Anspruch aus. Erstens: ich weiß, was richtig ist und wie die Dinge laufen. Zweitens: ich habe einen Anspruch, dass alles so läuft, wie ich es für richtig halte. Drittens: wenn etwas nicht so läuft, dann habe ich das Recht zu meckern, alles andere ist ja mein gutes Recht. Also: wann haben sie, wann hast du das letzte Mal gelobt? Vielleicht sogar Gott gelobt? Denn ich glaube, dass sich beim Glauben an Gott oft das fortsetzt, was im Alltag normal zu sein scheint. Da wird ganz viel Bitte gesagt: bitte lass doch die Englisch- oder Mathearbeit nicht so schwer werden, lass doch die Krankheit nicht so schlimm sein, lass die Menschen nicht hungern, lass die Kriege aufhören und so weiter. Und manchmal auch Danke. Danke, dass die Arbeit gut lief, danke, dass ich eine Freundin gefunden habe, danke, dass die Diagnose beim Arzt nicht so schlimm war. So eine Art Geschäft: Du, Gott, hast dafür gesorgt, dass mir was Gutes passiert ist, also sag ich mal Danke, damit es das nächste Mal wieder klappt. Aber Lob? „Danke Gott, dass du da bist, dass du viel größer bist, als wir uns das vorstellen können, dass du uns kennst und liebst, auch wenn wir oft genug Unsinn machen!“ Mit dem Lob ist das eben auch hier so eine Sache. Da herrscht manchmal so eine Meinung vor: „Also, Gott hätte doch alles perfekt machen können. Wenn er das nicht gemacht hat, ist er doch selber Schuld!
Wieso soll ich ihn dann loben? Ist doch nur fair, dass er sich wenigstens ein bisschen um mich kümmert, schließlich habe ich es mir ja nicht ausgesucht, auf dieser Welt zu sein.“ Gott loben – das fällt oft genug ziemlich schwer. Da fällt manchem, wie gesagt, mir durchaus auch, schnell ein, was alles nicht in Ordnung ist. Der Hunger in der Welt und die ungerechten Lebensverhältnisse, die in Afrika, Asien und Südamerika oft noch sehr viel ungerechter als bei uns sind und an die wir am 1. Advent ja auch durch die Eröffnung von Brot für die Welt erinnert werden. Oder die Einsamkeit, in der viele leben müssen, oft genug durch den Tod eines geliebten Menschen. Und gerade das wird in der Adventszeit oft besonders deutlich spürbar. Oder es gehen einem die Menschen nicht aus dem Kopf, die Kinder misshandeln oder töten, in letzter Zeit, so scheint es mir, immer öfter die eigenen. Oder die Kriege in der ganzen Welt. Fast vergessen in Mali und im Kongo, ganz präsent in Afghanistan und ausgerechnet in der Weltgegend, in der Jesus gewirkt hat, die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Palästina und dem Staat Israel. Gott loben – trotz Krieg, Leid, Tod, Hunger? Mehr Bitten und Klagen, Lob wäre doch unehrlich, da kann man doch froh sein, wenn Menschen den Glauben an Gott nicht aufgegeben haben angesichts all dem Schlechten in der Welt! Auch das ist eine Haltung, die mir, und ich glaube nicht nur mir, öfter mal begegnet und nicht fremd ist.
Und genau deshalb finde ich es unglaublich schön, dass in diesem Jahr ein großes Loblied als Predigttext für den 1. Advent einfach dran ist. Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, der lobt Gott ganz einfach, so erzählt es Lukas. Sie haben es schon gemerkt, ich will heute nicht Vers für Vers oder Abschnitt für Abschnitt den Predigttext auslegen und erklären. Das kann man auch und für mich ist das auch spannend. Aber für mich ist es am Anfang des neuen Kirchenjahres, zu Beginn der Adventszeit, ein großes Geschenk, mit einem Loblied zu starten. Und da geht es mir in diesem Jahr nicht um jedes einzelne Wort, sondern um die Grundhaltung. Ich finde schon den Anfang bemerkenswert. Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk. Von außen betrachtet übertreibt Zacharias maßlos. Klar, Gott loben ist okay. Aber dann. Erlösung für das Volk. Die Römer haben weiter geherrscht, gute 70 Jahre später das Land zerstört und seine Einwohner vertrieben. Johannes der Täufer und Jesus hatten sehr viel mehr Gegner als Freunde. Beide werden hingerichtet. Und obwohl Jesus viele Menschen heilte und Hungernde satt machte, gab es weiter kranke und sterbende Menschen und auch Menschen, die abends hungrig ins Bett gingen. Wie gesagt, von außen betrachtet völlig übertrieben. Da könnte man wieder die ganzen Klagen loswerden. Aber die Haltung, die hinter diesen Worten steckt und vor allem die Haltung von Lukas, der das alles wusste und ja gar nicht hätte überliefern müssen, ist eine andere. Ein großes Lob dafür, dass Gott eben nicht wartet, bis alles perfekt ist, sondern dass er schon in der oft so unvollkommenen Welt Menschen immer wieder daran erinnert und ihnen es auch ganz konkret zeigt, dass er ihr Gott ist, dass er Menschen nicht allein lässt, dass nicht Hunger, Not, Verderben, Tod sein Wille sind, sondern dass Leben, dass Liebe, Versöhnung und Gerechtigkeit sein Werk und Wille sind und dass er Menschen immer wieder ermuntert, falsche Wege zu sehen und von falschen Wegen umzukehren. Ein großes, dickes Lob an Gott dafür, dass er nicht die Fehler der Menschen, nicht die Sünde in den Vordergrund und Mittelpunkt stellt, sondern seine Liebe zu den Menschen. Ein Lob dafür, dass Gott verlässlich ist in seiner Liebe, zu seinen Menschen, zu seinem Volk. Zu uns Christen, vor allem aber auch zu den Nachkommen Abrahams, zum biblischen Volk Israel, zu den Juden. Und ich glaube, dass wir Christen heute Gott auch dafür loben können, dass er uns nicht aus den Augen verliert, obwohl wir seiner ersten Liebe, den Juden, so viel Schlimmes angetan haben und seine Liebe auch dadurch in den Dreck ziehen, dass Christen diesen Namen, Juden, als Schimpfwort benutzen. Ich würde gern noch ganz, ganz viel erzählen, weil ich das Lob so schön finde und weil mir ganz viel einfällt, wofür ich Gott loben möchte, aber ich will die Predigt nicht zu lang werden lassen. Deshalb nur noch kurz zwei Dinge. Zum einen finde ich es wichtig, was vor dem Lob des Zacharias kommt. Er war verstummt, weil er nicht glauben wollte, dass er Vater wird. Das Lob ist dann das erste, was er wieder sagt. Vielleicht tut es wirklich gut, mal still zu sein, Ruhe zu finden, nicht ständig plappern und aktiv sein zu müssen, damit man wieder offen wird für das, was es zu loben gilt. Die Adventszeit macht es einem ganz schön schwer, zur Ruhe zu kommen. Als Pfarrer, als Eltern, als Schüler, der dauernd Arbeiten schreiben muss. Vielleicht kommt unser Lob erst später, nach Weihnachten, wenn’s ruhiger wird. Aber ich hoffe, dass es kommt. Lob als Frucht der Ruhe – ein Gedanke. Der zweite und damit zum anderen: der Schluss: durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens. Gott flieht nicht vor der Dunkelheit in unserem Leben, sondern er will sie erhellen. Uns soll ein Licht aufgehen. Und in diesem Licht sehen wir, dass wir Ausrichtung brauchen, die Gott uns gibt, dass er es ist, der unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet. Der Weg des Friedens, die Ausrichtung darauf ist nicht selbstverständlich. Gottlob gibt er nicht auf, unser Leben hell zu machen und uns in die richtige Spur zu setzen – auch wenn wir immer wieder genau den anderen Weg gehen. In der Politik, in unseren Urteilen über Politiker und andere Menschen, in den Schulen, in unserem täglichen Miteinander. Gottlob lässt er mich Grund zum Lob finden.
Amen.
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