Text: Römer 8,31-39
Liebe Gemeinde!
„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“ Mache es wie Aschenputtel, besser gesagt, wie ihre Tauben, und behalte das Gute und lass das Schlechte einfach ver-schwinden. Oder: „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl’ die heitren Stunden nur!“ Oder denke ganz einfach positiv! Es gibt jede Menge Ratschläge und Poesiealbumsprüche, die dem Leben Gutes abgewinnen wollen. Und jetzt, am letzten Abend des zu Ende gehenden Jahres, da kann man Bilanz ziehen. Wie viel Gutes ist im letzten Jahr im Töpfchen gelan-det und wie viel Schlechtes musste ins Kröpfchen? Wie viele heitere Stunden hatte die eigene Sonnenuhr am Ende zu zäh-len? Ich kann auch etwas böser fragen: wie viel Staub musste unter den Teppich gekehrt werden, wie hoch sind die Staub-berge, die sich da türmen, damit der Rest der eigenen Le-benswohnung einigermaßen sauber, ordentlich und aufge-räumt an das neue Jahr übergeben werden kann? Natürlich wird das alles ganz unterschiedlich sein. Bei manchen war das zu Ende gehende Jahr ein Jahr mit ganz vielen schönen Erfahrungen, mit überraschenden, schönen Begegnungen, mit Menschen, die einen selbst positiv beeinflusst haben und vo-rangebracht haben oder auch mit der Erfahrung, dass Gott wirklich im eigenen Leben da ist und hilft und Neuanfang und viel Gutes schenkt. Für andere ist das Jahr eins, das am besten gar nicht angefangen hätte und das man so schnell wie möglich wieder vergessen möchte. Ich denke an ein Eltern-paar, denen ich in der Notfallseelsorge begegnet bin, die auf dramatische Art ihr Kind verloren haben. Ich denke an zwei Menschen in meinem Bekanntenkreis, ungefähr in meinem Alter, die gegen Jahresende die Diagnose einer schweren Leukämie mit eher schlechten Heilungsaussichten bekommen haben. Und an einige andere mehr. Ganz persönlich fällt meine Bilanz sehr gemischt aus. Aber ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich verschluckt hätte und mir den Magen verdorben hätte, wenn ich alles Schlechte verschluckt und gegessen hätte, damit nur das Gute übrig geblieben wäre. Am Ende des Jahres 2009 bin ich froh, dass mich Paulus in den letzten Stunden begleitet. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom schreibt er eben nicht, dass Christen immer alles Böse und Schlimme und Traurige und Schlechte verleugnen, ver-stecken und runterschlucken müssten, damit sie gute Christen seien. Er schreibt nicht, dass ein echter Christ immer lustig, immer fröhlich und immer gut drauf sein muss. Er schreibt nicht, dass das Leben eines Christen nur aus Sonnenschein-stunden bestehen wird und bestehen muss. Paulus schreibt etwas ganz anderes. Mit einem ehrlichen Blick auf das Leben will er mut machen. Und gerade am letzten Abend dieses Jahres finde ich das wunderbar. Im 8. Kapitel seines Briefs an die Römer schreibt er: Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns ver-tritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen über-winden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünf-tiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Ich liebe es an meinem christlichen Glauben, dass er mir nicht sagt: „Wenn dir im Leben etwas Schlimmes passiert, dann hast du etwas falsch gemacht und die Liebe Gottes nicht verdient.“ Ich liebe es, dass ich nicht so tun müsste, als müss-te ich im Glauben ein ganz anderes Leben leben und meine Wirklichkeit wäre etwas, das nichts mit dem Glauben zu tun hat. Paulus macht deutlich, dass Christen auch traurige und schlimme Erfahrungen machen. Er geht sogar soweit, dass er die Gefahr sieht, die darin steckt. Es gibt Momente und Er-fahrungen im Leben, die Menschen, auch wenn sie noch so fest im Glauben stehen, an der Güte und Liebe Gottes zwei-feln lassen. Für die einen sind das vielleicht Erfahrungen von Zwangsarbeit und Vertreibung, von Not und Hunger, von Toten durch Hunger, Kälte, und Krieg. Für andere sind das Krankheiten, die zu einem qualvollen Tod geführt haben oder führen. Oder böse Trennungen mit ganz vielen Scherben. Kinder, die sterben. Menschen, die helfen wollen, die aber darunter leiden oder diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen. Ich glaube, dass jedem von uns Momente einfallen, in denen der Glauben an einen lieben und gütigen Gott fragwürdig geworden ist. Wenn nicht aktuell im Jahr 2009, dann in ei-nem anderen Jahr des Lebens. Wenn Paulus schreibt: ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünf-tiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn, dann leugnet er nicht, dass es Erfahrungen der Gottesferne gibt. Paulus ermutigt die Christen in Rom – und auch mich heute – dazu, nicht in einem Scheinleben zu ver-harren, sondern für dieses Leben, das wir haben, auch mit seinen schweren Seiten, das Beste von Gott zu erwarten. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen! Gott hat alles für uns gegeben, seine ganze Liebe, seinen Sohn. Er ist Mensch geworden. Mit allen schönen Seiten, die es dabei gibt. Mit allem, woran man sich im Leben wirklich freuen kann. Aber eben auch mit der Erfahrung des Todes, der Verfolgung, des oft genug ja ungerechten Leides. Gott hat sich in Jesus dem nicht entzogen, er ist nicht weggelaufen, als es hart wurde. Deshalb die Zuversicht, die Paulus hat. Gott weiß, wie es ist, unten zu sein. Nichts kann uns von der Liebe trennen. Nichts. Letztlich auch nicht das, was gut läuft. Typisch, das mir wie-der mal zuerst das Schwierige, Schlechte und Traurige einge-fallen ist. Die meisten Menschen denken wohl zuerst daran, wenn es um Erfahrungen geht, die den Glauben schwer ma-chen, die von Gott trennen könnten. Die dunklen Stunden des vergangenen und all der anderen Jahre, die keine Sonnenuhr zählen konnte. Aber ich glaube, dass auch die andere Erfah-rung es schwer machen kann, an Gott zu glauben. Wie war es denn in den guten Zeiten, die gut sichtbar im Töpfchen lie-gen, die ich gern den anderen präsentiere? Ich bin gewiss, dass weder Tod NOCH Leben, weder Hohes NOCH Tiefes uns von der Liebe Gottes scheiden kann, schreibt Paulus. Für mich mit Recht. Es sind manchmal eben auch die Erfolge, die es mir schwer machen, mit Gott zu rechnen und an Gott zu glauben. „Das habe ich jetzt doch verdient! Ich habe mich so eingesetzt, so hart dafür gearbeitet!“, so geht es mir dann durch den Kopf. Dass auch die schönen Momente im Leben, die vielen guten Erfahrungen Geschenke sind, für die ich dankbar sein kann und dass all die Möglichkeiten, die ich habe und nutzen kann auch ein Ausdruck der Liebe Gottes zu mir und meinem Leben sind – ich übersehe es immer wieder im Laufe des Jahres, im Laufe des Lebens. Manchmal blen-det die sonne, die die heiteren Stunden hervorruft, doch ziem-lich stark. Mir geht es nicht darum, jetzt zu sagen: „Ulrich, sie nicht so sicher und überheblich! Ihr Menschen in der Ge-meinde, genießt lieber nicht das Schöne, es kommt wieder anders!“ Im Gegenteil. wir haben jeden Grund, uns an allem Guten, was uns begegnet ist, zu freuen – so, wie wir auch über das wenig Schöne traurig sein können. Mir geht es dar-um, dass Paulus hier deutlich macht, dass weder unsere gele-gentliche Trauer noch unsere gelegentliche Überheblichkeit für Gott ein Grund ist, seine Liebe von uns zu nehmen. Nichts kann uns von Gott und seiner Liebe trennen. Gott steht auch da unverbrüchlich zu uns, wo wir unsere Schwie-rigkeiten haben. Gott sagt Ja zu unserem Leben. Zu dem Le-ben, das wir im zu Ende gehenden Jahr 2009 gelebt haben. Zu dem Leben, das uns im Jahr 2010 bevorsteht. Gott sei Dank. Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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