Text: Matthäus 25,1-13
Liebe Gemeinde!
Ein Notfallkoffer, damit ich auf alles vorbereitet bin, was passieren kann. Vieles kann passieren. Straßenkarten sind drin, damit ich mich ohne Navi nicht verfahre. Handschuhe, falls ich jemand Krankes oder Blutendes anfassen muss. Taschenlampe und Ersatzbatterien. Spielzeug, falls Kinder-getröstet werden müssen. Bibel und Gebetbuch, falls mir eigene Worte fehlen. Kerzen und Kreuz, sogar Traubenzucker, falls die eigenen Energiereserven zur Neige gehen. Jetzt kann’s losgehen, jetzt bin ich auf alles vorbereitet. Ein Notfallkoffer. Was wäre eigentlich in eurem, in ihrem Notfallkoffer? --- Bilder von den Liebsten? Versicherungen? Geld? Egal. Vorbereitet sein ist wichtig. Man muss mit allem rechnen.
Wirklich? Muss man das? Kann man das? Seit Monaten liegt der Mann schwerstkrank im Bett. „Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen“ hat der Arzt gesagt. Gespräche mit-einander, Trauer, Angst, mal versteckt, mal offen voreinander gezeigt. Er wird sterben, klar. Gebete vorher, Gebete jetzt. Er stirbt. Und trotz aller Vorbereitung ist die Lücke so groß, dass Loch so tief, und Angst da, nie mehr rauszukommen. Vorbereitet sein? Der Unfall stellt das ganze Le-ben auf den Kopf. Alle Versicherungen, alle Vorsorgemaß-nahmen haben nicht davor bewahrt, dass das Leben völlig umgekrempelt wird. Vorbereitet sein? „Ich kriege keinen mehr ab! Alle haben einen Liebsten gefunden! Ich muss mich drauf einstellen, allein zu bleiben.“ Und dann kommt aus dem Nichts die Begegnung, die alles verändert. Es gibt wieder Grund zur Freude, und Liebe ist nichts, was in Büchern steht, worüber Filme gedreht werden und was immer nur anderen passiert, sondern Liebe wird Teil des eigenen Lebens.
„Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Trotz Vorbereitung und Notfallkoffer stehe ich oft genug da und merke, dass ich alles, was ich gedacht habe, nicht brauchen kann. Trotz Vorbereitung und Vorwarnung tut Abschied nehmen weh und Liebe, meistens wenigstens, gut. Und wirklich vorbereiten kann man sich auf Beides nicht. Die Wirklichkeit ist anders als alle Träume und alle Ängste.
Mit allem rechnen, auf alles vorbereitet sein. Eine Ge-schichte aus der Bibel, aus dem Matthäusevangelium:
Mt 25,1-13
Wir denken heute besonders an die Menschen aus unserer Gemeinde, die im letzten Jahr gestorben sind. Manche sind heute hier, weil sie sich auch an Menschen erinnern, die schon länger in ihrem Leben fehlen. Und dann eine Geschichte von Jesus, in der er von einer Hochzeit, etwas ganz Fröhlichem redet. Die, die nicht ordentlich vorbereitet sind, dürfen erst gar nicht mitfeiern. Ein bisschen hart und grausam. Du kommst hier nicht rein! Ganz offensichtlich scheint es das zu geben. Leute, die von Jesus weggeschickt werden, die zu spät kommen, weil sie nicht mehr mit ihm gerechnet haben. Die Hoffnung auf ein besseres Leben bei Gott, die Hoffnung auf eine völlige Neugestaltung der Welt, auf ein Leben mit Gott als Fest ohne Tränen und Schmerzen wird zur Angst, da nicht dazugehören zu dürfen. Oder wenigstens: Sie kann zu dieser Angst werden. Bin ich einer von denen, die gut vorbereitet sind? War mein Mann, meine Mutter, mein Vater gut vorbereitet? Oder gehöre ich, gehören die, die mir lieb waren und sind, zu denen, die draußen bleiben müssen? Ich weiß es nicht. Gott sei Dank. Gott sei Dank bin ich nicht der Türsteher. Ich weiß, dass ich mich oft schwer damit tue, viel Hoffnung zu haben und damit zu rechnen, dass die Party bei Gott, die Hochzeit, das schöne und gute Leben bei ihm endlich losgehen. Ich kann die Frauen aus der Geschichte gut verstehen, die beim Warten auf das Fest müde geworden sind und einschlafen. Es gibt vieles, was müde macht. Auch heute, wenn Menschen darauf warten, dass es mit dem Himmelreich endlich losgeht. Heute, am Totensonntag, da denke ich zu-erst natürlich an die Macht, die der Tod immer noch hat. An Schmerzen und Trauer über Verluste. Ich denke an Menschen, die bei Unfällen sterben, an andere, die keinen Ausweg mehr sehen und sich selbst töten, an Kinder, die sterben. Die Bilder von sinnlosen Opfern bei Selbstmordattentaten kommen hoch und die schon fast vergessenen Bilder von Kindern und Erwachsenen, die sterben, weil sie nichts zu essen haben. Mich macht es müde, auf die Welt ohne Schmerz und Tränen zu warten, die Gott verspricht, weil ich immer wieder sehe, dass es trotz aller Gebete und aller Hilfsmaßnahmen sinnlose und vermeidbare Tote gibt. Ich glaube auch, dass ich eigentlich gar nichts mehr aufzählen muss, was Hoffnung schwer macht. Ich glaube, dass es nicht lang dauert, bis jedem von uns noch etwas einfällt, was die eigene Hoffnung darauf, dass die Welt einmal wirk-lich gut wird, müde werden lässt.
Jesus weiß das und leugnet es nicht. Mir macht das Mut und Hoffnung. Die zehn Jungfrauen, die sind ein Bild für alle, die gern glauben möchten, die gern mit Gott wirklich feiern möchten und auf das Gute warten. Und die werden müde. Weil die Zeit richtig lang werden kann. Der Glauben an Gott, die Hoffnung darauf, dass das, was er verspricht, wahr wird, ist kein Aufputschmittel, kein Ecstasy, mit dem ich mich schlagartig gut fühle, die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehme und nur noch grinsend durchs Leben laufe. „Hipp hipp hurra, alles ist super, alles ist wunderbar!“ Nein. Jesus ist realistisch. Party, ja klar. Aber der Weg dahin - der kann schon müde machen. Glauben verdrängt nicht die Wirklichkeit, sondern er lebt in der Wirklichkeit. Und lässt die Party bei Gott, das Gute dann anfangen, wenn es soweit ist. Ohne Absturz, ohne Kater, ohne Nebenwirkungen.
Es geht in der Geschichte nicht um die Angst, die Party, das große Fest, das Gute zu verpassen und nicht dazuzugehören. Es geht darum, einen Notfallkoffer zu haben, wenn ich müde werde, wenn meine Hoffnung müde wird. Ein kleines Fünkchen Hoffnung, ein kleines Tröpfchen Öl. Das Warten wird ein Ende haben. Sicher nicht dann, wenn ich meine, dass es soweit sein müsste. Wir dürfen mit dem Besten rechnen. Auch wenn wir es ganz lange nicht im Blick haben. Für mich ist mein Notfallkoffer, dass Gott mir sagt: „Du darfst auch zwischendurch müde werden. Es ist nicht leicht!“ Ich muss nicht so tun, als wäre alles immer leicht, als müsste das Leben im Glauben immer eine Riesenparty sein. Ich darf traurig sein, verzweifelt, müde, vielleicht sogar denken, dass ich keine Hoffnung mehr habe. Komischerweise ist es genau das, was mir Hoffnung macht. Da ist keiner, der sagt: „Du musst wach bleiben und immer gut drauf sein.“ Nein. Da ist einer, der sagt: „Lebe, und wenn du zwischendurch müde wirst, dann komme ich trotzdem auch zu dir und weck dich wieder auf.“ Da ist einer, der nimmt mich ernst. Der fordert nichts Unmögliches von mir. Das ist mein Notfallkoffer, mein Tröpfchen Öl, von dem ich hoffe, dass es meine Lampe am Brennen hält, wenn das Fest losgeht. Nicht meine Planun-gen und Vorbereitungen sind entscheidend. Es kommt so-wieso anders und ich kann nie vorhersehen, wann ich wie-der das Gefühl habe, dass Leben gut ist. „Ich mach dir nichts vor. Ich verspreche dir nicht, dass es nur Gutes gibt. Aber ich verspreche dir, dass du was Richtiges zum Feiern erleben wirst. Die Müdigkeit wird nicht das Letzte sein.“ diese Zusage Gottes ist für mich besser als jeder von mir gepackte Notfallkoffer. Und was ist ihr Notfallkoffer?
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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