Text: Römer 13,8-12
Liebe Gemeinde!
Zeit der Liebe, Zeit der Geschenke - jetzt fängt sie wieder an. Die Adventszeit. Die Zeit, in der ich als Pfarrer immer die mitfühlendsten Blicke und Bemerkungen bekomme. „Für sie beginnt ja jetzt die Hauptarbeitszeit. Da kommen sie doch zu kaum was anderem!“ So höre ich es oft. Ich finde es schön, dass es Menschen gibt, die versuchen, sich ein bisschen in mich hinein zu denken. Es gibt für mich als Pfarrer Zeiten, die ähnlich mit Arbeit voll gestopft sind. Trotzdem ist es schön, dass Menschen mich und meinen Beruf wahrnehmen. So ein bisschen fühle ich mich in die-sen Momenten, als bekäme ich etwas von dem, was hier im Römerbrief geschrieben steht: „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt.“ Was heißt das eigentlich, einander zu lieben? Nicht zuletzt doch auch: offene Augen für den Anderen zu haben. Anteil am Leben des Anderen zu nehmen und nicht zu denken: „Der ist mir doch grad egal!“ Adventszeit - Zeit der Liebe, Zeit der offenen Augen, Zeit der Geschenke. Zumindest Zeit der Gedanken rund um die Geschenke, die anderen gemacht werden sollen oder die ich mir von anderen wünsche. Adventszeit - nicht zuletzt auch Zeit gut gemeinter Ratschläge und erhobenen Zeigefinger. Gerade wenn’s um Geschenke geht. An Geschenken wird nicht gespart! Das war jetzt wie-der in einer Umfrage zu hören. Geschenke sind doch nicht das Wichtigste! Tausendmal gehört. Mit Liebe schenken. Ja doch. Schenk doch mal dich selbst, Zeitgutscheine, Gut-scheine für Spaziergänge, gemeinsame Kinobesuche, Kaffeenachmittage oder was auch immer. Es muss doch nicht viel kosten, Hauptsache du bist mit ganzem Herzen dabei. Dankeschön, kann ich da nur sagen. Wenn mir was Stress macht, dann ist es das Gefühl, meine Zeit noch mehr festlegen zu müssen. Im Namen der Liebe! Statt hilfreicher Tipps kriege ich ein schlechtes Gewissen. Es ist eben Advent. Zeit der Liebe? Zeit des schlechten Gewissens? „Bleibt niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt!“ Manchmal ist gerade in diesen Tagen die Angst die dunkle Schwester der Liebe. Mir wurde das deutlich bei einem Gespräch zwischen acht jungen Müttern, dass ich zuerst unfreiwillig wegen der Lautstärke, in der es geführt wurde, dann aber sehr interessiert in einer Pizzeria belauscht habe. Da ging es um die Weihnachtsgeschenke. Um die Angst, sich zu blamieren, wenn das ausgesuchte Geschenke nicht groß genug ist. Um die Angst der Großeltern mütterlicherseits, dass die Enkel sie weniger lieben, wenn ihr Geschenk billiger war als das der Großeltern väterlicherseits. Um die Angst davor, dass die Kinder denken könnten, man hätte sie nicht lieb, wenn sie beim Familientreffen am 1. oder 2. Weihnachtstag feststellen, dass die Cousins und Cousinen mehr Geschenke bekommen haben. Besserwisserisch und rechthaberisch kann man werden und sagen, wie pervers die Adventszeit doch geworden ist, wenn sie für viele Menschen anscheinend mit so viel Angst verbunden ist. Besserwisserisch und rechthaberisch kann man sagen: „Da sieht man mal, wie es ist, wenn die Adventszeit von allem christlichen Inhalt und Sinn entleert wird und es sich nur noch um Kaufen, Geschenke, Bräuche dreht!“ - Am besten sogar mit dem Nachsatz: „Gut, dass ich anders bin! Gut, dass bei mir weihnachtsmannfreie Zone ist und ich gar nichts oder Zeitgutscheine oder nur selbst Gebasteltes ver-schenke!“ Ich finde es schade. Gut gemeinte Ratschläge werden anderen lieblos um die Ohren gehauen. Gut, dass ich so schlau bin und weiß, was richtig bist. Du bist ja dumm. So kommen diese gut gemeinten Ratschläge manchmal an. Auch bei mir, obwohl ich kein so großer Geschenkefreak bin und mir diesen Schuh, glaube ich, eigentlich nicht anziehen muss. Aber Besserwisserei und Rechthaberei werden auch nicht durch einen christlichen oder kirchlichen Rahmen gut. Oft spricht nämlich aus ihnen nicht die Liebe für die, die in ihren vielleicht ja tatsächlich ganz falschen Vorstellungen und Gedanken gefangen sind. Oft spricht Verachtung und das Gefühl, durch Abgrenzung besser sein zu können oder zu wollen, aus solchen Ratschlägen. „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt!“ Ein guter Wegweiser. Nicht nur für die Adventszeit. Vielleicht zu allgemein? Kann sein. Aber Gott hat uns schließlich einen Kopf zum Denken gegeben, ein Herz zum Fühlen und Hände zum Handeln. Und von Liebe kann man auf der einen Seite nur ganz allgemein reden, weil sie sich auf der anderen Seite nur ganz persönlich mit Leben füllen lässt. Liebe ist immer abhängig von mir selbst. Als Mensch, der liebt. Als Mensch, der geliebt wird. Liebe braucht mich. Aber was ist das eigentlich? Was heißt das? Gerade in dieser Zeit? Paulus hat einen schönen Satz geschrieben, der vielleicht erst einmal verwirrend klingt. „Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!“ Die Werke der Finsternis. Das ist für mich zuallererst die Angst. Die Angst, zu kurz zu kommen und deshalb egoistisch alles nehmen zu müssen, auch das, was mir nicht gehört. Die Angst, nicht geliebt zu werden und mir deshalb Liebe kaufen zu müssen. Durch teure Ge-schenke genauso wie durch gekaufte Liebe in jeder Form. Die Angst vor eigener Schwäche. Und deshalb den anderen mit Gewalt zeigen, wie stark ich bin oder durch möglichst viele Geliebte wie potent ich bin oder durch möglichst viele Liebhaber, wie attraktiv ich bin. Es ist kein böser Teufel, sondern viel zu oft die Angst, die Leben finster macht. Du musst deine Angst nicht leugnen, sie nicht verstecken und ihr dadurch erst so richtig Macht über dich geben. Du darfst sie ablegen und eintauschen gegen die Waffen des Lichts. Gegen die Liebe, die der Angst Grenzen setzt. Für mich ist das die Grundbotschaft, die Paulus nicht nur den Menschen in Rom vor langer Zeit geschrieben hat. Bis heute spielt die Angst eine viel zu große Rolle. Und leider ja auch in der Liebe. Denn selbst dann, wenn ich mich begeistert auf die Liebe, auf den Glauben und das Vertrauen stürze, bin ich nicht sicher vor dem Gefühl, nicht genug lieben zu können. Zu schwach zu sein, in meiner Liebe das falsche zu tun oder eben nicht so lieben zu können, wie es eigentlich nötig wäre. Ich spüre in der Liebe meine Grenzen und die machen mir auch wieder Angst. „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern“, schreibt Paulus. Die Nacht ist vorge-rückt - und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht. Vielleicht sind wir gerade da, wo es grau wird. Noch nicht wirklich Licht. Angst ist noch da. Im Alltag. In der Liebe. In der Adventszeit. Zu Weihnachten. Aber sie muss nicht mehr alles bestimmen. Da ist einer, der liebt mich wirklich. Der gibt mich nicht auf, auch wenn ich kurz davor bin, mich selbst aufzugeben. Da ist einer, der hat mir tatsächlich das ganz große Geschenk gemacht: Liebe, die auch Angst, Schuld und Versagen aushält. Weihnachten ist nicht mehr weit. Das Fest, an dem wir uns alle Jahre wieder versichern lassen dürfen und feiern dürfen, dass Gott durch den Menschen Jesus, sich selbst und seine Liebe in diese Welt gebracht hat. Das Fest, an dem wir feiern dürfen, dass das keine fromme Einbildung ist, sondern dass die Liebe greif-bar geworden ist. Weihnachten ist nicht mehr weit - Advent ist da. Die Zeit, in der wir uns im Blick auf diese Liebe un-seren Ängsten, der Finsternis stellen können, vielleicht auch müssen. In der Hoffnung, die Paulus beschreibt: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern!“ Und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht. Grau vielleicht im Moment, mit viel schwarz. Noch nicht Licht. Die Werke der Finsternis, die Angst und alles, was aus ihr kommt - die sind noch nicht ganz abgelegt. Aber die Waffen des Lichts, die Liebe, die die Angst besiegt, die stehen bereit. Zeit für Liebe, Zeit für offene Augen, Zeit, ohne Angst zu schenken und Geschenke anzunehmen - ich wünsche es uns allen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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