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Samstag, 12. Oktober 2013

Geschwister, zur Ruhe, zur Freiheit! - 20. Sonntag n. Tr., 13.10.2013, Reihe V



Liebe Gemeinde!
Heute ist Elisabethmarkt. Verkaufsoffen in der Oberstadt, Innenstadtkirmes und rund um die Elisabethkirche ist auch ein Sozialmarkt, auf dem sich verschiedene soziale Einrichtungen und Projekte präsentieren. Unter anderem sind auch Doreen und ich mit dem Richtsberg- bzw. auja-Mobil unserer Kirchengemeinde da. Ein Glück, werden sicher manche sagen. Endlich mal wieder ein Sonntag im Herbst, an dem man nicht vor der Glotze hängen muss und sich langweilt, sondern wo man ein Ziel hat, wo was los ist. In der Schule und im Konfirmandenunterricht ist es seit vielen, vielen Jahren so, dass der Sonntag mit Abstand der langweiligste und unbeliebteste Wochentag ist, wenn ich über das Feiertagsgebot spreche. Gerade im Herbst, im Winter und bei schlechtem Wetter. Ruhe halten geht gar nicht – wie man auch an den Diskussionen über das Tanzverbot am Karfreitag sieht, die seit ein paar Jahren immer schärfer geführt werden. Das Problem, von dem Markus hier in seinem Evangelium erzählt, ist heute für die meisten wahrscheinlich völlig unverständlich. Und deshalb wird der Satz, den Jesus am Ende sagt, nämlich: „Der Sabbat, also der Ruhetag, ist für den Menschen gemacht worden und nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn, also Jesus selbst, auch Herr über den Sabbat“, gern viel zu einfach ausgelegt. Wenn die Leute überhaupt noch in die Bibel schauen und sich dafür interessieren, sagen sie es oft so: „Alle Regeln und Gebote sollen für die Menschen gut sein und nicht umgekehrt – und weil sowieso jeder am besten weiß, was für ihn gut ist, soll doch jeder selber sehen, wie er sich daran hält oder nicht. Schon Jesus akzeptiert doch keine Einschränkungen.“ Ich glaube aber, dass dieser Erklärungsversuch zu kurz greift. Ich glaube auch, dass nicht nur das Sabbatgebot, sondern jedes Gebot der Zehn Gebote nicht nur gut für den Menschen ist, sondern auch für ihn als Lebenshilfe gemacht ist. Und nicht umgekehrt die Menschen dazu da sind, Regeln möglichst genau zu befolgen. Aber der Schluss, das deshalb jeder selber wissen muss, was gut und richtig ist, greift zu kurz. Ich glaube, dass Jesus, in dem wir Gott sozusagen bei der Arbeit sehen, uns helfen will, zu erkennen, wozu Gebote gut sind und nicht, Gebote einfach streichen will. Es geht darum, den Sinn der Gebote zu verstehen und nicht die Erklärungsversuche von Menschen, ob das damals Schriftgelehrte und Pharisäer oder Hohepriester waren oder heute Theologie Professoren oder Pfarrer oder Relilehrer oder Menschen, die sich für besonders berufen halten sind, wichtiger zu nehmen als die Gebote selbst. Jesus, und in ihm Gott selbst, ist Herr über die Gebote, und nicht der Pharisäer, der Pfarrer oder der besonders berufene Christ mit seinen zusätzlichen Regeln, die er oft zur scheinbaren Erklärung aufstellt.
Wie gesagt, den Konflikt, den Markus in der Bibel beschreibt, den können wir kaum verstehen. Erstens: Unser Ruhetag ist, wenn überhaupt, der Sonntag und nicht der Sabbat, der von Freitagabend bis Samstagabend geht. Und zweitens: die ersten gut 300 Jahre ihrer Geschichte kamen Christen gut damit aus, am Sonntag zwar Gottesdienste zu feiern, aber nicht unbedingt Ruhe zu halten. Die Mehrheit lebte im römischen Umfeld und da war der Ruhetag nicht wichtig. Für die Christen, und das gilt eigentlich auch für Martin Luther und noch lange, lange nach ihm, war es sowieso nicht wichtig, Ruhe zu halten. Feiertagsgebot, das hieß: Man soll in den Gottesdienst gehen und in dieser Zeit nicht arbeiten. Komplett arbeitsfreie Ruhetage sind in christlich geprägten Gegenden dieser Welt eine sehr moderne Erfindung, die erst in der Zeit der Industrialisierung weniger von der Kirche als vielmehr von der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurde.
Diejenigen, denen meine Predigten sowieso immer zu lang sind, die könnten jetzt sagen: Na, dann ist ja gut! Dann haben wir als Christen sowieso relativ wenig damit zu tun. Also tschüss,
auf zum Einkaufen in die Stadt, gebetet und gesungen haben wir ja schließlich schon!
Aber erstens finde ich es schade, wenn man sich nicht beschenken lässt und zweitens rede und erkläre ich halt schon ganz gern. Aber wichtiger ist das erste.
Der Ruhetag, ob, wie im Original, als Sabbat oder, wie bei uns üblich, am Sonntag, ist ein Geschenk Gottes und unserer jüdischen Geschwister an uns. Er ist, so hat es ein jüdischer Philosoph einmal ausgedrückt, ein Palast in der Zeit. Ein Palast, geschenkt von Gott, in den man hineingehen, darf, in dem man wohnen und sich ausruhen darf. Ein Palast, errichtet von einem König, der seine Menschen nicht unterdrückt, sondern befreit und liebt. Ein Palast für das Volk.
Um ein bisschen zu verstehen, wie wichtig der Sabbat für die Juden ist, müssen wir eine kleine Zeitreise machen, ungefähr in die Zeit 600 Jahre bevor Jesus geboren wurde. Die Menschen, deren Gott auch unser Gott ist, das Volk Israel, hatte einen Krieg verloren. Viele wurden verschleppt. Der Tempel, der Ort, an dem die Gottesdienste gefeiert wurden, war weit weg und außerdem zerstört. Viele der Bücher und Schriften, die von Gott erzählten, waren nicht mehr da. Müssen wir so werden wie die Menschen um uns? Können wir ohne Tempel, ohne die Schriften und Priester Gottesdienst feiern? Wie können wir spüren und zeigen, dass Gott noch da ist, auch bei uns in der Fremde? Fragen, die da waren. Und dann kam die Antwort: Das, was uns unterscheidet, was uns Identität gibt, ist unser Ruhetag. Ein Geschenk Gottes. Freiheit von dem Zwang zur Arbeit. Freiheit von dem Zwang, zu funktionieren. Ein Geschenk in Erinnerung an die Freiheit, die Gott beim Auszug aus Ägypten, bei der Beendigung der Sklaverei geschenkt hat. Freiheit, Gott auch in der Ruhe zu begegnen, weil Gott selbst die Ruhe bei der Schöpfung der Welt mitbedacht hat. Der Sabbat als Ruhetag hat den Menschen damals geholfen, bei Gott zu bleiben, sich als Gemeinschaft zu erleben, zu spüren, dass Gott noch da ist. Ohne den Sabbat wären die vielen Verschleppten vermutlich in der Masse der anderen einfach aufgegangen. Und deshalb ist er sehr, sehr viel wichtiger als der Sonntag für uns Christen. Aber was ist dann passiert? Nicht lange konnten die Menschen dieses Geschenk einfach so als Geschenk nehmen, sondern sie wollten, weil es so wichtig war, es möglichst gut und richtig mit dem Sabbat machen. Sie fingen an, zu definieren und zu bestimmen, was Ruhe alles bedeutet. Und deshalb wurde mit der Zeit aus der großartigen Einladung: du darfst einen Tag lang wirklich ruhen, du musst dich nicht rechtfertigen, dass du nichts tust, sondern es ist Gottes Geschenk an dich und an die Gemeinschaft, in der du lebst – denn alle sollten die Ruhe genießen, auch die Angestellten, auch die Fremden, die Menschen mit anderer Religion, jeder sollte diese Freiheit spüren und die Freundlichkeit Gottes entdecken dürfen, was anderes. Aus dieser großartigen Einladung wurde Zwang. Es wurde bestimmt, was alles nicht Ruhe ist: da durfte kein Feuer gemacht werden, da durfte nur eine bestimmt Anzahl an Schritten gegangen werden und selbst Hunger durfte nicht gestillt werden, wenn es mit mehr verbunden war, als einfach nur die Hand zum Mund zu führen. Und dann war eben die Pflicht, Regeln zu beachten größer als das Geschenk, Freiheit entdecken zu dürfen. Darum geht es eigentlich in der Geschichte, die Markus uns hier überliefert. Gottes Regeln, auch die der Ruhe, sind Einladungen, Freiheit zu entdecken, Menschlichkeit zu erfahren, Gemeinschaft zu finden – untereinander und mit ihm, mit Gott. Und kein blinder Zwang, Regeln genau zu befolgen, damit Gott bestätigt bekommt, wie mächtig er ist. Dazu braucht er unsere kleinkarierten Versuche, Liebe und Freiheit in Regeln zu packen, glaube ich, wirklich nicht.
Von diesen Gedanken her möchte ich mir gern den Palast, den Gott uns in der Zeit schenkt, noch einmal anschauen. Es ist ein eminent soziales Geschenk. Weil es darauf aufmerksam macht, dass Ruhe, Freiheit, Lebenslust nicht auf Kosten anderer, schon gar nicht wirtschaftlich abhängiger Menschen, ausgelebt werden soll. Da ist die Einladung, den Menschen mit seiner Lebenszeit vor den Scheinzwang zur Wirtschaftlichkeit zu stellen. Wenn jetzt das Argument kommt: alles gut, dann soll doch jeder seinen eigenen Ruhetag festlegen, dann ist das nur halb richtig. Bei einzeln festgelegten Ruhetagen muss ich mich immer dafür rechtfertigen, warum ich ausgerechnet dann Ruhe halten möchte und ob nicht doch was anderes wichtiger wäre. Glauben sie mir, als Pfarrer kenne ich das zur Genüge. Für das Geschenk des gemeinsamen, von Gott gesetzten Ruhetages muss sich keiner rechtfertigen. Ich darf ohne schlechtes Gewissen ruhig sein. Und: ich habe Zeit, Gemeinsamkeit und Gemeinschaft zu entdecken. Weil alle Zeit für Ruhe haben. Und auch da weiß ich, wovon ich spreche. Viele unserer Freunde haben Berufe mit sehr individuellen Zeitanforderungen. Gemeinsame Zeiten zu finden ist schwer. Gott schenkt uns die Freiheit, Gemeinschaft zu entdecken. Mit sich und mit anderen. Auch so ein Geschenk des Ruhepalastes in der Zeit. Und für mich das größte Geschenk: Gott macht uns deutlich, dass kein Mensch Herr über das Leben ist, sondern das wir miteinander auch mit anderen Geschöpfen von ihm geliebt sind und von ihm bedacht werden. „Weder du noch deine Kinder noch deine Angestellten noch dein Vieh noch die Fremden bei dir sollen arbeiten, alle sollen ruhen könne wie du und mich und meine Geschenke entdecken und genießen können. Der Sabbat, der Ruhetag, ist für den Menschen da. Und der Menschensohn, Jesus, in dem wir Gott sehen und begegnen, ist der Herr über diese Ruhe. Und kein Mensch. Gott sei Dank.
Amen

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