Beliebte Posts

Samstag, 11. Februar 2012

Ich will mich (nicht) ändern (und die Welt bleibt sowieso, wie sie ist) - Sexagesimae, 12.02.2012, Marginaltext

Text: Matthäus 13,33
Liebe Gemeinde!


In Reli ist es viel zu laut, Herr Kling-Böhm, da kann ich mich gar nicht konzentrieren und mitmachen! Stimmt, wenn du mal aufhören würdest, mit deinen Nachbarinnen zu schwätzen, wäre es ruhiger und du würdest besser werden. Aber der Luca und der Leon und der Nico stören doch viel mehr. Und da ist es dann so laut, da reden wir halt auch, wir kommen ja sowieso nicht weiter im Unterricht! Wir kommen nicht weiter, weil jeder glaubt, der andere sollte zuerst aufhören mit dem Schwätzen! Ist doch so, sonst hat es ja keinen Sinn! Wenn du denkst, dass es besser ist, wenn alle einigermaßen ruhig sind, dann fang du doch an. Die anderen werden schon nach und nach mitmachen. Nö, das ist mir zu anstrengend. Wenn alle ruhig sind, mach ich mit! Sie müssen uns halt bestrafen und strenger sein, mit Nachsitzen oder so. Oder es so machen wie der Herr XXXX. Da müssen wir nur 20 Minuten arbeiten und dann können wir machen, was wir wollen.

Ein nicht gerade untypisches Gespräch mit Menschen aus meiner 8. Klasse, die ich übrigens wirklich gern unterrichte, nicht nur, weil sie mir immer wieder Stoff für Predigten liefert. Ganz ehrlich und offen wird hier ausgesprochen, was bei uns Erwachsenen genauso oft üblich ist. Die Haltung zum Beispiel: „Wenn alle das Richtige tun, dann mach ich auch mit. Aber ich bin doch nicht so blöd und fange an! Da sollen die anderen mal anfangen, damit nicht jemand mein richtiges Handeln ausnutzt. Schließlich ist der Ehrliche ja oft genug der Dumme!“ ein Beispiel ist für mich das ganze Hin und Her und die Diskussion über unseren Bundespräsidenten, die mich mittlerweile nicht nur anödet, sondern richtig anwidert.

Klar, vieles ist da sehr falsch gelaufen von ihm. Wie einfach wäre es gewesen, ganz früh zu sagen: „Also hört mal, ich weiß, dass ich einiges gemacht habe, das zwar nicht ungesetzlich war, dass aber trotzdem falsch ist, weil es Menschen dazu bringt, zu denken, dass Politik käuflich ist. Ich will es besser machen, gebt mir die Chance und messt mich daran, ob ich aus den Fehlern wirklich gelernt habe!“ Ehrlichkeit, Vergebung, die Chance, neu anfangen zu dürfen – davon rede ich gern in Predigten. Und wenn Gott uns Menschen nicht auf unsere Fehler festlegt, dann dürfen wir das in unserem Umgang miteinander ruhig mal probieren.

Aber stattdessen wird auf der einen Seite gar nicht aufge-räumt und auf der anderen Seite – und das widert mich so richtig an - so getan, als ob die Journalisten der Bild-Zeitung und des Spiegel, und der sogenannte kleine Mann oder die sogenannte einfache Frau so viel besser wären. „Die da oben, die gucken doch nur auf ihren Vorteil, denen kann man doch nicht trauen!“ Das höre ich immer wieder. Ich frage mich, wie viele von denen, die so reden, tatsächlich bereit sind,
 auf Vorteile zu verzichten, die ihnen angeboten werden, gerade dann, wenn es exklusiv ist. Wie viele sind bereit, auf Tricks bei der Steuererklärung zu verzichten oder wie viele achten beim Einkauf darauf, möglichst Transfairprodukte oder Fleisch und Milch zu fairen Preisen zu kaufen, damit ihr Vorteil nicht zu Lasten der Produzenten, der Landwirte in Deutschland und anderswo geht? Ich selber halte das, ehrlich gesagt, auch nicht total ein. Aber ist das eine Ausrede, zu sagen: Ich mach gar nicht mit! Ich kann sowieso nichts ändern, ich bin ein kleines Licht. Wenn alles gut läuft, weil die anderen vorgelegt haben, dann mache ich mit! Nein, diese Haltung finde ich falsch.

Gerade auch, wenn ich an den Predigttext heute denke. Ein einziger Vers. Ein Gleichnis. Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen: Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter einen halben Zentner Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war. Für die, die vom Backen nicht so viel Ahnung haben: Sauerteig dient dazu, Brot lockerer, geschmackvoller und haltbarer zumachen. Man braucht nur ganz wenig und vor allem, wenn es gut gemischt wird, dann verbreitet sich der Sauerteig eben in der ganzen Menge, praktisch von selbst.

Der kleine, oft unscheinbare und unsichere Anfang schafft es, das Große zu verändern. Für mich ist das ein Punkt, der zu den Beispielen aus dem Alltag passt. Und der vor allem auch danach fragt: Was ist eigentlich meine Hoffnung, wenn ich Jesus vertraue und an Gott glaube? Hoffe ich, dass Gott jenseits dieser Welt ein perfektes Reich hat, in dem alles super ist und bis es soweit ist, wurstel ich mich hier eben irgendwie durch, kommt nicht so drauf an, die Welt ist sowieso ziemlich unvollkommen. Und ich kann nichts ändern. Wenn Gott alles perfekt haben will, dann macht er das auch. Ist das meine Hoffnung? Oder hoffe ich, dass das Gute, das, was Jesus mit Himmelreich beschreibt, schon längst in der Welt und möglich ist und sich nach und nach wirklich durchsetzen wird? Hoffe ich, dass kleine Anfänge nicht sinnlos sind und dass aus kleinen Anfängen mehr werden kann? Für mich legt das Gleichnis eher die zweite Hoffnungshaltung nahe.

Aber was ist das eigentlich: Himmelreich? Wenn Jesus davon erzählt, dann meint er nicht eine Welt, weit weg von unserer, in die die Toten irgendwann mal kommen. Jesus erzählt hier davon, dass ein Stück Himmel schon mitten in der Welt da ist. Himmel ist keine Ortsbestimmung so wie Marburg oder Amerika. Himmel ist eine Art Symbol für das, was bei Gott wirklich gilt. Und das ist ein Leben, in dem Schwache nicht mehr Angst haben müssen, von Starken überrumpelt und überrannt zu werden. Das ist ein Leben, in dem jeder sein Recht auf Leben hat. Eine Welt, in der Sprachen, Herkunft, Hautfarbe, Bankkonto keine Rolle mehr spielen. Eine Welt, in der niemand mehr Angst haben muss. Eine Welt, in der, kurz gesagt, Liebe die entscheidende Wirklichkeit ist. Liebe nicht in dem Sinn, dass ich mich in einen bestimmten Menschen verliebe und es total kribbelt, wenn ich diesen Menschen sehe oder bei ihm bin. Sondern Liebe in dem Sinn, dass im anderen der Mitmensch gesehen wird, dass ich mich selbst als wertvoll erleben kann, auch wenn ich mit meinem Aussehen oder meinen Fähigkeiten unzufrieden bin, dass jede und jeder wirklich zu seinem Recht kommt und Leid, Tränen, Schmerzen der Vergangenheit angehören. Eine Welt, in der die ganze Schöpfung, die Natur, wirklich respektiert wird.

Die Welt, in der wir leben, ist nicht so. Klar. Aber Jesus sagt hier in dem Gleichnis, dass spätestens mit ihm etwas davon in dieser Welt sichtbar geworden ist und dass sich nach und nach die Welt in diese Richtung verändern wird. Mir geht das auch manchmal zu langsam, wenn ich mir die letzten 2000 Jahre anschaue. Aber dann denke ich mir auch: wenn ich erst dann anfange, an Gott zu glauben und Jesus und seiner Botschaft zu vertrauen, wenn alles perfekt ist, welchen Sinn hat das dann noch? Wenn ich nicht mit der Hoffnung anfange, wenn ich nicht bereit bin, die kleinen Zeichen zu sehen und kleine Schritte zu machen – wer soll das dann tun? Gott hat seinen Schritt auf mich hin schon gemacht. Gehe ich mit oder warte ich ab, bis alles perfekt ist? Keiner von uns kann das Himmelreich bauen. Ich nicht, kein Konfi, kein Schüler, kein Bundespräsident, kein Kirchenvorsteher. Niemand. So, wie der Sauerteig sich nach und nach vermehrt, liegt die Vollendung in Gottes Hand. Aber Gott lädt uns ein, mit zu hoffen, mit zu vertrauen, mit zu gehen. Ein Stück weit. Mit Fehlern, mit Rückschlägen, die wir auch erleben. Aber er lädt eben dazu ein, schon jetzt, in der Gegenwart, das zu leben, das zu hoffen. Was ich so schön am Glauben an Gott, an Jesus finde, ist, dass es da nicht darum geht, irgendwann irgendwo nach dem Tod was Tolles zu erleben, sondern dass es darum geht, schon jetzt zu leben und mit dem Leben anzufangen. Nicht darauf zu warten, dass andere für mich leben und mir was Perfektes vorsetzen. Sondern dass ich mit meinem kleine bisschen Kraft, mit meinen minimalen Möglichkeiten schon das, was gut ist, umsetzen darf. Auch wenn ich es nicht zu Ende bringe und wenn es nicht perfekt wird. Für die Vollendung wird Gott sorgen. Ich darf jetzt leben. Und jetzt etwas von dem tun, von dem ich glaube, dass es nicht nur für mich, sondern für viele gut ist und etwas von der Liebe widerspiegelt, die Gott uns schenkt.

In Reli ist es viel zu laut, Herr Kling-Böhm, da kann ich mich gar nicht konzentrieren und mitmachen! Stimmt, ich hab euch nicht immer im Griff und manchmal sind meine Fragen zu schwer und mein Unterricht ist zu langweilig. Aber wenn du mal aufhören würdest, mit deinen Nachbarinnen zu schwätzen, wäre es schon ruhiger. Klar, schaff ich schon, ich probier es mal!

Das wäre fast zu schön um wahr zu sein, wenn ich so eine Unterhaltung am Dienstag in einer Woche, wenn ich wieder Reli in der 8 habe, führen könnte. Und am Ende des Schuljahrs könnte es dann vielleicht so gehen:

Ich hab’s zwar nicht immer geschafft, Herr Kling-Böhm, aber es war echt besser, auch von den anderen! Stimmt, ich war auch nicht immer super, aber wenn wir uns im nächsten Schuljahr wiedersehen, dann schaffen wir noch ein bisschen mehr.

Und meine Hoffnung ist, dass solche Unterhaltungen und Haltungen auch in der Politik, in der Gemeinde, im Leben miteinander von Erwachsenen normal werden. Wir werden nicht die Perfekte Welt herstellen, aber Gott hat uns schon ein Stück Himmel geschenkt und wir dürfen hoffen, dass es mehr wird. Wir dürfen mitgehen.

Amen.

Keine Kommentare: