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Donnerstag, 23. Dezember 2010

Nach Hause kommen - Homecoming - Christmette 2010

Die Ansprache wurde inspiriert vom Predigttext der Reihe III, 2. Samuel 7,1-16, ohne dass dieser Text explizit auftaucht, von dem Bild "Der brennende Dornbusch" von Nicolas Froment, dass als Klappkarte verteilt wird und allen Strophen des Liedes "Stille Nacht"

Liebe Gemeinde!

Weihnachten heißt: Nach Hause kommen! Für ganz viele Menschen in einem nahezu wörtlichen Sinn. Zurückkom-men an den Ort der Kindheit, in das Haus, in dem man aufge¬wachsen ist. Wenn ein Gottesdienstbesuch dazuge-hört, dann möglichst in der Kirche, in der man schon als Kind war. Und wenn dieses örtliche nach Hause Kommen aus verschiedenen Gründen zu schwer oder nicht mehr möglich ist, dann heißt nach Hause kommen zu Weihnachten für andere, zu den Menschen zu kommen und mit den Menschen zu feiern, die ein Gefühl des Zuhauseseins schenken können. Weihnachten bringt weltweit Millionen Menschen in Bewegung. Und nicht die Weihnachtsflüchtlinge prägen das Bild auf den Bahnhöfen, Autobahnen und an den Flughäfen, sondern die Nachhausekommer. Dieses nach Hause kommen ist nicht immer einfach. Es treffen unterschiedliche Erwar-tungen aufeinander, nicht immer glücklich, es gibt Enttäuschungen. Aber es gibt auch viel Gelingen und Ge-borgenheit. In diesem Miteinander von Unterwegssein und nach Hause kommen, von enttäuschten Erwartungen, vom Festhalten an alten Erinnerungen und vom guten Gelingen von Begegnung und Zusammengehörigkeit bildet sich für mich der Sinn des Weihnachtsfestes, der Sinn dieser Nacht ab.

Gott kommt nach Hause. „Er kam in sein Eigentum“, so beschreibt es Johannes in seinem Evangelium. Er will nicht der Gott sein, der fern von den Menschen ist, sondern: wo die Menschen sind, da will Gott sein, da ist er zu Hause. Gott kommt nach Hause. Im Kind in der Krippe, da lässt er sich finden. Aber er ist ein Gott, der immer wieder im Kommen ist. Auf einer Reise wird Jesus geboren. Nicht in einem festen Zuhause, das ein für allemal sein Haus wäre und in dem er verehrt wird. Unterwegs, ohne festes Zuhause, so ist Jesus. Wo wäre denn auch sein Zuhause? In Bethlehem, im Stall, den er mit seinen Eltern bald wieder verlassen hat? In Nazareth, wo er den größten Teil seiner Jahre auf dieser Welt zugebracht hat? Unterwegs bei den Menschen auf seiner Reise durch Galiläa, Samaria, Judäa? In Jerusalem, wo sich in Kreuz und Auferstehung vollendet, was in seiner Menschwerdung begann? Gott kommt nach Hause – und er bleibt doch der Gott ohne festes Zuhause, der Gott unterwegs. Unterwegs mit Menschen, unterwegs zu den Menschen. Gott bindet sich nicht an Orte, an denen er sich finden lässt, er bindet sich an Menschen. Gerade in der Heiligen Nacht ist mir das wichtig. Der Mensch gewordene Gott ist heute Nacht in der Thomaskirche nicht näher und nicht ferner als in der Elisabethkirche oder im Petersdom oder in der Geburtskirche in Bethlehem. Er ist unter der Brücke, die Obdachlosen wenigstens den Rest von einem Dach über den Kopf gibt, genauso nah wie in der Wohnung der Rentnerin, die über den Verlust des Mannes und des Sohnes und die kaputtgegangene Beziehung zu den Enkeln trauert. Gott kommt nach Hause – zu den Menschen. Wir können ihn nicht an einem Ort festbinden. Nicht sozialromantisch dort, wo große Not ist, aber auch nicht in der vollen Kirche mit gut inszenierter Kirchenmusik. Gott will bei uns Menschen sein. Das ist die Botschaft dieser Nacht. Und wie jedes nach Hause kommen, so trägt auch dieses die Möglichkeiten zu Enttäuschungen und zum Gelingen in sich. Gottes nach Hause kommen enttäuscht – im wahrsten Sinn des Wortes. Es befreit die Menschen von der Täuschung, dass Gott nur für besonders fromme und besonders perfekte Menschen da wäre. Es befreit von der Täuschung, dass Gott in Reichtum und Prunk zu verehren und zu finden sei. Es enttäuscht die Erwartung vom machtvollen König, der kommt, genauso wie die Erwartung vom bedingungslosen Kämpfer. Das Kind in der Krippe enttäuscht die Erwartung, dass Gott mir mein Leben abnimmt. Nein, es sagt durch sein Dasein zu uns: „Nimm mich an. Ich lebe nicht an deiner Statt, sondern du darfst und kannst mit mir gemeinsam leben.“ Die Hoffnung, dass mit dem Messias Gottes Reich gleich perfekt hergestellt wird und Schöpfer und Schöpfung in vollendeter Harmonie leben könnten, wird enttäuscht. Gottes Reich ist im Werden, so wie das Kind heranwächst und Geschichte hat und macht. Aber diese Enttäuschungen eröffnen Möglichkeiten, dass das Nachhause Kommen Gottes Gelingen schenkt. Leben, das heil wird, weil erfahren werden kann: auch da, wo Schuld ist, werde ich geliebt und wird Vergebung möglich. Krankheit schließt nicht von Menschlichkeit aus. Gerade im Blick auf Menschen mit Behinderungen ist mir das ganz wichtig in einer Zeit, in der „behindert“ eines der beliebtesten Schimpfworte unter jungen Menschen zu sein scheint. Das nach Hause Kommen Gottes schenkt Gelingen – dann, wenn auch ich spüren kann, dass die Wege und Umwege, die mein Leben hat, die Sackgassen, die Abbrüche von Gott begleitet sind. Weihnachten dürfen wir ganz bei uns sein, weil Gott ganz zu uns kommt. Nicht wir müssen ihm Häuser bauen, sondern er baut uns ein Haus. Kein Haus aus Ziegeln oder Beton. Ein lebendiges Haus. In der Bibel und ihrer Sprache bezieht sich Haus auf die Menschen, die dazugehören. Je-sus, das ist denen, die uns sein Leben überliefert haben, wichtig, Jesus gehört zum Haus Davids, dem Gott ewigen Bestand versprochen hat. Das Haus Davids, das wurde gleichbedeutend mit dem Volk des ersten Bundes, Israel, benutzt. Jesus schließt uns die Tür zu diesem Bund der Gnade und des Friedens auf, er nimmt uns mit hinein in dieses Haus. Gott baut uns ein Haus in dieser Nacht von Bethlehem, er schenkt uns ein Zuhause. Deshalb dürfen wir gerade in dieser Nacht zur Ruhe kommen, bei uns sein. Ich möchte ihnen und euch heute Nacht eine Karte mit einem Bild schenken, das für mich dieses Hineingenommensein, dieses Zuhause sein bei Gott und unterwegs sein in der Welt, den tiefen Sinn dieser Nacht ganz ungewöhnlich ausdrückt. Zu sehen ist erst einmal ein Hirte mit einer Herde und einem Engel. Aber dieser Hirte ist keiner vom Feld bei Bethlehem, sondern Mose. Wenn man die Karte aufklappt, sieht man einen brennenden Dornbusch. Die Bibel erzählt, dass Gott sich dort Mose offenbart hat. Ich werde dasein, als der ich da-sein werde, ICH-BIN-DA. Mit diesen Worten gibt sich Gott Mose zu erkennen. So soll Mose von Gott reden. Und da sein wird er als Kind in der Krippe, als Sohn der Maria, als Jesus. Das ist, so malt es der Künstler, das Zentrum des brennenden Dornbuschs. Jesus ist Gott auf dem Weg mit uns Menschen und zu uns Menschen. So, wie Matthäus in seinem Evangelium die Worte Jesajas aufnimmt, die in der aufgeklappten Karte zu lesen sind: Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): 23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. „Gott sucht unsere Wohngemeinschaft. Er prüft uns nicht, ob wir wert sind, ihn aufzunehmen. Es hängt nicht von uns ab, ob er bei uns einzieht.“ (Zitat: Anne- Kathrin Kruse, Christnacht, in: GPM 65/1, 53) Gott kommt zu uns, damit wir zu uns finden können. Gott baut uns ein Haus, ein Zuhause, nicht aus Steinen, sondern aus Menschen, aus Liebe, aus Gnade. Damit wir Ruhe finden, Kraft, Wege zu gehen, neue Wege. Für mich selbst drückt sich ganz viel von dem, was diese Nacht ausmacht, in dem Lied aus, das wir gleich und dann nach dem Segen singen Werden. „Stille Nacht, heilige Nacht“, das wohl bekannteste Weihnachtslied der Welt. Ich habe es lang für süßlichen Kitsch gehalten. Bis ich gelernt habe, dass wir Menschen auch ganz einfache Worte und Melodien brau-chen, mit denen Gott Herzen erreicht. Worte und Melo-dien, die vertraut sind, die ein Zuhause auf Zeit geben, aus dem ich aufbrechen darf und Wege gehen darf. Von Weihnachten in den Alltag. Und vor allem bis ich die Strophen entdeckte, die zu dem Lied gehören, die aber nicht im Gesangbuch stehen.

Stille Nacht! Heilige Nacht! /Wo sich heut alle Macht /Väterlicher Liebe ergoß / Und als Bruder huldvoll um-schloß /Jesus die Völker der Welt! / Jesus die Völker der Welt!

Jesus als Bruder der Völker der Welt. Gott lässt sich nicht in ein Land einsperren, er ist nicht nur für mich, mein Volk da.

Stille Nacht! Heilige Nacht! / Die der Welt Heil gebracht, / Aus des Himmels goldenen Höh’n / Uns der Gnade Fülle läßt seh’n / Jesum in Menschengestalt! / Jesum in Men-schengestalt!

Die Fülle der Gnade, der Reichtum des Himmels wird im Menschen Jesus sichtbar. Gott kommt nach Hause, auf diese Welt, in diese Welt, damit wir Heimat finden. Heimat im Unterwegssein. Weihnachten bringt Menschen in Bewegung. Nachhause. Gebe Gott, dass wir Teil dieser Bewegung sein und bleiben dürfen. Gebe Gott, dass wir zu ihm und zu uns finden, dass wir unser Zuhause auf dem Weg finden. Gebe Gott, dass wir auch anderen helfen, die an der Bewegung zu verzweifeln drohen, die ein Zuhause suchen und doch keins finden, helfen, Nachhause zu kommen. Nachhause zu Gott, der in Jesus sein Zuhause bei uns hat. Amen.

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