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Sonntag, 5. Juli 2009

Respekt! - 05.07.09, 4. Sonntag nach Trinitatis, Reihe I

Text: Lukas 6,36-42

Liebe Gemeinde!
Wie ist das, wenn sie kritisiert werden, wenn ihr kritisiert werdet? Bleiben sie, bleibt ihr ruhig und sachlich? Sind die ersten Gedanken: „Ja, der andere hat vielleicht Recht?“ Oder macht die Kritik fertig, so etwa dass man denkt „Ich bin nichts wert, ich kann ja gar nichts!“? Oder ist die Reaktion auf Kritik meistens, dass man dem Kritiker sagt: „Was willst du denn, bei dir ist das doch auch so, du brauchst mich gar nicht zu kritisieren, du kannst oder machst das ja auch nicht besser!“ Oder ist die Reaktion vielleicht die, dass einem Kritik grundsätzlich nichts ausmacht, weil man denkt: „Mir kann ja doch keiner was, ich bin halt so und so wie ich bin, bin ich toll!“
Urteile von anderen zu hören und auszuhalten und richtig damit umzugehen, das ist nicht immer einfach. Und noch viel schwerer ist es, andere zu beurteilen und andere gerecht positiv oder negativ zu kritisieren. Vielleicht lobt man andere öffentlich viel zu viel aus Angst, dass dann, wenn man das, was einem nicht gefällt, auch laut sagt, man selber auch negativ beurteilt wird. Oder man kritisiert ständig ganz hart und merkt gar nicht, dass man anderen damit weh tut oder dass der andere aus ganz verschiedenen Gründen gar nicht den Ansprüchen, die man stellt, gerecht werden kann.
Man kann es mit dem halten, was Jesus sagt und was ich eben vorgelesen habe: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Aber es ist falsch, wenn man aus dem, was Jesus sagt, einfach den Schluss zieht: „Verzichtet drauf, Schlechtes schlecht und Böses böse zu nennen, damit ihr nett behandelt werdet.“ Und es ist auch falsch, wenn man so einfach den Schluss zieht: „Wie du mir, so ich dir“ oder: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus.“ Natürlich ist es so, dass einem andere Menschen eher nett, freundlich und aufgeschlossen begegnen, wenn man so auf andere zu geht. Aber aus Angst vor einem Urteil über sich selbst auf Wahrheit verzichten, das ist nicht im Sinne Jesu. Mich hat am letzten Dienstag eine Konfirmandin gefragt, warum Gott Adolf Hitler und das Böse, das er und andere mit ihm gemacht haben, zugelassen hat. Eine Antwort ist nicht leicht. Aber Menschen sind keine Marionetten Gottes, sondern haben ihre Freiheiten und können Freiheit auch zum Bösen missbrauchen. Und weil zu viele Menschen die Freiheit, die sie haben, nicht genutzt haben und das Böse, dass sie in Hitler gesehen haben, so nicht öffentlich benannt haben und gegen das Böse aufgestanden sind, konnte sich das so durchsetzen. Wenn wir uns nicht mehr auf die Suche nach der Wahrheit, nach dem Guten, nach dem, was Leben möglich macht und voran bringt, machen, wenn wir uns nicht mehr trauen, gut und böse zu unterscheiden, dann wird die Lüge, dann wird das Böse wirklich mächtig werden. Weil niemand sich traut, zu widersprechen. Jesus war anders. Er hat Klartext geredet. Es geht deshalb auch in dieser Rede von Jesus nicht darum, aus Vorsicht oder aus Angst nett und lieb zu allen zu sein. Es geht aber darum, in seinem Urteil nicht nur auf andere zu zeigen, sondern auch das eigene Versagen und die eigene Schuld wahrzunehmen. Es geht darum, keine endgültigen Urteile über Menschen zu fällen und sie nicht auf ihre Fehler und ihre Schuld festzunageln. Es geht um Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit und Großzügigkeit. Es geht darum, ein Stück weit zu lernen, den anderen Menschen mit Gottes Augen sehen zu lernen.
Ein gutes, weil leider viel zu oft alltägliches, Beispiel ist für mich der Umgang von manchen Erwachsenen mit Jugendlichen und umgekehrt. Manche Erwachsene sehen in Jugendlichen zuallererst Störenfriede, die die gewohnte Ordnung durcheinander bringen. „Sowas hätte es früher nicht gegeben! Die Jugend von heute! Die sollten mal so werden wie wir waren!“ Mal abgesehen von der Frage, ob man als Erwachsener früher wirklich immer anders war als Jugendliche heute, ist es auch zu einseitig, immer nur das Negative zu sehen und gar nicht dran zu denken, dass Leben heute auch anders ist und vor anderen Herausforderungen steht als vor 30 oder 50 oder 70 Jahren. Meinen Maßstab als Erwachsener setze ich als absolut richtig - und dem müssen alle genügen, sonst sind sie böse. Umgekehrt gibt es aber auch nicht gerade ganz wenige Jugendliche, die sehen in Erwachsenen nur die „Alten, die sowieso keine Ahnung haben“. Diejenigen, deren Leben bald vorbei ist und die nichts mehr können und kapieren. Alles, was nicht jugendlich, scheinbar modern und locker ist, zählt nicht. Das ist genauso falsch. Immer, wenn die eigenen Maßstäbe absolut gesetzt werden, wenn ich nichts neben mir sehen will und gelten lasse, dann werde ich zum Diktator und richte mich mit meiner Umbarmherzigkeit eigentlich selbst. Respekt und Toleranz, die keine leeren Floskeln sind, fangen da an, wo ich bereit bin, mich von anderen in Frage stellen zu lassen und wo ich andere in Frage stellen kann, ohne ihnen das Menschsein abzusprechen. Im konkreten Fall heißt das, dass ich mich als Erwachsener von Jugendlichen schon mal fragen lassen muss, ob ich nicht im Laufe meines Lebens zu bequem geworden bin, ob nicht meine scheinbare Ruhe und Erfahrung nur getarnte Bequemlichkeit sind. Und dass ich mich als Jugendlicher auch anfragen lassen muss, ob meine Freiheit, die ich mir nehme, in Wirklichkeit ganz einfach Ignoranz, Faulheit und Respektlosigkeit ist. Das, was ich von anderen fordere, muss ich auch bereit sein, andern zu geben. Nichts anders fordert Jesu hier. Aber nicht um den Preis der Vernichtung, des Besiegens und der Rechthaberei, sondern um den Preis des Zurechtbringens auf den Weg der Liebe, den Gott gezeigt hat.
Das ist doch sein großes Geschenk an uns. Die ganzen Hinweise und manchmal ja auch nötigen Ermahnungen, die Jesus hier gibt, die ergeben ja erst dadurch Sinn, dass Gott uns schon vorher genauso, nämlich mit überfließender Liebe und Vergebung, begegnet. Der entscheidende Satz, ohne den alles andere zusammenfällt, ist der, dass Gott uns ein überfließendes Maß, überreichlich schenken wird. Überreichlich viel Liebe und Vergebung. Gott rechnet nicht kleinlich auf, sondern er gibt im Voraus. Die Frage ist halt, wie wir mit diesem Geschenk umgehen. Ob wir sagen: „Natürlich stehen mir Geschenke zu. Natürlich ist es richtig, dass ich geliebt werde. Natürlich ist es richtig, dass man bei mir auch großzügig mit dem Vergeben ist, denn: „Nobody is perfect!“ Aber: andere haben mir gegenüber gefälligst ihre Schulden genau zu bezahlen und sie haben sich genau an die Regeln zu halten, die ich für richtig halte und wehe, da sind Abweichungen dabei“ oder ob wir sagen: „Die Liebe, die mir geschenkt ist, kann ich locker weitergeben. Ich muss nicht auf meinem guten Recht bestehen, ich kann verzeihen, auf andere zugehen, anderen zuhören, nicht großzügig über Fehler und Schuld hinwegsehen, sondern großzügig vergeben!“ Die Maßstäbe, die ich anlege, die Art, wie ich mit dem Geschenk der Liebe umgehe, spielen dann auch eine Rolle dafür, wie ich nicht nur von anderen, sondern auch von Gott wieder angeschaut werde. Der Knackpunkt, das wirklich Schwierige dabei ist, Großzügigkeit nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln. Gleichgültigkeit tötet die Liebe. Leider leben wir, so empfinde ich es oft, in einer Zeit, in der Respekt mit Angst und Großzügigkeit und Toleranz mit Gleichgültigkeit verwechselt werden. Freiheit, Klarheit und Liebe sind schwerer zu Leben als Gesetz, Härte und Strenge. Aber wenn wir Gott wirklich als die Liebe predigen und als Christen versuchen, ihn so eben auch durch unser Leben und unseren Umgang miteinander vor zu leben, können wir nicht auf den Weg der Härte und des Gesetzes zurück, ohne Glaubwürdigkeit zu verlieren. Aber wir dürfen eben auch nicht übersehen, dass der Grat zur Gleichgültigkeit schmal ist. Jesus sagt ja nicht: „Behalte den Balken in deinem Auge und lass dem anderen den Splitter in seinem Auge“ - und auch nicht: „Zieh den Balken aus deinem Auge, was beim anderen ist, geht dich nichts an!“, sondern: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und hilf dann dem anderen, den Splitter aus seinem Auge zu entfernen!“ Fang bei dir an, räum weg, was der Liebe, der Toleranz, der Großzügigkeit im Weg steht - aber dann mach die Augen auf für den anderen und hilf ihm, Gottes Weg, den Weg der Liebe, des Respekts, der Toleranz und Großzügigkeit als den Weg zum guten, zum echten Leben zu sehen und zu gehen.

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