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Freitag, 22. Mai 2009

Unter den Wolken muss die Freiheit wohl... - Himmelfahrt 2009, Reihe I

Text: Lukas 24,50-53

Liebe Gemeinde!

(Einen imaginären Luftballon „nach oben holen“ und „in den Händen“ halten“) Nach oben, in den Himmel steigen - bis heute ist das für ganz viele Menschen mit besonderen, mit schönen Gefühlen verbunden. Reinhard Mey sang vor vielen Jahren „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Und bis heute ist zum Beispiel Ballon fahren für viele ein grandioses Erlebnis. Und selbst so ein Luftballon hier, wie ich ihn in der Hand halte, regt Menschen an, über Freiheit und Freude am Leben nachzudenken. Bunt und leicht ist er. Für manche hängen Erinnerungen an unbeschwerte Kindertage an einem solchen Ballon. Und wenn man ihn fliegen lässt, dann ist es so, als würde er das ganze Schwere im Leben einfach mit wegnehmen. Wenn ich ihn loslasse, dann fliegt er hoch in eine Welt, die wir zwar erforscht haben und physikalisch beschreiben können, die uns aber doch ein Stück weit entzogen ist. Wenn ich den Ballon jetzt loslasse, dann geben sie ihm doch einfach ihre Gedanken, Wünsche und Sorgen mit auf dem Weg in die Freiheit über den Wolken. (So tun, als würde er losgelassen und hinterher schauen)
Der spinnt - manche haben das vielleicht eben gedacht. Der hat doch gar nichts in der Hand, da gab’s doch gar nichts zu sehen. Und trotzdem gehe ich jede Wette ein, dass gar nicht mal so wenige eben tatsächlich an einen Luftballon gedacht haben, der einfach wegfliegt. Was ist nun wirklich wahr? Das, was wir mit unseren Fingern begreifen können? Oder auch das, was wir fühlen, spüren und wahrnehmen können, ohne dass wir es festhalten? Da ist nichts zu sehen und trotzdem ist etwas da. Wirklichkeit und Wahrheit sind größer als die Welt, die sich begreifen lässt. Und das gibt Freiheit. Weil wir nicht nur an das gefesselt sind, was wir sehen, hören, fühlen und schmecken können, sondern weil wir die Freiheit haben, mehr zu erfahren im Leben.
Für mich ist Himmelfahrt in diesem Sinn ein Fest, das uns wirklich Freiheit schenkt. Nüchtern betrachtet, gibt es eigentlich nicht viel zu sehen. Lukas hält sich nicht mit langen Beschreibungen auf, wie die Himmelfahrt ausgesehen haben könnte. Das Entscheidende ist, dass die Jünger erleben: Jesus ist in keiner Art und Weise mehr körperlich anwesend. Schon von der Auferstehung erzählen Lukas, aber auch Johannes, ja so, dass Jesus nicht einfach so hereinspaziert kam, als wäre gar nichts gewesen. Die Emmausjünger, von denen Lukas erzählt, waren lange mit dem Auferstandenen unterwegs. Sie haben ihn gesehen, sich mit ihm unterhalten. Aber erkannt haben sie ihn nicht an irgendwelchen Äußerlichkeiten, sondern erst an seinem Handeln. Himmelfahrt macht endgültig deutlich, dass die Bilder losgelassen werden müssen, dass die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu sich nicht an irgendetwas Biologisches klammern können, sondern dass sie auf Glauben, Vertrauen, Hoffnung und Liebe allein angewiesen sind. Die Jünger verzweifeln nicht, weil sie nun nichts mehr zum Klammern haben, sondern sie gehen getrost zurück ins Leben. Sie loben Gott und strahlen große Freude aus.
Eigentlich komisch. Die Jünger haben Sicherheit verloren und sie freuen sich. Wenn wir Sicherheit verlieren, dann sind wir traurig, frustriert oder wir sehnen uns danach, Dinge aus der Vergangenheit irgendwie konservieren zu wollen. Himmelfahrt macht etwas anderes deutlich: Die Sicherheit liegt nicht im Festhalten, sondern im Loslassen, im Vertrauen und im Annehmen der Freiheit, die Gott uns schenkt. Die Jünger machen sich frei davon, Jesus so behalten zu wollen, wie sie ihn kannten, ihn ein für allemal festzulegen - und sie gewinnen dadurch Freude am Leben und Freude am Glauben. Gott, Jesus - das ist eben mehr, als wir fassen, beschreiben, begreifen können.
Glauben schafft Freiheit - leider haben auch Christen, hat auch die Kirche diese Botschaft allzu oft verdunkelt. Menschen, die anders glaubten, anders dachten, anders lebten und anders liebten wurden im Namen Gottes verfolgt, mundtot gemacht, diskriminiert, manchmal bis zum Tode. Glauben schafft Freiheit - Gott sei Dank immer wieder auch die Freiheit, zu dieser Schuld zu stehen und einen anderen, besseren Weg zu gehen. Dort, wo offen miteinander geredet und auch gestritten werden kann, dort kann Glauben wachsen. Es ist traurig, dass gerade heute aber im Namen einer Scheinfreiheit, die kritischen Einwänden gegenüber intolerant ist, Christen nicht nur in Marburg diffamiert und verleumdet werden. Man muss und kann auch in der Kirche nicht immer über alles einer Meinung sein. Aber zu der Freiheit, zu der uns Christus befreit, zu der Freiheit, die zum Menschsein gehört, gehört auch, im anderen immer zuerst den Menschen und nicht den Gegner zu sehen. Diese Freiheit, die Gott uns schenkt, die Freiheit, uns nicht an Bildern, Urteilen und Vorurteilen festhalten zu müssen, die muss uns hellhörig machen, wo durch Diffamierung Freiheit genommen werden soll. Gott ist ein Gott der Freiheit. Weil er unsere menschlichen und weltlichen Grenzen sprengt. So, wie Himmelfahrt die Grenzen unserer Welt endgültig sprengt. Nicht, weil Naturgesetze außer Kraft gesetzt würden oder weil wir im Glauben zur Weltflucht angehalten würden, sondern weil hier deutlich wird: Das, was größer als diese Welt ist, die Liebe, die alle Grenzen sprengt, hilft dir, in dieser Welt und für diese Welt mit Freude zu leben und dich nicht mit den Grenzen, die Menschen ziehen und mit den Grenzen, die unsere Verstehensmöglichkeiten ziehen, für immer zufrieden zu sein.
Himmelfahrt ist ein Fest der Weite der von Gott geschenkten Freiheit. Für mich ist auch dieser Gottesdienst, den wir miteinander feiern, so ein Zeichen dafür. Ganz unterschiedliche Gemeinden und Konfessionen feiern zusammen. Ein Stück Himmel auf Erden, dass die Grenzen, die mal da waren und manchmal noch da sind, dazu einladen, drüberzuschauen und Verbindung zu suchen. Und dass Gott im Himmel seinen Platz in dieser Welt hat. Die Feuerwehr kümmert sich darum, dass dieser Gottesdienst einen schönen Rahmen hat. Kirche ist nichts, was irgendwo abseits steht, jenseits von dem, was in diesem Leben wichtig ist, sondern Kirche, die Gemeinschaft der Christinnen und Christen, gehört mitten ins Leben. Keine Angst vor der Welt, keine Angst vor dem anderen, denn in Jesus Christus schenkt Gott uns Weite und Freiheit, die über das, was wir denken können, hinausgeht. Die Freiheit der geliebten Kinder Gottes. Ich wünsche uns, dass wir, wie die Jünger damals, diese Freiheit annehmen, loslassen und ins Leben gehen. voller Freude. Und so einladend und ansteckend werden. Und der Welt etwas von der Freiheit und Liebe Gottes schenken. Himmelfahrt entführt uns nicht aus der Wirklichkeit in den Himmel, sondern lässt ein Stück Himmel auf der Erde Wirklichkeit werden. Amen.

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