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Freitag, 21. November 2008

Wird alles anders? - Ewigkeitssonntag 2008, Reihe VI

Predigttext: 2. Petrus 3,3-13

Liebe Gemeinde!

Ein Tag, der einem vorkommt, als wären es 1000 Jahre und 1000 Jahre, die einem vorkommen, als hätten sie gestern erst angefangen - wir müssen gar nicht bis zum Ende aller Zeiten warten um festzustellen, dass in diesem Vers aus dem 2. Petrusbrief ganz viel Wahres steckt. Es gibt Tage und Nächte, die scheinen endlos zu sein. Die Gedanken an den Ehemann, der jetzt fehlt, an das Kind, das gestorben ist, an einen lieben Menschen, der weit weg ist, an eine Beziehung, die kaputt gegangen ist, lassen jeden Gedanken, jede Sekunde zur Qual werden und die Zeit scheint nicht vorbeizugehen. Dagegen geht der schöne Urlaub immer viel zu schnell vorbei, die Stunden, Tage, Jahre, die man mit einem geliebten Menschen verbringt, scheinen wie im Flug zu vergehen. Wenn Zeit nur zäh vergeht, dann ist der Wunsch, manchmal sogar die Hoffnung da und vielleicht auch groß, dass ganz schnell hoffentlich alles ganz anders wird. Aber wenn man vor Glück oder Liebe oder beidem das Gefühl hat, dass alles viel zu schnell geht, dann möchte man am liebsten jede Sekunde für die Ewigkeit festhalten, nie mehr loslassen und die Hoffnung oder zumindest der Wunsch ist da, dass sich nie etwas ändert.

Alles wird anders! Für die, bei denen im Moment alles gut und glücklich läuft, eine schreckliche Vorstellung. Für die, deren Leben aus den Fugen geraten ist und bei denen gerade nichts zusammenzupassen scheint, oft eine gute Hoffnung. Alles wird anders - alles wird gut! Ja, nicht weniger verspricht die Bibel, nicht weniger verspricht das Stück aus dem 2. Petrusbrief. „Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt!“ Alles wird anders - alles wird gut?! Im Alltag ist das nicht unbedingt die Erfahrung, die so leicht gemacht wird. Es wird nicht wieder gut, wenn nach vielen Jahren einer glücklichen Ehe oder einer guten Beziehung der Mann oder die Frau nicht mehr ist. Das Gefühl, jetzt allein zu sein, das Gefühl, eine Lücke im Leben zu haben, das wird vielleicht im Lauf der Zeit weniger schmerzhaft - aber gut? Und schon ganz und gar das Gefühl, wenn das eigene Kind stirbt oder der Tod als Unfalltod oder aus anderen Gründen ganz plötzlich und unnötig kam oder erst nach einem langen, grausamen Kampf - alles wird gut? Vielleicht im Laufe der Zeit erträglich. Aber gut?

Vielleicht kennen diejenigen, die mühsam das letzte bisschen Hoffnung zusammenkratzen und vielleicht auch Gott bei dem anfragen wollen, was er von sich sagt, nämlich dass er die Liebe ist, trotz allem, was in ihrem Leben traurig und hart und ungerecht gelaufen ist, auch die Spötter, von denen der Brief aus der Bibel erzählt. Menschen, die sagen: „Was willst du denn mit deiner Hoffnung? Lass es sein! Wo bleibt denn dein Gott? Der kommt nicht mehr, der macht nichts neu! Du musst mit dem Elend leben und am besten lebst du so egoistisch wie es nur geht, alles andere hat sowieso keinen Sinn!“ Und manchmal sind das auch gar keine Menschen von außen, die Hoffnung oder Liebe in Frage stellen. Manchmal sitzt das, was der erste Petrusbrief verächtlich „Spötter“ nennt, ganz tief auch in dem Menschen, der eigentlich glaubt, Hoffnung zu haben. In mir. Wenn ich mir die Welt ansehe, wäre es doch der einfachere Weg, die Hoffnung aufzugeben. Unrecht, Ungerechtigkeit, Dummheit, Leid, Tod, Gewalt, Hass, Neid, die Unfähigkeit, friedlich miteinander zu leben, Kriege und immer wieder die Erfahrung von traurigem, sinnlosen Tod, von Kindern, die von Erwachsenen misshandelt, missbraucht, umgebracht werden: es gibt viel zu viel, das mich manchmal schon daran zweifeln lässt, dass Menschen wirklich gut sein können. Und wo ist Gott? Und warum tut er nichts dagegen? Man muss kein bösartiger Mensch, kein Ignorant sein, um diese Fragen zu stellen.

Es ist leichter, aufzugeben, einfach so vor sich hin zu leben, als zu hoffen und zu glauben. Hoffnung und Glauben braucht Kraft. Es ist wie beim Schwimmen. Es kostet keine Kraft, sich von der Strömung mitreißen zu lassen, nichts zu tun. Das ist bequem. Die andere Richtung einzuschlagen, Widerstände zu spüren, auszuhalten, gegen Widerstände anzugehen: das ist es, was jede Menge Kraft kostet. Aber woher soll man die Kraft nehmen, wenn man gerade ganz unten ist? Es gibt nur eine Antwort. Aus der Liebe. Natürlich kann man als Zweifler, als Spötter, als Enttäuschter sagen: das ist ja mal wieder typisch Kirche. So ein allgemeines Gerede! Von der Liebe sehe ich nichts, spüre ich nichts, schon gar nicht von einem lieben Gott, wenn er mir den Mann, die Frau, das Kind, die Eltern weggenommen hat! Von der Liebe spüre ich nichts, wenn ich in die Welt schaue. Aber vielleicht kann es ja auch hier helfen, sich einfach mal umzudrehen und den Blickwinkel zu ändern. Kann, nicht muss. Gott ist kein lieber Gott in dem Sinn, dass er immer brav macht, was Menschen sich von ihm wünschen, dass er allen wohl und keinem weh tun würde. Aber Gott ist ein liebender Gott. Einer, der nicht wegläuft, wenn es hart wird. Einer, der es aushält, wenn man ihn zornig anschreit, wenn man vor lauter Angst oder Trauer oder Resignation nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Einer, der in seiner Liebe immer wieder den Weg zu den Menschen sucht. Liebe heißt ja nicht, dass man immer nur schöne und gute Erfahrungen miteinander macht. Liebe heißt, dass auch Schweres ausgehalten und geteilt werden kann. Für das alles steht Jesus Christus. Er ist nicht in eine perfekte Welt gekommen und hat keine perfekte Welt hinterlassen. Tod und Leid, Schuld und Trauer, das alles gibt es immer noch, das kann man nicht wegglauben und nicht wegdiskutieren. Aber Jesus steht dafür, dass Liebe und Veränderung zum Guten nicht erst dann möglich ist, wenn alles perfekt wird und der neue Himmel und die neue Erde da sind, sondern dafür, dass schon jetzt, unter diesem Himmel, auf dieser Erde, Liebe, Güte, Vergebung möglich und da sind. Ansatzweise, natürlich. Aber da.

Jetzt können welche hier im Gottesdienst sagen: Jetzt sag mal klipp und klar, was du meinst, wo es das gibt. Aber Liebe ist nun mal ein Beziehungsgeschehen. Das kann man nur schlecht allgemein sagen. Ich, mit meiner Person, spiele da immer mit. Deshalb kann ich schlecht erzählen, wo andere Liebe sehen sollen, die der Hoffnung neue Kraft gibt. Ich kann nur von mir erzählen. Zwei Beispiele, die auf den ersten Blick wenig mit dem, was man sich so allgemein unter Liebe vorstellt, zu tun haben. Eine junge Frau, Mitte 20, die ich vor gut 10 Jahren konfirmiert habe. Sie rief mich vor ein paar Wochen an, nachdem sie, die mit ihrem Mann lang auf ein Kind gewartet hat, eine Fehlgeburt hatte. Wir haben lang telefoniert, am Ende sagte sie so etwas wie „Jetzt geht’s mir wieder besser“. Eine andere junge Frau, die ich vor vielen Jahren in der Hauptschule in Reli hatte. Sie saß da, sagte nie was. Die ganze Klasse hat eigentlich nie was gesagt, ich hatte den Eindruck, bei denen ist alles sinnlos. Jahre später, ich hatte sie seit dem Abschluss nicht mehr gesehen, kam sie, wollte bei mir heiraten und erzählte mir, dass sie nach der Hauptschule immer weiter Schule gemacht hat, bis zum Abi, und jetzt selber Relilehrerin für Haupt- und Realschule werden will, auch, weil ihr der Reliunterricht in der Hauptschule so wichtig war und gut gefallen hat. Was das mit Liebe zu tun hat? Es zeigt erstens, dass Liebe mehr ist als irgendwelche romantischen Gefühle füreinander zu hegen. Das kann dazu gehören, aber muss nicht. Es zeigt zweitens, dass Liebe sehr viel damit zu tun hat, Lebensmut und Lebensperspektiven zu öffnen. Und drittens, und das ist der Grund, warum ich das eigentlich erzähle, dass es auf Gegenseitigkeit beruht. Es ist ja nicht so, dass ich der große, allwissende Könner bin, der anderen zu einem guten Leben verhilft. Die beiden haben mir ganz viel geholfen, gerade wenn ich denke: „Ist das nicht sinnlos, was ich hier mache?“ Es gibt ja genug Schüler, für die Reli, auch Reli bei mir, schrecklich ist und Konfis, die sagen: das ist blöd und langweilig“ Und ja auch Erwachsene, die mir sehr deutlich machen, dass sie von Kirche und von mir als Pfarrer wenig halten. Aber selbst wenn es nur für zwei Leute gut war, ist es nicht sinnlos gewesen und die Hoffnung ist da, dass es auch in Zukunft nicht sinnlos ist. Liebe ist nichts, was ich herstellen kann, sondern ein Geschenk, ein Geschenk Gottes, das auch offene Augen und Herzen braucht. Wie gesagt, ich hab nur meine Augen. Jeder von uns muss in seinem Leben die eigenen Augen aufmachen und vielleicht auch mal die Perspektive und den Blickwinkel ändern.

Alles wird anders, alles wird gut. Aber nicht jetzt sofort, wir haben nur einen Zipfel davon in der Hand, ein kleines bisschen Liebe hoffentlich, das die Hoffnung wach hält. Gott steht zu seinen Verheißungen. Und wenn die Bibel hier so viel von Einsturz und von Feuer erzählt, dann heißt das nicht, dass irgendwann mal der große Katastrophefilm abläuft, der alles, was Hollywood sich je ausgedacht hat, in den Schatten stellt. Gemeint ist, dass sich wirklich alles ändert - und nur das übrig bleibt, was überlebenswert ist. Gerechtigkeit. Liebe. Und alles andere wird endgültig vernichtet. Das ist die Hoffnung, die wir haben können. Schon jetzt, und auch angesichts der Erfahrung, dass Menschen, die für das eigenen Leben wichtig waren, nicht mehr sind. Was bleibt ist die Liebe. Die Kraft gibt, Hoffnung wachsen zu lassen. Amen

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