Beliebte Posts

Donnerstag, 17. Juli 2008

Willkommen in der VIP-Lounge! 9. Sonntag n. Trinitatis, Reihe VI

Text: 1. Petr 4,7-11

Liebe Gemeinde!

Alles wird immer teurer! Wie lange werden wir noch im Winter die Wohnungen heizen können, Busfahrkarten und Benzin bezahlen können, oder uns gutes Brot und gute Lebensmittel leisten können? Öl, Gas, Wasser, Lebensmittel - alles wird immer knapper. Milliarden Chinesen und Inder werden uns überrollen, überholen oder wenigstens mit uns um die immer weniger werdenden Vorräte streiten. Es werden wieder Kriege um Religion geführt, wer nicht wenigstens Fachabitur hat, wird in Zukunft fast keine Chance auf ein einigermaßen sicheres Einkommen mehr haben. Renten wird es kaum noch geben, eine gute Krankenversicherung nur noch für gut Verdienende - das Ende der Welt, die wir kennen, ist nahe! Alles wird anders, das meiste wird schlechter. Die Welt, wie wir sie kannten, wird untergehen! Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge! So beginnt der Predigttext, den wir eben gehört haben. Und wenn ich Zeitung lese, Nachrichten höre oder sehe oder mich einfach mal mit anderen über die Zukunft unterhalte, habe ich oft den Eindruck, dass dieser Satz für viele zum Lebensgefühl wird. Nicht immer und überall, aber in letzter Zeit immer öfter ist eine Angst da, das alles, was man so kennt, zusammenbricht und danach nur noch Schlechtes kommt. Was für uns heute meistens ein traurige Vorstellung ist, dass die Welt, so wie wir sie kennen, zu Ende geht, war in der Zeit, in der Brief, aus dem die Verse stammen, die ich eben vorgelesen habe, eine gute Hoffnung. Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge!Das Ende dessen, was ihr kennt, ist nahe, deshalb seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet! Flippt nicht aus vor lauter Angst oder vor lauter Freude. Starrt nicht auf das, was vielleicht mal kommt, ihr wisst den Zeitpunkt sowieso nicht und es wird auch anders werden, als ihr es euch denkt. Vergesst bei allem nicht, dass ihr jetzt, in der Gegenwart lebt. Haltet die Verbindung zu Gott, im Gebet. Lasst euch von ihm helfen und den Blick klar und frei machen. Schaltet euren Verstand nicht aus, sondern bleibt besonnen und nüchtern. Das hört sich vielleicht langweilig an. „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume“ - das war und ist immer noch ein beliebter Spruch bei Menschen, die den Schulabschluss gerade hinter sich haben und auch bei Menschen, die wie ich so zwischen 40 und 50 sind und sich fragen: „War das bis jetzt alles im Leben oder soll ich nicht lieber noch mal neu anfangen?“ Besonnen und nüchtern - das klingt nicht nach Freiheit, Abenteuer, den Alltag mal vergessen, was Großes und Tolles erleben. Aber es steht ja auch nicht nur da: „Seid besonnen und nüchtern“. Sondern: „Seid besonnen und nüchtern zum Gebet“. Mit etwas moderner Sprache würde ich das mal so übersetzen: Verliert euch nicht! Verliert euch nicht in euren Träumen und Sehnsüchten, indem ihr die Gegenwart ignoriert und damit auch die Menschen um euch herum. Verliert euch aber auch nicht in einer Gegenwart, die tatsächlich oft genug schwer und grau ist, sondern findet im Gebet die Verbindung zum Leben selbst, zu Gott, zum Anfang und zum Ziel allen Daseins. Gerade durch Jesus hat Gott uns Menschen gezeigt, dass Hoffnung und Liebe auch da ist, wo wir sie gar nicht sehen und wahrnehmen. Gerade durch ihn hat er uns gezeigt, dass leben mehr ist, als unser Verstand begreifen kann und dass dann, wenn durch den Tod unsere Möglichkeiten zu Ende sind, für ihn - und dadurch auch für uns - noch nicht Schluss ist. Vor allem nicht mit der Liebe. Aber gerade durch ihn hat er uns auch gezeigt, dass die Gegenwart, dass die Menschen, die um einen herum sind, nicht unwichtig ist. Gott ist nicht bloß irgendwas Nettes für das, was dann kommt, wenn unser Verstand an die Grenze kommt, sondern das Leben selbst, her und jetzt. Jesus hat mit ganz konkreten Menschen gelebt und er hat die Menschen nicht vertröstet, sondern denjenigen, denen er begegnet ist, in ihrem ganz konkreten Leben geholfen. Er hat Menschen zusammengebracht. Nicht in irgendwelchen Träumen, sondern in einer Wirklichkeit, die greifbar war - und immer noch ist. „Hoffentlich ist es wirklich bald soweit“, werden die Menschen damals wohl gedacht haben. Sie lebten in einer Zeit, in der die ersten größeren und systematischen Christenverfolgungen stattfanden. Ihr Leben war in Gefahr. Das endlich alles anders wird, als sie es bisher kannten, das war ihre große Erwartung an Gott. Aber egal, ob es nun, wie damals, eine große Hoffnung oder, wie heute oft, eine große Angst ist, die den Blick in die Zukunft mitbestimmt: eine Gefahr ist bei beiden Ansichten da. Die Gefahr, alles nur noch von dieser erwarteten oder befürchteten Zukunft bestimmt sein zu lassen. Die Gefahr, zu denken: „Lohnt sich ja nicht, jetzt noch irgendwas zu machen, ich kann ja doch nichts ändern, wird ja sowieso alles anders!“ In dem Brief steht ein Satz, den ich auch für den Blick heute auf die Zukunft wichtig finde:

Verlier dich nicht in einem Irgendwann und Irgendwo - sondern gewinne dein Leben. Hier und Jetzt. Für mich steckt das in dem auf den ersten Blick langweiligen Satz: seid besonnen und nüchtern zum Gebet. Demjenigen, der diesen Brief vor langer Zeit geschrieben hat, ist es wichtig, dass die Menschen in ihren Stärken und Schwächen zusammenhalten: „Vor allen Dingen habt aber untereinander beständige Liebe; denn die Liebe deckt der Sünde Mengen“. Natürlich kann man nicht jeden Menschen so lieben, dass das Herz vor Freude hüpft, wenn man ihn sieht. Das war auch schon in der christlichen Gemeinde vor 2000 Jahren so. Gemeint ist aber mehr als ein bloßes: akzeptiert euch, lasst jeden in Ruhe leben! Nehmt den jeweils anderen als eigenen, von Gott geliebten und gewollten Menschen wahr und ernst. Fördert euch gegenseitig, sucht immer auch nach dem, was dem anderen weiterhilft und was der andere braucht. Und verleugnet eure Schwächen nicht. Vergebt euch gegenseitig, rechnet Schuld nicht immer wieder gegeneinander auf. So kann man diesen Satz wohl übersetzen. Und so ist er bis heute aktuell. Gott will, dass wir leben. Und zum Leben braucht der Mensch das Gefühl, gewollt und geliebt zu sein. Wichtig zu sein. Und auch das Gefühl, vergeben zu bekommen und in der Gemeinschaft neu. Besser anfangen zu dürfen. Es geht nicht um Einmischung in das Leben von anderen, nicht um Besserwisserei und Bevormundung. Es geht darum, sich gegenseitig zu zeigen, dass man sich nicht egal ist. Für mich ist das bis heute ein Kennzeichen christlicher Gemeinde - im Unterschied zu vielen anderen Dingen im Alltag. Im Fußballstadion muss man viel Geld bezahlen, um sich als VIP, als very important person, als sehr wichtige Person, fühlen zu dürfen. In Vereinen werden die Sponsoren mit dem dicken Geldbeutel besonders gehätschelt. Bei uns sollte es zumindest so sein, dass nicht nur die Ärztin oder der Professor, sondern auch die Konfirmandin, der Hartz-IV-Empfänger oder die Rentnerin mit wenig Geld VIPs, ganz wichtige Menschen sind - und dass davon nicht nur geredet wird, sondern dass sie es auch spüren! Wie so was funktionieren kann? Ich hoffe, dass es klappt, wenn wir die letzten Verse aus dem Predigttext wirklich ernst nehmen: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: Wenn jemand predigt, dass er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, dass er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Dienen ist ja als Wort etwas aus der Mode gekommen, auch wenn wir gern davon reden, dass wir eine Dienstleistungsgesellschaft sind. Gemeint ist hier in der Bibel nicht, dass ich mich klein mache und nie uneigennützig handeln dürfte und überhaupt denken solle, ich könne ganz wenig. Gemeint ist, dass ich meine Fähigkeiten nicht nur gebrauche, um im Konkurrenzkampf gegen andere zu bestehen, sondern dass ich da, wo es geht, sie einsetze, um anderen zu helfen. Gemeint ist auch, dass es keine unwichtigen Fähigkeiten gibt und dass ich nicht immer danach schauen soll, was andere besser können. Und dass ich mir nicht überheblich etwas einbilde und denke, mit dem, was ich kann, wäre ich besser als andere. Jeder kann was und jeder hat was beizutragen. Es ist schade, dass das Wort „Gaben“ aus der Mode gekommen ist und wir nur noch von Fähigkeiten oder Kompetenzen sprechen, die wir erwerben müssen. Gabe heißt doch, dass das, was wir können, zuerst mal ein Geschenk ist. Die unterschiedlichen Talente, Gaben - die hat Gott uns gegeben, damit aus der Vielfalt ein Miteinander werden kann. Wir können Gaben entdecken, weiterentwickeln und uns ein bisschen anstrengen, damit sie nicht verkümmern. Aber niemand kann alles erwerben. Ich werde nie ein besonders toller Handwerker oder Musiker. Egal, wie sehr ich mich anstrenge. Mein Konfirmand Johann wird sicher nie Pfarrer werden, aber er kann tapezieren, was ich nicht kann. Manchmal ist tapezieren aber eben wichtiger als predigen. Nicht glauben, alles können zu müssen, sondern aus dem, was Gott an Gaben ins Leben gelegt hat, was zu machen, zum eigenen Nutzen und zum Nutzen aller, darauf kommt es an. Mich selbst nicht so wichtig nehmen, sondern Gott zu danken, für die vielen wunderbaren Gaben, Fähigkeiten und Möglichkeiten, die er jedem schenkt. Die Gaben nicht zu leugnen, sonern anzunehmen. VIP, sehr wichtige Person, zu sein - nicht nur für Gott, sondern auch für mich selbst und füreinander. Wäre schön, wenn das die Beschreibung unserer Gegenwart wäre. Oder ist es sie vielleicht schon? Amen

Keine Kommentare: