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Freitag, 9. August 2013

Aber so schlimm bin ich nicht! - 11. Sonntag nach Trinitatis, 11.08.2013, Reihe V

Text: Lukas 7,36-50 (Basisbibel)



Liebe Gemeinde!
„Aber so schlimm bin ich nicht!“ – Vielleicht hat Simon genau das gedacht, als er gemerkt hat, wer die namenlose Frau ist, die sich an Jesus klammert, mit ihren Tränen und teurem Öl seine Füße benetzt und salbt, die ihn küsst und mit den Haaren wieder trocknet. Eigentlich ein Skandal. Zuerst einmal hat eine Frau in Männerrunden grundsätzlich nichts zu suchen. Gut, Jesus war da ein bisschen anders. Von Anfang an waren viele Frauen in seiner Nähe. „Ich bin doch ganz schön aufgeschlossen, dass ich den zu mir einlade“ – auch so hat Simon vielleicht gedacht. Seine Freunde hätten Jesus nicht eingeladen. Viel zu unkonventionell ging der mit den Regeln um. Aber Simon scheint aufgeschlossen und neugierig zu sein. Er ist Pharisäer, das heißt, dass er es mit seinem Glauben und mit Gottes Geboten wirklich ernst meint und sich bemüht, danach zu leben. Jesus stellt manches, was sich als Tradition eingebürgert hat, in Frage. Jesus befragt jedes Gebot danach, was wohl Gottes Wille dahinter ist. Den wenigsten Pharisäern gefällt das, aber Simon ist neugierig. Aber das mit der Frau geht zu weit. Nicht nur, dass eine Frau es wagt, die Männerrunde zu stören. Nicht nur, dass sie Jesus nicht nur berührt, sondern sogar küsst. Nein, diese Frau ist unterstes Niveau. So scheint es zumindest bekannt zu sein. Was sie im Einzelnen gemacht hat, wird nicht erzählt. Aber jeder kennt den schlechten Ruf. Und Jesus, der Prophet, der müsste das doch erst recht wissen. Gut, ich habe nicht immer meine Eltern so geliebt, wie sie es verdient hätten. Vielleicht habe ich auch mal die Unwahrheit gesagt. Und vielleicht war ich auch mal anderen gegenüber ungerecht zornig. Solche Dinge werden Simon vielleicht durch den Kopf gegangen sein. Aber so wie die bin ich nicht. Und deshalb wundert er sich, warum Jesus ausgerechnet die nicht zurückweist. Die namenlose Frau, von der alle wissen, wie schlimm sie ist.
Ich glaube, dass so ein bisschen Simon in vielen von uns steckt, auch in mir. Menschen versuchen oft, sich einzuordnen. Auch dann, wenn es um Gutsein, um Verfehlungen, um Schuld geht. „Gut, ich war nicht immer lieb, ich hab auch schon mal
im Laden Lippenstift mitgehen lassen – aber so wie die Monika, die ständig mit verheirateten Männern rummacht und sich von denen auch noch alles bezahlen lässt, bin ich nicht!“ „Okay, ich bete eigentlich nur dann, wenn es mir schlecht geht und gehe normalerweise auch nicht in die Kirche und hab auch schon mal meine Frau angelogen – aber wenigstens versaufe ich nicht mein ganzes Geld wie der Joe es tut und ich habe auch noch nie jemanden krankenhausreif geschlagen und bin auch nicht aus der Kirche ausgetreten, wie der Max!“ „Klar war ich nicht immer ehrlich bei der Steuer, wer ist das schon – aber so wie der Uli Hoeneß, der Millionen hinterzogen hat und sich dann noch überall als Wohltäter hinstellt, bin ich nicht!“
Mit der kleinen Geschichte, die Jesus hier in der Bibel Simon erzählt, macht er einen Strich durch alle Rechnungen, wie gut einer im Vergleich mit anderen ist. Zwei Schuldner, beide sind total pleite und können ihre Schuld nicht zurückzahlen. Der eine eine Schuld, die vom Geldbetrag her sehr hoch ist – ein einfacher Arbeiter hätte für den Betrag 20 Monate arbeiten müssen – der andere eine Schuld, die zwar auch nicht gering ist, gut anderthalb Monatslöhne, aber doch überschaubar zu sein scheint. Natürlich vermutet Simon, das der erste mit den großen Schulden den Geldverleiher, der die Schuld erlässt, mehr lieben wird als der, der eine anscheinend überschaubare Schuld hat. Und Jesus gibt ihm Recht. So ist das Leben. Der Witz dabei ist aber, dass es im Grunde völlig egal ist, wie hoch die Schuld ist. Beide sind total pleite, keiner kann die Schulden zurückzahlen. Die Liebe zu dem, der vergibt, ist kleiner, weil man sich für weniger pleite hält. Aber am Ende ist doch jeder aus eigener Kraft zahlungsunfähig. Liebe kann dort wachsen, wo ich mich wirklich als angewiesen und pleite begreife, wo ich schuld und Schulden nicht miteinander vergleiche, sondern mich als bedürftig wahrnehme. so bedürftig wie jeden anderen auch. Und genau das hat die Frau in der Geschichte aus der Bibel geschafft und Simon ist, wenn es gut geht, erst auf dem Weg dahin. „Ich kann nichts von dem, was ich durch eigene Schuld verbockt habe, wieder gut machen. Ich kann mein Leben nur Jesus anvertrauen und darauf vertrauen, dass er mich annimmt und mir hilft, einen neuen Weg zu gehen“ – das ist der Weg der Frau. Fehler kann kein Mensch wieder gut machen. Die Lüge hat das Vertrauen zerstört, die Wunde bleibt. Auch dann, wenn neues Vertrauen wachsen konnte. Das Fremdgehen ist geschehen, es hat in der Beziehung was bewirkt. Auch dann, wenn es die Beziehung nicht zerstört hat. Und auch keine Todesstrafe kann einen ermordeten Menschen ins Leben zurückbringen, nichts kann die Schändung einer Kinderseele ungeschehen machen. Ich kann, egal wie, Schuld nicht wieder gut machen. Ich bin angewiesen auf Vergebung. Und selbst scheinbare Kleinigkeiten wie mangelnde Liebe, eine Lästerei oder Überheblichkeit – ich kann es nicht ungeschehen machen. Der Blick auf die Schuld der anderen verstellt oft genug den Blick auf die eigene Bedürftigkeit – ein Thema, das Jesus immer wieder aufgreift.
Die namenlose Frau in der Geschichte, die bleibt bei sich. Die erkennt, dass sie aus eigener Kraft nichts ändern kann. Die liebt einfach, die vertraut. Bei aller Gastfreundschaft bleibt Simon doch berechnend, neugierig, abwartend, vergleichend. Er ist sozusagen noch nicht reif, wirklich zu lieben, wirklich zu vertrauen. Jesus fordert von der Frau gar nichts. Kein öffentliches Schuldbekenntnis, kein Zeugnis darüber, wie verloren ihr Leben vor der Begegnung mit ihm war. Sie darf einfach da sein, auf ihre Art ihre Liebe zeigen. Und diese Liebe ermöglicht es ihr, die Vergebung der Schuld wirklich zu erfahren. Ich finde das bis heute sehr wichtig, auch im Umgang von Kirche und christlicher Gemeinde mit Schuld. Es kommt nicht darauf an, öffentlich zu machen, was alles war. Nicht der ist Gott besonders nahe, der laut von ihm spricht, sondern es darf ein stummes Umarmen, ein einfaches Weinen ohne Worte sein. Ich muss mich weder vor Jesus noch vor anderen Menschen entblößen, um Vergebung zu erfahren, sondern die Liebe ist es, die verändert. Die Liebe, die keine großen Worte braucht.
Man kann noch sehr, sehr viel und auch noch anderes aus der Geschichte herauslesen, sagen, erkennen. Zwei Dinge möchte ich heute noch hervorheben. Zum einen das, was die Frau tut. Sie weint, sie salbt Jesus mit teurem Balsam. Jesus ist der Messias, der Christus, was auf  Deutsch nichts anderes als „der Gesalbte“ heißt. Salbungen mit Balsamen gehörten zur Einsetzung eines Königs, eines Herrschers. Es ist kein hoher Würdenträger, kein Hohepriester oder Adliger, der Jesus sichtbar zu dem macht was er ist, zum Herrn der Welt, sondern eine Frau mit schlechtem Ruf, die liebt und vertraut. Für mich ein sehr deutliches Zeichen, das Gott zuallererst auf der Seite der Bedürftigen ist und das nicht das Ansehen bei den Menschen wichtig und entscheidend ist. Kirche, Gemeinde in der Nachfolge Jesu hat nicht den Auftrag, sich mit Politikern oder Mächtigen gut zu stellen, hat nicht den Auftrag, selbst möglichst groß und mächtig zu werden, sondern  lebt dort wo die, die übersehen werden, die misstrauisch beäugt werden, Liebe erfahren und wo die Liebe, die diese Menschen geben, willkommen ist.
Zum anderen ist da die Frage der anderen Teilnehmer des Essens: „Wer ist das eigentlich? Er vergibt sogar Menschen ihre Schuld!“ Ein Gotteslästerer? Ein Spinner? Oder begegnen wir in ihm Gott? Wer ist das? Für mich die entscheidende Frage in Bezug auf Jesus. Bis heute. Bleibt er eine interessante Gestalt in der Geschichte? Oder ein politisches Vorbild im Kampf für die Armen? Eine romantische Figur? Oder ein Superheld? Oder begegne ich in ihm wirklich Gott? Hat er wirklich die Macht, Schuld zu vergeben, weil ich aufhören kann, mich vergleichen zu müssen, weil ich zugeben kann, dass ich bedürftig bin. Ganz und gar und nicht nur ein bisschen. Weil ich lieben kann ohne rechnen zu müssen? „Dein Glauben hat dich gerettet, gehe in Frieden!“ Das sagt Jesus der Frau. Und was sagt er mir? wo gehe ich hin?
Amen.

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