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Freitag, 28. Dezember 2012

Dazwischen! - Jahreslosung 2013, gehalten Silvester 2012

Predigt Silvester 12, Jahreslosung 2013: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir (Hebr. 13,14)

Liebe Gemeinde!
Wir leben dazwischen. Selten wird mir das so bewusst wie in diesen Tagen. In den Tagen, die man „zwischen den Jahren“ nennt, an Silvester, dem letzten Tag des Jahres.  Eigentlich passiert ja gar nichts Aufregendes. Genauso wie am 9. Januar, am 24. März oder am 17. Oktober geht die Sonne unter und aller Wahrscheinlichkeit auch wieder auf, machen Menschen in der Welt unterschiedliche Dinge, gibt es fröhliche und traurige Menschen, werden Kinder geboren und andere Menschen sterben. Es gibt Kriege, Hunger und Elend genauso wie viele Gelegenheiten, sich zu freuen. Es passiert nichts Außergewöhnliches. Wenn man Papierkalender hat, wird eben ein neuer aufgehängt oder in die Tasche gesteckt. Den Nutzern elektronischer Kalender wird einfach morgen früh eine andere Jahreszahl angezeigt. Trotzdem bringen mich diese Tage, insbesondere der letzte Tag des Jahres, immer wieder zum Nachdenken. Die Zeit vergeht eben nicht nur irgendwie neutral, sondern mit ihr vergeht unweigerlich auch ein Stück eigenes Leben. Wieder ein Stück Zeit, das eben noch als Zukunft vor mir lag und nun Vergangenheit geworden ist. Prägungen für das weitere Leben waren vielleicht  dabei, vieles aber auch, was jetzt schon nicht mehr richtig erinnert werden kann, was verschwimmen und vergehen wird. Nichts bleibt für die Ewigkeit, noch nicht mal die Erinnerung. Oder bleibt doch etwas? Die Hoffnung auf eine Zukunft, die gut sein wird? Das Vertrauen in einen Gott, der vor aller Zeit war, der sich in dieser Zeit erfahren lässt und der nach aller Zeit noch sein wird? Gott, der uns in dieser Zeit hält, der uns hilft, diese Zeit anzunehmen und der uns über diese Zeit hinausführt? Ist es das, was bleibt? Oder die Erfahrung, dass im Gedächtnis der Menschen und der Menschheit sehr wohl Platz ist für Geschichte, dass wir sehr wohl Wurzeln in der Vergangenheit haben und um diese Wurzeln wissen? Vergehen oder Bleiben?
Wir leben dazwischen, finde ich. Zwischen ernüchternder Erfahrung und lebendiger Hoffnung.  Beides ist Teil unseres Lebens. Beides gehört zum Menschsein und vor allem zum Christsein dazu. Wir leben dazwischen. Denn da spielt sich Leben ab. Zwischen dem Wunsch nach Halt, Ruhe und Beständigkeit und der Sehnsucht und Hoffnung auf eine möglichst gute und bessere Zukunft. Manchmal bildet sich das auch räumlich ab. Mir begegnen immer wieder Menschen, die sagen: „Es ist doch furchtbar, so ein eigenes Haus, eine gut eingerichtete Wohnung zu haben.
 Wohnungen und Häuser, das sind doch eher unsoziale Rückzugsorte. Wie schön ist es doch im Süden, wo sich das Leben auf der Straße, in der Gemeinschaft abspielt!“ Und andere sind da, für die ist es wichtig, ein Haus oder eine Wohnung zu haben, in der sie in Ruhe gelassen werden. Und wo ist nun das Leben? Draußen, auf dem Marktplatz, da, wo viele zusammenkommen? Drinnen, in meinem Haus, in meiner Wohnung, wo ich das Gefühl von Sicherheit habe? Ich würde sagen: Dazwischen. Es gibt kein absolutes richtiges Bild von einem absolut richtigen Leben. Wir brauchen als Menschen, in unserem Leben beides: Privatheit und Öffentlichkeit. Räume zum Rückzug und Räume zur Begegnung. Wo eins von beiden fehlt, wird Leben schwer, manchmal unmöglich. Ich finde es sehr schön, dass die Jahreslosung, die uns durch das Jahr 2013 begleitet, sowohl auf den räumlichen als auch auf den zeitlichen als auch auf den geistigen und geistlichen Aspekt des Lebens Bezug nimmt. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Keine schöne Perspektive, wenn ich gerade ein Haus gebaut oder eine Wohnung gekauft habe. Wenn ich gerade angefangen habe, an einem neuen Wohnort mich heimisch zu fühlen, Arbeit gefunden habe, Freunde gefunden habe. Da will ich doch, das was bleibt. Wie unbeständig räumliche Heimat sein kann, daran erinnern mich immer wieder die vielen Menschen aus unserer Gemeinde, die aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu uns gekommen sind. Die Vorfahren sind aus Deutschland an die Wolga gewandert, dort mit Zwang und oft unglaublicher Brutalität vertrieben, aus dem Nichts ein Neuanfang in Kasachstan, Sibirien oder anderswo,  dort geheiratet, Familien gegründet, Haus oder Wohnung, oft noch Garten gehabt, Familie und Freunde und dann ins unbekannte Deutschland. in eine alte, fremde Heimat mit unsicherem Neuanfang, mehrfacher Umzug aus Lagern und Übergangsheimen in Wohnungen und Häuser – was ist da Heimat? Wir haben hier keine bleibende Stadt – die Generation der 70, 80-jährigen Russlanddeutschen kann davon ein manchmal trauriges Lied singen. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir – was für die einen bedrohlich klingt ist für andere eine Beschreibung der Lebenswirklichkeit und für wieder andere vielleicht wirklich Ausdruck der Hoffnung. Ich denke da heute besonders an die Millionen Flüchtlinge, die auch das Jahr 2012 produziert hat. Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien fliehen. Christen in Ägypten, in Nigeria, dem Irak und vielen anderen Ländern, die vor Verfolgung fliehen und vor allem die Millionen, die wegen der ungerechten und ungleichen Verteilung von Nahrung, Möglichkeiten zur Gesundheitsversorgung, Bildung, Lebenschancen und Wirtschaftsgütern Heimat verlassen und neue Perspektiven in der Fremde suchen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben, wenn nicht für sich selbst, dann für die Kinder. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir – ein Spiegel unserer Wirklichkeit.
Der Schreiber des Hebräerbriefs, dem wir diesen Vers verdanken, der hatte natürlich nicht den Richtsberg oder Winnen, nicht Deutschland, Europa und die Welt im 21. Jahrhundert im Blick. Aber trotzdem passen die Worte bis heute. Weil sie helfen, mit der Angst vor dem Vergehen umzugehen. Weil sie helfen, Hoffnung wachzuhalten. Weil sei einen ehrlichen und realistischen Blick auf ein Leben im Glauben werfen. Der Zusammenhang, in dem die Verse stehen, ruft dazu auf, Christus nachzufolgen, der vor der Stadt gelitten hat und dessen Bestimmung sich außerhalb fester Häuser und Bezirke erfüllt hat. Das ist gerade heute ein spannender Gedanke. So sehr Kirchen als Gebäude Heimat geben können, so sehr sie Merkzeichen für den Glauben in einer Welt sind, die sich in Europa immer weniger interessiert an der Sache Jesu zeigt, so gut es tut, wenn Wohnort und Kirchengemeinde mehr oder weniger eins sind, so sehr müssen wir uns immer wieder darauf besinnen, dass dies höchstens als Hilfe für uns taugt. Dass die Botschaft Christi und seine Liebe und seine Zuwendung zu den Menschen über unsere Gebäude und Gemeindegrenzen hinausgeht und dass es nicht in erster Linie darum geht, Bestehendes so lange wie möglich zu verteidigen, sondern vor den Toren des Bekannten und Vertrauten Christus zu  vermuten und ihn mit dem, was wir sagen, was wir tun und lassen auch dort zu verkündigen.
Und das macht noch einmal deutlich, dass die zukünftige Wohnung, auf die wir nicht nur hoffen dürfen, sondern die wir ja suchen können, keine Wohnung aus Steinen ist, sondern eine, in der etwas davon zu spüren ist, was in Christus Gestalt gewonnen hat: die Freiheit von der Angst, nicht genügen zu können, die Freiheit, von der Sucht, alles festhalten zu müssen. die Freiheit zur Liebe. dort, wo gute Gedanken über den Mitmenschen da sind, dort wo Hilfe angeboten und angenommen werden kann, dort wo Vorurteile abgebaut werden und Urteile gnädig gesehen werden, dort, wo ich mich selbst als Bedürftigen wahrnehmen kann, dort wo ich trauern darf, wenn es an der Zeit ist und meine Freude laut werden darf, wenn es soweit ist, mich zu freuen, dort, wo Gerechtigkeit und Frieden wachsen können, dort ist etwas von dieser zukünftigen Stadt, von dieser Heimat, die haltbarer ist als jedes seit Generationen im Familienbesitz befindliche Haus, zu spüren. Das war hoffentlich an vielen Stellen 2012 so und das wird, mit Gottes Hilfe und Gnade, auch 2013 so werden. wir leben dazwischen. In einer Zeit, in der vieles nicht so ist, wie es sein sollte, in der Gott sich aber immer noch in dieser Welt erfahren lässt. Wir leben dazwischen. Nicht nur zwischen den Jahren. Wir leben dazwischen. Wir leben. Gott sei Dank.
Amen.

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