Joh 7,28f. i.V. mit „Die Heilige Nacht“ von Fritz von Uhde,
Liebe Gemeinde!
„Die Kerzen fangen zu brennen an / das Himmelstor ist aufgetan / Alt und Jung sollen nun / Von der Jagd des Lebens einmal ruhn / Und morgen flieg ich hinab zur Erden / denn es soll wieder Weihnachten werden“. Jetzt ist es soweit, wie Theodor Storm es in seinem Gedicht vom Knecht Ruprecht beschrieben hat. Hoffentlich. Hoffentlich ist das Christkind auf der Erde, nicht als rot bemantelter Geschenkebringer, sondern als lebendige Liebe, die von Gott kommt. Hoffentlich gelingt es uns, nicht nur in dieser Stunde Gottesdienst am Heiligabend von der Jagd des Lebens ein wenig zu ruhen. Wenigstens tauchen die Kerzen heute Abend die Kirche in ein schönes, warmes Licht und hoffentlich erreicht dieser schöne Schein nicht nur die Augen, sondern auch unsere Herzen. Der schöne Schein, der über allem ist. Ich habe ihnen heute Abend eine Karte von einem gut 130 Jahre alten Bild des Malers Fritz von Uhde geschenkt. Ich habe sie ausgesucht, weil mich der schöne Schein auf dem Bild unmittelbar angesprochen hat. Das Kind, in dem sich Gott offenbart, liegt behütet und von warmem Licht beschienen in einem Stall. Finsternis ist noch da. Aber dort, wo das Kind ist, ist es warm und hell. Eine schöne junge Frau betrachtet liebevoll das Kind, in dem sie Gottes Wirken erkennt, wie an ihren zur Anbetung gefalteten Händen zu erkennen ist. Links, eigentlich im Stil der alten Altarbilder ein eigenes Bild, stehen andächtig Hirten, die ebenfalls etwas von diesem schönen Schein abbekommen und rechts singt ein Engelchor aus schönen Kindern im warmen Licht. Für mich ein schönes Bild. Ein schöner Schein – wie unsere Christvesper im Kerzenschein. Interessant ist die Geschichte des Bildes. In der ersten Fassung hat der Maler eine etwas ältere Maria mit einer krummen, großen Nase gemalt, die Haare längst nicht so anmutig. Und links kamen keine Hirten, sondern Fabrik- und Landarbeiter, dreckig, direkt von der Arbeit. Und der Engelchor hätte meine 9. Klasse sein können. Liebenswert, aber chaotisch, manchmal frech und ziemlich durcheinander. Die Kritiker sagten, dass man doch Weihnachten nicht so hässlich darstellen könne – und der Maler hat das Bild tatsächlich korrigiert und übermalt und wirklich den schönen Schein gemalt. Darf man das? Weihnachten ganz realistisch malen? Darf man das? Die Wirklichkeit übermalen und einen schönen Schein zaubern? Ist nicht Weihnachten sowieso viel zu viel schöner Schein da, der nur eine trübe, manchmal raue und hässliche Wirklichkeit überdecken soll? Es ist gefährlich, gerade an Weihnachten vom schönen Schein zu reden. Leistet man damit nicht Kritikern Vorschub, die Christen vorwerfen, dass sie sich und der Welt nur was vormachen mit ihrem Glauben, der doch nur bestenfalls ein frommes Märchen ist, aber für die wirkliche Welt nichts zählt? Oder trauen wir uns erst recht, vom schönen Schein zu reden, der uns etwas von Gott erfahren lässt, der schon jetzt -und nicht erst in irgendeiner fernen Zukunft Leben und Welt verwandelt, der schon jetzt ganz normalem, einfachem, manchmal schwerem und rauem Leben einen Glanz gibt, den es sich selbst niemals geben könnte? Einen Glanz, der Wirklichkeit nicht künstlich schönt und tarnt, sondern der Leben tatsächlich verändert? Es wird Weihnachten – aber wer ist da zu uns auf die Erde gekommen? Ein romantisch glänzendes Christkind, holder Knabe im lockigen Haar? Oder Gott, der die Welt verändert und durch seine Gegenwart einen schönen Schein in alles Leben bringt?
Ich war zuerst geschockt, als ich gesehen habe, was für diesen Gottesdienst als Predigttext vorgesehen ist. Nichts Weihnachtliches, sondern eine Aussage des erwachsenen Mannes Jesus, der von sich weiß, dass er der Christus, der Gesalbte Gottes ist, und der im Streit mit Menschen, die glauben, Gott genau zu kennen, folgende Aussage macht, die wir im 7. Kapitel des Johannesevangeliums nachlesen können: Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt. „Ihr kennt mich“ – als Jesus das ausrief, hätten die Menschen wahrscheinlich geantwortet: „Du bist der Sohn des Zimmermanns Josef, selber Zimmermann. Du kommst aus einem Städtchen in Galiläa, nicht gerade der Nabel der Welt. Du bist nichts Besonders und maßt dir an, Gottes Sohn zu sein. Du übertreibst.“ Die Wahrheit, so würde ich das, was Jesus zu seinen Kritikern sagt, übersetzen, die Wahrheit kennt ihr nicht, ihr lasst euch vom äußeren Schein leiten.
Und wir heute? Kennen wir wirklich Christus? Wir feiern Weihnachten. Wir feiern die Geburt Christi, wir feiern, dass Gott sich als Mensch erfahren lässt und Leben verändert. Oder feiern wir nur den schönen Lichterschein und die Gemütlichkeit in der Familie oder die Geschenke? Ich finde es irre, gleichzeitig irgendwie schön und doch irritierend und fast traurig, dass Menschen völlig losgelöst von Gott dieses Fest feiern. Nicht nur in China oder Japan, wo es nur sehr wenige Christen gibt, auch in Deutschland. Jesus spielt keine Rolle, aber Weihnachten muss gefeiert werden. Welche Wahrheit wird da gefeiert? Die Wahrheit, dass Menschen Ruheplätze vom Alltag brauchen? Die Wahrheit, dass Menschen manchmal auch Gelegenheit brauchen, sich selbst, ihre Beziehungen, ihre Familie zu inszenieren? Also: Weihnachten nur ein Fest der Scheine? Der Geldscheine und der schönen Scheine in Gedanken, die aber mit der Wahrheit Gottes nichts mehr zu tun haben?
Ich will Christus nicht verharmlosen, ich will ihn nicht zu einem harmlosen Spaßbringer in der Weihnachtszeit machen, an den man einmal im Jahr vielleicht noch von Ferne in Advents- und Weihnachtskonzerten denkt. Aber ich will auch nicht, erst recht nicht, etwas über Menschen sagen, die gerade zu Weihnachten das Bedürfnis haben, Gottesdienste zu besuchen und zumindest den Zipfel einer Ahnung davon bekommen, dass die Wahrheit über das Leben sich eben nicht darin erschöpft, den größten Baum zu haben, die schönsten Geschenke auszutauschen, im Alltag andere möglichst auszustechen und für sich, seine Familie oder seine Gruppe das Meiste rauszuholen oder nach Maßstäben, die andere an uns anlegen, schön, schlank, braungebrannt, muskulös und attraktiv zu sein. Die Wahrheit, den Wahrhaftigen, der mich gesandt hat, kennt ihr nicht. Letztlich sagt Jesus das nicht nur zu den Frommen und Glaubenden seiner Zeit, die nicht glauben konnten, dass sich Gottes Wahrheit ausgerechnet im Sohn eines Zimmermanns offenbart. Auch ich kenne nur Bilder. Er sagt das letztlich auch zu mir, auch zu uns. Wir kennen die Bilder, die Andere uns gemalt haben. Mein Religionslehrer im Gymnasium das Bild eines revolutionären Umstürzlers, meine Oma das Bild eines guten Hirten und treuen Begleiters im Leben, mein Konfirmationspfarrer, meine Eltern, Freunde und Bekannte, und letztlich auch mein eigenes Leben, meine eigenen Erfahrungen im Beten und Hören bei Predigten – das alles hat mein Bild gemalt. Aber es ist nur ein Schein von dem, was die Wahrheit ist, nur ein Bild. Gerade zu Weihnachten wird mir das besonders bewusst. Wir wissen gar nicht, an welchem Tag Jesus tatsächlich geboren wurde. Und wie es drumrum aussah. Da haben wirklich Bilder unser eigenes Bild geprägt. Wir kennen die Wahrheit gar nicht. Wenn jemand heut etwas anderes sagt: Ich glaube, Jesus würde ihm so begegnen wie den Frommen seiner Zeit. Die Wahrheit ist größer als unsere Bilder, anders als unsere Bilder. Weihnachten ist nicht dann, wenn Schnee liegt oder Geschenke verteilt werden oder Lichter an Weihnachtsbäumen angesteckt werden oder die Weihnachtsgeschichte vorgelesen wird. Für mich gehört das dazu. Weihnachten ist dort, wo Gott uns einen Zipfel seiner Wahrheit zu erkennen gibt. Den Schein, der das Leben heller macht, der aber, und da bin ich Realist und das finde ich an dem Bild so schön, noch längst nicht alle Finsternis vertrieben hat. Wir sehen noch nicht alles. Wir können ahnen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wir können uns ein wenig anstecken lassen von dem schönen Schein Gottes, der ein Stück Licht, ein Stück Wahrheit in unser Leben bringt. Ich finde es schön, wenn wir uns an Weihnachten vom schönen Schein anstecken lassen. Nicht, damit wir aus der Wirklichkeit fliehen, sondern damit wir im Bewusstsein behalten, dass nicht das, was uns als Wirklichkeit verkauft wird, nämlich dass Leben käuflich sei, dass es auf Geld und gute Noten ankäme, das letztlich der Erfolg zählte, die Wahrheit ist. Der schöne Schein hält die Sehnsucht nach einer Wahrheit, in der Liebe und Gerechtigkeit sich endlich durchsetzen, wach. Die Wahrheit Gottes, die wir in diesen Tagen feiern dürfen, ist größer als alle Bilder, die wir davon haben. Und wenn wir die Bilder, die wir im Kopf und im Herzen haben, die Bilder, die von anderen inspiriert wurden, wirklich als Bilder annehmen können und nicht mit der Wahrheit selbst verwechseln, dann können wir feiern, dass Gottes Liebe mit ihrem Schein Leben wirklich zum Guten verändern will, dass dieser Schein Seiten in uns anrührt, die wir manchmal nicht wahrhaben können oder wollen. Dass Gott die Welt und ihre Machtverhältnisse nicht bestätigen, sondern verändern will. Dass Kinder Kinder sein dürfen und nicht an den Maßstäben gemessen werden müssen, die Erwachsene als wirtschaftlichen Erfolg definieren, dass Alte alt sein dürfen und nicht so tun müssen, als wären sie mit 80 noch wie 40 oder besser 30. Gott bringt seinen Schein in unsere Welt. Nicht, damit wir uns mit einer geschönten Schein-wirklichkeit zufrieden geben, sondern damit sich auch unsere Wirklichkeit im Schein seiner Wahrheit immer mehr verändert. Und wir Ruhe und Frieden finden. Das Himmelstor ist aufgetan / Alt und Jung sollen nun / Von der Jagd des Lebens einmal ruhn. Das offene Tor um Himmel, durch das Gott zu uns kommt. Der uns einlädt, zur Ruhe zu kommen. Das ist mein Bild. Und wie sieht ihres aus? Amen
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