Text: Joh 3,31-36, Reihe V
Liebe Gemeinde!
Besuch von oben kommt! Wer im Berufsleben steht, der weiß, dass das oft genug mit gemischten Gefühlen verbunden ist. Der Chef kommt – da fallen einem doch gleich alle großen und kleinen Dinge ein, die nicht so gut gelaufen sind. Die möchte man dann nicht so gern zeigen. Schnell noch ein bisschen hier und da was ändern – damit der Chef einen guten Eindruck bekommt. Ob in der Schule die Schulinspektion angesagt ist, ob in der Kirche der Bischof mal vorbeikommt oder ob die eigene Mutter zu Besuch kommt – man will gut dastehen. Wenigstens einigermaßen soll alles in Ordnung gebracht werden. Und gerade beim letzten Besipiel finde ich es wirklich zum Schmunzeln, wie man als längst erwachsener Sohn, als längst erwachsene Tochter, die lange nicht mehr mit den Eltern unter einem Dach lebt, doch darauf achtet, den Maßstäben, die die Mutter in der Kindheit gesetzt hat, einigermaßen gerecht zu werden. Das ist nicht nur bei mir so, das erlebe ich ganz oft. Gut da stehen, nicht enttäuschen, auch wenn dazu ein bisschen getrickst und der Alltag ein bisschen kosmetisch aufgehübscht werden muss. Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich vielleicht sogar dem Aufräumen und Putzen, dem Schmücken und Herrichten der Wohnung vor Weihnachten etwas abgewinnen. Viele versuchen, gerade zu Weihnachten etwas anderes, Schöneres, als den normalen eigenen Alltag zu zeigen. Weil Besuch von oben kommt? Weil man Jesus ein schönes Bild vom eigenen Leben zeigen will oder ihm dadurch, dass man aufgeräumt und alles so schön es geht gemacht hat, zeigen will, dass er wichtig und willkommen ist? Oder weil es einfach dazugehört, weil es alle machen und weil man irgendwie glaubt, nicht dazuzugehören, wenn man es nicht macht?
Eine Zeit lang war ich kritisch gegenüber allen äußeren Weihnachtsvorbereitungen. Und was Deko angeht, bin ich bis heute eher typisch Mann, da habe ich nicht so ein Händchen für. Aber mittlerweile finde ich auch, dass durch Äußerlichkeiten durchaus ausgedrückt werden kann, was einem innerlich wichtig ist. Klar, sehr viele nutzen Äußerlichkeiten zur Selbstdarstellung oder als letztlich innerlich leere Traditionspflege. Aber ich kann nicht über die inneren Einstellungen von anderen urteilen. Ich sehe nur, was vor Augen ist. Tiefer sehen kann nur der, der wirklich den Überblick hat. Der, der von oben schaut, von oben kommt. Der, der wirklich Herr über das Leben ist, neben dem alle irdischen Chefs, Direktoren, Meister, Bischöfe und selbst Mütter blass und klein aussehen. Gott, der in Jesus menschliche Gestalt angenommen hat. Der Leben überblickt, der tiefer sieht, als je ein Mensch das könnte.
Davon redet der Täufer Johannes zu Menschen vor langer Zeit in den Versen aus dem Johannesvangelium, die heute als Predigttext vorgesehen sind und die für mich auf den ersten Blick wenig weihnachtlich daherkommen. Im 3. Kapitel, in den Versen 31-36, werden diese Worte als Teil einer Rede des Täufers überliefert:
„Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“. Grenzenlos leben. Nicht mit der Angst, dass am Ende alles sinnlos und vorbei ist und ich als Mensch auf die Fehler und Versäumnisse festgelegt werde, die ich bei Kurzbesuchen vielleicht überspielen, verschleiern, verstecken kann. Sondern ein Leben, in dem ich mich aufgehoben, geliebt, verändert wissen darf. Ein Leben in Beziehung zu seinem tiefsten Grund, die auch durch den Tod nicht zerstört wird. Nicht nur Besuch von oben, sondern einer, der Leben teilt, schenkt, bereichert. Weil er bleibt. Wie gesagt, dieser Abschnitt aus der Bibel hat auf den ersten Blick wenig Weihnachtliches. Aber für mich machen gerade diese etwas sperrigen Worte deutlich, dass sich das Geschehen, das wir an Weihnachten feiern, nämlich die totale Hinwendung Gottes zum Menschen, nicht auf zwei, drei für viele hoffentlich sehr nette und schöne, für andere anstrengende oder Angst besetzte Tage im Dezember reduziert. Wir feiern, dass Gott sich nicht nur als ferner Weltenlenker, als abgehobener Herrscher verehren lässt, sondern dass er sich in dieser Welt, in aller Armut und Vorläufigkeit zeigt. Dass er dem ganzen Leben, mit Geburt und Tod, mit Bedürftigkeit und allen Missverständnissen, eine wirklich unverlierbare Würde gibt, weil er sich dem Leben ganz ausgesetzt hat. Wir feiern, dass er die Grenzen endgültig sprengt: die Grenzen der Liebe, die sich eben nicht auf ein Volk, eine Rasse, Menschen mit einer bestimmten Bildung oder anderen, von uns gemachten Kriterien, beschränken lässt. Noch nicht mal auf die, die sich besonders bemühen, Gottes Willen gerecht zu werden. Seine Liebe sprengt diese Grenzen. Und auch die Grenze, die der Tod setzt. Auch da hört die Liebe nicht auf. Auch da sind Versöhnung und Beziehung möglich – oder auch unmöglich, wenn das Vertrauen in die Kraft dieser Liebe fehlt Wenn das Vertrauen, dass Leben durch Jesus wirklich neu werden kann, nicht da ist. Mit dem, was in der Rede von Johannes hier „Zorn Gottes“ heißt, sind nicht irgendwelche perversen Höllenstrafen gemeint, sondern eine ewige Beziehungslosigkeit. Natürlich ist das alles bildlich gesprochen. Wir können nicht anders, als von Gott in menschlichen Bildern zu reden. Aber wenn ich im Bild bleibe: Auch in menschlichen Beziehungen ist nicht eine Strafe, eine Ohrfeige, ein Taschengeldentzug, ein Fernsehverbot, eine Lohnkürzung oder eine schlechte Note das wirklich Schlimme, sondern der Abbruch der Beziehung, die totale Sprachlosigkeit. Was mir als Pfarrer manchmal bei Beerdigungen ganz besonders bewusst wird, wenn zum Beispiel zwischen Eltern und Kindern Jahre- oder jahrzehntelang nur noch Schweigen war.
Durch seine Menschwerdung lädt Gott uns Menschen ein, eine dauerhafte Beziehung zu ihm einzugehen. Eine Beziehung, die auch schwere Zeiten, auch Zeiten der Entfernung aushält. Er lädt ein. Er zwingt nicht. Das feiern wir an Weihnachten. Was Weihnachten und dieses Zeugnis des Täufers perfekt zusammenbringt, ist für mich die Ergänzung. Diese Worte, die betonen, dass wir in Jesus wirklich Gott sehen, dass er allein von der Wahrheit Gottes wirklich erzählen kann, weil er sie von Anfang an kennt, sind zwar vielleicht erst beim zweiten, dritten, vierten Hören oder Lesen einigermaßen zu verstehen, aber sie machen deutlich: Bei dem, was der Kern von Weihnachten ist, da geht es um mehr als um ein leibliches Kind, das man gern in den Arm nehmen möchte. Da geht es um mehr als darum, von der Hinwendung Gottes zu den Hirten und anderen, die am Rand stehen zu reden. Da geht es um mehr als um ein gemütliches Fest. Da geht es um eine Sebstoffenbarung Gottes. Gott zeigt uns Menschen sein Wesen. Liebe. Aber eben auch, dass er als Gott immer auch Gott in Beziehung ist. Als Mensch macht er sich in dieser Welt erfahrbar – mit allen Konsequenzen, eben auch mit Hilfsbedürftigkeit eines Kindes. Mit der Armut. In alldem begegnet uns keine romantische Sehnsucht nach einem besseren Leben, sondern der wahre Gott. Und die Weihnachtsgeschichte macht uns deutlich, dass der, der von oben kommt, nicht der ist, der uns von oben herab behandelt. Leicht schleicht sich dieses Verständnis ein. Vielleicht auch, weil sich darin unsere menschliche Erfahrung widerspiegelt, dass die, von denen gesagt wird, sie seien oben – in der Gesellschaft, im Ansehen, in der Firma, oft genug so erfahren werden, dass sie glauben, sie seien bessere Menschen und andere als minderwertig behandeln. Nicht immer, aber die Erfahrungen werden gemacht. Hier ist es anders. Hier steigt Gott von oben hinab, um uns Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Weihnachten, das Kind in der Krippe, und die Worte von Johannes – beide gehören zusammen. Das Zeugnis von Gott, von der Wahrheit gewinnt auf Augenhöhe Gestalt. Und trotzdem nehmen es nicht alle an, trotzdem erkennen es viele nicht. Vielleicht, weil andere Bilder die Wahrnehmung blockieren. Die Bilder eines Gottes, der seinen Macht in Gewalt oder naturwissenschaftlich unmöglichen Wundern zeigen müsste. Der seine Macht darin zeigen müsste, dass alle Menschen in Reichtum leben müssten. Gott erfüllt nicht unsere Wünsche, sondern seine Verheißungen – da stehen wir uns manchmal im Weg. Nicht nur damals, zu Zeiten des Johannes, sondern bis heute. Und bis heute ist die Spannung da, die er beschreibt. Das Gefühl, dass viele scheinbar nichts von dieser frei machenden, Leben schenkenden Botschaft wissen wollen. Selbst zu Weihnachten sind die Besucher der Gottesdienste die Minderheit, auch unter denen, die getauft sind. Da müssen wir uns nichts vormachen. Aber erstens kann man aus äußeren Kriterien wie Gottesdienstbesuch oder Taufe nicht unbedingt schließen, ob jemand die Wahrheit, die Jesus bezeugt, für sein Leben angenommen hat oder nicht. Und zweitens ist die Perspektive, die uns in Jesus begegnet, eine andere. Nicht der Ärger über die, die nicht da sind, sondern die Freude über die, die Kommen. Und die Einladung, die immer wieder ergeht, das Suchen nach denen, die eben noch nicht da sind.
Besuch von oben kommt! Lassen wir ihn rein? Räumen wir auf? Haben wir ein wenig Bammel vor dem, was er vielleicht sehen und von uns denken könnte? Besuch von oben ist da! Gott sei Dank! Und er stört sich nicht an dem, was er sieht, sondern will helfen, Ordnung in unser Leben zu bringen. Damit wir befreit das ewige Leben, die unzerstörbare Beziehung zum Grund unseres Lebens, zur Liebe Gottes empfangen können. Besuch von oben kommt! Gott sei Dank immer wieder auch zu uns. Amen.
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