Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Samstag, 4. Februar 2012
Ich weiß, was Gott will??? - Septuagesimae, 05.02.12, Reihe IV
Text: Jeremia 9,22-23
Liebe Gemeinde!
Woher weiß ich eigentlich, was Gott mir sagen will? Woher weiß ich, was wirklich von Gott kommt, was Gottes Wort für mich ist, und was sich Menschen ausgedacht haben? woher weiß ich, dass ich mir nichts einbilde, wenn ich glaube, dass Gott etwas will, mit mir, für mich, für die Welt? Nicht nur in der Schule oder im Konfirmandenunterricht, nicht nur im Gespräch mit Jugendlichen, mit jungen Erwachsenen tauchen solche Fragen auf. Auch ältere und alte Menschen stellen solche Fragen. Es ist ein Märchen, wenn man denkt, dass im Alter der Glauben an Gott fester und sicherer wird. Bei gar nicht mal wenigen ist es auch so, dass sie im Alter kritischer und zweifelnder werden, weil sie sehr viel erleben mussten, dass ihren Glauben an Gott, der behü-tet, beschützt, der greifbar ist, in Frage stellt. Es sind für mich keine rhetorischen Fragen, wenn junge oder alte Menschen so fragen: „Woher weiß ich, was Gott will? Woher weiß ich, dass ich mir nichts einbilde, nichts vormache, wenn ich glaube? Woher weiß ich, dass mir andere, Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter, Lehrer, Eltern, Großeltern nicht irgendeinen selbst ausgedachten Unsinn erzählen?“
Ich könnte es mir leicht machen. Ich könnte sagen: „Werde still, öffne dein Herz, bete, und dann redet Gott zu dir!“ Ich könnte sagen: „Lies in der Bibel! Da begegnet dir Gottes Wort, da kannst du lesen, was Gott will!“ Ich könnte sagen: „Nimm dir das zu Herzen, was Vorbilder im Glauben getan und gesagt haben oder tun und sagen!“ Ich könnte es mir leicht machen. Nichts von dem ist falsch. Aber wirklich richtig ist auch nichts von dem. Ich weiß nämlich selber nicht, wie es funktioniert. Und ich glaube, dass niemand auf der Welt, auch nicht der frömmste und beste Christ, das wirklich wissen kann. Der erste Schritt, zu erfahren, was Gott mir für mein Leben, was Gott für die Welt, für das Leben überhaupt zu sagen hat, ist es , dass ich mich traue, unsicher zu sein.
Ich muss mich trauen, damit zu leben, dass ich den Glauben und das, was Gott zu sagen hat, nicht so kennen und lernen und wissen kann, wie ich zum Beispiel die Funktionsweise eines Automotors kennen und lernen und wissen und beschreiben kann. Ich muss mich trauen, zuzugeben und zuzulassen, dass Gott größer ist als alle meine Vorstellungen je sein könnten und dass es im Glauben an Gott an erster Stelle nicht um Tatsachenwissen wie in der Schule oder in vielen Berufen und in großen Teilen des Alltags geht, sondern um Ver-trauen und Liebe. Das ist eine Wirklichkeit, die da ist, ohne dass ich sie in feste Formen und Beweise packen kann. Nur mit Beweisen oder Formeln werde ich Gottes Wort, Gottes Willen nicht begegnen. Nur mit Vertrauen kann das funktionieren. Mit Vertrauen, das auch Unsi-cherheit zulassen und zugeben kann. Glauben ist keine Technik und Glauben ist auch mehr, als ein Bekenntnis auswendig zu lernen und aufzusagen. Glauben ist mehr als einfach nur zu sagen, dass ich Jesus mein Leben an einem bestimmten Tag bei einem bestimmten Ereignis übergeben habe. Glauben braucht jeden Tag neu Liebe und Vertrauen.
Ohne Vertrauen werde ich die Worte aus der Bibel oder das, was andere mir sagen, oder das, was ich in mir spüre, wenn ich bete oder ruhig werde, nicht als Wort Gottes oder als Hinweis auf Gottes Willen entdecken können. Das alles ist keine Frage, die erst im 20. und 21. Jahrhundert mit seinen ganzen Fortschritten in der wissenschaftlichen Forschung oder der Technik aufgetaucht wäre. Es ist von Anfang an eine ganz grundsätzliche Frage. Schon die Propheten, die Gott lange vor Jesus in Dienst genommen hat, damit sie an-dere wieder auf die richtige Spur im Leben bringen, hatten damit zu kämpfen, dass Menschen kein Vertrauen hatten. Als Jeremia das im Auftrag Gottes gesagt hat, was wir heute als Predigttext haben, haben viele gedacht: „Was will der denn? Wir leben doch ganz gut, wir haben uns mit unseren Nachbarn arrangiert. Wir opfern Gott regelmäßig und sonst soll er uns in Ruhe lassen. Manche sind eben reich und andere arm. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Und Glauben ist was Schönes für die Feiertage, aber im Alltag nicht so wichtig. Da kommt es auf Geschäftssinn und Härte und politisches Denken an!“ Kritik wollten sie nicht hören. Und Jeremia konnte ja schließlich nicht beweisen, dass er Gottes Wort sagt. Kann ja jeder behaupten. Es ging schief, Die, die glaubten, Gott ist so ganz bequem, haben einen Krieg verloren und teuer bezahlt. Das gute an Gott ist, dass er nach der Niederlage die Menschen nicht aufgegeben hat. Er hat nicht gesagt: „Ich habs ja immer gewusst, mit euch kann man nichts anfangen“. sondern er hat immer wieder Botschaften, Worte, Gedanken und schließlich dann auch Jesus, sich selbst, in die Welt geschickt. Nicht, damit Zorn und Rache und Zerstörung für die Ignoranz der Menschen kommen, sondern damit die Menschen, damit wir merken, dass er es ernst meint mit seiner Liebe. Und Liebe braucht Vertrauen. Bis heute. Was haben wir eigentlich zu verlieren, wenn wir es, gerade was Gott angeht, mit Vertrauen einfach mal versuchen. Mit aller Unsicherheit, die dazu gehört? Zu verlieren haben wir nichts. Aber bis heute viel zu gewinnen. Zum Beispiel gutes Leben, in dem nicht nur wenige reich werden, sondern bei dem es vielen gut geht. Gutes Leben, das auch dann seinen Sinn behält, wenn ich nicht das beste Zeugnis, das meiste Geld oder das schönste Aussehen habe.
Wenn wir das mal mit Jeremia hier, den zwei Versen ver-suchen. Vertrauen wir doch einfach mal probeweise drauf, dass das, was er sagt, von Gott kommt. Was heißt das denn? Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Weisheit – also Klugheit ist nichts, worauf man sich was einbilden und sein Leben gründen kann. Es gibt Menschen, die sind sehr weise, die wissen ganz viel. Aber bessere Menschen sind das nicht. Das ist nicht nur ein Trost für alle, deren Zeugnis jetzt nicht so toll war. Wenn ich mein Selbstwertgefühl oder gar meine Überlegenheit daraus gewinne, dass ich klüger bin als andere – dann komme ich schnell ans Ende. Ich darf stolz sein auf Dinge, die ich erreicht habe. Aber wichtiger und besser macht mich das nicht. Ich denke da auch an Menschen mit Demenz. mit Alzheimer. Die hören ja nicht auf. Mensch zu sein. An Menschen mit geistigen Behinderungen. Aber auch an die vielen, die von anderen einfach nur für dumm gehalten werden.
Und Stärke, egal ob Körperkraft oder politischer Einfluss oder Macht ist sehr vergänglich. wo es hinführt, wenn man sich daran klammert, sieht man in viel zu vielen Diktaturen in der Welt. Reichtum ist vergänglich. Nicht nur der von Herrn Schlecker. Und Herr Pohl ist auch kein besserer Mensch als mancher Hartz IV Empfänger. Es gibt reiche, starke, kluge Menschen. Jeremia bestreitet das nicht im Namen Gottes und er sagt auch nicht, dass es das nicht geben darf. Er sagt nur, dass nichts davon taugt, sein Leben danach auszurichten und seinen Selbstwert darauf aufzubauen. Das einzige, was wirklich weiterhilft, und worauf man bauen kann ist es, Gott zu vertrauen. Gott, der sich Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit äußert. Was haben wir zu verlieren, wenn wir darauf vertrauen, dass das wirklich Gottes Wort und willen für das Leben ist: Barmherzig-keit, Recht, Gerechtigkeit? Nichts. Aber gewinnen können wir ganz viel. Wir können Gott da erkenne, wo Vergebung möglich ist. wo ich so frei werde, andern, die mir etwas schuldig sind, zu vergeben, wo ich erlebe, dass mir vergeben wird. wo Menschen sich erbarmen und wo das Schicksal anderer einem nicht egal ist, sondern wo Menschen sich anrühren lassen. einander Gutes tun, einander helfen, und auch füreinander beten. In Recht und Gerechtigkeit begegnen wir Gott, erfüllt sich sein Wort. eine tolle Vorstellung, finde ich. Nicht da, wo Starke sich nehmen, was sie kriegen können, sondern wo dem, der keine Mittel hat, zu seinem recht verholfen wird. wo nicht das Land, in dem man geboren wurde, nicht der Stadtteil, in dem man aufgewachsen ist, nicht die Schule, die man besucht hat, endgültig über Lebenschancen entscheiden. wo Menschen in Würde altern können. wo Kinder und Jugendliche raum haben. Wo Eltern, die Hilfe brauchen, Hilfe bekommen. Wir leben nicht i n einer perfekten Welt. Und keiner von uns wird die Welt perfekt hinkriegen. Aber wir können darauf vertrauen, dass wir Schritte dahin gehen können. immer wieder. wir müssen vertrauen, dass Gott auch dann da ist, wenn Rückschläge da sind. Ohne das Vertrauen, dass die Liebe, dass Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit am Ende stärker sind als Reichtum, nachprüfbares Wissen, Körperkraft und politische Kraft wird die Welt unerträg-lich kalt. Und das nicht nur in Tagen, in denen sibirische Hochdruckgebiete das Wetter bestimmen. Gebe Gott, dass wir nicht alles wissen wollen bevor wir vertrauen können. Gebe Gott, dass wir fähig werden und bleiben, Vertrauen und Liebe zu schenken und anzunehmen und dadurch leben entdecken, das gut ist. Leben mit ihm. le-ben mit Menschen, die seien geleibten Kinder sind. Leben in seiner geliebten Welt. Leben, das nicht für wenige, sondern für viele wirklich gut wird.
Amen.
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