Text: Römer 10,9-17
Übersetzung: Neues Leben
Liebe Gemeinde!
Eine kleine Reise in die Zukunft. Nicht besonders weit, nur bis zum 8. Mai 2011. Dann wird, so Gott will und wir leben, hier in der Thomaskirche der Konfirmationsgottesdienst gefeiert. Die Konfis, die dann da stehen, werden auf die Frage, ob sie an Gott glauben und ob sie bereit sind, mit Jesus Christus zu leben, mit „Ja“ antworten. Mit dem Mund bekennen sie. Klar, es wäre ja auch peinlich, wenn im wirklich allerletzten Moment das schöne Fest abgesagt werden müsste. Aber ob wirklich alle im Herzen glauben, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, so wie Paulus es als Grundvoraussetzung einer rettenden und guten Beziehung zu Gott beschreibt? Nicht nur manche Erwachsene, sondern auch Mitkonfirmanden sagen: „Der Sowieso macht‘s doch nur wegen der Geschenke!“ Oder: „Die Andrername macht’s nur, weil ihre Mutter das will und weil die Freundin auch dabei ist!“ Aber welcher Mensch kann schon ernsthaft ein Urteil über den Glauben eines anderen fällen? Wir sehen das Verhalten. Wir hören das, was Kinder, Jugendliche und Erwachsene sagen. Wir ziehen Schlüsse daraus. Wir bilden uns ein Urteil. Manchmal ist es sicher richtig. Manchmal ist es knapp und manchmal total daneben. Das liegt nicht nur daran, dass wir Menschen nie vollständig in einen anderen hineinsehen können und ihn wirklich gerecht und richtig beurteilen können. Das liegt nicht nur daran, dass wir alle unsere Grenzen haben und alle dazu neigen, andere nach dem zu beurteilen, was wir für uns als richtig erkennen. Es liegt vor allem, dass der Glauben an Gott keine mechanische und vorhersehbare Angelegenheit ist, sondern höchst lebendig. Glauben passiert im Leben. Und Leben ist kein Stillstand, sondern es wächst. Es verändert sich mit den Menschen, denen wir begegnen, mit den Erfahrungen, die wir machen. Dort, wo sich immer wieder so viel Neues ergibt, kann Glauben nicht vorhersehbar sein, sondern er entwickelt sich, er lebt. Weil wir Menschen leben, vor allem aber, weil wir an einen lebendigen Gott glauben. Glauben ist lebendig und dynamisch. Das ist das Eine. Das Zweite hängt damit zusammen. Glauben ist etwas zutiefst Persönliches. Im Glauben geht es um mich und Gott. Niemand kann mich vertreten, außer Jesus. Menschen können Spuren legen, können mir helfen, wenn ich müde werde, zweifle oder verzweifle, wenn ich nach einem Anfang suche. Eltern und Paten können bei der Taufe ganz ehrlich und mit bestem Gewissen versprechen, dass sie dem Kind helfen wollen, einen Weg zum Glauben zu finden. Und sie können in der Erziehung alles dafür tun. Aber glauben muss das Kind dann selber. Und weil jedes Leben anders ist, entwickelt sich auch jede Beziehung zu Gott ganz besonders – oder sie entwickelt sich vielleicht gar nicht oder sehr spät oder ganz anders. Und jetzt kommt noch etwas Drittes dazu. Obwohl Glaube so persönlich ist und so dynamisch und lebendig, bleibt er doch nicht nur auf mich beschränkt. Wenn ich Jesus wirklich als den Herrn bekenne, dann hat das auch Auswirkungen auf meinen Umgang mit Politik, mit den Menschen um mich herum, mit der Art, wie ich in meinem Stadtteil, in meiner Schule, in meinem Betrieb arbeite, lebe, mich engagiere.
Zu kompliziert für den Sonntagmorgen? Vielleicht. Aber das ist keine Erfindung von mir, sondern das sind genau die Fragen und Beobachtungen, die Paulus schon vor knapp 2000 Jahren gehabt und gemacht hat und über die er hier schreibt. Paulus muss feststellen: obwohl Gottes Wort und seine Liebe für alle Menschen, Juden und Nichtjuden, da ist, und obwohl er, der er sich ja selbst als Juden versteht, alles tut, dieses Wort gut und richtig weiterzusagen, kommt es nicht bei allen gleich an und weckt nicht überall die Sehnsucht, Jesus als den Retter zu bekennen.
Es gibt kein vorhersehbares Gesetz, wie Menschen zum Glauben kommen. Keinen Weg, der für alle gleich und richtig ist und an dessen Ende garantiert der Glauben steht. Paulus schreibt keine garantiert wirksame Ge-brauchsanleitung für den Glauben, sondern eine Einla-dung, es mit dem Glauben zu versuchen.
Wer mit dem Mund bekennt, dass Jesus der Herr ist, wird gerettet. Das schreibt Paulus. Glauben fordert Mut. Den Mut, dazu zu stehen und es auszusprechen, nicht nur für sich zu behalten, dass Jesus der Herr ist. Das ist schon ein großer Schritt. Sich nicht zu verstecken, sondern zu etwas zu stehen. Macht angreifbar. Glauben ist eben nicht unbedingt das, was allgemein als cool gilt. Aber was heißt das eigentlich, „Jesus ist der Herr“? Herr ist derjenige, vor dem ich wirklich höchsten Respekt habe. Herr ist derjenige, dem ich mein Leben anvertraue. Wenn ich Jesus als den Herrn bekenne, dann erteile ich dem eine Absage, der mir weismachen will, dass sich der Wert eines Lebens nach der Schule oder der Uni bemisst, die ich besucht habe. Oder nach dem Geld, über das ich verfügen kann. Oder nach der Logik, dass ich Schwächere gnadenlos ausnutzen darf, wenn sie sich nicht wehren. Jesus steht für die versöhnende Liebe, mit der Gott Menschen begegnet. Schuld wird vergeben und nicht aufgerechnet. Hilfe bekommt der, der sie braucht – unabhängig von Nationalität, Bildung, Glauben, Reich-tum. Dafür steht Jesus. Nicht für die Abgrenzung, sondern für die Liebe zu allen Menschen. Hier wird Glauben enorm politisch. Liebe heißt nicht, die Augen davor zuzumachen, dass es Menschen gibt, die kriminell sind, die ihren Glauben missbrauchen, die Hass säen. Liebe heißt, die Probleme zu sehen, den Menschen zu sehen und nicht ganze Nationalitäten oder Men-schengruppen für die Taten einzelner verantwortlich zu machen. Jesus als den Herrn zu bekennen heißt eben auch, Ungerechtigkeit beim Namen zu nennen und dort, wo ich es kann, für Gerechtigkeit einzutreten. In der Schule, im Berufsleben, im Stadtteil, in der Nachbarschaft - aber eben auch im größeren Maßstab. Das kann nicht jeder. Aber jeder kann die, die das tun, unterstützen.
Wenn du in deinem Herzen glaubst, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet und von Gott gerecht gesprochen werden, so heißt es bei Paulus weiter. Im Herzen glauben – heute denkt man, da käme es auf das Gefühl an. Aber als Paulus das geschrieben hat, war das Herz nicht der Sitz des Gefühls, sondern auch des Verstandes. Das Zentrum des Menschen. Vielleicht kann man es heute ja auch so übersetzen Wenn du drüber nachgedacht hast und es ganz und gar spürst, dass es für dein Leben wichtig ist: Gott hat Jesus nicht tot gelassen, sondern er lebt, dann wirst du gerettet. Vielleicht auch nicht leichter zu verstehen. Ich gebe es zu. Gott ist stärker als der Tod, das ist die entscheidende Botschaft. Jesus ist mehr als ein netter Lehrer, in ihm begegnet uns Gott selbst. Dein Leben hat eine Perspektive, nämlich die, das mit deinem Tod nicht alles aus ist. Die Angst vor dem Versagen soll dich nicht lähmen, sondern du kannst schon jetzt etwas von dem umsetzen, was an Liebe und Vergebung und Gerechtigkeit von Jesus vorgelebt wurde. Darum geht es. Das ist die Rettung. Die Rettung aus der Angst, zu versagen, aus der Angst, nicht gut genug zu sein. Aus der Angst, dass wir für alles allein sorgen müs-sen. Aus der Angst, nicht genug zu bekommen und des-halb anderen was wegnehmen zu müssen. Gott hat uns durch Jesus und durch seine Auferstehung viel mehr ge-geben, als wir uns vorstellen können. Deshalb können wir schon jetzt leben – ohne Angst.
Tja, wenn das so einfach wäre. Wie gesagt, Paulus macht auch die Erfahrung, dass diese frohe Botschaft nicht von allen gehört wird. Oder werden will. Er merkt auch, dass manche dem, was erzählt und vorgelebt wird, Vertrauen schenken und es mit dem Glauben wagen. Andere aber nicht. Und er merkt immer wieder, dass der Glaube le-bendig ist. Glauben ist keine einfache Linie, die immer nur nach oben zeigt. Es gibt Einbrüche, Abbrüche, Neu-anfänge. Paulus schreibt, dass das Bekennen und der Glauben Hören und Verkündigen brauchen. Glauben wächst, wo das lebendige Wort Gottes gehört und ver-kündigt wird. Damit ist aber wohl nicht gemeint, dass man einfach nur in Konfer oder bei der Sonntagspredigt gut zuhören müsste, und schon fängt der Glauben an zu wachsen. Hören, so, wie Paulus es versteht, ist mehr als nur stillsitzen und zuhören. Es ist mitdenken, mitmachen, ausprobieren. Es ist etwas Aktives. Und verkündigen ist mehr als nur ein paar schlaue Sätze sagen. Es heißt auch: vorleben, da sein, ansprechbar sein, auf Fragen reagieren. Ohne beides geht es nicht. Ohne Vorbilder, ohne eigenes Tun. Aber eine Garantie, dass das reicht und dass das klappt, gibt es auch nicht. Glauben ist ein Abenteuer. Deshalb freue ich mich, wenn Jugendliche abenteuerlustig und es probieren. Konfer, Gottesdienste, dass sind kleine Schritte, mehr nicht. Wie ernst sie gemeint sind, wohin sie führen: da können wir nur Gott vertrauen. Und uns Erwachsenen geht es doch oft ähnlich. Glauben ist ein Geschenk, das das Leben schöner macht. Weil er hilft, auch mit den dunklen Seiten im Leben, bei mir zurechtzukommen. Weil er hilft, auch bei anderen nicht nur das Dunkle zu sehen, sondern Hoffnung zu behalten. Über die Zeit, die uns hier gegeben ist, hinaus. Aber es ist ein Geschenk, das man manchmal ziemlich weit nach hinten ins Lebensregal stellt. Gut, dass Gott es uns nicht wegnimmt und wir es immer wieder nach vorne holen dürfen. Gut, dass es andere, die uns begegnen, manchmal nach vorne stellen. Gut, dass die Konfirmanden genauso wie jeder andere Erwachsene dieses Geschenk bekommen. Was daraus wird, wann ein Mensch es auspackt – das dürfen wir nicht nur in Gottes Hand legen, das müssen wir sogar dort hinein geben. Sonst wird aus seiner Einladung menschlicher Zwang und nicht göttliche Gnade.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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