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Samstag, 16. Mai 2009

Da hilft nur noch beten... - Rogate, 17.05.09, Reihe V

Text: Matthäus 6,7-13
Liebe Gemeinde!
Wer kriegt am Ende seinen Willen? Derjenige, der kurz und knapp und sachlich sein Anliegen erzählt und auf Entscheidung wartet oder derjenige, der laut rumschreit, der nervt, lang und breit erklärt, warum gerade er seinen Willen kriegen muss, der das geschickt verpackt und so lang drumrumredet, dass man froh ist, ihn wieder loszuwerden? Ich habe den Eindruck, dass viel zu oft der zweite Typ kriegt was er will. Quengeln, dem Gegenüber in den Ohren liegen, bis sie anfangen zu bluten, auch Kinder und Jugendliche lernen schnell, dass das eine erfolgreiche Strategie bei Eltern sein kann. „Darf ich heute Abend länger weg, die anderen dürfen es auch!“ „Nein, morgen musst du zur 1. in die Schule!“ Welches Kind gibt sich damit zufrieden? Ich will jetzt die Diskussion nicht nachspielen, die kann sich viel zu lang ziehen und ich hab mir doch vorgenommen, weniger zu reden. „Du brauchst nicht zu quengeln und viele Erklärungen nachzuschieben, Gott kennt dich schon längst! Ihn brauchst du nicht zu überreden, er weiß, was du brauchst!“ Jesus macht denjenigen, die auf Gott vertrauen, Mut, auf den Punkt zu kommen. Ich finde es entspannend, dass Gott nicht danach entscheidet, wer am Besten schwätzen kann oder welche Nervensäge er am schnellsten wieder loswerden will. Nicht die klugen, gebildeten Redner und nicht die gnadenlosen Schwätzer sind im Vorteil, sondern diejenigen, die wirklich was wollen und was brauchen. Und die das dann mit ganz einfachen Worten auch sagen.
Aber warum soll ich überhaupt beten, wenn Jesus doch sagt: „Gott weiß, was ihr braucht, schon bevor ihr ihn darum bittet.“ Ja, Gott braucht unser Gebet nicht. Aber wir Menschen brauchen das Gebet. Und deshalb ist es alles andere als sinnlos. So wie ich als Mensch mit Eltern, mit Menschen, die mir was bedeuten, mit Menschen, von denen ich merke, dass sie mir gut tun, ja nicht nur rede, weil ich ihnen was abschwätzen will, sondern weil ich eine Beziehung habe, aufbauen oder festigen will, so ist das auch ein bisschen mit Gott. Das für eine gute Beziehung Wichtige ist ja nicht, dass jeder Wunsch erfüllt wird, sondern dass ich weiß: da ist jemand, dem kann ich meine Sorgen genauso sagen wie das, worüber ich mich freue. Der hört zu, der nimmt mich ernst, der macht mich nicht fertig und nützt mich nicht aus, auch wenn nicht alles, was ich will, in Erfüllung geht. Das Gebet ist kein magisches Zaubermittel, sondern unsere menschliche Möglichkeit, Beziehung zu Gott auszudrücken und in Beziehung zu Gott, dem Grund, der Quelle des Lebens und der Liebe zu leben. Und wie das bei Beziehungen von uns manchmal so ist: Da gibt es Zeiten, in denen hat man sich ganz viel zu sagen, da ist man ständig in Kontakt - und dann gibt es Zeiten, in denen verliert man sich ein bisschen aus den Augen. Wie gut eine Beziehung wirklich ist, kann man manchmal auch daran erkennen, dass sie auch solche dürren Zeiten übersteht. Und ich glaube, dass das auch für unsere Beziehung zu Gott gilt und für unser Gebet. Gott läuft nicht weg. Gott bleibt, auch wenn wir uns vielleicht manchmal schwer mit dieser Beziehung tun. Und wenn wir dann wieder Kontakt aufnehmen, in Beziehung treten, dann kriegen wir eben keine Strafpredigt und auch nicht die Frage gestellt, warum wir uns denn so lange nicht gemeldet hätten. Wie das klappen kann, Beten weder als Zaubermittel zur Wunscherfüllung zu sehen, noch als Pflichtübung, sondern als Beziehungspflege, wie ich auch dann, wenn es mir schwer fällt, die richtigen Worte finde: Jesus macht einen Vorschlag, wie das gehen kann. Das Vaterunser. Da steckt alles Wichtige drin. Ich finde es ganz gut, sich mal mit dem zu beschäftigen, was in jedem Gottesdienst gesprochen wird, was man spätestens in Konfer auswendig gelernt hat und was ich auch am Ende jeder Konferstunde bete. Sind die Worte hohl und leer, weil sie nichts Neues mehr sind und jeder sie spricht, weil sie keine eigenen Worte sind und auswendig gesagt werden oder steckt mehr dahinter? Für mich steckt, wen wundert’s, mehr dahinter. Da ist zum einen die Möglichkeit, überhaupt was Sinnvolles zu sagen, auch wenn mir die Beziehung zu Gott schwer fällt und sie dürr zu werden droht. Oder wenn mir die Worte fehlen, weil ich einfach nicht mehr weiter weiß. Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mit ihrer Familie und ein paar Freundinnen von ihr am offenen Sarg einer 14-jährigen, die ich kurz vorher konfirmierte, stand. Das einzige, was ging, was weder peinlich noch aufgesetzt war, war ein Vaterunser.Und da ist auch die Verbindung, die dieses Gebet schafft. Es wird nicht nur in Deutschland und nicht nur von Evangelischen und nicht erst seit vorgestern gesprochen. Ich war mal in Russland in orthodoxen Gottesdiensten. Alles war mir fremd. Aber als das Vaterunser gebetet wurde, auch wenn es in einer fremden Sprache war, konnte ich das merken und auf meine Art mitbeten.

Aber für mich ist es vor allem der Inhalt, der dieses Gebet wichtig macht. Das fängt schon bei der Anrede an. „Vater unser oder unser Vater“. Gott ist nicht der, dem die Menschen egal wären und der weit weg ist. Jetzt sind nicht alle menschlichen Vaterbeziehungen gut. Aber Gott als Vater anreden zu können heißt, eine Beziehung zu ihm zu haben, die über das Zufällige hinausgeht. Eine Beziehung, die nicht ausgelöscht werden kann. Eine Beziehung, die auch Auseinandersetzungen mit sich bringt, die aber, wie im besten menschlichen Fall, an diesen Auseinandersetzungen wächst. Und die vor allem, wieder wie im besten, leider nicht in jedem, menschlichen Fall, von Liebe, Zuwendung und Fürsorge geprägt ist. Und eine Beziehung, die uns Menschen, die wir ihn so anreden dürfen, über alle Unterschiede hinweg zu einer großen Familie verbindet. Für mich seid ihr drei, die ihr heute getauft worden seid, gerade hierfür ein tolles Beispiel. Eure Familie ist ja wirklich groß und bunt und in vielem ganz unterschiedlich. Aber so, wie ich euch kennen gelernt habe, so, wie ich z.B. eure wkw-Seiten erlebe, ist das Bewusstsein da, dass ihr trotz allem, was bunt und unterschiedlich ist, zusammengehört. Wenn das bei den Menschen, die an Gott glauben und ernsthaft das Vaterunser beten, auch so ist, dann wäre wirklich was gewonnen. Aber Was beten wir eigentlich, wenn wir mit Gott, den wir Vater nennen können, reden? „Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme“ - Das ist für mich nichts, was irgendwo weit weg, bei anderen spielt, sondern bei mir: „Hilf mir, deinen Namen heilig zuhalten, dich nicht für meine Bequemlichkeit in Anspruch zu nehmen und deinen Namen, der die Liebe ist, nicht in den Dreck zu ziehen. „Dein Reich komme“ - nicht irgendwo, sondern auch bei uns, auf dieser Welt, lass Frieden und Gerechtigkeit nicht nur wachsen, sondern zur alles bestimmenden Kraft werden. Damit keinem Menschen mehr gesagt wird, er sei nichts wert, damit alle wirklich leben können und keiner ausgebeutet wird. „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“ - für mich der Kernsatz des Gebets. Eben nicht nur irgendwo in einem Jenseits, sondern hier in dieser Welt soll sich Gottes Wille zum Guten verwirklichen. Und hilf mir, meine Wünsche von deinem Willen zu unterscheiden. Und gib mir die Einsicht und die Kraft, dich, Gott zu verstehen. Ich vertraue dir, dass du es besser meinst, als ich manchmal denke und glaube. Für mich steckt das alles und noch vielmehr in diesem Satz. So wie auch in der nächsten Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Martin Luther hat einmal gesagt, dass Gott auch ohne unsere Bitte bösen Menschen Brot gibt, dass es hier darum gehe, Gottes Zuwendung auch zu erkennen und dankbar zu bleiben. Denn zum täglichen Brot gehört viel mehr als nur Nahrung. Luther sagt, es ist „alles, was not tut für Leib und Leben“. Und in seiner Aufzählung fehlen fromme Kinder und Eheleute genauso wenig wie eine gute Regierung, Schuhe, gute Freunde, Geld, Gesundheit und gute Nachbarn. Dafür lohnt es sich doch wirklich, zu beten. Wo das fehlt, tut’s weh, das merken wir doch fast täglich. Und die Bitten darum, Vergebung annehmen zu können, was ja auch manchmal schwer fällt und anderen vergeben zu können, sind für unseren Alltag genauso nötig wie die Bitte darum, nicht in Versuchung geführt zu werden, das Böse, das sich oft so einladend und leicht präsentiert, zu tun und vor Bösem bewahrt zu werden. Zuzugeben, dass ich Schuld bin, dass ich anderen weh tue, fällt nicht leicht. Und dann für sich anzunehmen, dass der andere mir wirklich vergibt, auch nicht. Denn ich kenne mich ja: mein Verlangen, dass der andere für das, was er mir getan hat, gefälligst bezahlen soll, ist oft genug größer als die Bereitschaft, es gut werden zu lassen. Lass es anders sein, Gott, lass uns das Trennende überwinden. Vielleicht kann man es auch so ausdrücken. Macht nicht viele Worte, vertraut dem, der das Leben und die Liebe ist - vielleicht kann man das, was Jesus gesagt hat, auch so zusammenfassen. Und jetzt hab ich schon wieder so viele Worte gemacht. Ich bin jetzt endlich ruhig und wünsche uns, dass wir uns trauen, die Beziehung, die Gott uns anbietet, auch von uns mit Leben zu füllen.

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