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Donnerstag, 26. März 2009

Ratlos - Okuli, 15.03.09, Reihe I

Text: Lukas 9,57-62

Liebe Gemeinde!
Es gibt Momente, wenn ich mir überlege, was ich im Gottesdienst am Sonntag sagen will, da würde ich am liebsten die Bibel in die Ecke schmeißen und Gott zurufen: „Das kannst du doch nicht ernst meinen!“ Ich weiß nicht, wie es Ihnen und Euch ging, als ich eben den Text vorgelesen habe, der für heute als Predigttext einfach dran ist. Ich fand ihn schon nicht gerade einfach, als ich mir Ende letzter Woche mal angeschaut habe, was dran ist. Aber als es dann mit der Gottesdienstvorbereitung ernst wurde, hätte ich ihn am liebsten aus der Bibel rausgerissen. „Lasst die Toten ihre Toten begraben!“ Sie werden es nachher vor den Fürbitten hören, in dieser Woche sind einige aus unserer Gemeinde gestorben beziehungsweise begraben worden. Und dann am Mittwoch der sinnlose Tod von 16 Menschen in Winnenden. „Lasst die Toten ihre Toten begraben!“ Was würden die Kinder, die Lebensgefährten, Verwandten, Freunde der Toten aus unserer Gemeinde dazu sagen? Was würden die Eltern, die Geschwister, Mitschüler, Kollegen, Freunde der Toten dazu sagen? Ich weiß es natürlich nicht. Aber wenn ich mir vorstelle, in so einer Situation zu sein, dann würde ich vielleicht sagen: „Was will Gott eigentlich? Da stirbt jemand, den ich lieb hatte, da wird mir mein Herz rausgerissen und dann soll ich noch nicht mal das Letzte, was ich noch tun kann, tun dürfen? Lass mich doch in Ruh!“ Gott macht es uns nicht leicht mit ihm. Er versteckt sich manchmal ziemlich gut. Ausgerechnet heute, wo wir eine Taufe feiern, von Xenia, einem quirligen und lebenslustigen Mädchen, so ein schwerer Text. Und so eine schwere Woche. Und das mit den Toten, die die Toten begraben sollen, ist ja nicht die einzige Zumutung in dem, was Jesus hier sagt. Einer, der mit Jesus gehen will, möchte sich noch von seiner Familie verabschieden. Eigentlich ist ja schon das eine Zumutung, dass ein Mann, damals tatsächlich Ernährer der Familie, die, die mit ihm leben, um Jesu willen verlassen will. Und dem sagt Jesus auch noch „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes!“ Mir kommen sofort die Väter in den Sinn, die sich auch oft genug einfach so von der Familie abgemacht haben. Die sich oft jahrelang noch nicht mal zum Geburtstag der Kinder gemeldet haben. Klar, ich könnte jetzt sagen, es ist doch ein Unterschied, ob ich die, die zu mir gehören und die mich brauchen, wegen einer anderen Frau verlasse oder weil ich zu viel saufe oder ob ich sie wegen Jesus verlasse. Aber ob die, die gruß- und kommentarlos zurückbleiben, die Frauen und Kinder, den Unterschied wirklich merken?
Sie merken, ihr merkt, dass ich mit dem, was Jesus hier sagt, nicht wirklich ins Reine komme. Und trotzdem wollte ich uns allen das nicht ersparen. Weil mir wichtig ist, dass ich eben nicht der einzige bin, der das hört, was hier gesagt wird, was Jesus sagt. Vielleicht hört ja auch gerade heute, gerade in dieser Woche, jemand, der trauert, jemand, dessen Vater, Mann oder Lebensgefährte sich aus dem Staub gemacht hat, diese Worte von Jesus ganz anders. Vielleicht kann man ja in dem, was sich so hart anhört, auch eine Hoffnung hören: Gott ist ein Gott, der Zukunft schenkt. Wenn wir an Gott glauben, wenn wir uns für ein Leben mit Jesus entscheiden, dann geht es um die Zukunft. Gott lässt uns nicht in alten Bindungen, die ja auch oft genug wirklich fesseln und Leben verhindern. Diese Hoffnung macht manchmal auch heimatlos. „Die Füchse haben Gruben und die Vögle haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlegt“. Vielleicht merkt man ja schon, dass gerade dann, wenn man an Gott glaubt, vieles, was anderen oft für so furchtbar wichtig gehalten wird, seinen Wert verliert. Vielleicht beim Thema Geld, wenn so viele einem weismachen, dass man viel davon braucht. Wer nimmt einen Ernst, wenn man sagt: Geld ist mir egal? Vielleicht beim Thema Freundschaft, die viele über alles stellen. Aber wo hört sie auf? Wann muss ich einschreiten, was sagen, einen Freund, der was wirklich Böses tut, vielleicht auch verraten? Wie ist das, wenn meine Freundin oder mein Freund sagt: „Ich hab so nen Hass auf die Lehrer, die haben mir meinen Abschluss versaut, die leg ich um?“ Wie ist das, wenn der beste Freund seine Frau, seine Kinder betrügt? Wie ist das, wenn der Vater prügelt, die Mutter säuft? Familie ist alles? Um jeden Preis? Vielleicht hört ja jemand, der es dringend braucht, diese Worte Jesu so, dass er hört: „Unsere Beziehung gibt dir die Kraft, anders zu sein, den Mut, Richtiges zu tun, auch wenn du allein da stehst, den Mut, nach vorne zu schauen!“ Wie oft lassen wir uns denn von so genannten Sachzwängen einschüchtern, irre machen? Auch in der Kirche, gerade da! Warum fällt es uns denn so schwer, statt in Kirchengebäude in Menschen zu investieren? Weil wir uns daran gewöhnt haben, dass alles schon immer so war? Ich wünsche uns, dass wir die Worte Jesu als uns manchmal vielleicht fremde Hoffnung hören und nicht als Anfechtung, so wie ich sie im Moment höre. Was mir hilft, sie trotzdem zu hören, sind Worte von einer Wand im Warschauer Ghetto. Aufgeschrieben von einem Juden, kurz bevor er vergast wurde im Angesicht der Verfolgung und des Leides: „Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre. Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe!“ Ja, manchmal sehe ich ihn nicht. Aber vielleicht sieht ihn ja dann jemand anders. Und die Hoffnung, dass ich ihn wieder sehe, die habe ich. Und vielleicht braucht es ja gar nicht so viele Worte vom Pfarrer. Meine Konfis sagen sowieso, ich rede in der Kirche zu viel. Manchmal haben sie bestimmt auch Recht damit. Deshalb will ich den Worten von Jesus jetzt auch wirklich die Chance geben, bei jedem das zu wecken, was jetzt wichtig ist. Sie haben die Worte bekommen. Und ich verspreche ihnen, dass ich IHM jetzt nicht mehr dazwischen rede.
LANGE PAUSE
Und der Friede Gottes…
Amen

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