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Freitag, 20. Juni 2008

Alles wird gut!?! - 5. Sonntag nach Trinitatis, Reihe VI

Text: 2. Thessalonicher 3,1-5

Liebe Gemeinde!

Wie geht es jetzt weiter mit Emily, Luise und Evelina, die wir heute getauft haben? Wie geht es weiter mit Pascal und Johanna, die gestern getauft wurden? Alle fünf Kinder, die wir an diesem Wochenende getauft haben, leben mit ihren Eltern in der Chemnitzer Straße. Für Luise und Evelina ist schon klar, dass sie bald ein neues Zuhause haben, bei den anderen ist noch nicht klar, wo die Familie wohnen wird, wenn noch etwas zeit vergeht. Wenn die fünf gesund bleiben, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, je nach Wohnort zwischen 70 und 90 Prozent, dass sie sich mal konfirmieren lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie einmal auch in der Kirche heiraten liegt bei etwa 50 % und die, dass sie ihre eigenen Kinder taufen lassen, wieder bei 90 %. Die Taufe hat den Beginn des Lebens mit der Kirche markiert und die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht mal so gering, dass sie der Kirche auch erhalten bleiben. Aber sind solche Wahrscheinlichkeitsberechnungen wirklich das Entscheidende, wenn es um die Zukunft von Menschen und damit auch die Zukunft von Kirche geht? Rechenbeispiele täuschen eine Sicherheit vor, die wir nicht haben. Das Leben von jedem einzelnen von uns bleibt, Gott sei Dank, einzigartig und damit unberechenbar.

Das kann manchmal Angst machen. Als Eltern, weil man natürlich gern wissen möchte, dass den Kindern nichts Schlimmes passiert. Man möchte das Beste für sein Kind. Und man spürt doch immer wieder, dass sich längst nicht alles berechnen lässt und sich vieles anders als gedacht entwickeln wird. Aber auch für uns als Kirche, als Gemeinschaft der Getauften, ist es der Blick in die Zukunft nicht immer ohne Angst. Für das eigene Leben, für das was da vielleicht noch kommen mag. Aber auch für die Kirche, so wie wir sie kennen und gewöhnt sind. Da hat sich vieles geändert und sehr viel mehr wird sich noch ändern. Nach außen hat die Kirche in Deutschland, auch hier auf dem Richtsberg, ja viel an öffentlichem Einfluss verloren. Und es gibt genug Leute, auch hier auf dem Richtsberg, denen die Kirche egal ist.

Was wird kommen? Wir wissen es nicht. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass etwas kommen wird, was wir aushalten können. Dass etwas kommen wird, was uns leben lässt, vielleicht in neuen, anderen Bahnen, dass wir aber auch da, wo manches anders als gewollt oder anders als gewohnt verlaufen wird, am Ende wirklich Gott nahe sein werden, so, wie er uns jetzt schon nahe ist. Die Taufe, von jedem einzelnen Menschen, aber auch von uns allen als Gemeinschaft der Getauften, die lässt uns ganz tief in Gott verankert sein. In allem, was im Leben kommen kann. Das fällt einem bestimmt leichter zu glauben, wenn es einem gut geht. Wenn ein Schulabschluss gelingt, wenn an eine gute Arbeitsstelle bekommt, wenn man gesund ist, sich verliebt, eine glückliche Beziehung hat, gewollte und geliebte Kinder. Wenn man zu einer Kirchengemeinde gehört, die wächst und in der die Kirche kaum ausreicht, weil so viele Menschen in den Gottesdienst kommen. Wenn man krank ist, wenn hinten und vorne das Geld fehlt, wenn man gar von einem lieben Menschen viel zu früh Abschied nehmen muss, wenn man das Gefühl hat: „Bei uns in der Kirche geht’s nur noch abwärts“, dann fällt Vertrauen und Hoffnung viel schwerer.

Wie kann das wachsen, Vertrauen und Hoffnung, gerade dann, wenn man Erfahrungen macht, dass nicht alles gerade und gut läuft und dass der Glauben an Gott nicht unbedingt etwas Selbstverständliches und Einfaches ist? Ich finde, dass es helfen kann, mal nachzuschauen, was in der Bibel so steht. Das ist kein vor Jahrtausenden geschriebenes Buch in einem Deutsch, das für Menschen heute oft schwer verständlich ist, sondern da geht es um ganz grundsätzliche Lebenserfahrungen, die Menschen mit ihrem glauben, mit ihren Problemen, mit Gott machen. Um Erfahrungen, die wir heute auch noch machen. Die Christen, die Gemeinschaft der Getauften, an die der 2. Thessalonicherbrief geschrieben wurde, die haben auch die Erfahrung gemacht, dass es nicht immer und überall leicht fällt, an Gott zu glauben. Und dass es Menschen gibt, die einen irre machen. Absichtlich oder unabsichtlich. Und der Apostel, der den Brief geschrieben hat, hat auch genau diese Erfahrungen gemacht. Auch für den, der sich wirklich auf Gott verlässt, läuft nicht immer alles nach Wunsch. Und trotzdem lohnt es sich, zu vertrauen und zu hoffen. Der Apostel schreibt im 3. Kapitel des Briefs:

Betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen. Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.

„Der Herr ist treu. Er wird euch stärken und bewahren vor dem Bösen.“ Das ist das Grundbekenntnis, von dem alles andere erst möglich wird im Leben. Gott lässt dich nicht fallen. Du wirst es schaffen, einen guten Weg zu gehen. Du, Gemeinde, du, Mensch. Weil Gott mit dir geht. Der Satz, der unmittelbar danach kommt, hört sich erstmal sehr bedenklich an: Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Denkt nicht nach, macht, was ich sage, das wird schon richtig sein. So kann man den Satz verstehen, was aber falsch wäre. Es geht nicht darum, kritiklos, willenlos zu folgen, sondern auf dem Weg zu bleiben, den Jesus als Weg ins Leben gezeigt hat. Auf dem Weg der Liebe, des Vertrauens, der Besonnenheit, des Miteinanders, des Daseins für den Nächsten, auf dem Weg der Vergebung. Auf dem Weg, der zum Guten führt. Nicht nur als Eltern hat man immer wieder Bedenken, dass das so vielleicht nicht klappt. Dass ein Kind, ein Jugendlicher, ein Freund oder eine Freundin einen falschen Weg einschlägt. Aber ohne Vertrauen geht es nicht. Man kann andere Menschen, weder Kinder noch Jugendliche oder Erwachsene nicht festbinden und nicht zum Glück zwingen. Wo das geschieht, dort ist es mit der Liebe Gottes aus. Weil dort nicht der einzelne Mensch mit seinem Recht auf ein ganz eigenes Leben, auf eine ganz eigene Beziehung zu Gott im Mittelpunkt steht, sondern mein Bild davon, wie eine Beziehung zu Gott, wie Glauben auszusehen hat und dem sich alle anpassen müssen. Wenn ich nicht loslassen kann, im Vertrauen darauf, dass Gott zum Guten führt, dann bleibt am Ende ein Gefängnis. Aber was gibt die Kraft, loslassen zu können, zu hoffen und zu vertrauen, dass Gott wirklich Gutes bereit hält?

Für den Apostel ist das klar: „Betet für uns“ schreibt er. Betet für uns, dass die, die Menschen in die Irre bringen, nicht mehr das tun. Ich glaube, dass es bis heute ein ganz wichtiger Bestandteil des Lebens als Getaufte, nicht nur als Eltern und Kinder, ist, dass füreinander gebetet wird und dass man auch weiß, dass es so ist. Schon im ganz normalen Alltag gibt es ja viel Kraft, wenn ich weiß, dass ich anderen Menschen nicht egal bin und dass jemand an mich denkt. Ob das für Schüler bei Klassenarbeiten oder Prüfungen ist, ob das ist, wenn jemand eine schwierige Untersuchung hat oder krank ist, ob das bei Problemen in der Familie ist: wenn ich weiß, dass ich nicht allein bin, dass auch meine Sorgen und Nöte bei anderen gut aufgehoben sind, fällt es mir leichter, schwere Situationen auszuhalten. Und wenn man dann noch weiß, dass dem anvertraut werden, der der Grund unseres Daseins ist, der die Liebe selbst ist, dann kann zwar auch etwas schief gehen, aber auch in dem, was nicht so gelingt, kann ich spüren, dass ich gehalten und geliebt bin. Gebet ist kein Ersatz für das Lernen vor Klassenarbeiten, für notwendige medizinische Behandlungen oder für den vergessenen Regenschirm bei Regenwetter. Gebet stärkt aber die Gemeinschaft untereinander und hilft dabei, immer wieder neu zu spüren, dass Gott da ist und dass er es gut meint. Füreinander beten, sich gegenseitig stark machen in der Gemeinschaft der Getauften, damit der unberechenbare Weg in die Zukunft gelingt - für mich heißt das auch, dass wir als Gemeinde für Eltern und Paten beten, wie wir es nach der Taufe tun, um deutlich zu machen, dass Taufe nicht nur in der Gemeinschaft der Familie wichtig ist, sondern auch darüber hinaus Menschen zum Guten verbindet. Bei alledem ist natürlich auch der vielleicht modern klingende Satz „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding“ nicht unwichtig. Es ist eine ganz wichtige Einsicht, dass Glauben nicht herbei gezwungen werden kann. Zwang führt weder zu Liebe noch zu Geduld. Gott liebt uns und hat Geduld mit uns - auch wenn wir Wege gehen, die von ihm wegführen. Aus dieser Liebe und Geduld, die uns gilt, selbst Liebe und Geduld zu schenken, den Menschen, die uns begegnen. Das ist eine Gabe Gottes. Und eine Stärkung auf dem Weg, der zu ihm führt. Auf dem Weg durch das Leben, der unberechenbar ist, aber unter seiner Verheißung der Vollendung zum Guten steht.

Amen.

Freitag, 13. Juni 2008

Ist Christsein unmenschlich? 4. Sonntag n. Trinitatis, Reihe VI

Text: Römer 12,17-21

Liebe Gemeinde!
Ein Mann verlässt seine Familie. Die Frau muss sehen, wie sie die zwei Kinder durchbringt, Unterhalt kommt nur selten an. Frau und Kinder waren dem Mann zu anstrengend, er hat sich eine jüngere Freundin gesucht. Die Geburtstage der Kinder vergisst er meistens. Und wenn er mal anruft, ist er meist besoffen und beschimpft die Exfrau und die Kinder. Die Kinder gehen ihren Weg, kriegen einen Job, verdienen Geld. Der Mann hat einen Unfall. Im Suff. Er wird zum Pflegefall, die Freundin verlässt ihn, Hintern abwischen, das ist nicht ihr Ding. Der Pflegedienst findet die Telefonnummer der Kinder, ruft an: „Ihr Vater braucht dringend Hilfe. Und außerdem reicht das Geld nicht. Als Verwandte ersten Grades sind sie zur Hilfe verpflichtet.“ Wie weiter? „Der Alte hat sich nie um uns gekümmert, lassen sie uns in Ruhe, soll er doch verrecken! Wenn wir was zahlen, dann nur über das Gericht!“ Oder: „Wir kommen, schauen es uns an und wenn’s nötig wird, helfen wir.“ Was ist menschlich? Was ist christlich?

Zwei Schüler, 8. Klasse. Der eine mobbt und prügelt den anderen. Der, der gemobbt wird, verliert die Lust an der Schule. Irgendwie schafft er doch seinen Abschluss, kriegt eine Lehrstelle. Und in der neuen Umgebung blüht er auf, wird nach einer Zeit mitverantwortlich für die Auswahl der Bewerber um Hilfsarbeiten. Der andere rutscht ab, schlägt sich irgendwie mit Diebstählen durch. Er ist oft vor Gericht, der Richter gibt ihm noch eine Chance: „Wenn sie eine feste Arbeit finden, kriegen sie Bewährung, sonst geht’s in den Knast.“ Er hat zig Absagen. Seine letzte Chance ist die Firma, in der ausgerechnet sein altes Opfer über die Einstellung von Hilfsarbeitern entscheidet. Pech gehabt? Oder kriegt er die Chance? Was ist menschlich? Was ist christlich?

Klar, menschlich sehr verständlich ist es, den Vater links liegen zu lassen und dem Mobber den Job nicht zu geben. Aber ist das auch christlich? Der Römerbrief, und nicht nur er, legt ja nahe, dass ein christliches Verhalten anders aussieht. „Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen, wenn ihn dürstet, gib ihm zu trinken“ - erhalte die Lebensmöglichkeiten deines Feindes! Und „Rächt euch nicht selbst, überlasst das Gott“. Paulus beruft sich dabei erstmal gar nicht auf Jesus, sondern macht durch Zitate aus dem Alten Testament deutlich, dass es auch vor Jesus nicht nur nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zuging. Unmöglich, so zu reagieren? Die menschliche Sehnsucht nach scheinbar gerechter Vergeltung und Rache ist da. Auch bei mir. Ich kann nicht dafür garantieren, dass ich Menschen, die mir übel mitgespielt haben, mit einer solchen Größe begegne. Ist Christsein also unmenschlich? Wird da was von uns Menschen verlangt, was wir gar nicht leisten können?

Man könnte diesen Eindruck manchmal haben. Vor allem dann, wenn man das, was Paulus hier und an anderen Stellen schreibt, und das, was Jesus an vielen Stellen in den Evangelien über den menschlichen Umgang miteinander sagt, als Katalog nimmt, den man abarbeiten muss, um ein guter Mensch und ein guter Christ zu sein. Wir können einen solchen Katalog an guten Taten gar nicht abarbeiten. Ganz schnell werden wir merken: heute hatte ich aber doch schlechte Gedanken über jemanden, der mir übel mitgespielt hat. Heute habe ich aber doch jemanden geärgert oder hab irgendwo, wo ich hätte helfen können, nicht geholfen. Heute habe ich geschwindelt oder gar gelogen. Wir werden scheitern, wenn wir Glauben und Christsein als eine Art Abarbeiten von Forderungen verstehen, bei der am Ende geprüft wird, wie viel richtiges und wie viel falsches Verhalten da war. Das Gute am christlichen Glauben ist, dass er keinen Druck aufbauen will und das Leben als Testfall sieht, den man bestehen muss oder eben nicht, sondern dass er Druck aus dem Leben nehmen will und das Leben als Ernstfall sieht, in dem man auch die Erfahrung von Scheitern macht und wissen darf, dass auch das Scheitern nicht dazu führen muss, aus dem Bereich des Guten hinauszufallen. In Jesus Christus hat Gott deutlich gemacht, dass Vergebung, Neuanfang, Umkehr von falschen, lebensfeindlichen Wegen seine Geschenke an uns sind.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ Das ist für mich der wichtigste Satz aus unserem Predigttext und auch ein wirklich wichtiger Satz über die Stärke und die Möglichkeiten, die der Glauben an Jesus Christus eröffnet.

Lass dich nicht vom Bösen überwinden - es gibt das Böse. Nicht als Teufel in Person, der mit Gott um die Seelen der Menschen kämpft und als Gegenspieler Gottes Macht über uns hätte. Aber als menschliche Wahrheit, als Energie und Antrieb, die sich immer wieder in einzelnen bösen Taten zeigt. Wie schlimm und folgenreich für andere die bösen Taten im Einzelnen sind, das kann sehr unterschiedlich sein. Das Böse ist gar nicht zuallererst der Mord oder solche Beispiele wie zu Beginn der Predigt. Das Böse kann manchmal sehr banal sein. Für mich beginnt das Böse da, wo ich in einem Spiel bewusst schummle. „Sollen sich die anderen doch an die Regeln halten, wenn’s keiner merkt und ich davon einen Vorteil habe, ist es doch gut!“ Das schadet dem andern ja nicht wirklich, aber auch da zeigt sich eben, dass ich den anderen nicht ernst und nicht wichtig nehme, dass ich nur mich und meinen Vorteil im Auge habe. Das Böse zu tun, das ist oft der leichtere Weg. Es ist anstrengender, fair zu spielen und notfalls eben auch den anderen gewinnen zu lassen. Es ist anstrengend, nicht mitzumachen, wenn über andere gelästert wird und man am Ende noch in Verdacht gerät, den, über den gelästert wird, nett zu finden. Es ist anstrengend, die Augen und den Mund auf zu machen, wenn Menschen gewalttätig werden. Augen zu, Ohren zu, Klappe halten - notfalls mitmachen, mitbetrügen, den eigenen Vorteil um fast jeden Preis suchen - das ist viel leichter. Es kostet Kraft, eben weil es nicht als der Normalfall angesehen wird. Du bist doch blöd, dass du bei der Steuererklärung ehrlich bist, dass du in der Pizzeria sagst, wenn dir ein Getränk nicht berechnet wurde, wenn … - Kleinigkeiten, sicher. Aber das Böse beginnt da, wo nur ich selbst und mein Vorteil im Mittelpunkt steht - und wo der Mitmensch und Gott dadurch verloren werden.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ Es geht darum, sich nicht vor dem Bösen wegzuducken, sich vom Bösen überrollen zu lassen, sondern sich in den Weg zu stellen, aufzustehen gegen die Macht des Bösen. Aufstehen kostet mehr Kraft als Sitzenbleiben. Und, wie schon gesagt, keiner von uns ist immer nur gut. Paulus ist Realist. Er glaubt nicht, dass wir von allein genug Kraft hätten, immer nur gut zu sein. Das wird schon da deutlich, wo er schreibt: „Ist’s möglich, haltet mit allen Frieden, jedenfalls soweit es an euch selber liegt.“ Es geht nicht um den Frieden und das Stillhalten um jeden Preis. Und es ist auch im Blick, dass selbst beim besten Willen die eigenen Kräfte, gut zu sein und Frieden zu halten, schnell zu Ende gehen. Wir können nur deshalb gut sein und dem Bösen widerstehen, weil wir am Guten Selbst, an Gott, an Jesus Anteil haben. In Jesus hat Gott den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, von Rache durchbrochen. Er hat auf jede Rache verzichtet und sich auch denen zugewendet, die schuldig sind und es nicht verdient haben. Und so wird es möglich, umzukehren. Wenn ich immer noch eins draufsetzen muss, wenn ich jede Beleidigung mit einer Gegenbeleidigung beantworte - wann soll dann Frieden einkehren? Gott geht in Jesus den anderen Weg. Und er nimmt uns, sichtbar durch die Taufe, mit hinein in diese Kraft des Guten. Nicht so, dass Getaufte plötzlich die perfekten Menschen wären. Ob jemand sich anständig verhält oder nicht, ist keine Frage des Getauftseins. Aber die Taufe macht greifbar, dass man zum Bereich des Guten gehört. Dass Gott auch bei mir auf Vergeltung und Rache verzichtet und dass ich auch dann umkehren kann, wenn ich alles andere als gottgefällig lebe. Die Taufe verliere ich nicht. Die Verbindung zu Jesus, zum Guten bleibt. Niemand weiß, was im Lauf eines Lebens passiert. Karina, die wir heute getauft haben, wird vielleicht auch in ihrem Leben Zeiten erleben, in denen Das Böse mächtig ist und sie fast überrollt. Aber trotzdem behält sie ihren Teil am Guten, der ihr die Kraft geben will, aufzustehen und das Böse zu überwinden. Du musst dich nicht überrollen lassen, du kannst aufstehen. Jederzeit. Du, Karina, du Anna, du, Michelle, du, Jaqueline, du, Johann, Herr Dorn, Frau Surkau, Frau Zimmermann, Ulrich Kling-Böhm. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem - du kannst das, weil du zu mir, zu Gott, gehörst. Ich wünsche uns allen, dass wir erleben, wie stark wir sind. Nicht dadurch, dass wir andere klein machen. Sondern dadurch, dass wir mit Gottes Hilfe anderen helfen zu entdecken, dass Stärke gerade darin liegt, dem anderen Menschen zu helfen, Lebensmöglichkeiten zu entdecken. So, wie Gott uns in Jesus Leben dadurch geschenkt hat, dass er auf Gewalt, auf Rache verzichtet hat und so uns alle, die wir nicht nur gut sind, zum Leben befreit hat.

Amen.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Kommt Hitler in den Himmel? Predigt 3. n. Trinitatis, 08.06.08

Reihe VI,Text: Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32

Liebe Gemeinde!

Kommt Adolf Hitler in den Himmel? Oder Josef Stalin? Die größten Massenmörder des letzten Jahrhunderts - beide waren getauft. Sie haben in ihrem Leben und durch ihre Taten Gott verhöhnt. Juden, entschiedene Christen, Menschen mit anderer politischer Einstellung, Menschen mit anderer nationaler Zugehörigkeit, Kranke - sie wurden auf deren Befehl und mit deren Zustimmung millionenfach umgebracht. Unsagbares Leid kam über Millionen von Menschen. Die ganze Welt wurde in Brand gesetzt. Solche Verbrecher verdienen nichts als ewige Verdammnis. Für immer sollen sie in der Hölle schmoren. Das ist wenigstens ein bisschen gerecht gegenüber dem unsagbaren Leid, das sie verantwortet haben. Auch wenn das natürlich nicht wieder gutgemacht werden kann.

Und was wäre, wenn sie im letzten Moment ihres Lebens das Schreckliche und Böse, das sie getan haben, eingesehen hätten? Wenn sie aus vollem Herzen Gott um Vergebung gebeten hätten? Gilt auch für sie, was der Prophet Ezechiel hier in Gottes Namen sagt: „Wenn der Gottlose sich bekehrt von allen seinen Sünden, so soll er am Leben bleiben. Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tod der Gottlosen, sprich Gott, der Herr, und nicht vielmehr, dass er umkehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?“ Und wenn Albert Schweitzer, der für die Menschen in Afrika so viel Gutes getan hat, der sich für Arme, für Kranke mit seinem ganzen Leben eingesetzt hat, wenn dieser Mann, der seine Kraft auch aus seinem Glauben gezogen hat, angesichts des Todes an Gott verzweifelt wäre und mit Gott gebrochen hätte und gesagt hätte: „Gott, du lässt es immer noch zu, dass Millionen Menschen unschuldig sterben, an Krankheiten, die vermeidbar sind und an Hunger, mit dir will ich nichts mehr zu tun haben!“ -Würde für ihn dann auch gelten, was Ezechiel sagt: „Wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit, sollte der leben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung, die er getan hat, soll er sterben.“ Sollte Albert Schweitzer in der Hölle schmoren, während Hitler und Stalin im Himmel frohlocken? Mein Verstand und mein Herz sagen mir, dass das nicht sein kann und sein darf. Und dass es auch nicht so ist oder sein wird. Das wäre ungerecht!

Natürlich kann man das Beispiel übertreiben finden. Aber manchmal wird erst durch scheinbare Übertreibungen sichtbar, was alles an Konsequenzen mit gemeint sein kann, wenn man große Begriffe wie „Gerechtigkeit“ benutzt und sie mit Gott in Verbindung bringt. Wir glauben, wir wüssten, was gerecht ist - aber am Ende stehen wir immer wieder vor unseren Grenzen. So geht es mir auch mit den Worten des Propheten Ezechiel, die für heute als Predigttext vorgesehen sind. „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern werden die Zähne stumpf!“ Dieses Sprichwort gab es in der Zeit des Propheten unter den Menschen im Volk Israel. Kinder leiden unter den Fehlern der Eltern. Und das ist ungerecht! Bis heute ist das ja ein aktuelles Thema. Ich möchte gern wissen, was die Generation der Menschen, die wir jetzt als kleine Kinder taufen, mal über den hemmungslosen Rohstoffverbrauch meiner Generation sagen wird. Meiner Generation ist vieles in den Schoß gefallen. Unsere Eltern und Großeltern sind mit dem Krieg und seinen schrecklichen Folgen groß geworden. Sie haben das Fundament für die Möglichkeiten und den Wohlstand gelegt, von dem wir profitieren. Die meisten von uns, die wir jetzt so zwischen 40 und 50 sind mussten viel weniger hart arbeiten als die Generation vor uns. Ist es gerecht, dass wir vor allem die Segnungen genossen haben und genießen?

Es ist nicht im Sinn der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wenn Kinder für die Schuld ihrer Eltern büßen müssen - und umgekehrt natürlich auch. Schuld vor Gott ist etwas, was einzeln angesehen wird. Und ob jemand vor Gott gerecht oder schuldig ist, dass entscheidet sich am Einzelnen selbst, nicht an seiner Familie, nicht an seinem Volk. So macht es der Prophet Ezechiel deutlich. Ein eigentlich ganz modernes Verständnis von Schuld und Gerechtigkeit. Etwas, was unserem Streben nach Selbstverantwortung, nach Freiheit des Einzelnen entspricht. Gott ist gerecht, wenn er jeden für sich ansieht und beurteilt, ich glaube diesen Satz würden wir sofort unterschreiben. Und doch widerspricht schon dieser Satz unserem Alltagsverhalten und unserer Alltagserfahrung. Erstens möchten wir dann, wenn wir irgendwo schuldig geworden sind, doch ganz gern die Umstände berücksichtigt wissen. Da haben die Eltern in der Erziehung was falsch gemacht, da hat man sich auf falsche Freunde verlassen, falschen Experten vertraut, da waren es die Triebe, das Wetter, das politische System…- ganz egal. Vor Gericht werden solche Umstände nicht ausgeblendet, besonders nicht im Jugendstrafrecht. Schuld ist man ja nie allein. Vielleicht ein bisschen. Aber die anderen haben doch…! Aber die Umstände waren doch…! Es ist doch ungerecht, wenn ich büßen muss! Ich bin zwar schuld, aber…!

So gerecht sich das anhört, wenn jede Schuld individuell, persönlich betrachtet wird - es ist sehr unbequem, die Konsequenzen zu tragen. Weil plötzlich alles, worauf man etwas schieben könnte, weg gebrochen ist.

Zweitens erleben wir es ja sehr wohl, dass die Herkunft, die Familie, die Volksgruppe eine Rolle spielt und Schuld nicht nur persönlich betrachtet, sondern vererbt wird. Der Vater sitzt im Knast - da muss man bei der Familie doch vorsichtig sein! Muslime, die haben doch ein Familienbild, das in unsere Welt nicht passt, sind doch selber Schuld, wenn sie nicht Lehrerin werden können, sollen sie halt das Kopftuch abnehmen! Ob aus einem Arbeiterkind ein guter Gelehrter wird - da muss man mal abwarten! Wir verhaften Menschen sehr wohl bei ihrer Herkunft. Und wir werden als Kirche oder als Deutsche sehr wohl bei unserer Herkunft verhaftet. Da treten Leute aus der evangelischen Kirche aus, weil sie mit dem Papst unzufrieden sind, da müssen die Kreuzzüge vor knapp 1000 Jahren bis heute für Christenhass herhalten. Und auch als Deutscher des Geburtsjahrgangs 1965, dessen Eltern zu jung sind, um in irgendeiner Form bei Jungvolk oder HJ mitgemacht zu haben, wird man manchmal damit konfrontiert, dass man nicht so einfach aus der Verantwortung für den 2. Weltkrieg und die Judenvernichtung entlassen wird. Ist das gerecht? Nein, ist es nicht. Zumindest meiner Meinung nach nicht. Mir zeigt es, gerade im Blick auf die Worte Ezechiels, dass wir Menschen einander nie wirklich gerecht werden können. Nach Gerechtigkeit streben, das können und sollen wir. Aber wirklich gerecht sein? Vielleicht ist das wirklich eine Eigenschaft, die allein Gott zukommt.

Und wie ist das denn mit unserer Schuld? So schön und gerecht es ist, wenn Gott uns nicht für fremde Fehler, für die Fehler unserer Eltern und Großeltern, unserer Kinder oder der Menschen mit der gleichen Religion oder aus dem gleichen Volk verantwortlich macht - das stellt uns nur noch härter vor unsere eigene Schuld und Ungerechtigkeit. Weil wir ja nichts mehr abschieben können. Gibt es, außer leugnen oder verdrängen, noch eine andere Aussicht, die uns das aushalten und leben lässt?

Ja, ich finde, dass in den prophetischen Worten eine gute Aussicht steckt. „Kehrt um, so werdet ihr leben!“ Schon hier, lange vor Jesus, wird dem Aufrechnen von Schuld und guten Taten der Garaus gemacht. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun und lassen. Jeder für sich. Aber für eine Umkehr von falschen Wegen gibt es kein „zu spät“. Das macht Ezechiel hier in Gottes Namen klar. Gott ist kein Bilanzbuchhalter, der Gutes und Schlechtes gegeneinander aufrechnet, und dann, wenn mehr Gutes übrig bleibt, Menschen zum ewigen Leben vorsieht und wenn mehr Schlechtes da ist, Menschen die ewige Verdammnis androht. Ist das gerecht? Nein, aber es ist zu meinen Gunsten! Ich muss nicht ständig Buch führen, nach Bösem in meinem Leben fahnden und versuchen, das auszugleichen. Es lässt sich nicht ausgleichen. Auch noch so viele gute Taten können eine böse Tat nicht ungeschehen machen. Aber ich darf umkehren. So lange ich lebe. Für mich persönlich ein Segen - aber ärgerlich, wenn ich an Hitler oder Stalin denke. Aber ich kann auch solchen teuflischen Gestalten nicht die Möglichkeit, umzukehren absprechen. Ob sie sie genutzt haben? Das weiß nur Gott!

Vielleicht kann man hier auch noch mal deutlich sehen, dass es ein Unterschied ist, ob Gott den Menschen vergibt oder ob ich einem Menschen, der an mir schuldig geworden ist, vergeben kann. Es geht hier gar nicht drum, dass ich alles und jedem vergeben muss. Ich kann verstehen, wenn Eltern dem Mörder ihrer Kinder, wenn Juden Nazis, wenn Vertreibungsopfer Stalin nicht vergeben können. Aber ich kann Gott nicht meinen Willen aufzwingen und ich, verordnen, diesen Menschen die Tür zur Umkehr zuzuschlagen. Ich bin nicht Gott - das ist ein Segen, wenn ich auf Vergebung für mich hoffen darf, auch wenn ich mich schwer damit tue, zu vergeben. Das darf nicht zur billigen Entschuldigung werden, in der Art: „Ich muss ja nie vergeben, aber mir wird vergeben!“ Es ist nur eine Einladung, die eigenen Grenzen nicht zu Gottes Grenzen zu machen. Umkehr zum Leben, Gerechtigkeit, die nicht aufrechnet, sondern die in der Hinwendung zum Leben besteht - für uns steht hier nicht nur Ezechiel, sondern Jesus Christus ein. Gottes Sohn, der uns immer wieder neue Chancen, neue Wege öffnet. Amen.