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Mittwoch, 28. Mai 2008

Schöne Aussichten?! - Predigt Exaudi, 4. Mai 08

Text: Römer 8,26-30

Liebe Gemeinde!

„Lass mal, Mutter, ich nehme dir das schon ab!“ Natürlich kann die alt gewordene Frau nicht mehr so schnell mit Einkaufstaschen die Treppe hoch wie früher. Und natürlich meint es die Tochter nur gut. Aber ich glaube, dass solche Sätze einen Stich versetzen können. Da wird selten gehört: „Du darfst dich jetzt mal ausruhen, das hast du dir verdient!“ Viel öfter glaubt man: „Du bist zu alt, zu schwach, du kannst nicht mehr mithalten!“ rauszuhören. Auch wenn’s nicht so gemeint ist. Als Kind und Jugendlicher muss oder musste man hören: „Das kannst du noch nicht, du bist zu jung, zu klein, werde erstmal was!“ Und dann als alter Mensch: „Das kannst du nicht mehr, du bist zu schwach, du hast das Beste doch hinter dir!“ Ausgesprochen oder unausgesprochen. Falls sich jetzt jemand dran stört, dass ich von Alten und alt gewordenen rede: Ich mag die modernen Umschreibungen nicht. Senioren, Best-Ager, Generation „Silberne Kirche“ - was für ein Quatsch! Als ob Alter eine Krankheit wäre, die man verstecken müsste und die unanständig wäre! Es ist keine Schande, alt zu werden, sondern es hat was mit Würde und Gnade zu tun. Es ist nichts, was versteckt werden muss, sondern Teil des Lebens. Und genauso gehört es auch dazu, Kindern und Jugendlichen zuzugestehen, dass sie nicht alles können und kennen müssen. Und als Erwachsener im sogenannten „besten Alter“ irgendwo zwischen Anfang 20 und Ende 50, da macht man sich doch auch was vor, wenn man glaubt, immer stark sein zu müssen und stark sein zu können. Wirklich stark ist nur der, der auch Schwächen eingestehen kann. Auch darum geht es hier im Römerbrief. Wenn Paulus schreibt: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Wir wissen nicht, was wir beten sollen. Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen vor Gott“ dann meint Paulus nicht, dass wir Menschen völlig minderwertige Wesen wären, die selbst zum Beten zu dumm wären. Sondern er macht Mut nicht aufzugeben. Und es auch mit dem Gebet immer wieder zu wagen, Gott anzusprechen. Trotz aller Schwäche, die wir in jedem Alter immer wieder mal spüren. Eine Schwäche, die wir alle haben, ist die, dass wir natürlich nicht allwissend sind. Uns fehlt manchmal der Überblick. Und deshalb ist es schwer, das Richtige zu beten, zu bitten, zu sagen.

Und manchmal ist es nicht mangelnder Überblick, der uns die richtigen Worte nicht finden lässt, sondern echte Sprachlosigkeit. Um was kann ich denn Gott wirklich bitten, wenn ich an die unvorstellbaren Vorgänge von Gefangenschaft, Missbrauch, Lüge und Täuschung in Amstetten in Österreich denke? Aber auch, wenn man gar nicht zu solchen Extremfällen geht: Mir fehlen oft genug die Worte, wenn ich sehe, wie Menschen unter anderen leiden müssen. Oder wenn ich sehe, wie Menschen auf Kosten anderer leben. Wie arrogant die einen den anderen das Menschsein absprechen können. Und dann das Gefühl oder das Wissen, selbst nicht das Richtige getan zu haben oder dass man etwas besser hätte lassen sollen, aber der Versuchung nicht widerstehen konnte. Schwäche und Hilflosigkeit hat nicht nur was mit noch nicht ausgereiften oder schwindenden körperlichen Kräften zu tun. Auch Schwäche und Hilflosigkeit vor Gott.

Was Paulus hier deutlich macht ist, dass Gott uns sozusagen ein legales Doping verabreicht. Gott hat einen Übersetzer, der unser Gestammel oder unser Schweigen ins rechte Licht rückt und der dem, was wir nicht ausdrücken können, bei Gott Ausdruck verleiht. „Geist“, so nennt ihn nicht nur Paulus. „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“, so schreibt er. Damit ist kein Gespensterwesen gemeint, das uns aus dem Totenreich oder woher auch immer ungeahnte Kräfte verleihen würde. „Geist“, das ist die Leben spendende und Leben erhaltende Kraft, mit der Gott mitten in dieser Welt gegenwärtig ist. „Geist“, das ist die Kraft Gottes, durch die die Beziehung von Gott zu uns Menschen und von uns Menschen zu Gott lebendig erhält. Auch Jahrtausende nachdem Gott seinen Bund mit dem Volk Israel geschlossen hat und zweitausend Jahre, nachdem dieser Bund durch Jesus Christus weiter gemacht worden ist. Auch dann, wenn wir schwach sind und uns Worte fehlen, sind wir durch diese lebendige Kraft mit Gott verbunden.

Gott will uns Menschen aus unseren Zweifeln, Ängsten, aus unserem Gefühl, nicht genügen zu können, befreien. Der Alltag der Christen in Rom vor beinahe 2000 Jahren hat sich in einem sicher nicht von unserem Alltag in Marburg heute unterschieden: Auch wer noch so fest an Gott glaubt, der wird die Zweifel nicht los, dass er vielleicht doch nicht alles richtig machen wird. Auch wer noch so fest an Gott glaubt, der wird die Erfahrung machen, dass es Momente gibt, in denen man sich fragt, ob Gott überhaupt noch da ist. Und der wird die Erfahrung machen, dass es Menschen, die mit Gott nichts zu tun haben wollen, auf den ersten Blick nicht schlechter geht. Manchmal vielleicht im Gegenteil. Da scheinen sich Egoismus und Skrupellosigkeit direkt in barer Münze auszuzahlen. Und am Ende des Lebens wartet der Tod - in jungen Jahren oder alt und lebenssatt. Friedlich oder unter Schmerzen. Unabhängig davon, ob man zu Lebezeiten fest an Gott geglaubt hat oder nicht. Äußerlich lässt sich Glauben oder Gottvertrauen nicht wirklich messen und belegen. Auch der, der an Gott glaubt, braucht immer wieder Stärkung und Hilfe, damit die Hoffnung nicht verloren geht.

Wie kann Paulus dann schreiben „ Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen; denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“? Ist es also doch so, dass am Erfolg im Leben ablesbar ist, ob jemand von Gott berufen ist, von ihm geliebt wird oder nicht? Muss man sich dann doch Sorgen machen, wenn einem als jemand, der an Gott glaubt, als Christ, im Leben was schief geht? Nein, Paulus ist kein Traumtänzer. Er weiß genau, und er hat es am eigenen Leib erfahren, dass dieses Leben auch für den Glaubenden nicht nur schöne Erfahrungen bereithält. Er hat es auch erlebt, dass er wegen seiner Armut verächtlich gemacht wurde und dass es auch Menschen in den Gemeinden gab, die sagten: „Wie kann man einem glauben, der so wenig angesehen ist?“ Und trotzdem hat aus seinem Leben Gutes entstehen können, trotzdem haben andere durch ihn Gutes erfahren. Wenn Paulus schreibt, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, dann ist damit kein Fensterplatz im Himmel als Belohnung gemeint. Eher, dass das Vertrauen in Gott, dass der Glaube an ihn ein gewisses Maß an Gelassenheit schenkt. Gelassenheit , die hoffentlich auch aus der Gewissheit entsteht, dass Gott sich nicht nur der Mächtigen und Starken bedient. Gelassenheit, weil ich weiß, dass ich nicht alles im Leben wirklich zu Ende bringen kann und dass ich für Gott auch dann wichtig und wertvoll bin, wenn etwas angefangen bleibt. Gelassenheit, die daraus entsteht, dass ich weiß, dass ich auch von falschen Wegen umkehren kann. Gelassenheit, weil ich weiß, dass ich mich nicht auf mich selbst verlassen muss.

Aber was nützt mir das, wenn’s mir jetzt schlecht geht? Was nützt mir das, wenn ich mich ausgenutzt fühle oder ganz und gar von Gott verlassen? Was nützt mir das, wenn ich das Gefühl habe, so ganz und gar nicht zu denen zu gehören, die Gott für etwas gutes vorherbestimmt hat? Und ist das nicht gefährlich, so oft davon zu reden, dass Gott irgendjemanden vorherbestimmt hat? Wenn sich jemand schlecht benimmt, andere ausnutzt und ausbeutet, kann der am Ende dann gar nichts dafür, weil Gott ihn nicht zum Guten vorherbestimmt hat?

Vorherbestimmung ist in der Bibel nie so, dass sie zum Bösen sein wird. Wenn Paulus von Vorherbestimmung redet, dann immer nur davon, dass es Gottes Wille ist, dass die Menschen zum guten, zum Leben kommen. Durch Jesus, seinen Sohn, dem er sozusagen möglichst viele Geschwister an die Seite stellen will. Paulus ist auch Realist. Er kennt den Spagat, den das Leben in dieser Welt bedeutet. Er weiß, dass es hier nicht das eindeutig gute, immer nur Gott gefällige Leben gibt. Und trotzdem hält er an der Botschaft vom Kreuz fest: Gott bietet den Menschen in Jesus Christus immer wieder das Gute, das Leben an. Gerade für die, die Schuld auf sich geladen haben, ist er da. Deshalb können wir niemandem absprechen, dass Gott nicht auch für ihn da wäre. Auch uns selbst nicht. Der Glaube an Gott macht mein Bankkonto nicht fetter, mein Aussehen nicht strahlender und meine Wohnung nicht luxuriöser. Aber er kann dazu führen, dass ich auch dann Geborgenheit finde, wenn ich mich völlig niedergeschlagen fühle, dass ich dann Stärke spüre, wenn ich mich schwach fühle und dann Wege finde, wenn alles ausweglos zu sein scheint. Nicht als Garantie, sondern als Hoffnung. Nicht nur für mich, sondern, im wahrsten Sinn des Wortes, für die Welt. Schöne Aussichten.

Amen

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