Text: 1. Korinther 2,1-10 (Neue Genfer Übersetzung)
Liebe Gemeinde!
Was braucht man eigentlich, um an Gott glauben zu kön-nen? Einen guten Konfirmandenunterricht mit einem überzeugenden Pfarrer und tollen Mitarbeitern? Einen Prediger, der amüsant und geschliffen redet, so dass man ihm gern zuhört? Einen Religionslehrer, der einen begeistern kann? Eltern, die einem aus der Kinderbibel vorlesen und abends am Bett beten? Gottesdienste oder Missionsveranstaltungen mit toller Technik und abwechslungsreicher Gestaltung, so dass einem nie langweilig wird? Nachbarn und Freunde, die auch in schweren Zeiten und Krisen zu einem stehen, damit man seinen Glauben, falls schon einer da ist, nicht ganz ver-liert? Eine tolle Jugendgruppe oder einen guten Bibelkreis oder erfüllende Seniorennachmittage?
Alles schön, alles hilfreich. Und doch kann das alles völlig nutzlos sein. Um an Gott glauben zu können, braucht es vor allem ein Geschenk, über das kein Mensch, nicht der klügste Theologieprofessor, nicht der begabteste Pfarrer, nicht der glaubwürdigste Mitarbeiter und nicht der bekehrteste Christ Verfügungsgewalt hat: es braucht das, was in der Sprache der Bibel Gottes Geist heißt. Es braucht die Kraft, die einen im Inneren aufschließt, wachmacht, bereit macht. Es braucht die Kraft, die es schafft,
Predigten, Unterricht, Gespräche und Begegnungen, das Lesen in der Bibel nicht nur als intellektuelles Gedankenspiel, nicht nur als netten Zeitvertreib oder kluge Anregung zu verstehen, sondern als eine Botschaft, die Leben stark macht, bereichert und vor allem zum Guten verändert. Als eine Botschaft, die nicht nur intellektuell bedenkenswert ist, sondern die mich wirklich meint. Mich. Heute. 2012.
Glauben ist ein Geschenk. Manchmal ist das schwer aus-zuhalten. Vielleicht als Konfi oder auch als älterer Mensch. Vielleicht sagt man dann: Ich will das eigentlich. Ich will an Gott glauben. Und man sucht nach Techniken, wie das klappen könnte. Und man merkt: so, wie ich mir das wünsche, funktioniert es nicht. Ich höre Gott nicht, wenn ich das will und wenn ich versuche, zu beten. We-der dann, wenn ich mit geschlossenen Augen und gefalte-ten Hände still da stehe, sitze oder liege noch dann wenn ich mit erhobenen Armen laut meine Anliegen vorbringe. Es funktioniert nicht, regelmäßig in den Gottesdienst zu gehen. Da finde ich Gott nicht, weil ich mich doch lang-weile. Es gibt keine Technik, damit Glauben funktioniert und wächst. Leider. Auch nicht für Pfarrer oder Prediger. Ob Predigten etwas bewirken, ob sich das Leben auch von nur einem einzigen, der eine Predigt hört, verändert, das hat kein Pfarrer, keine Pfarrerin im Griff. Weder ein tolles Examen noch zig Rhetorikkurse, die einem beibrin-gen, überzeugend und technisch gut zu predigen noch ei-ne mit Beamer, Band und modernster Technik ausgestat-tete rappelvolle Kirche bringen letztlich Menschen dazu, Gott zu vertrauen und ihr Leben aus seiner Kraft zu ge-stalten.
Ich merke gerade, wie blöd sich das jetzt anhört.
So, als wäre Glauben was ganz Schweres und Unmögliches. So, als müsste man traurig dasitzen und warten und wenn Gott nicht will, dann läuft halt nichts. Pech gehabt. Nein, Glauben ist eigentlich was ganz einfaches. Niemand ist zu alt oder zu jung, niemand geht auf die falsche Schule oder ist auf die falsche Schule gegangen. Niemand ist zu arm und ungebildet dafür. Glauben ist was ganz einfaches. Aber keiner von uns hat ihn im Griff. Den eigenen Glauben nicht. Und den von anderen erst recht nicht. Eine Erfahrung, die nicht erst Leute im Jahr 2012 machen, sondern etwas, von dem schon Paulus wusste. Etwas darüber schreibt er auch der Gemeinde in Korinth in seinem ersten Brief an sie, der in der Bibel überliefert ist:
Als ich zu euch kam, Geschwister, um euch das Geheimnis zu verkünden, das Gott uns enthüllt hat, versuchte ich nicht, euch mit geschliffener Rhetorik und scharfsinnigen Argumenten zu beeindrucken.2Nein, ich hatte mir vorgenommen, eure Aufmerksamkeit einzig und allein auf Jesus Christus zu lenken – auf Jesus Christus, den Gekreuzigten 3Außerdem fühlte ich mich schwach; ich war ängstlich und sehr unsicher, als ich zu euch sprach 4Was meine Verkündigung kennzeichnete, waren nicht Überredungskunst und kluge Worte; es war das machtvolle Wirken von Gottes Geist.
5Denn euer Glaube sollte sich nicht auf Menschenweisheit gründen, sondern auf Gottes Kraft. 6Und doch ist unsere Botschaft eine Botschaft voller Weisheit. Verstanden wird diese Weisheit allerdings nur von denen, die der Glaube an Christus zu geistlich reifen Menschen gemacht hat. Denn sie hat nichts zu tun mit der Weisheit dieser Welt und mit der Klugheit ihrer Herrscher, deren Macht schon bald vergeht. 7Nein, was wir verkünden, ist Gottes Weisheit. Wir verkünden ein Geheimnis: den Plan, den Gott schon vor der Erschaffung der Welt gefasst hat und nach dem er uns Anteil an seiner Herrlichkeit geben will. Dieser Plan ist bisher verborgen gewesen. 8Keiner von den Machthabern dieser Welt hat etwas von dem Plan gewusst; keiner von ihnen hat Gottes Weisheit erkannt. Sonst hätten sie den Herrn, dem alle ´Macht und` Herrlichkeit gehört, nicht kreuzigen lassen. 9Es heißt ja in der Schrift: »Kein Auge hat je gesehen, kein Ohr hat je gehört, und kein Mensch konnte sich jemals auch nur vorstellen, was Gott für die bereithält, die ihn lieben.« 10Uns aber hat Gott dieses Geheimnis durch seinen Geist enthüllt – durch den Geist, der alles erforscht, auch die verborgensten Gedanken Gottes.
Es ist nicht die kluge und geschickte Rhetorik, nicht die Überredung, die Menschen zum Glauben an Gott führt, schreibt Paulus hier. Glauben an Gott – für mich heißt das auch, darauf zu vertrauen, dass in Jesus Gottes Liebe für alle Menschen ohne Unterschied sichtbar geworden ist. Für mich heißt das auch, trotz aller Angst vor Tod und Sterben darauf hoffen zu können, dass der Tod nicht das endgültige Aus ist. Und nicht zuletzt heißt das für mich, dass Gott, anders als wir Menschen, wirklich vergeben kann und dass wir ihm auch unsere dunkle Seite nicht verbergen können und müssen. Dass wir umkehren dürfen. Aber das alles ist eben kein Produkt geschickter Überredung. Ich finde es merkwürdig, wenn Kirchen oder einzelne Pfarrer oder Gemeinden oder Missionare damit werben wie viele Menschen sie bekehrt haben. Wenn ich die Bibel, wenn ich Paulus ernst nehme, dann kann ich nicht einen einzigen Menschen zum Glauben an Gott bekehren. Gott kann schenken, dass ich ihn vielleicht angeregt habe, Gott im eigenen Leben Raum zu geben. Aber Vertrauen und Umkehr kann nur Gott selbst bewirken. Ich finde es sympathisch, dass Paulus sich zurücknimmt. Und es ist auch nicht unwichtig, wie ich, wie andere von Gott reden oder Glauben leben. Ich als Pfarrer zum Beispiel kann mich bemühen, nicht gar zu langweilig zu predigen und Menschen nicht wertvolle Lebenszeit durch langweilige Predigten zu klauen. Ich kann mich bemühen, Gottes Geist so wenig wie möglich im Weg zu stehen durch irgendwelche Forderungen, die ich im Namen von Kirche oder wem auch immer erhebe. Ich kann Gott darum bitten, dass er auch dann, wenn ich die Bibel falsch auslege, die Menschen, die das mitbekommen, nicht auf diese falschen Wege führt, sondern ihnen Mut macht, eigenständig zu denken und zu glauben. Mehr geht nicht. Nicht für Pfarrer, nicht für Lehrer, nicht für Kirchenvorsteher, nicht für Mitarbeiter, nicht für Eltern, Großeltern oder Freunde oder wer auch immer von seinem Glauben, erzählt, von Jesus und dem Geheimnis, dass sich ausgerechnet in diesem schwachen, gescheiterten Menschen am Kreuz Gott offenbart.
Paulus schreibt, dass das, was man im Glauben an Gott, an Jesus findet nichts ist, was man sonst in der Welt findet und vor allem nichts, was den normalen Mustern von Herrschaft von Menschen über andere entspricht. Die Welt findet es dumm, nicht auf Stärke zu setzen. Die Welt findet es dumm, zu vergeben, andere aufzurichten und nicht als erstes den eigenen Vorteil im Blick zu haben. Bis heute ziehen manche daraus den Schluss, sich im Glauben aus der Welt zu verabschieden. Zuletzt der Papst bei seinem Deutschlandbesuch, der eine Entweltlichung der Kirche gefordert hat. Sicher, Christen müssen aufpassen, dass sie nicht scheinbaren Sachzwängen sich hingeben und einfach so in Kirchen und Gemeinden kopieren, was in der Welt als „normal“ angesehen wird. Aber deshalb müssen sich Christen doch nicht aus der Welt zurückziehen! Auch als Christ habe ich nur diese Welt, in der ich jetzt lebe. Die Vollendung der Welt durch Gott, die steht noch aus. Und in dieser Welt, in diesem Leben kann ich doch die kritischen Möglichkeiten des Glaubens einbringen und so, wie Gott seine Kraft in der Schwachheit am Kreuz vollendet hat, dort für Schwache eintreten, wo sie es nicht können und Partei für die Schwachen ergreifen. Es ist nicht normal, zu glauben und diesen Weg zu gehen. Es ist ein Geschenk. Zu erkennen, dass nicht die scheinbare Stärke und Gewalt siegt, sondern dass Gott in Jesus am Kreuz, in der nach menschlichen Maßstäben totalen Schwäche die größte Kraft, seine Liebe, gezeigt hat, die die Welt total verändern kann, ist eben nichts, was sich logisch beweisen lässt, sondern etwas, das ich als Geschenk des Geistes, der Kraft Gottes, in dieser Welt zu leben und glauben zu können, annehmen kann. Nicht, weil’s mir ein Pfarrer gesagt hat. Nicht, weil es eine Mitarbeiterin, eine Großmutter von mir verlangt hat. Nicht, weil es mich zum Helden macht, sondern weil Gott es schenkt. Gebet Gott, dass wir die Kraft haben, uns beschenken zu lassen und dass wir dann, wenn wir spüren, dieses Geschenk zu haben, es anderen nicht aufzwingen wollen, sondern Gottes Geist den Raum und die Freiheit lassen. Und so Gott die Ehre geben.
Amen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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