Text:
Micha 6,6-8
(Zürcher, im Gottesdienst tlw. eigene Übersetzung, angelehnt an Zürcher)
Liebe
Gemeinde!
YOLO.
Ich weiß nicht, wie viele Erwachsene wissen, was diese vier Buchstaben Y O L O
bedeuten. Fast alle Jugendlichen werden es wissen. YOLO: You Only Live Once –
Du lebst nur einmal. Du lebst nur einmal – und gemeint ist: zieh dein Ding
durch. Nimm keine Rücksicht auf das, was die anderen sagen oder fordern,
sondern sei du selbst – ein einzigartiger Mensch, der macht, was für ihn
richtig ist. Und meistens ist damit gemeint: der macht, was ihn voranbringt,
was ihm Spaß bringt, ohne sich dabei groß um die Folgen für andere zu kümmern.
Vor ein paar Wochen habe ich auf facebook bei meinen Neuigkeiten den Eintrag
einer mir gut bekannten Jugendlichen bei einem anderen gesehen: „Ich bewundere
dich, weil du ohne Rücksicht auf die Meinung von anderen dein Ding voll
durchziehst“. Und dieser Eintrag hatte ganz viele Likes, also ganz viel
Zustimmung. YOLO. Damit es keine Missverständnisse gibt: es wird jetzt keine
Strafpredigt für scheinbar ach so egoistische Jugendliche, über die ich mich
mal in der Kirche beschweren will. Erstens kenne ich ganz viele Jugendliche,
die durchaus nicht nur egoistisch sind. Zweitens erlebe ich immer wieder, dass
gerade bei Jugendlichen Werte wie Freundschaft, Verlässlichkeit, auch Treue
ganz hoch im Kurs stehen. Drittens glaube ich auch, dass Jugendliche oft nur
viel direkter und unverblümter aussprechen, was wir Erwachsenen ihnen vorleben.
Und wir haben eine Gesellschaft aufgebaut, in der nicht nur jeder für sich
selbst Verantwortung hat, sondern in der immer mehr jeder nur für sich selbst
sorgt. Im Großen ein aktuelles Beispiel: Deutschland wehrt sich ganz vehement
dagegen, Flüchtlinge aus Afrika und Syrien in größerer Zahl aufzunehmen, obwohl
das kleine und, im Vergleich zu Deutschland eher arme, EU-Land Malta in
Beziehung zur Einwohnerzahl zur Zeit mehr als fünfmal so viele Flüchtlinge
aufgenommen hat. Ist doch deren Problem, das ist die nach außen getragene
Haltung der deutschen Regierung. Wir geben nichts ab – weder an die Flüchtlinge
noch an den europäischen Partner Malta.
Im
kleineren Maßstab, in der Kirche: bei der Kreissynode vor drei Wochen bin ich mehrmals
mitleidig belächelt und angefragt worden, wie dumm wir doch waren, unsere Kirchengemeinde
Am Richtsberg zu bilden und nicht zwei Gemeinden zu bleiben. Andere Gemeinden,
die sich geweigert haben, zusammenzugehen, stehen, was Gebäude angeht, zum Teil
besser da. Dass es von der Sache her richtig ist, eine Kirchengemeinde Am
Richtsberg zu haben und dass wir dadurch für alle Marburger Gemeinden etwas
Entlastung geschaffen haben, spielt in den Augen derer, die mich angefragt
haben, keine Rolle. „Ihr seid doch blöd, dass ihr nicht egoistisch gewesen seid“
– so ist der Grundgedanke. Von längst erwachsenen Menschen, die in der Kirche
Verantwortung tragen und die in ihren Gemeinden und Arbeitsstellen für die
Verkündigung der frohen Botschaft stehen.
YOLO.
Mich wundert es, ehrlich gesagt, nicht, dass Jugendliche das genau so und mit
dem Unterton, mit dem es meistens benutzt wird, sehen.
Was
das alles mit dem Propheten Micha aus der Bibel zu tun hat, aus dessen Buch ich
eben ein paar Verse vorgelesen habe, fragen sich manche vielleicht jetzt. Der
Prophet Micha, der macht in seinem für uns ja uralten Buch auf dieses scheinbar
moderne Phänomen aufmerksam. Das ICH im Mittelpunkt. Auch im Glauben an Gott.
Was kann ICH tun, damit Gott MICH wieder mag, auch wenn ich eine Sünde begangen
habe, Schuld auf mich geladen habe? Soll ich von meinem Besitz, von meinem
Verdienst etwas Gott opfern, vielleicht sogar, das ist die schreckliche Pointe,
mein erstgeborenes Kind, damit ICH