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Freitag, 2. November 2012

Ganz schön frei! - Reformationstag, gehalten am 4.11.12, Reihe IV

Text: Galater 5,1-6
Liebe Gemeinde!
Woran erkennt man eigentlich einen Christen? An der Taufe vielleicht? Na ja, erstens kann man die Taufe nicht sehen und zweitens waren Hitler und Stalin und viele andere Massenmörder und Verbrecher waren auch getauft. Also vielleicht eher am Verhalten? Vielleicht daran, dass er sich an die 10 Gebote hält? Aber erstens sind die Zehn Gebote keine christliche Erfindung. Die stehen im Alten Testament, die gelten für Juden ganz genauso und außerdem sind viele Einzelaussagen mittlerweile in die Gesetze der meisten demokratischen Länder so eingebaut, dass ich daran, dass jemand nicht tötet oder nicht stiehlt oder sich um seine altgewordenen Eltern sorgt, erkennen könnte, ob er überhaupt an Gott glaubt oder an welchen Gott er glaubt. Und zweitens hat Jesus die Zehn Gebote so radikal interpretiert, dass selbst Menschen, die es ganz ernst und ehrlich mit ihrem Glauben meinen, schwer fallen dürfte, das immer und fürs ihr ganzes Leben zu halten. Ehebruch ist nicht erst die Tat, sondern schon der Gedanke daran, sagt Jesus, genauso wie: töten fängt nicht mit der Tat an, sondern damit, dass ich einen anderen durch Worte herabsetze und ihm damit ein Stück Lebensrecht abspreche. Zumindest das Letzte ist bei mir spätestens dann der Fall, wenn ich im Auto sitze und mir einer die Vorfahrt nimmt. „Idiot“ ist dann noch eines der harmloseren Wörter, die mir manchmal rausrutschen. Bin ich deshalb kein Christ? Vielleicht erkennt man Christen am Gebet? Aber Jesus sagt auch, dass man erstens aus dem Beten keine Show machen soll, zweitens nicht zu viele Worte beim Beten machen soll und drittens nicht zuerst öffentlich, sondern für sich selbst in Ruhe mit Gott reden sollte. Dass jemand also die Hände faltet und das Vaterunser spricht oder in freien Worten laut seine Anliegen vor Gott bringt, ist also auch kein sicheres Kennzeichen. Vielleicht macht er ja nur eine Show, vielleicht sind seine wirklichen Gedanken gerade ganz woanders. Weder an Ketten mit Kreuzen noch am Fischaufkleber auf dem Auto, weder am Beruf noch an der Art zu beten kann ich einen Christen sicher erkennen. Das macht es gar nicht so einfach. Wir Menschen sind doch eigentlich eher so gepolt, dass wir gern klare Ansagen und Anweisungen hätten.
Klare Erkennungsmerkmale, mit denen wir umgehen und uns und andere sortieren können. Wir können manchmal, glaube ich, gar nicht anders, als für unser Leben und für unseren Glauben Gebrauchsanweisungen zu suchen, die wir befolgen und die uns sichtbar zu etwas gehören lassen und uns ein ganzes Stück weit das eigene Denken abnehmen. Ist ja auch einfacher, eine Gebrauchsanweisung zu befolgen, als selbständig denken und handeln zu müssen. Das ist gar kein neues Phänomen, das erst in den letzten Jahren aufgetaucht wäre. Klar, wir haben heute viel mehr Möglichkeiten als die Menschen vor 40,50 Jahren und erst recht als die Menschen vor 2000 Jahren. Es ist unübersichtlicher geworden in der Welt. Aber schon unter den ersten Christen gab es das Gefühl: Wir brauchen was Sichtbares, etwas, an dem wir uns auch äußerlich festhalten können, wenn wir Christen sind, damit wir uns besser zurechtfinden. Damit beschäftigt sich auch Paulus, wenn er an die Christen in Galatien, das ist so ungefähr in der Mitte der heutigen Türkei schreibt. Da waren neue Missionare unterwegs, die den Christen sagten: „Glauben allein reicht nicht. Ihr müsst sichtbar machen, dass ihr an Gott glaubt und zu ihm gehört. Dazu müssen sich alle, nicht nur die Christen, die vorher Juden waren, beschneiden lassen.“ Und viele haben das auch gemacht. Weil sie eben etwas haben wollten, dass man sehen kann. Die Taufe, die einmalig war und die man nicht festhalten konnte, die hat ihnen nicht gereicht. Und an diese Christen schreibt Paulus:
Lesen: Galater 5,1-6
Durch Jesus schenkt uns Gott Freiheit. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“ Mit dieser Aussage beginnt Martin Luther schon 1520 seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Der Glauben an Jesus ist zuerst ein Glaube der Freiheit schenkt. Für Jesus stehen nicht Verbote und Regeln im Mittelpunkt, er ist nicht gekommen, um den Menschen neue Gesetze zu geben. Jesus ist gekommen, um uns Menschen von dem Irrglauben frei zu machen, dass wir selbst es schaffen würden, für Gott perfekt zu sein und uns durch das Einhalten von Regeln Gott irgendwie kaufen zu können. Menschen scheitern an dem, was für sie und andere eigentlich gut und richtig wäre und was im Sinne Gottes eigentlich zu tun wäre. Es wird keinen Menschen geben, der ohne Zweifel an der Güte und Liebe Gottes durch sein Leben kommt. Zu vieles passiert, wo man dann schon zweifeln kann. Kinder, die umgebracht werden, sinnlose Kriege, schwere Krankheiten, die Leute treffen, die doch eigentlich niemandem was getan haben, ganz persönliche Schicksalsschläge: Immer wieder stellt sich der Glauben an Gott in Frage. Und auch immer wieder könnte man eigentlich was Gutes tun und lässt es oder könnte eine fragwürdige Handlung lassen und tut es trotzdem. Jeder Mensch braucht Vergebung und Gottes Liebe, keiner kann sich selbst erlösen. Du musst nicht perfekt sein, um von Gott geliebt zu werden. Du bist frei von dem Wahn, perfekt werden zu müssen, damit du etwas wert bist. Das ist die Freiheit, die Jesus schenkt. Paulus sagt hier: wenn ihr aber wieder anfangt, Regeln zwischen euch und Gott zu stellen und glaubt, durch das Einhalten von Regeln Gott nahe kommen zu können, dann müsst ihr tatsächlich alle Gebote einhalten und weil ihr das nicht schaffen werdet, verliert ihr die Freiheit der Liebe Jesu wieder. Regeln werden wieder wichtiger als die Liebe.  
Aber diese Freiheit, die Gott schenkt, ist keine Beliebigkeit. Es gibt zwar keine äußeren Regeln, die immer und für alle Zeit 100% garantieren, dass ich das richtige tue, aber es gibt einen Maßstab, den Gott an das Leben anlegt: die Liebe. Die Freiheit, die Gott schenkt, ist eine dienende Freiheit. Hört sich komisch an. Aber das gilt von Anfang an: Gott ist selbst so frei, dass er sich in Jesus, einem Menschen offenbart, damit die Menschen seine Liebe besser verstehen können. Gott nimmt sich die Freiheit, anders zu sein, als sich das viele vorstellen, damit Menschen Liebe entdecken und Liebe schenken können. Gottes Freiheit dient den Menschen. Nicht, weil er nicht anders könnte, ist er Mensch geworden und hat sich an Menschen gebunden, sondern weil er das frei so entschieden hat. Freiheit und Liebe finden ihren Sinn und ihre Erfüllung im Gegenüber. Freiheit findet ihren Sinn darin, auch anderen Freiheit zu schenken und Freiheit zu ermöglichen, Liebe findet ihren Sinn nicht in egoistischer Eigenliebe, sondern in der Liebe zum anderen.
Deshalb hat Martin Luther seiner Grundeinsicht, dass der Mensch frei ist und niemandem Untertan einen zweiten Satz nachgestellt: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan!“ Es gibt keine heiligen oder unheiligen Kleider, kein heiliges oder unheiliges Essen, und ob jetzt jemand tätowiert ist, Ohrringe trägt, HipHop, Volksmusik oder Bach und Mozart hört, darin ist er frei. Gott gibt keine äußeren Regeln vor, Christus macht frei von solchem Unsinn. Aber nicht frei davon, Mensch unter Menschen zu sein. Freiheit verwirklicht sich in der Freiheit der anderen, Lieber verwirklicht sich in der Liebe zu anderen. Oder, wie Paulus sagt: In Christus Jesus gilt der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Darin verwirklicht sich Freiheit. Darin, dass ich mich von der Sehnsucht frei mache, objektive Bedienungsanleitungen für den Glauben zu suchen, die mir das Denken und Lieben letztlich abnehmen. Darin, dass ich den Mut habe, Mensch zu sein. Nicht Marionette. Glaube folgt keinem für alle gültigen Rezept, dass ich zweifelsfrei äußerlich sichtbar nachprüfen könnte, sondern ist eine persönliche Beziehung zu Gott. Liebe folgt keinem fertigen Drehbuch, dass mir einen Fahrplan und Handlungen vorgibt. Sie ereignet sich jeden Tag, in jeder Beziehung neu, immer wieder anders – oder eben gar nicht. Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Es ist leichter, sich in Regelschubladen auszuruhen als die Freiheit der Kinder Gottes zu leben. Freiheit ist manchmal ganz schön anstrengend, aber immer ganz schön. Gott sei Dank.

Amen

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