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Freitag, 29. Juni 2012

Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! - 4. Sonntag n. Tr., 1.7.2012, Reihe IV

Text: 1. Petrus 3,8-17 (Übersetzung: Zürcher Bibel)
Die Überschrift ist ein Zitat von Curse aus dem Lied "Freiheit"

Liebe Gemeinde!


Es ist wieder mal Ferienzeit. Viele werden sich aufmachen, in andere Städte, Länder, an Meere und in die Berge fahren und manche werden ein Gefühl erleben, dass sich kaum beschreiben lässt: die Luft, die man einatmet, scheint ganz anders zu riechen, ganz anders zu schmecken, wenn man sie einatmet. Ein Gefühl von Freiheit, Sorglosigkeit, Erholung, klarer, würziger Luft – am liebsten möchte man gar nicht mehr ausatmen, sondern die Luft tief in sich verschließen, mit nach Hause nehmen. Natürlich ist das biologischer Unsinn. Das funktioniert nicht. Man würde eingehen, sterben, wenn man nicht mehr ausatmet, wenn man nur noch einatmet. Biologischer Unsinn, wie gesagt. Aber vom Gefühl her kennen das, denke ich, einige ganz gut: das Gute und Schöne, das ich erlebe, das mir geschenkt wird, in sich aufsaugen, einatmen und nicht mehr hergeben zu wollen. Aber ich glaube, dass hier das Gleiche wie für das Atmen gilt: Wer nicht wieder ausatmet, stirbt. Wer das Schöne, das er erfährt, festhalten will, wer das Gute, dass ihm geschenkt wird, nur für sich selbst behalten will, stirbt vielleicht nicht biologisch, aber die Seele stirbt.

Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! Am letzten Mittwoch habe ich diesen Satz, der leider nicht von mir stammt, zum ersten Mal gehört. Kurz zuvor hatte ich mir den Predigttext für heute zum ersten Mal angeschaut – und ich fand sofort, dass dieser Satz auf den Punkt bringt, was da in der Bibel gesagt wird. Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! Und was für Freiheit gilt, gilt meiner Meinung nach für Glauben, für Hoffnung und für Liebe ganz genauso. Ich kann das nicht eingrenzen, nicht für mich behalten wollen – dann wird es sinnlos, wertlos, stirbt. Ich muss es ausatmen, weitergeben, weiterschenken. Als Christ zu leben heißt, auszuatmen. Ein Satz aus dem Predigttext, der das für mich auf den Punkt bringt, ist der: Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede. Im Gegenteil: Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben. Segnen, das Gute, das Gott uns schenkt, weiterzugeben, das ist unsere Aufgabe. Nicht aufzurechnen, zu vergelten, und Bösen Böses zu tun. Segen weiterschenken. Das ist es. Vielleicht bin ich davon auch im Moment so begeistert, weil ich ein für mich unvergessliches Erlebnis damit vor ein paar Tagen hatte. Als ich mit meiner 10. Klasse über den Verabschiedungsgottesdienst für die Absolventen der Richtsberggesamtschule und seine Gestaltung gesprochen habe, hat eine Schülerin, von der ich das überhaupt nicht erwartet habe, weil sie sich in den vier Jahren, die wir uns durch den Reliunterricht kannten, immer kritisch zum Glauben geäußert hat, gesagt: „Ich will da von ihnen gesegnet werden!“ Meine Antwort war „Klar, gern! Aber dann möchte ich auch von dir gesegnet werden!“ „Das kann ich doch gar nicht“
 war ihre Erwiderung. Aber dann im Gottesdienst hat sie es doch gemacht. Ich hab das als gegenseitiges Geschenk erlebt. Ihr war sehr wichtig, dass sie erlebt hat, so, wie sie nun mal ist, glauben zu dürfen, nichts fertiges vorgesetzt zu bekommen, sondern selbst auf Entdeckungsreise gehen zu können und auch die negativen Entdeckungen nicht verschweigen zu müssen. Für mich war wichtig, dass sie mich mit ihren kritischen Fragen lebendig gehalten hat, dass ich selber über den Grund meines Glauben nachdenken musste und von ihren Erfahrungen, die ganz anders waren als die, die ich als Jugendlicher gemacht habe. Für mich war der gegenseitige Segen ein sichtbarer Ausdruck von geteiltem Leben, geteilter Freiheit, geteilter Hoffnung, geteiltem Glauben. Und da bin ich schon wieder mitten in diesem Predigttext. Christsein heißt, auszuatmen. Hoffnung, Liebe, Glauben, Freiheit. Der Briefschreiber drückt das natürlich anders aus: Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. Tut es jedoch mit Sanftmut und Ehrfurcht, mit einem guten Gewissen, so sagt er es. Erzählt von eurer Hoffnung, von eurem Glauben, teilt sie – aber nicht so, dass ihr andere damit beschwert. Nicht so, dass ihr anderen etwas aufdrückt und aufzwingt. Nicht so, dass es um auswendig gelernte Sätze geht. Nehmt andere mit hinein in das Gute, in die Liebe, in die Hoffnung, in den Glauben. Ladet ein, atmet aus, behaltet das Gute nicht für euch. Und für mich gehört zu dem guten, zum Ausatmen von Freiheit, Hoffnung, Glauben und Liebe auch der Mut, die Ängste und Zweifel zu teilen. Was soll das jetzt, wird vielleicht der eine oder die andere denken. Wir sollen doch von dem Guten erzählen, davon, wie groß die Liebe ist, die Gott uns in Jesus geschenkt hat. Wieso sollen da Ängste und Zweifel sein? Ganz einfach: weil’s sonst unehrlich wäre! Die Bibel ist so ehrlich, dass sie nicht sagt: Alles ist gut, alles ist toll, Friede, Freude, Eierkuchen, Love, Peace und Happiness. Petrus, der zwar ziemlich sicher den Brief aus dem unser Predigttext kommt, nicht geschrieben hat, aber seinen Namen dafür hergibt, war kein Glaubensheld, sondern einer, der aus Angst Jesus verleugnet hat, obwohl er ihn gut kannte. Die Bibel ist voll von solchen Geschichten. Menschen, die Angst haben, die Zweifeln, die Fragen haben und mit denen Gott trotzdem was anfangen kann. Rechenschaft über die eigene Hoffnung zu geben heißt auch, sagen zu können: Jesus liebt mich, obwohl ich nicht perfekt bin, obwohl ich auch ängstlich sein kann und Zweifel habe. Den perfekten Christen gibt es nicht. Ausatmen. Auch den Mut haben, die Fragen und Zweifel zu teilen. Die Bibel macht uns nichts vor. Auch der Petrusbrief nicht. Er sagt nicht, dass es denen, die Segen weiterschenken, die Hoffnung, Liebe, Glauben, Freiheit weiterschenken, immer gut geht. Der Briefschreiber gibt ein paar ganz konkrete Beispiele, was das heißen kann, so zu leben: er sagt, dass es zu diesem Lebensstil gehört, Verständigung und Frieden zu suchen, sich nicht größer zu machen als man ist, Mitgefühl zu haben, nicht böses mit Bösem zu beantworten, nicht ein Schimpfwort, einen Diss, mit dem nächsten zu beantworten. Lauter Sachen, die eigentlich das Leben gut und angenehm machen würden, die im Alltag aber zu ganz andern Reaktionen führen. Man kann als Schwächling gelten, man kann ausgenutzt werden, andere, die sich das, was sie wollen, einfach nehmen, die rücksichtslos sind, stehen oft viel cooler und erfolgreicher da. Der Briefschreiber erzählt von der Hoffnung, das Gott das sieht, das Gott das nicht egal ist und das Gott bei denen ist, die die Liebe, die Freiheit, nicht um des kurzfristigen Erfolgs willen verraten. Gott ist nicht auf der Seite der Egoisten, der Gewalttäter, der Rücksichtslo-sen. Hoffnung. Mehr nicht. Hoffnung, die manchmal gar nicht so leicht fällt. Dann, wenn über Hauptschüler gelästert wird, wenn manche Akademiker glauben, sich alles unter den Nagel reißen zu dürfen, wenn Abschreiber und Betrüger die besten Zeugnisse haben, wenn so vieles passiert, was nicht in Ordnung ist. Hoffnung, die wir haben, weil Jesus mit seinem Leben dafür steht. Mit seinem Leben, das eben stärker ist als der Tod. Mit seinem leben, dass die Niederlagen und dunklen Seiten nicht ausgeblendet hat und dadurch die Liebe und die Freiheit erst so richtig zum Scheinen gebracht hat. Wer nur einatmet, erstickt. Auch an dem Guten. Jesus hat ein leben im Ausatmen der Liebe, der Hoffnung, der Freiheit geführt. Dieses Leben war stärker als selbst der Tod. Das kann unsere Hoffnung sein. Oder werden. Freiheit kann man nicht eingrenzen, Freiheit muss man ausatmen! Und Hoffnung, Liebe, Glauben auch. Auch, weil das alles nicht ohne Freiheit geht. Ich wünsche uns allen viel Freude beim Atmen. In den Bergen, an der See, auf dem Richtsberg, egal, wo wir in den nächsten Wochen sind.

Amen.

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