Text: Jeremia 31,31-34
Liebe Gemeinde!
Der Bund für’s Leben! Eine tolle Sache, wenn es klappt. In diesem Jahr werde ich als Pfarrer so viele kirchliche Trauungen begleiten dürfen, Paare für ihren gemeinsamen Weg segnen dürfen wie schon lange nicht mehr. Und jedes dieser Paare möchte mit vollem Ernst und aus voller Überzeugung von mir gefragt werden: Willst du den Menschen, den Gott dir anvertraut, lieben und ehren und die Ehe mit ihm nach Gottes Gebot und Verheißung führen in guten und in bösen Tagen, bis dass der Tod euch scheidet? Und ich habe schon lange niemanden mehr erlebt, der irgendwie verschämt ein undeutliches „Ja“ genuschelt hätte, sondern meistens höre ich ein kräftiges und deutliches „Ja, mit Gottes Hilfe!“ Die Gottesdienstordnungen unserer Kirche geben auch die Möglichkeit, die Frage anders zu formulieren und auf das „bis das der Tod euch scheidet“ zu verzichten. Statistisch gesehen wird es bei etwa einem Drittel der Paare sicher nicht der Tod sein, der die beiden scheidet, sondern ein weltliches Gericht. Und auch Pfarrer, Kirchenmitarbeiter und wirklich ganz fromme Christen sind nicht immun dagegen, dass aus dem Bund für’s Leben am Ende nur ein Bund auf Zeit wird. Und trotzdem ist es für die allermeisten Jugendlichen, mit denen ich rede, am Ende ein Ziel, jemanden zu finden, mit 20 vielleicht oder mit 25, mit dem man wirklich den ganzen Rest des Lebens teilen will. Und trotz ernüchternder Statistik schließen immer noch, und vielleicht sogar im Moment wieder mehr, Paare den Bund für’s Leben nicht nur auf dem Standesamt, sondern ausdrücklich auch mit dem Versprechen „vor Gott und seiner Gemeinde“, wie es in der Vorrede zu der entscheidenden Frag ein unseren Hochzeitsgottesdiensten heißt.
Als Erwachsener weiß man, und als Kind hat man es manchmal miterleben müssen, dass so ein Bund aber bei allem guten Willen nicht unendlich viele Enttäuschungen verträgt. Irgendwann ist Schluss. Vor allem dann, wenn nicht nur einmal das Vertrauen missbraucht und die Treue gebrochen wurde. Und manchmal ist es für mich auch ein Zeichen christlicher Nächstenliebe, einer Frau Mut zu machen, sich von einem Mann zu trennen, der sie schlägt, der das Geld verzockt und der ihren guten Willen durch permanente Demütigung, Unterdrückung und Untreue missbraucht.
Wie viel Untreue, wie viel Verrat verträgt ein so ein Bund? Wenn wir uns unsere menschlichen Bünde, nicht nur die für’s Leben, auch die Freundschaftsbünde, die Geschäftsbünde oder die Verbindung in einer Kirchen-gemeinde anschauen, dann mag das zwar im Einzelnen unterschiedlich sein, aber im Ganzen muss man feststel-len: diese Zahl ist äußerst endlich. Irgendwann ist dann Schluss.
Und dann? Rache? Selbstvorwürfe? Depression? Freunde bleiben ist jedenfalls in den allermeisten Fällen eine bloße Illusion, da macht man sich was vor.
Erfahrungen aus dem ganz normalen Leben. irgendwann kann man doch nicht mehr richtig lieben. Und irgendwann fangen Menschen an, die Vorstellungen, die sie ha-ben, auf Gott zu übertragen. Das muss doch einer sein, der irgendwann mal genug von der Untreue der Menschen hat. Wir Menschen kriegen soft genug so viele Chancen, Gutes zu tun, zu lieben und einfach nur so zu leben, wie wir eigentlich ja wissen, dass es richtig wäre – und wir schaffen es immer wieder nicht. Und Gott sollte doch endlich mal dazwischenhauen und Ernst machen.
Strafen! Aber Gott geht mit den Menschen einen anderen Weg. Er lässt sich auf einen echten Bund für’s Leben ein. Dafür steht nicht erst Jesus, dafür stehen nicht Pfarrerinnen und Pfarrer, die immer mal, und manchmal vielleicht auch zu oft, von der Liebe Gottes erzählen. Dafür steht schon die Geschichte Gottes mit seinem Volk, mit Israel. Schon im ersten, im Alten Testament, beim Propheten Jeremia ist Gott nicht der rächende Gott, der aus Enttäuschung seinen Bund mit Israel kündigt, sondern einer, der den Bund trotz aller Enttäuschungen neu schließt:
Lesen: Jeremia 31,31-34
Gott hat seinem Volk Israel Freiheit geschenkt, Freiheit aus der ägyptischen Sklaverei. Und im Laufe der Zeit hatten die Menschen nichts Besseres zu tun, als diese Freiheit zu missbrauchen. Schwächere wurden ausgebeutet, die Rechte der Armen missachtet, im nördlichen Teil des Landes, der damals den Namen Israel hatte, dann auch ganz offiziell die Götter fremder Völker angebetet. Schien irgendwie ganz wichtig zu sein, es sich mit den Nachbarn nicht zu verderben. Dieser Teil des Landes ist etwa 150 Jahre vor Jeremia vernichtet worden und untergegangen. Aber der Süden, das Land Juda, hatte nichts gelernt. Auch hier musste Gott hinter die Politik zurücktreten, auch hier schien es wichtiger zu sein, dass es wenigen gut geht und Gott war nur noch einer, an den man bei Feiertagen dachte. Und auch dieser Teil des Landes wurde vernichtet. Auch Menschen, denen Gott etwas Gutes, Freiheit, schenkt, die wissen, dass er sie liebt, die sogar die Gefahren sehen, die da sind, wenn man sich von dem Weg, der gut für’s Leben ist, verabschiedet, sind nicht in der Lage, treu zu sein. Aber Gott ist nicht der, der Rache und Vernichtung will, sondern der, der einen Neuanfang schenkt. Gott bindet sich in seiner unendlichen Freiheit so sehr an die Men-schen, dass er sie auch nach Enttäuschungen zurück zum Grund und zur Quelle des Lebens holen will.
Wenn ich sage: „Ich verstehe Gott oft nicht“, dann denke ich meistens an ganz schreckliche und traurige Ereignisse. Den Tod junger Menschen, die Demütigungen und Misshandlungen, die manche Kinder ertragen müssen, den Sinn von Kriegen, das Leiden von Menschen, die nach meinen Maßstäben richtig gutes Leben geführt ha-ben, an Hirntumoren und anderem – ich verstehe es nicht. Ich will es auch nicht verstehen und auch als Pfarrer denke ich manchmal, dass ich Gott nicht verstehe.
Aber eigentlich muss ich sagen und zugeben, dass ich seine Liebe noch viel weniger verstehe. Seine Treue. Liebe und Treue, die auch Veränderungen aushalten, die sich nicht irre machen lassen, sondern die immer wieder den Neuanfang suchen: das ist nicht zu verstehen. Die Größe Gottes, und das zieht sich durch die ganze Bibel, zeigt sich nicht darin, dass er die tollsten Wunderdinge vollbringt, Naturgesetze außer Kraft setzen würde – wobei ich mich immer wieder frage, warum Menschen glauben, Gott sollte in seiner Allmacht das, was er geschaffen hat, verneinen und die Welt chaotisch sein lassen, für mich ist die relative Verlässlichkeit der Welt, die Naturgesetze, an die Gott seine Schöpfung gebunden hat, ein spiegel der Schönheit und der Größe Gottes. Der Liebe zu uns, dass er eben nicht alles chaotisch sein lässt, undurchschaubar, sondern dass er uns Möglichkeiten und die Freiheit gibt, uns selbst in dieser Welt, seiner Welt zurechtzufinden. Also: die Größe Gottes zeigt sich nicht in seiner Fähigkeit, Naturgesetze zu durchbrechen, sondern in seiner Vergebungsbereitschaft und seiner Liebe. Im neuen Bund.
Wir Christen sollten uns davor hüten, das jetzt allzu schnell exklusiv auf uns zu beziehen und zu sagen: Na, das hat sich doch in Jesus so erfüllt. Wenn wir Gottes Wort ernst nehmen, dann steht die endgültige Vollendung noch aus – auch wir warten auf die Wiederkunft Christi, auf die Welt, in der kein Leid und keine Tränen mehr sein werden, in der Gottes Gegenwart alles erfüllt. Und der Bund, von dem der Prophet hier erzählt, ist eben auch auf das Gesetz, die Thora, die Weisungen, die Gott seinem Volk Israel offenbart hat, bezogen: das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Aber er ist eben jetzt offen für die, die die Weisungen Gottes in Herz und Sinn haben. Nicht mehr nur ein Bund der auf einem geschichtlichen Ereignis beruht, sondern Gott öffnet diesen Bund, indem er die Menschen für sein Wort öffnet. Und das, was ich menschlich am schönsten finde: ist der Schlusssatz: es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr ge-denken. Nicht wir Menschen bestimmen, wer dazu kommt, nicht die, die zuerst da waren, haben die Weisheit Gottes mit Löffeln gegessen, sondern Gott stellt uns geschwisterlich nebeneinander. Juden und Christen. Katholiken, Orthodoxe, Evangelische. Christustreff, Baptisten, Landeskirche, evangelische Gemeinschaft, Licht der Hoffnung. Keiner soll und wird dem andern sagen: „Erkenne Gott, so wie ich ihn erkannt habe“. Gott schließt seinen Bund nicht exklusiv mit einem kleinen Teil derer, die sein Wort im Herzen haben. Jeder macht sich schuldig. Und jedem gilt die Zusage der Vergebung. Noch ist es nicht soweit, dass wir diesen Bund des Lebens wirklich so erfahren. Noch steht die endgültige Verwirklichung aus. Immer noch. Aber dieser Bund des Lebens macht uns Mut und Hoffnung, dass wir, trotz aller Fehler, Bünde für’s Leben eingehen können. Mit Menschen. Mit Gott. Ihm sei Dank!
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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