Text: 1. Petrus 1,13-21
Liebe Gemeinde!
Aller Anfang ist leicht! Na gut, vielleicht nicht aller An-fang. Aber ich glaube, es stimmt nicht, wenn man einfach so immer wieder sagt: „Aller Anfang ist schwer!“ Es gibt jede Menge Anfänge, die leicht sind. Da ist am Anfang ganz viel Schwung, ganz viel Lust, Neues zu sehen und zu entdecken. Für mich ist die Schule so ein Beispiel. Ganz, ganz viele Kinder freuen sich auf die Schule. Wenn ich in der Kita bei der Verabschiedung der Großen, in unserer Kita Berliner Str. sind das die „Wackelzähne“, dabei bin oder wenn ich den Gottesdienst für die Schulanfänger halte, dann ist bei den allermeisten Kindern ganz klar: Wir freuen uns auf die Schule und Lernen macht ganz viel Spaß. Im 8. Schuljahr sieht das ein bisschen anders aus. Lernen macht auch Mühe, nachdem es am Anfang oft ziemlich schnell vorwärts geht, stellen sich auch Misserfolge ein, Anderes wird auch wichtig. Der Anfang war leicht, aber das Durch-halten ist gar nicht so einfach. In einer Liebesbeziehung ist das manchmal so ähnlich. Wenn erstmal die erste Verliebtheit verflogen ist, wenn die Macken nach und nach rauskommen, wenn man sich auch öfter mal unausgeschlafen, gereizt und ungeschminkt begegnet ist, dann braucht man Stehvermögen, das manchmal auch Kraft kostet. Und ich denke, dass es im Glauben an Jesus so ähnlich ist. Und auch früher schon so ähnlich war. Der Anfang ist oft gar nicht so schwer. Da begegnet man Menschen, die einen faszinieren, die einem ganz toll von Jesus erzählen und die das auch ganz überzeugend vorleben. da hat man Power und Lust, es selbst mal zu probieren, man merkt, dass es ganz gut klappt. Aber dann kommt der Alltag. Nicht alles, was man sich vom Glauben erhofft hat, trifft sofort ein. Es gibt Rückschläge und man merkt mehr oder weniger schnell, dass auch guten Menschen Böses passiert.
Für so eine ähnliche Situation vor fast 2000 Jahren ist auch der Brief geschrieben, aus dem der Predigttext für heute ist. Es ist der erste Petrusbrief. Ziemlich schnell hat der Glauben an Jesus damals neue Anhänger gefunden. Kein Wunder. Er hat frei gemacht. Zum Beispiel frei davon, die Menschen in Kästchen je nach ihrem Besitz oder ihrer Stellung einzuteilen. Damals gab es viele Sklaven. Die waren in der christlichen Gemeinde genauso viel wert wie Kaufleute oder Landbesitzer. Die Sklaven waren zwar immer noch nicht unbedingt frei, aber sie konnten wissen: die Leute bilden sich was ein, wenn sie glauben, andere Menschen besitzen zu können. Man kann zwar Menschen durch Macht oder Gewalt zu etwas zwingen, aber für Gott sind die Sklaven mindestens so viel wert wie jeder reiche Mensch. Gott sieht nicht auf das, was ein Mensch äußerlich darstellt, sondern was in ihm steckt. Und auch manche reichen Menschen haben gespürt, dass der Glauben an Jesus sie wirklich frei machen will. „Ich muss nicht mehr mit meinem Nachbarn konkurrieren,
wer das schönste Haus oder das meiste Land oder das meiste Geld hat, wer am schönsten angezogen ist oder wer sich am meisten Luxus leisten kann. Nicht der Besitz macht mich gut und wertvoll, sondern die Liebe von Jesus“. Und manche Menschen haben erlebt, dass der Glauben an Jesus auch von Krankheiten frei macht und Leben wirklich heil wird. Ja, der Glauben hat frei gemacht und viele haben sich angesprochen gefühlt. Der Anfang war leicht. Aber dann: der Alltag. So anstrengend. Und da hat sich eben nicht die schnelle Verwandlung der Welt in eine Gesellschaft, so, wie Gott sie will, vollzogen. Da gab es weiter Schwierigkeiten, im persönlichen Leben genauso wie in der Gemeinde. Da konnte dann auch nicht jeder mit jedem, da gab es auch Neid. Und dann die Frage, ob sich der Glauben lohnt und ob es nicht doch dem Nachbarn, der nichts von Jesus hält und viel Geld macht, besser geht und man nicht so weitermachen sollte wie früher.
Die Einzelprobleme sind heute sicher anders als früher. Aber das Grundproblem ist vielleicht gar nicht so anders. Nämlich die Frage: wie kann ich eigentlich im Alltag Christ sein, wie kann ich glauben, wenn nicht alles immer so klar und einfach ist und wenn der Zauber des Anfangs weg ist? An Leute, die diese Frage hatten, an Menschen, die der Glaubensalltag langsam müde gemacht hat, hat sich der erste Petrusbrief gerichtet.
Der erste Tipp, den der Briefschreiber den Menschen gibt, hört sich für unsere Ohren erstmal ganz seltsam an: Darum umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Wenn man versteht, dass der Briefschreiber auf den Aufbruch des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten anspielt, wenn man weiß, dass die israelitischen Sklaven bereit sein sollten, sich auf den Weg in die Freiheit zu machen und dazu gegürtet, also aufbruchsbereit angezogen, sein sollten, dann kann man vielleicht ahnen, dass es hier um was ganz wichtiges geht. Glauben heißt: beweglich im Kopf zu bleiben, nicht immer nur dasselbe wiederkäuen, nicht das zu machen, was alle machen, sondern bereit zu sein, sich auch im Kopf, im Geist, auf den Weg zu machen. Nüchtern sein – also nachdenken, offene Augen haben, den Verstand nicht ausschalten, das hat auf den ersten Blick gar nichts mit Hoffnung zu tun. Oft scheint man ja gegen die Vernunft hoffen zu sollen oder hoffen zu müssen. Aber ich finde es ganz erfrischend und befreiend, dass schon in diesem Anfang vom Predigttext so viel drinsteckt: Du musst deinen Kopf, deinen Verstand nicht abgeben, wenn du an Gott glaubst. Im Gegenteil. Nicht die spektakuläre Show, die krasse Heilung ist das Entscheidende, sondern dass du den ganz normalen Wahnsinn des Alltags durchblickst und siehst, was da gut ist und was eben nicht weiterhilft. Das steckt drin. Und das Glauben frei macht. Und das Glauben und die Zuwendung Gottes und die Vergebung und die Liebe keine Besitz sind. Ein Angebot, zu dem und mit dem wir auf dem Weg sind, bis Gott die Welt endgültig neu macht. Wir sind auf dem Weg. Bei Gott ist das Ziel schon beschlossene Sache. Aber wir sind noch nicht am Ziel. auf dem Weg dahin kann man müde werden, enttäuscht werden - aber ohne dass wir uns auf den Weg machen, kommen wir nicht ans Ziel.
Und auf dem Weg sind wir frei. Für Gott sind wir keine Sklaven, keine Objekte, mit denen er irgendwas macht, sondern Subjekte, eigenständige Personen. Und deshalb können wir uns auch so verhalten, wie es der Liebe ent-spricht, nämlich heilig. Heilig heißt nicht, dass wir perfekt sein sollen. Das können wir gar nicht. Heilig macht uns auch nicht unser Verhalten, sondern die Tatsache, dass wir zu Gott gehören. Durch die Taufe. Durch die Liebe. Durch Jesus. Heilig zu sein heißt, sich die Freiheit zu nehmen, anders zu sein. Der Briefschreiber sagt was davon, dass die Menschen nicht den Begierden, in denen wir früher lebten, dienen sollen. Auf heute übertragen denke ich, dass wir gegenüber dem, was uns als normal angeboten wird, kritisch bleiben sollen. Es ist der einfache Weg, sein Leben danach auszurichten, dass ich möglichst reich werde, vielleicht einen möglichst tollen Schul- oder Uniabschluss kriege, vielleicht schöner als andere bin und mir auf das alles was einzubilden und Menschen danach einzuteilen. Begierden hat hier nichts in erster Linie mit Sex zu tun, sondern damit, dass ich gierig werde. Und mehr, Besseres, Größeres als andere haben will und nicht genug bekommen kann. Heilig zu sein heißt „Nein“ sagen zu können, verzichten zu können, wirklich frei zu sein. Frei werde ich nicht dadurch, dass ich alles besitze, sondern dadurch, dass ich auch verzichten kann. Wer nicht verzichten kann, wer sich an irgendwas klammert, der ist nicht frei. Und Freiheit ist eigentlich das große Geschenk, das Gott uns im Glauben macht. Der Briefschreiber drückt das wieder etwas merkwürdig aus: ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt. Nichts Materielles sorgt für unsere Freiheit, sondern die totale Liebe, das Leben selbst. „Blut“ spielt nicht nur auf den gewaltsamen Tod Jesu an, sondern auch darauf, dass in ihm der Sitz des Lebens gesehen wurde. Gottes Zuwendung zum Leben selbst, sein Leben, macht uns frei. Von Anfang an war das sein Plan. Durch die Auferstehung, den Sieg über den Tod, haben wir eine Ahnung davon, was das heißen kann. Aber das Ziel ist noch nicht erreicht. Glauben und Hoffnung – ein Weg zum Leben, ein Weg zur Freiheit. Aller Anfang ist leicht, auch der Anfang, diesen Weg zu gehen. Durchhalten, weitergehen ist das, was müde macht. Dazu brauchen wir Glauben und Hoffnung. Nicht als Besitz, sondern als Proviant für den Weg. Sein Ziel ist die Liebe, das Leben, so wie es sein soll, so wie es in Jesus schon la aufgeblitzt ist. Ich hab das Gefühl, noch so viel sagen zu müssen. Über die Gottesfurcht, die keine angst ist, sondern Respekt und Liebe. Gott ist nicht der Kumpel, der alles durchgehen lässt und nicht der Jagdhund, der uns zur Strecke bringen will, sondern der Vater, der uns liebt und uns zum Leben führt. Oder darüber, dass vor Gott das Ansehen der Person nichts gilt. Da ist der Pfarrer nicht mehr als der Konfi. Aber ich mach jetzt Schluss. Lebne und gehen müssen wir selber. Da helfen auch noch so schlaue Briefe und noch so lange Predigten nichts. Gebe Gott, dass unser Anfang mit ihm leicht ist und dass wir auf dem Weg mit ihm nicht den Mut und die Kraft verlieren.
Amen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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