Text: Apostelgeschichte 9,1-20
Liebe Gemeinde!
Alles wird anders! Manchmal ist die Hoffnung auf Veränderung, auf einen Neuanfang, die einzige Hoffnung, die bleibt. Dann, wenn im Moment die ganze Welt gegen eine zu stehen scheint. In der Schule klappt’s gar nicht, weder mit den Lehrern noch in der Klasse. Mit den Eltern auch nicht, die haben immer was zu meckern, da macht man im Moment alles falsch. Alles wird anders – hoffentlich! Wenn die Sorge um das Geld, die Arbeitslosigkeit, um die Alkoholsucht beim Ehepartner, beim Kind oder Enkel das Leben beherrscht. Alles wird anders – hoffentlich! Wenn die Flutwelle das ganze Hab und Gut weggespült hat. Wenn die Trauer über einen Menschen, der gestorben ist, übermächtig wird. Wenn einem die Kindheit gestohlen wird, weil man für die Familie arbeiten muss, weil Vater und Mutter sich aus dem Staub gemacht haben. Alles wird anders - hoffent-lich! Oder auch: Bloß nicht! Alles wird anders - keine schöne Vorstellung, wenn man sich gerade wohl fühlt, viele Freunde hat, ganz genau weiß, was man will. Alles wird anders – bloß nicht, wenn man gerade glaubt, wirklich Halt gefunden zu haben. Bloß keine Veränderungen! Alles, was anders ist oder wird, scheint eine Bedrohung zu sein. So dachte wohl auch Saulus, als er sich auf den Weg nach Damaskus machte. Wieso glauben Menschen anders an Gott als ich? Mein Glauben ist richtig, da muss doch alles andere Gotteslästerung sein! Gott gebührt die Ehre – und deshalb müssen alle, die anders von ihm reden, anders an ihn glauben, mundtot gemacht werden. Saulus kann das nicht ertragen. Es macht ihn wütend. Und deshalb möchte er alle, die vom richtigen Glauben, so wie er ihn überliefert bekommen hat, abweichen, verhaften, anklagen, bestra-fen. Bloß keine Veränderung! Aber Jesus stellt sich ihm in den Weg. Unsichtbar, aber doch spürbar, hörbar. Sau-lus ändert sich nicht sofort. Er kann nicht mehr weitermachen wie bisher. Er braucht Zeit. Er sieht nichts mehr. Er, der so aktiv war, muss sich nun auf andere ver-lassen. Er braucht Zeit, um mit sich und Gott ins Reine zu kommen. Alte Geschichte aus der Bibel – kann man sagen, ganz klar. Fast 2000 Jahre alt. Aber aufgeladen mit viel Hoffnung für heute. Jesus tritt Saulus in den Weg, der auf dem Weg ist, Hass, Intoleranz, Unrecht zu verbreiten. Er tritt ihm in den Weg, als er auf einem völlig falschen Weg ist. Für mich ein Grund, die Hoffnung für Menschen, die sich auf solche Wege begeben, nicht völlig aufzugeben. Umkehr zum Leben, das ist nicht nur eine Sache des guten Willens, sondern es braucht den, der einem dabei in den Weg tritt. Vielleicht auch ein Teil der Hoffnung, mit der Eltern ihr Kind taufen. Dann, wenn wir es loslassen müssen, wenn es eigene Wege geht, die auch mal in die Irre führen können, wird Jesus ihm hoffentlich in den Weg treten und ihm die Chance geben, umzukehren und sich dem Weg und einen neuen Weg zu gehen. Gott gibt niemanden verloren. Menschen können sich verändern. Dazu gehört aber eben auch die Bereitschaft, in sich zu gehen und das Verhältnis zu sich selbst und zu Gott in Ordnung zu bringen. Drei Tage tut Saulus nichts anderes. Auch das muss gerade ich mir immer wieder sagen lassen und eingestehen – es ist eine Sache, wahrzunehmen, zu hören, dass ich auf einem Weg bin, der zu nichts Gutem führt – es ist eine andere Sache, diese Einladung zur Umkehr wirklich anzunehmen und sich und Gott die Zeit zu geben, den Neuanfang zu starten. Wann nehme ich mir denn mal drei Tage Zeit, so wie Saulus, um mich auf den Weg, den Gott mit mir gehen will, einzustimmen. Da ist die Kirchenvorstandssitzung, die Mitarbeiterbesprechung, die Konferenz, die Predigt für den Sonntagsgottesdienst, die Schule, der Seniorennachmittag, die Beerdigung, die Taufe, der Gottesdienst im Altersheim, der Geburtstagsbesuch – lauter wichtige Sachen, die erledigt werden müssen. Zeit zum Hören ist vielleicht noch da. Das geht schnell. Aber Zeit, um das von Gott Gehörte zu verarbeiten, mit Leben zu füllen? Wir müssen nicht bei den ganz schlimmen und bösen Menschen, bei Verbrechern, bei Menschen, die andere wegen ihres Glau-bens oder ihrer Nationalität verfolgen, anfangen. Wir können, das lehrt mich die Geschichte von Saulus, ruhig bei uns anfangen, wenn’s darum geht, das Gott auf falschen Wegen durchaus in den Weg tritt, das Umkehr aber auch heißt, sich Zeit zu nehmen und Verhältnisse in Ordnung zu bringen.
Saulus nimmt sich die Zeit. Vielleicht zwangsweise, durch seine Blindheit. Aber er nimmt sie sich. Und dann taucht für mich der eigentliche menschliche Star dieser Geschichte auf: Hananias. Für mich ist er der eigentliche Held der Geschichte. Alles wird anders – manchmal sind ja auch Zweifel angebracht. Saulus, derjenige, der ihn und die Gemeinde verfolgen wollte, der ihnen Böses wollte, der in Kauf genommen hätte, dass sie wegen ihres Glaubens umgebracht würden – hat der sich wirklich verändert? Kann wirklich alles anders werden? Können sich Menschen wirklich ändern oder gilt: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…“? Hananias hat seine Zweifel, aber er traut seinem Glauben, er traut Jesus zu, dass die Begegnung mit ihm Menschen verändert. Letztlich ja eben auch ihn. Er ist bereit, auf Saulus zuzugehen, ihm den Weg in ein neues Leben zu öffnen.
Es ist schon nicht leicht, umzukehren. Es ist schon nicht leicht, Fehler, Schuld einzusehen, einzugestehen und um Vergebung zu bitten. Aber wieviel schwerer ist es, diese Vergebung zu leben und dem, der schuldig geworden ist, neue Wege ins Leben zu öffnen?! Die Begegnung mit Hananias, mit einem Menschen, der bereit ist, zu verge-ben, öffnet Saulus die Augen und lässt ihn dann endgültig zu einem neuen Menschen werden. Hananias überwindet seine Zweifel und lässt sich von Gott anstecken, die Vergebung und den Neuanfang, den Gott Saulus schenkt, mit konkretem Leben zu füllen. Für mich ist das der entscheidende Schritt, damit aus dem Christenverfolger Saulus der Missionar Paulus, der vielen Menschen den Zugang zu Gott geöffnet und erleichtert hat, werden kann. Hananias ist bereit, Saulus Vergebung zu gewähren und einen Neuanfang zu schenken. Er ist bereit, Jesus auch an dieser Stelle wirklich nachzufolgen. Für mich ist das die ganz große Anfrage, an mich persönlich, an uns als Gemeinde, an jeden von uns, der als Christ lebt: Bist du bereit, dort, wo Gott vergibt und einen Neuanfang schenkt, auch zu vergeben und so anderen einen Neuanfang, offene Augen für das Leben, zu schenken? Eine Frage, die sich leicht mit „Ja“ beantworten lässt, wenn’s einen nicht wirklich betrifft. Wenn ich an mich denke: Es fällt mir nicht schwer, einem Schüler, der von einer anderen Schule strafversetzt wurde, der sich bemüht, die Chance, die ihm gegeben wird, zu ergreifen, freundlich zu begegnen und ihn oder sie zu unterstützen. Ich denke, da findet jede und jeder auch andere Beispiele für sich selbst. Schwerer ist es da, wo ich weiß, dass mich jemand beklaut oder angelogen hat. Da zu vergeben, darauf zu vertrauen, dass der Neuanfang, den ich ihm schenke, letztlich von Gott gegeben ist und sich zum Guten auswirkt und von dem, der geklaut hat, nicht als Zeichen von Schwäche gesehen wird, ist sehr viel schwerer. Und wenn’s darum gehen würde, dass jemand mir, meiner Familie, meinen Freunden nach dem Leben getrachtet hätte – so wie da ja bei Saulus und Hananias der Fall war – ich weiß nicht, ob ich die Größe von Hananias gehabt hätte, zu Saulus zu gehen, zu dem, von dem ich weiß, dass er mein Leben, meinen Glauben verfolgte und mich hasste. Hananias ist für mich die wichtigste Person in der Geschichte. Ohne ihn, ohne seine Bereitschaft, die Vergebung, die Gott schenkt, mit eigener Vergebungsbereitschaft zu füllen, wären Saulus nie die Augen aufgegangen. Mich per-sönlich stellt Hananias noch sehr viel deutlicher vor die Frage, ob ich bereit bin, der Veränderung, dem Neuanfang, den Gott durch Jesus schenkt, wirklich zu trauen. Alles wird anders – zum Guten! Kann ich das Hören? Und wenn ja, kann ich das nicht nur hören, sondern auch annehmen und mit Leben füllen? Und wenn ja, gilt das nur für mich und mein Leben oder traue ich auch den Neuanfängen, die Gott anderen schenkt und bin ich bereit, wirklich auf sie zuzugehen und Gott mehr zu trauen als meinen Vorbehalten? Unsere Lebenswirklichkeit lehrt uns, nicht jedem Menschen zu vertrauen. Gebe Gott, dass wir den Mut bekommen, ihm dafür umso mehr zu trauen und Schritte aufeinander zuzugehen. Gebe Gott, dass dadurch uns und anderen die Augen geöffnet werden, dass immer mehr Menschen wirklich zum Leben umkehren. Gebe Gott, dass alles anders wird – für Menschen, die sich in ihrem Hass verrannt haben genauso wie für die Flutopfer, für ausgebeutete, missbrauchte Kinder genauso wie für alle, die in ihrem Misstrauen und in ihrer Angst gefangen sind. Durch Jesus, der Menschen in den Weg tritt. Durch Men-schen, die bereit sind, sich Zeit zu nehmen und in sich zu gehen. Durch Menschen, die bereit sind, Gottes Verge-bung mit Leben zu füllen. Auch durch mich? Auch durch uns?
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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