Text: Apostelgeschichte 2,1-13(18)
Liebe Gemeinde!
Besoffen vor Begeisterung – vielleicht waren das ja gestern Abend die Anhänger von Inter Mailand nach dem Gewinn des Champions-League Finales in Madrid. Und vielleicht haben viele von ihnen noch gar nicht mal viel Alkohol getrunken, sondern sich aus lauter Freude über den Sieg so begeistert verhalten, dass andere, die mit Fußball nichts anfangen können, gedacht haben: die müssen wirklich besoffen sein. Aber wer selbst schon mal echte Begeisterung bei sich erlebt hat, wer sich als Fußballfan oder Fan einer anderen Mannschaft mal so richtig von tollen Spielen oder Siegen hat mitreißen lassen, der weiß: weder Red Bull noch irgendein Bier können solche Flügel verleihen wie echte Begeisterung, die einen zu Dingen treibt, die man sich, wenn man viel nachdenkt, gar nicht trauen würde. Wer so richtig Feuer und Flamme für etwas ist, der kann andere anstecken. Mit seiner Begeisterung. Natürlich waren die Jünger, die ohne Jesus zurechtkommen mussten, keine Fans des FC Jerusalem, der gerade die römische Reichsmeisterschaft gewonnen hätte. Und ich glaube auch nicht, dass der heilige Geist am Werk sein muss, um die eigene Begeisterung für eine Band oder eine Sängerin, für ein Hobby oder eine politische Partei anderen ansteckend zu vermitteln. Aber das, was uns Lukas in seiner Apostelgeschichte über den Geburtstag der Kirche erzählt, über die Begeisterung der Jünger, ist keine alte Geschichte, die vor fast 2000 Jahren in einem fernen Land spielt und die nichts mit uns heute zu tun hätte. Es ist keine bloße Geschichte, sondern eine Wirklichkeit, die bis heute Leben berühren und verändern kann. Bis in unsere Alltagssprache hinein wirkt Pfingsten. Auch wenn „begeistert sein“ heute längst nicht immer mit dem Glauben in Verbindung gebracht wird, auch wenn man nicht nur für den Glauben an Gott Feuer und Flamme ist – dass so immer noch geredet wird, hat mit den Erfahrungen zu tun, die Lukas in der Apostelgeschichte erzählt.
Jetzt ist es natürlich kein Grund, am Pfingstsonntag in der Kirche zu sitzen, nur weil manches, was in der Bibel steht, in unserer Alltagssprache vorkommt. Und das ist auch kein Grund, zu behaupten, dass die Wirklichkeit, von der die Apostelgeschichte erzählt, noch heute da ist. Der Grund ist der, dass die Wirkung des Geistes Gottes viel Alltäglicher ist, als wir es manchmal glauben. Natür-lich wird hier in der Bibel, in der Pfingstgeschichte, etwas Wunderbares, fast Unglaubliches erzählt. Und das ver-führt Menschen immer wieder dazu, mit Gott und dem Glauben die absolut übernatürlichen, unerklärlichen Sa-chen in Verbindung zu bringen und enttäuscht zu sein, wenn nicht wenigstens ein Dutzend Krebskranker spontan geheilt wird oder andere spektakuläre Dinge passieren. Aber wenn wir mal drauf achten, was die Wirkung des Geistes ist, dann sind das ganz unspektakuläre Dinge, die den Alltag der Menschen voran bringen.
An drei Punkten aus der Pfingstgeschichte möchte ich von Gottes Geist in unserem Alltag erzählen. Einmal an der wunderbaren Fähigkeit der Jünger, Menschen aus anderen Ländern in ihrer eigenen Sprache erreichen zu können. Zum zweiten an der Beobachtung, dass dort nicht gerade die Elite der damaligen Gesellschaft gepredigt hat. Und zum dritten an der Beobachtung, dass die Jünger zum ersten Mal sich nicht auf den verlassen, den sie sehen und anfassen können, nämlich Jesus, sondern auf eine neue Wirklichkeit Gottes, die da, aber nicht greifbar ist.
Zur ersten Beobachtung der Alltagstauglichkeit der alten Pfingstgeschichte. Es wäre toll, wenn mir das Gleiche passieren würde, wie es den Jüngern passiert ist. Wenn ich ohne Zeit fürs Lernen zu investieren, Russisch und Arabisch sprechen und verstehen könnte. Italienisch, Spanisch und Französisch würde ich dann auch noch gern mitnehmen. Und zigtausende Schüler träumen wohl auch von Englisch-, Französisch- und anderen Sprachkenntnissen ohne Arbeitsaufwand. Aber da müssen wir alle wohl lange warten. Das ist auch nicht der Kern, der den Geist Gottes auch heute noch wirksam macht. Der Kern ist doch der: Menschen verstehen sich plötzlich. Grenzen spielen keine trennende Rolle mehr. Gott, der Glaube an ihn, lässt sich nicht mehr in ein bestimmtes Land oder in die Grenzen einer einzigen Spra-che einsperren. Gottes Geist ist auch heute noch da im Spiel, wo Menschen über Grenzen hinweg Verständigung suchen und finden. Sprachliche Grenzen, kulturelle Gren-zen, die Grenzen, die unsere Vorurteile errichten. Die ver-schiedenen Sprachen, die die Menschen damals gesprochen haben, die bleiben. Aber sie sind nicht mehr Zeichen der Trennung, sondern Zeichen der Vielfalt, die möglich ist. Wo Menschen Verständigung suchen und finden, da ist Gottes Geist am Wirken. Bis heute. Zwei Erlebnisse von mir. In meiner vorigen Gemeinde in Fulda kam regelmäßig eine Frau aus Kamerun in den Gottesdienst. Sie sprach kein Deutsch und praktisch kein Englisch. Aber sie kam, weil sie spürte: Hier kann ich beten, hier sind andere, die Gottes Wort hören und beten. Sie wurde ein Teil der Gemeinde, hat andere aus Kamerun mitgebracht und die haben gesungen und getanzt und so die Gemeinde bereichert. Das andere Erlebnis ist das Gebetstreffen von christlichen Gemeinden und Initiativen vor knapp vier Wochen in der Thomaskirche. Menschen aus ganz verschiedenen Gemeinden, mit ganz unterschiedlichen Arten, die Bibel zu lesen und zu beten, haben sich getroffen. Es ist eine Gemeinschaft entstanden, die die Unterschiede, die es gibt, als Bereicherung erlebt hat. Gottes Geist war da. Deshalb ist es traurig, dass es immer noch Menschen gibt, die sich Christen nennen, die in erster Linie besser als andere sein wollen. Die Gottes Geist in ihre Kirche, in ihre Gemeinschaft, in ihre Art, zu glauben, zu beten, Abendmahl zu feiern einsperren wollen. Gottes Geist ist nicht da, wo Menschen sich voneinander abgrenzen und Recht haben wollen, sondern dort, wo Menschen aufeinander zu gehen und lernen, die Sprache der ande-ren, auch die Sprache des Glaubens der anderen, mit zu sprechen. Zumindest glaube ich das.
Die zweite Beobachtung: es waren nicht die Priester im Tempel, nicht die Gelehrten und die typisch Frommen, die als erste so richtig begeistert waren. Petrus und die anderen waren eher einfache Leute, manche mit einem eher schlechten Ruf. Gottes Geist lässt sich nicht an einen bestimmten Beruf binden. Auch nicht an das Ansehen, dass ein Mensch bei anderen genießt. Gottes Geist widerspricht unserem Elitedenken. Nicht, dass mich jemand missversteht: es ist gut, sich zu bilden. Es ist gut, etwas wissen zu wollen, die Welt zu entdecken, gute Gespräche zu führen. Aber für Gottes Geist sind das nicht die entscheidenden Maßstäbe. Vielleicht ist es ja manchmal auch so, dass sich der, der sich für besser hält, tatsächlich nicht so leicht begeistern lässt und sich dem Geist eher in den Weg stellt als sich von ihm anstecken zu lassen und Feuer und Flamme zu werden. Gottes Geist lässt sich von Bildung, Reichtum, Ansehen nicht festhalten. Es ist wenig geistreich, sich von Be-nachteiligten, scheinbar Schwachen abzuwenden. Vielleicht hat Gottes Geist gerade durch sie viel zu sagen.
Und die dritte Beobachtung der Alltagstauglichkeit ist die: Petrus und die anderen, die sich begeistern lassen, bekommen den Mut, den Mund aufzumachen und von ihrem Glauben zu erzählen. Sie halten sich nicht mehr an Jesus fest, der körperlich bei ihnen war, der im wahrsten Sinn des Wortes zu fassen war. Sie haben den Mut, das Sichtbare loszulassen und der Hoffnung und dem Vertrauen wirklich Raum zu geben. Gottes Geist macht Mut, die Kammer der Angst zu verlassen. Gottes Geist macht Mut, sich nicht zu verstecken, sondern aus sich herauszugehen. Gottes Geist macht Mut, das Miteinander zu suchen und sich nicht in ängstlichen Abgrenzungen um der reinen Lehre willen zu ergehen. Gottes Geist macht Mut, das los zu lassen, was mir vertraut ist, was ich fassen kann und sich vom Unfassbaren begeistern zu lassen. Gottes Geist begeistert, er lässt Menschen Feuer und Flamme sein. Nicht für das, was in der Vergan-genheit war, sondern für das Leben, das vor uns liegt, für die Welt, die Gott uns öffnet, für die Welt, in der Ver-ständigung, Liebe, Gerechtigkeit zählen und nicht das, was wir anderen an Wert zusprechen. Gottes Geist macht Mut, loszulassen und Zukunft zu erwarten und mit zu gestalten. Ich wünsche uns, dass wir wirklich begeistert feiern. Und denen, die sich am Sieg von Inter berauscht haben, wünsche ich, dass sich ihre Begeisterung nicht an dem, was war festhält, sondern für das, was kommt öffnet. Im Fußball und im Leben.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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