Text: 2. Korinther 1,3-7
Liebe Gemeinde!
Manchmal wird es zu viel mit dem ganzen Trost. „Es wird schon wieder. Du wirst schon sehen. Die Zeit heilt alle Wunden. Ich kenne das auch. Ich weiß wie das ist. Du musst nur…“ – Sie meinen es ja nur gut, die anderen. Sie wollen nicht, dass da jemand traurig rumsitzt. Aber manchmal ist es einfach zu viel. Ich weiß nicht, ob sie das Gefühl kennen, das Trost manchmal auch zu viel werden kann. Ganz heftig habe ich das einmal nicht bei mir selbst, sondern bei Eltern erlebt, die ihr Kind bei einem Unfall verloren hatten. Am Anfang waren ständig Leute da. Jeder wollte was Gutes sagen, was Gutes tun. „Es war uns viel zu viel. Wir hatten gar keine Zeit, mal in Ruhe nachzudenken. Jeder hat es gut gemeint. Aber ich wollte gar nicht reden und gar nichts hören!“ So hat es mir die Mutter des Mädchens nach einer Weile mal erzählt. Es ging aber noch weiter. „Und dann, als die ersten Wochen rum waren, da war dann niemand mehr da. Als ich gern jemanden gehabt hätte, der mit mir redet, da hat jeder ge-dacht, er hätte das Nötige schon getan und der Trost hätte schon gewirkt. Für alle ging das Leben dann normal weiter. Für uns nicht. Erst war es zu viel und dann nichts mehr!“
Ich erzähle das jetzt nicht, weil ich die Bemühungen der anderen schlecht machen will. Nein, es ist gut, wenn Menschen sehen, dass es anderen schlecht geht und wenn sie versuchen, mit guten Worten und mit guten Taten die, denen es schlecht geht, aufzurichten. Das ist auf jeden Fall besser, als einfach so an der Traurigkeit und am Leid von anderen vorbeizugehen und zu sagen oder zu denken: „Das geht mich nichts an, die werden schon irgendwie damit fertig.“ Aber was, glaube ich, fast jeder von uns aus eigener Erfahrung kennt, ist das Gefühl, dass es sehr schwer ist, jemanden wirklich zu trösten. Auch deshalb, weil ich ja bei mir selber auch erlebe, dass nicht alles, was wirklich gut gemeint ist und was andere mir sagen oder an Gutem tun wollen, auch den richtigen Trosteffekt hat.
Was tröstet eigentlich wirklich? Gibt es einen Trost, der sozusagen funktioniert? Es wäre schön, wenn es den wirklich gäbe! Manchmal stehe ich als Pfarrer auch so ein bisschen ratlos da und denke mir: „Eigentlich ist alles, was du jetzt sagen kannst, irgendwie nicht richtig.“ Schwere Krebserkrankungen, Sucht, gewalttätige Eltern oder Freunde, und manchmal noch viel mehr unaussprechliches Leid, bei dem mir jedes Wort falsch vorkommt. Von mir als Pfarrer erwarten die Menschen, dass ich Trost spenden kann. Aber was soll ich sagen, wenn ich mitbekomme, dass ein Mädchen mit noch nicht mal zwölf Jahren nachts die Kotze ihrer betrunkenen Mutter wegwischt und die Betten neu bezieht, nur damit niemand die Alkoholsucht der Mutter bemerkt? Was soll ich sagen, wenn ein Mann die Krebsleiden seiner Frau nicht mehr ertragen kann und er sie mit einem Kissen erstickt? Soll ich dann sagen: „Gelobt sei Gott, der Gott allen Trostes, der uns in aller Trübsal tröstet“, so wie Paulus hier schreibt? Mir kommt das selber manchmal zu einfach vor. Da fehlen mir eigene Worte, da weiß ich nicht mehr weiter und dann benutze ich Gott als Joker. Und dann denke ich: warum eigentlich nicht. Vielleicht nicht mit diesen Worten. Bestimmt fühlen sich manche auf den Arm genommen, wenn ich so geschwollen daher rede, weil sie wissen, dass ich im Normalfall anders rede. Vielleicht sind sie skeptisch, weil sie denken, der sagt das nur als Pfarrer, weil er das sagen muss. Aber das ist doch billig und auswendig gelernt. Es kann wirklich billig, auswendig gelernt und einfach nur so daher gesagt sein, wenn man gleich auf Gott verweist und dann weiter geht. Genug getröstet, nächster Fall. Aber eigentlich bleibt uns Menschen, nicht nur uns als Christen, doch gar nichts anderes übrig, wenn es um echten Trost geht, das zu leben, was Paulus hier mit Worten beschreibt, die einem heute manchmal altmodisch und unpassend vorkommen. Trost kann nur dann wirklich entstehen, wenn wir uns als eine Leidens- und Trostgemeinschaft erleben. Das hört sich abgehobener an, als es eigentlich ist. Um andere wirklich trösten zu können, darf ich in mir selber nicht den absoluten Supermann oder die absolute Superfrau sehen, die alle Lebenslagen meistert, ohne dass Niederlagen, Schicksalsschläge oder schlimme Erfah-rungen mir was ausmachen. Wer so denkt, macht sich erstens was vor und wird zweitens den anderen, der im Moment wirklich Trost braucht, von oben herab behandeln. Ich bin der, der alles weiß und kann. Der andere wird sich dann immer klein und schlecht vorkommen. Wenn ich trösten will, muss ich nicht die gleichen traurigen Erfahrungen gemacht haben wie der, der Trost braucht. Aber ich muss mir eingestehen können, dass ich auch verletzlich bin und bedürftig bin. Wenn ich andere tröste, ist es manchmal hilfreich, nicht gerade selbst Trost zu brauchen. Aber trösten kann ich, glaube ich, dann am Besten, wenn ich von mir selber weiß, wie es ist, Trost zu brauchen und wenn ich solche guten Trosterfahrungen gemacht habe. Gott ist der Gott allen Trostes, von dem Paulus hier schreibt, nicht, weil er leidenschaftslos und leidenslos über allem schwebt, sondern weil er sich durch Jesus in diese Leidens- und Trostgemeinschaft mit uns Menschen gestellt hat. Gott ist das Leid nicht fremd. Er wird so sehr Mensch, dass er eben auch davor nicht wegläuft und uns dadurch zeigt, wie wichtig wir ihm sind. „Wenn’s brenzlig wird, haue ich ab!“ Ich denke, dass das eine für Menschen typische Haltung ist. Es macht ja auch keinen Spaß, in brenzlige Situationen zu geraten oder etwas so Trauruges zu erfahren, dass ich wirklich getröstet werden muss. Gott läuft nicht weg. Gott bleibt da. Weglaufen bringt nichts. Die traurigen Erfahrungen fressen sich dann nur immer tiefer in einen rein. Und wenn Menschen weglaufen, dann weiß ich: auf die kann ich mich nicht verlassen. Gott macht das anders. Er läuft nicht weg. Und er zeigt auch, dass das Leiden eben nicht das Letzte ist. Wenn Paulus an die Menschen in Korinth schreibt, dass Leiden auch mit Geduld getragen werden können und dass sich dann zeigen wird, wie stark der Trost ist, den Gott geben kann, dann schreibt er das nicht, weil Leiden etwas Tolles ist. Leiden ist traurig. Nicht toll. Und Gott ist kein Perversling, der will, dass die Menschen leiden, damit sie sich klein und mies fühlen und er groß da steht. Weglaufen bringt nichts. Wenn du dich dem Traurigen im Leben nicht stellst, dann wird auch der Trost nicht kom-men können. Die Botschaft steckt für mich in dem Brief an die Korinther. Als Christ hast du die Perspektive und die Hoffnung Leben. In der Taufe hast du ein Band mit Gott, das nicht kaputt geht. Ein sichtbares Zeichen für seine Liebe zu dir. Trost ist nicht ein Zukleistern des Bösen, sondern ein Wachhalten der Hoffnung. Das zeigt mir Paulus. Und so, wie wir mit Gott und untereinander im Leiden, im Traurigen zusammengehören, gehören wir eben auch in der Hoffnung zusammen. Trost entsteht und wächst eben vor allem dann, wenn ich weiß, dass ich nicht allein bin. Auch wenn die traurige Erfahrung einmalig ist und niemand sie wirklich mitfühlen kann, kann miteinander nach Hoffnung gesucht und Hoffnung wachgehalten werden. Hoffnung, die das Dunkel nicht überspielt, sondern die das Dunkle überwindet. Und wenn ich sie allein nicht sehen kann, allein nicht geben kann, dann gibt es eben eine große Gemeinschaft, die mir dabei helfen kann. Die Gemeinschaft der Kinder und Geliebten Gottes. Die Gemeinschaft mit Gott. Vielleicht war es das, was den Eltern, die um ihre Tochter getrauert haben, so gefehlt hat: die Gemeinschaft, die nicht weggeht, wenn der Alltag wieder da ist. Ich wünsche uns allen, dass wir nicht nur im Ausnahmefall, sondern jeden Tag, in unserem Alltag, diese Gemeinschaft spüren, die Trauriges nicht versteckt, nicht leugnet und so fähig wird, Trost zu geben. Mit Gottes Hilfe. Gott sei Dank.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Samstag, 13. März 2010
Donnerstag, 4. März 2010
PorNO - Okuli, 07.03.10, Reihe II
Text: Epheser 5,1-8
Liebe Gemeinde!
Nochmal davongekommen! Gerade so die Kurve gekriegt. „Folgt Gottes Beispiel! Lebt in der Liebe! Von Unzucht, dummem Geschwätz oder Habsucht soll noch nicht mal die Rede sein!“ Es sind extrem hohe Ansprüche. Christen sollen erkennbar sein. Nicht nur daran, dass sie irgendwie ganz nett und lieb und freundlich zu anderen sind. Sondern daran, dass sie Liebe wirklich leben. Pornografie, Bordellbesuche, Sex mit ständig wechselnden Partnern, das soll keinen Platz haben in ihrem Leben. Und auch kein dummes Geschwätz, das andere Menschen lächerlich und verächtlich macht. Habsucht natürlich erst recht nicht. Nochmal davongekommen, sich jetzt allzu viele Gedanken über sich selbst und das eigene Leben zu machen. Schließlich gibt es ja im Moment genug, auf die mit dem Finger gezeigt werden kann. Seit Wochen beherrschen vor allem katholische Geistliche, die Kinder und Jugendliche sexuell oder durch Bestrafungen anders körperlich und seelisch missbraucht haben, die Schlagzeilen. Und Bischöfe, die in den Augen der Öffentlichkeit viel zu lasch damit umgehen. Nochmal davongekommen – gut, dass die katholische Kirche so ein schlechtes Bild abgibt und so davon ablenkt, dass es gerade in den 50er und 60er Jahren in Kinderheimen, die von der evangelischen Kirche geführt wurden, ähnlich schlimme Zustände gab. Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist erschüttert. Respekt hat ihr ein bisschen die Konsequenz verschafft, mit der Frau Käßmann nach ihrer Trunkenheitsfahrt zurücktrat. Sie hat, anders als leider manche Politiker, nicht nach billigen Ausflüchten gesucht. Ich will nicht ablenken und uns evangelische Christen als besser hinstellen. Auch wenn der Rücktritt Respekt verdient, höre ich doch Sätze wie „Wenn die Oberen nicht besser sind als ich selbst, dann brauch ich die Kirche doch nicht!“ So schlimm wie die Missbrauchsfälle auch sind, so falsch eine Fahrt im besoffenen Kopf auch ist: das alles kann prima als Entschuldigung für eigene Bequemlichkeit missbraucht werden. Kirche sind nicht Bischöfe, Priester, Pfarrer. Jeder getaufte Christ ist Teil der Kirche. Für mich wird hier deutlich, was Paulus im 1. Korintherbrief schreibt: „Wir sind ein Leib! Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit!“ Es sind viele, zu viele, aber Gott sei Dank immer noch Einzelne und alles andere als die Mehrheit der Pfarrer, Priester, Bischöfe, Lehrer und Erzieher, die solche Schuld auf sich geladen haben. Trotzdem leidet das Ansehen der GANZEN Kirche darunter. Umgekehrt gilt aber auch. Wenn der Kopf Probleme macht, gibt es immer noch die Beine, die ihn zum Arzt tragen können. Für mich ist das der Liebesdienst, mit dem unser Predigttext heute beginnt. „Folgt Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe“. Für mich heißt das auch: „Benutzt die Fehler, die Unglaubwürdigkeit anderer nicht als bequeme Ausrede zur Vertuschung eigener Fehler. Bleibt glaubwürdig, bliebt in der Liebe und helft denen, die lieblos sind, dadurch wieder zurechtzukommen.“ Wenn wir Jesus Christus ernst nehmen, dann geht es doch nicht darum, Menschen zu ver-dammen, sondern Schuld aufzudecken und so zu ermögli-chen, dass neue Wege gegangen werden können. Gott liebt uns nicht deshalb, weil wir so sind, wie wir sind, sondern obwohl wir so sind, wie wir sind. Weder als einzelner Christ noch als Priester oder Bischöfin sind wir frei von Schuld. Gott liebt den Sünder, nicht die Sünde.
Uns wird was zugetraut. Damit beginnt der Abschnitt aus dem Epheserbrief, der heute Predigttext ist. Uns wird nicht zuerst gesagt, was wir alles nicht tun sollen oder falsch machen. Uns wird zugetraut, in der Liebe, die uns Gott durch Jesus geschenkt hat, zu leben und einander und anderen Menschen mit Liebe zu begegnen. Christsein findet seinen Ausdruck nicht in Vorwürfen und Ablenkungsmanövern von eigener Schwäche, sondern in Liebe. Schöne Aussichten. Und von da aus ergibt sich eigentlich das andere, was sich nicht nur hart anhört, sondern auch hart ist, wenn man es wirklich umsetzt. Weil die Welt bis heute wirklich anders tickt. Meidet die Unzucht! Ja, das ist jahrhundertelang so ausgelegt worden, als sollten Christen keine Freude an ihrer Sexualität haben und als wäre es gut, wenn die Frau ihren Mann zum ersten Mal auszieht, wenn sie ihm das Totenhemd anzieht. Darum geht es gar nicht. Es geht um ganz moderne Lebenseinstellungen. Es geht um die Befriedigung der eige-nen Triebe, der eigenen Lust, am besten sofort, ohne Rück-sicht auf den anderen, ohne Rücksicht auf die Konsequen-zen. Körper werden zur Ware gemacht, Frauen nach der Größe ihrer Brüste, Männer nach der Festigkeit ihres Pos beurteilt. Nicht nur Kindern und Jugendlichen wird vorgemacht, dass Schönheit allein auf einen vom anderen Geschlecht begehrenswerten Körper reduziert werden kann. Die Bibel will nicht Spaß und Freude verbieten und lauter langweilige oder prüde und verklemmte Menschen. Jesus will Menschen. Nicht Körper. Liebe, die mehr ist als ausschließlich Triebbefriedigung. Das kann und darf ganz viel Spaß machen. In dieser etwas alten biblischen Sprache steht Unzucht für alles, was den Menschen klein macht und ihn reduziert. Und da geht es eben nicht nur darum, zu schauen, wo andere das machen, sondern wo bei mir, in meinem Leben die Gefahr da ist. Menschen klein zu machen. Das ist auch gemeint mit den närrischen Reden, von denen im Epheserbrief die Rede ist. Hört sich ja vielleicht so an, als ob man als Christ keine Witze machen dürfte und Spaßverbot hätte. Gemeint ist aber dummes Geschwätz, das andere herabsetzt und verletzt. Nicht Witze an sich sind gemeint, sondern Witze auf Kosten von anderen. Witze, die dem anderen keinen Ausweg lassen. Witze über Schwule, über Politiker, über katholische Priester zum Beispiel, die den anderen nur als Deppen da stehen lassen. Als Objekt, an dem man die eigene Lust, größer und besser als andere zu sein, ausleben kann. Mit Habsucht ist das eigentlich das gleiche. Ich will mich auf Kosten anderer bereichern. Ich will das haben, was der andere hat – egal, ob ich es brauche, egal, ob es mir hilft. Ich gönne dem anderen wenig, weil ich alles haben will. „Folgt Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe“. Ja, für mich heißt das zuerst: so, wie Gott dich, mich, Mensch sein lässt, so soll das auch im Umgang mit anderen sein. Christsein soll nicht für ein spaßfreies, sondern für ein menschenwürdiges Leben stehen. Für ein Leben, das seinen Reichtum nicht aus der Armut anderer bezieht. Für ein Leben, dass nicht deshalb groß ist, weil andere klein gemacht werden, sondern weil es weiß, dass es aus der Liebe leben darf. Aus der Liebe, die dem Menschen gilt – nicht unbedingt seinem Verhalten. Aus der Liebe, die dem Menschen, mir, hilft, sein Leben mit offenen und ehrlichen Augen zu sehen, auch die Schuld zu sehen, und es so möglich macht, umzukehren. Dort, wo Menschen sich gegenseitig zu Objekten machen, mit denen man skrupellos umgehen kann, dort entsteht Schuld.
Kinder des Lichts sind wir, sagt der Epheserbrief. Das heißt nicht, dass wir hier im Gottesdienst oder in der evangelischen Kirche oder in den christlichen Kirchen überhaupt die guten wären und alle anderen die Bösen. Kinder des Lichts – das heißt, dass wir die Wahrheit aushalten und weitersagen können. Dass Christus die Wahrheit über das Leben aufdeckt und wir diese Wahrheit aushalten und daraus Konsequenzen ziehen. Nicht zuallererst aus der manchmal schrecklichen Wahrheit des Lebens anderer, sondern aus der oft genug erschreckenden Wahrheit über unser eigenes Leben. Weder in meinem Leben noch im Leben von ihnen und euch, die heute Gottesdienst mitfeiern ist alles nur hell und schön und Licht. Aber Gottes Liebe gibt die Kraft, in all dem Grau das Licht zu ahnen. Die Liebe, die den Grauschleier wegwischt. Lebt als Kinder des Lichts. Diese Aufforderung aus dem Epheserbrief, dieses Vertrauen, das Gott nicht in Bischöfe, Pfarrer oder Glaubensprofis, sondern in jeden setzt, die will uns weg bringen von dem Weg, sich auch durch die Schuld anderer besser zu fühlen. Sie will uns Mut machen, dort, wo Finsternis und Dunkelgrau vorherrscht, in Liebe das Licht zu suchen. Miteinander. Nicht durch das Kleinmachen von Menschen, nicht durch Befriedigung eigener Bedürfnisse auf Kosten anderer, sondern durch die Liebe Gottes, die in mir und den anderen den Menschen sieht.
Amen
Liebe Gemeinde!
Nochmal davongekommen! Gerade so die Kurve gekriegt. „Folgt Gottes Beispiel! Lebt in der Liebe! Von Unzucht, dummem Geschwätz oder Habsucht soll noch nicht mal die Rede sein!“ Es sind extrem hohe Ansprüche. Christen sollen erkennbar sein. Nicht nur daran, dass sie irgendwie ganz nett und lieb und freundlich zu anderen sind. Sondern daran, dass sie Liebe wirklich leben. Pornografie, Bordellbesuche, Sex mit ständig wechselnden Partnern, das soll keinen Platz haben in ihrem Leben. Und auch kein dummes Geschwätz, das andere Menschen lächerlich und verächtlich macht. Habsucht natürlich erst recht nicht. Nochmal davongekommen, sich jetzt allzu viele Gedanken über sich selbst und das eigene Leben zu machen. Schließlich gibt es ja im Moment genug, auf die mit dem Finger gezeigt werden kann. Seit Wochen beherrschen vor allem katholische Geistliche, die Kinder und Jugendliche sexuell oder durch Bestrafungen anders körperlich und seelisch missbraucht haben, die Schlagzeilen. Und Bischöfe, die in den Augen der Öffentlichkeit viel zu lasch damit umgehen. Nochmal davongekommen – gut, dass die katholische Kirche so ein schlechtes Bild abgibt und so davon ablenkt, dass es gerade in den 50er und 60er Jahren in Kinderheimen, die von der evangelischen Kirche geführt wurden, ähnlich schlimme Zustände gab. Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist erschüttert. Respekt hat ihr ein bisschen die Konsequenz verschafft, mit der Frau Käßmann nach ihrer Trunkenheitsfahrt zurücktrat. Sie hat, anders als leider manche Politiker, nicht nach billigen Ausflüchten gesucht. Ich will nicht ablenken und uns evangelische Christen als besser hinstellen. Auch wenn der Rücktritt Respekt verdient, höre ich doch Sätze wie „Wenn die Oberen nicht besser sind als ich selbst, dann brauch ich die Kirche doch nicht!“ So schlimm wie die Missbrauchsfälle auch sind, so falsch eine Fahrt im besoffenen Kopf auch ist: das alles kann prima als Entschuldigung für eigene Bequemlichkeit missbraucht werden. Kirche sind nicht Bischöfe, Priester, Pfarrer. Jeder getaufte Christ ist Teil der Kirche. Für mich wird hier deutlich, was Paulus im 1. Korintherbrief schreibt: „Wir sind ein Leib! Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit!“ Es sind viele, zu viele, aber Gott sei Dank immer noch Einzelne und alles andere als die Mehrheit der Pfarrer, Priester, Bischöfe, Lehrer und Erzieher, die solche Schuld auf sich geladen haben. Trotzdem leidet das Ansehen der GANZEN Kirche darunter. Umgekehrt gilt aber auch. Wenn der Kopf Probleme macht, gibt es immer noch die Beine, die ihn zum Arzt tragen können. Für mich ist das der Liebesdienst, mit dem unser Predigttext heute beginnt. „Folgt Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe“. Für mich heißt das auch: „Benutzt die Fehler, die Unglaubwürdigkeit anderer nicht als bequeme Ausrede zur Vertuschung eigener Fehler. Bleibt glaubwürdig, bliebt in der Liebe und helft denen, die lieblos sind, dadurch wieder zurechtzukommen.“ Wenn wir Jesus Christus ernst nehmen, dann geht es doch nicht darum, Menschen zu ver-dammen, sondern Schuld aufzudecken und so zu ermögli-chen, dass neue Wege gegangen werden können. Gott liebt uns nicht deshalb, weil wir so sind, wie wir sind, sondern obwohl wir so sind, wie wir sind. Weder als einzelner Christ noch als Priester oder Bischöfin sind wir frei von Schuld. Gott liebt den Sünder, nicht die Sünde.
Uns wird was zugetraut. Damit beginnt der Abschnitt aus dem Epheserbrief, der heute Predigttext ist. Uns wird nicht zuerst gesagt, was wir alles nicht tun sollen oder falsch machen. Uns wird zugetraut, in der Liebe, die uns Gott durch Jesus geschenkt hat, zu leben und einander und anderen Menschen mit Liebe zu begegnen. Christsein findet seinen Ausdruck nicht in Vorwürfen und Ablenkungsmanövern von eigener Schwäche, sondern in Liebe. Schöne Aussichten. Und von da aus ergibt sich eigentlich das andere, was sich nicht nur hart anhört, sondern auch hart ist, wenn man es wirklich umsetzt. Weil die Welt bis heute wirklich anders tickt. Meidet die Unzucht! Ja, das ist jahrhundertelang so ausgelegt worden, als sollten Christen keine Freude an ihrer Sexualität haben und als wäre es gut, wenn die Frau ihren Mann zum ersten Mal auszieht, wenn sie ihm das Totenhemd anzieht. Darum geht es gar nicht. Es geht um ganz moderne Lebenseinstellungen. Es geht um die Befriedigung der eige-nen Triebe, der eigenen Lust, am besten sofort, ohne Rück-sicht auf den anderen, ohne Rücksicht auf die Konsequen-zen. Körper werden zur Ware gemacht, Frauen nach der Größe ihrer Brüste, Männer nach der Festigkeit ihres Pos beurteilt. Nicht nur Kindern und Jugendlichen wird vorgemacht, dass Schönheit allein auf einen vom anderen Geschlecht begehrenswerten Körper reduziert werden kann. Die Bibel will nicht Spaß und Freude verbieten und lauter langweilige oder prüde und verklemmte Menschen. Jesus will Menschen. Nicht Körper. Liebe, die mehr ist als ausschließlich Triebbefriedigung. Das kann und darf ganz viel Spaß machen. In dieser etwas alten biblischen Sprache steht Unzucht für alles, was den Menschen klein macht und ihn reduziert. Und da geht es eben nicht nur darum, zu schauen, wo andere das machen, sondern wo bei mir, in meinem Leben die Gefahr da ist. Menschen klein zu machen. Das ist auch gemeint mit den närrischen Reden, von denen im Epheserbrief die Rede ist. Hört sich ja vielleicht so an, als ob man als Christ keine Witze machen dürfte und Spaßverbot hätte. Gemeint ist aber dummes Geschwätz, das andere herabsetzt und verletzt. Nicht Witze an sich sind gemeint, sondern Witze auf Kosten von anderen. Witze, die dem anderen keinen Ausweg lassen. Witze über Schwule, über Politiker, über katholische Priester zum Beispiel, die den anderen nur als Deppen da stehen lassen. Als Objekt, an dem man die eigene Lust, größer und besser als andere zu sein, ausleben kann. Mit Habsucht ist das eigentlich das gleiche. Ich will mich auf Kosten anderer bereichern. Ich will das haben, was der andere hat – egal, ob ich es brauche, egal, ob es mir hilft. Ich gönne dem anderen wenig, weil ich alles haben will. „Folgt Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe“. Ja, für mich heißt das zuerst: so, wie Gott dich, mich, Mensch sein lässt, so soll das auch im Umgang mit anderen sein. Christsein soll nicht für ein spaßfreies, sondern für ein menschenwürdiges Leben stehen. Für ein Leben, das seinen Reichtum nicht aus der Armut anderer bezieht. Für ein Leben, dass nicht deshalb groß ist, weil andere klein gemacht werden, sondern weil es weiß, dass es aus der Liebe leben darf. Aus der Liebe, die dem Menschen gilt – nicht unbedingt seinem Verhalten. Aus der Liebe, die dem Menschen, mir, hilft, sein Leben mit offenen und ehrlichen Augen zu sehen, auch die Schuld zu sehen, und es so möglich macht, umzukehren. Dort, wo Menschen sich gegenseitig zu Objekten machen, mit denen man skrupellos umgehen kann, dort entsteht Schuld.
Kinder des Lichts sind wir, sagt der Epheserbrief. Das heißt nicht, dass wir hier im Gottesdienst oder in der evangelischen Kirche oder in den christlichen Kirchen überhaupt die guten wären und alle anderen die Bösen. Kinder des Lichts – das heißt, dass wir die Wahrheit aushalten und weitersagen können. Dass Christus die Wahrheit über das Leben aufdeckt und wir diese Wahrheit aushalten und daraus Konsequenzen ziehen. Nicht zuallererst aus der manchmal schrecklichen Wahrheit des Lebens anderer, sondern aus der oft genug erschreckenden Wahrheit über unser eigenes Leben. Weder in meinem Leben noch im Leben von ihnen und euch, die heute Gottesdienst mitfeiern ist alles nur hell und schön und Licht. Aber Gottes Liebe gibt die Kraft, in all dem Grau das Licht zu ahnen. Die Liebe, die den Grauschleier wegwischt. Lebt als Kinder des Lichts. Diese Aufforderung aus dem Epheserbrief, dieses Vertrauen, das Gott nicht in Bischöfe, Pfarrer oder Glaubensprofis, sondern in jeden setzt, die will uns weg bringen von dem Weg, sich auch durch die Schuld anderer besser zu fühlen. Sie will uns Mut machen, dort, wo Finsternis und Dunkelgrau vorherrscht, in Liebe das Licht zu suchen. Miteinander. Nicht durch das Kleinmachen von Menschen, nicht durch Befriedigung eigener Bedürfnisse auf Kosten anderer, sondern durch die Liebe Gottes, die in mir und den anderen den Menschen sieht.
Amen
Überleben im Niemandsland - Sonntagsgedanken Oberhessische Presse
Er kann nicht vor. Er kann nicht zurück. Er ist ein Mensch ohne Heimat. Staatenlos, so nennt man ihn. Gefangen im Transitbereich des Flughafens. Kein Land will ihn. Er richtet sich ein, im Niemandsland des Transitterminals. Heimat, weil sonst keine da sein will. Mit Tom Hanks wurde vor einigen Jahren diese wahre Geschichte verfilmt. Was hier schrullig, irgendwie liebenswert daherkommt, ist für Tausende von Menschen weltweit bittere Wirklichkeit. Ohne Papiere, immer in Angst, abgeschoben zu werden – aus „unserem“ Land, das nicht ihres sein will, in „ihr“ Land, das längst nicht mehr ihre Heimat ist. Niemandsland – nicht Heimatland, nicht Freundesland, nicht Feindesland. Unbestimmt, unsicher.
Die Verheißung, sicher zu wohnen, gehört beim Propheten Jeremia im Alten Testament zum Kern dessen, was er im Auftrag Gottes verkündigt. Bis heute ist das leider Verheißung für eine Zukunft, kein Bild der Realität. Nicht nur für Staatenlose ohne Papiere, auch für die Menschen in Israel. Befeuert von der iranischen Regierung wollen viel zu viele ihr Land auslöschen. Und, Gott sei es geklagt, auch keine Wirklichkeit für palästinensische Familien in Gaza und in den Autonomiegebieten. Niemandsland statt sicherer Wohnung. Menschen sprechen Menschen ab, sich dort, wo sie sich wohl und sicher fühlen, Heimat finden zu dürfen.
Ich kann nicht vor. Ich kann nicht zurück. Dort, wo ich bin, bin ich nicht zu Hause. Ich glaube, dass dies nicht nur ein Lebensgefühl von Flüchtlingen, von Opfern der Diplomatie und Politik, von fehlgeleiteten Ansprüchen auf Landbesitz ist. Im Niemandsland, zwischen den Grenzen, zwischen Ländern leben zu müssen, das trifft auch im übertragenen Sin auf viele zu. Sicher auf nicht wenige Jugendliche. Noch nicht Zuhause im Land der Erwachsenen. Auch, weil wir Erwachsenen ihnen die Einreise nicht immer leicht machen. „Werd‘ erst mal vernünftig. Lern erst mal was Ordentliches. Beweise erst mal, dass du zu uns gehörst!“ Bestenfalls wird ein Besuchervisum ausgestellt, für den Daueraufenthalt muss man erst mal was leisten. Aber eben auch nicht mehr zu Hause im Land der Kindheit. „Du bist dafür doch schon zu alt! Sei doch endlich mal vernünftig! Das musst du doch können!“ Rausgeworfen aus dem einen Land – was ja auch gut ist. Ohne Einreiseerlaubnis in das andere. Niemandsland. ein Land, das ja auch jede Menge Freiheiten bietet. Wo niemand zuständig ist, lässt sich vieles machen. Vieles, was auch an den Grenzen der anderen rüttelt und sie in Frage stellt. Der Theologe Paul Tillich hat einmal die Grenze als den eigentlichen, fruchtbaren Ort christlicher Existenz beschrieben. An Grenzen wachsen wir, arbeiten wir uns ab, ohne Grenzen verliert sich Leben im Nichts. Mir hat das lange eingeleuchtet.
Mittlerweile denke ich aber manchmal, dass vielleicht auch das Niemandsland unser Ort ist. Gottes Verheißungen von einem sicheren Wohnen, von einer gerechten Welt, machen es mir schwer, mich in einer Welt zu Hause zu fühlen, in der Menschenwürde auch vom richtigen Pass oder vom richtigen Stempel im eigentlich falschen Pass abhängt. In einer Welt, in der mit bestenfalls geringem Wimpernzucken Milliarden an Steuern Hoteliers geschenkt werden (ich übernachte gern in Hotels und gönne ihnen, dass sie gut laufen), die aber immer noch akzeptiert, dass Menschen für eine Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro arbeiten müssen. Nicht wirklich zu Hause in dieser Welt – aber auch noch nicht zu Hause in der Welt, in der uns Gerechtigkeit und sicheres Wohnen verheißen ist. Niemandsland – vielleicht gibt uns das ja auch den Freiraum, so wie Tom Hanks in dem Film „Terminal“, den Raum zwischen den Grenzen zu einem eignen Land zu gestalten, das diejenigen, die sich mit ihren Grenzen zu schnell zufrieden geben, zum Nachdenken bringt und in gutem Sinn anstößig ist. Und schließlich: das Niemandsland gehört niemandem. Leben ist kein Besitz. Es gehört niemandem. Vielleicht nicht mal mir selbst. Es gehört Gott. Jedes Leben. Auch das nur geduldete, illegal gemachte, papierlose.
Die Verheißung, sicher zu wohnen, gehört beim Propheten Jeremia im Alten Testament zum Kern dessen, was er im Auftrag Gottes verkündigt. Bis heute ist das leider Verheißung für eine Zukunft, kein Bild der Realität. Nicht nur für Staatenlose ohne Papiere, auch für die Menschen in Israel. Befeuert von der iranischen Regierung wollen viel zu viele ihr Land auslöschen. Und, Gott sei es geklagt, auch keine Wirklichkeit für palästinensische Familien in Gaza und in den Autonomiegebieten. Niemandsland statt sicherer Wohnung. Menschen sprechen Menschen ab, sich dort, wo sie sich wohl und sicher fühlen, Heimat finden zu dürfen.
Ich kann nicht vor. Ich kann nicht zurück. Dort, wo ich bin, bin ich nicht zu Hause. Ich glaube, dass dies nicht nur ein Lebensgefühl von Flüchtlingen, von Opfern der Diplomatie und Politik, von fehlgeleiteten Ansprüchen auf Landbesitz ist. Im Niemandsland, zwischen den Grenzen, zwischen Ländern leben zu müssen, das trifft auch im übertragenen Sin auf viele zu. Sicher auf nicht wenige Jugendliche. Noch nicht Zuhause im Land der Erwachsenen. Auch, weil wir Erwachsenen ihnen die Einreise nicht immer leicht machen. „Werd‘ erst mal vernünftig. Lern erst mal was Ordentliches. Beweise erst mal, dass du zu uns gehörst!“ Bestenfalls wird ein Besuchervisum ausgestellt, für den Daueraufenthalt muss man erst mal was leisten. Aber eben auch nicht mehr zu Hause im Land der Kindheit. „Du bist dafür doch schon zu alt! Sei doch endlich mal vernünftig! Das musst du doch können!“ Rausgeworfen aus dem einen Land – was ja auch gut ist. Ohne Einreiseerlaubnis in das andere. Niemandsland. ein Land, das ja auch jede Menge Freiheiten bietet. Wo niemand zuständig ist, lässt sich vieles machen. Vieles, was auch an den Grenzen der anderen rüttelt und sie in Frage stellt. Der Theologe Paul Tillich hat einmal die Grenze als den eigentlichen, fruchtbaren Ort christlicher Existenz beschrieben. An Grenzen wachsen wir, arbeiten wir uns ab, ohne Grenzen verliert sich Leben im Nichts. Mir hat das lange eingeleuchtet.
Mittlerweile denke ich aber manchmal, dass vielleicht auch das Niemandsland unser Ort ist. Gottes Verheißungen von einem sicheren Wohnen, von einer gerechten Welt, machen es mir schwer, mich in einer Welt zu Hause zu fühlen, in der Menschenwürde auch vom richtigen Pass oder vom richtigen Stempel im eigentlich falschen Pass abhängt. In einer Welt, in der mit bestenfalls geringem Wimpernzucken Milliarden an Steuern Hoteliers geschenkt werden (ich übernachte gern in Hotels und gönne ihnen, dass sie gut laufen), die aber immer noch akzeptiert, dass Menschen für eine Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro arbeiten müssen. Nicht wirklich zu Hause in dieser Welt – aber auch noch nicht zu Hause in der Welt, in der uns Gerechtigkeit und sicheres Wohnen verheißen ist. Niemandsland – vielleicht gibt uns das ja auch den Freiraum, so wie Tom Hanks in dem Film „Terminal“, den Raum zwischen den Grenzen zu einem eignen Land zu gestalten, das diejenigen, die sich mit ihren Grenzen zu schnell zufrieden geben, zum Nachdenken bringt und in gutem Sinn anstößig ist. Und schließlich: das Niemandsland gehört niemandem. Leben ist kein Besitz. Es gehört niemandem. Vielleicht nicht mal mir selbst. Es gehört Gott. Jedes Leben. Auch das nur geduldete, illegal gemachte, papierlose.
Aufrecht gehen - Invokavit, 21.02.10, Reihe II
Text: Hebräer 4,14-16
Liebe Gemeinde!
Manchmal tut es gut, einen zu haben, der die unangenehmen Aufgaben erledigt. Jemanden, der wichtige Kontakte herstellt, wenn man sich nicht traut, selbst nachzufragen. Jemanden, der vermittelt, wenn wieder was schief gegangen ist. Praktisch, wenn man solche Leute hat. Aber nicht nur praktisch, sondern manchmal auch schädlich. Es macht eigentlich bequem und abhängig, wenn man sich ständig drauf verlässt, dass andere für einen alles machen. Oder es führt dazu, dass man sich nichts zutraut. Ich kann das nicht – dafür bin ich nicht der Richtige, dafür bin ich zu alt oder zu jung, zu dumm, nicht gut genug. Das gibt es nicht nur bei unangenehmen Sachen in Schule und Beruf, nicht nur beim Ausfüllen der Steuererklärung, bei Konflikten im Haus oder anderen, alltäglichen Dingen, sondern auch im Glauben. Manchmal, wenn ich mich mit Menschen über den Glauben und die Kirche unterhalte, dann kriege ich zu hören: „Ach, ich glaub zwar irgendwie an Gott, aber ich kenn mich da nicht so aus. Da gibt’s andere, die sollen das mal machen, die können das besser!“ Andere sagen: Ich bin doch nicht gut genug. Ich hab auch Zweifel, und vor allem: Ich hab in meinem Leben schon so viel Blödsinn gemacht, das wird nichts mehr!“ Und es gibt auch Menschen, die sagen: „Für den richtigen Kontakt zu Gott brauchen wir Profis. Pfarrer, Priester, die die richtigen Gebete sprechen, die den richtigen Draht zu Gott haben. So als einfacher, normaler Mensch funktioniert das nicht.“ Ja, das gab und gibt es immer wieder. Auch Menschen, die sagen: „Ja, ich bin der Profi, der dir den richtigen Weg zu Gott zeigt. Ich kenne die richtigen Gebete, die richtigen Handlungen, wenn du das so machst, wie ich es dir vormache, dann wirst du mit Gott verbunden. Oder du lässt es mich gleich ganz machen, denn ich bin was Besonderes!“ Früher, in der Zeit von Jesus und davor, hat man solche Menschen „Hohe-priester“ genannt. Das waren die einzigen, die im Tempel in das Allerheiligste durften. Das waren die, die die Opfer und Gebete richtig machen und sprechen konnten und die sozusagen zwischen den Menschen und Gott vermittelt haben.
Von so einem Hohepriester erzählt auch der Hebräerbrief, aus dem ich eben ein kleines Stück vorgelesen habe. Aber dieser Brief erzählt ganz neu und anders von diesem Hohe-priester. Er sagt nicht: Du brauchst als Christ einen anderen Menschen, der stellvertretend für dich bei Gott tätig ist. Du bist ungeeignet, deshalb brauchst du einen besonderen Menschen zwischen dir und Gott. Er sagt etwas ganz anderes: Als Christ brauchst du keinen Menschen, der vermittelt. Jesus hat dich schon längst zu Gott gebracht. Der kennt sich wirklich aus bei Gott, der ist der einzige, der weiß, was für Gott wirklich Sache ist. Er ist „der Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat“, so sagt es der Brief. Etwas, was kein Mensch von sich sagen kann. Und der kennt sich nicht nur im Himmel aus, sondern auch auf der Erde. Jesus ist keiner, der denkt, er wäre besser als wir Menschen, sondern einer, der mitleidet. Einer, der die Schwächen und die Schwachheit von uns Menschen sieht. Einer, der nicht ignoriert, wenn es einem schlecht geht, einem, dem es nicht egal ist, wenn einer sein Leben nicht in den Griff kriegt. Jesus ist als Sohn Gottes keiner, der von oben auf die Menschen herabschaut, sich für was Besseres hält, sondern einer, der da ist, wo es weh tut. Ganz wörtlich sogar. In diesen Wochen vor Ostern erinnern wir besonders an den Weg, den er gegangen ist. An den Weg, der ihn zu den Menschen geführt hat, die wirklich etwas falsch gemacht haben, die Hilfe brauchten. Dieser Weg hat ihn ans Kreuz geführt. Er wurde verraten, gefoltert. Auch deshalb, weil er eben die Menschen direkt, ohne Umwege über andere, mit Gott in Verbindung gebracht hat.
Wozu braucht man denn dann noch einen Pfarrer? Gute Frage! Aber als Pfarrer bin ich niemand, der näher an Gott ist als Isabell oder Mirjam, als Marcos oder Marlene, als David, Maurice oder irgendjemand sonst, der an Gott glaubt und seinen Weg im Glauben gehen will. Als Pfarrer kann ich niemandem den Glauben, das Vertrauen abnehmen. Ich kann niemandem Schuld vergeben oder einen neuen Anfang schenken. Das kann nur Gott. Ich kann höchstens Anregungen zum Nachdenken geben, Anstöße. Ich kann Menschen begleiten, für Menschen da sein, wenn sie Trost, Unterstützung, Rat brauchen. Aber einen besseren, direkteren Draht zu Gott habe ich nicht. Jesus hat für jeden von uns die Leitung zu Gott freigeschaltet. Und das ist der Grund dafür, dass wir mit Zuversicht, wie es Martin Luther in seiner Übersetzung sagt, offen, freimütig, mit erhobenem Haupt, wie man auch übersetzen kann, zum Thron der Gnade, zu Gott gehen kann, um Barmherzigkeit zu empfangen und Gnade zu erlangen, wenn wir Hilfe nötig haben. Gott will uns nicht fertig machen. Es geht im Glauben nicht in erster Linie darum, zu erkennen, wo ich überall nicht toll bin, wo ich versagt habe und sich deshalb klein und dumm zu fühlen. Es geht auch nicht darum, sich das alles egal sein zu lassen und sich selbst als den Größten und tollsten zu sehen, dem nichts was anhaben kann. Es geht darum, ehrlich zu sich, ehrlich zu Gott zu sein. Zu erkennen, wo ich Hilfe brauchen. Sich für Hilfe und Hilfsbedürftigkeit nicht zu schämen, sondern sie anzunehmen. Sich nicht darauf auszuruhen, sondern sie als Ansporn, dem Leben eine neue Richtung zu geben, zu verstehen.
Jeder darf zu Gott kommen. Mit erhobenem Haupt, offen, freimütig. Nicht, weil jeder so toll ist, sondern weil Gott unsere Schwächen kennt und aushält. Weil Jesus für uns da ist. Weil er weiß, wie es ist, unten zu sein. Gott ist nicht der, der uns rausreißt, wenn’s brenzlig wird. Sondern der, der uns hilft, das Brenzlige auszuhalten, und uns hilft, wenn wir uns die Finger verbrannt haben. Damit wir es anders und besser machen.
Gott nimmt uns unser Leben nicht ab. Er erspart uns auch das Schwere nicht. Er erledigt nicht unsere Aufgaben. Aber er hilft uns, mit ihnen fertig zu werden. Und er hilft uns, uns selbst und unser Leben ehrlich anzuschauen. Nicht die rosarote Brille lässt die Liebe wachsen, sondern der offene Blick aufs Leben. Wir brauchen niemanden, der uns im Leben und im Glauben vertritt, sondern Gott traut uns zu, das selbst zu können. Offen, mit erhobenem Haupt. Als Hilfsbedürftige, klar. Aber nicht als für dumm und klein gehaltene, sondern als eigene Menschen.
Liebe Gemeinde!
Manchmal tut es gut, einen zu haben, der die unangenehmen Aufgaben erledigt. Jemanden, der wichtige Kontakte herstellt, wenn man sich nicht traut, selbst nachzufragen. Jemanden, der vermittelt, wenn wieder was schief gegangen ist. Praktisch, wenn man solche Leute hat. Aber nicht nur praktisch, sondern manchmal auch schädlich. Es macht eigentlich bequem und abhängig, wenn man sich ständig drauf verlässt, dass andere für einen alles machen. Oder es führt dazu, dass man sich nichts zutraut. Ich kann das nicht – dafür bin ich nicht der Richtige, dafür bin ich zu alt oder zu jung, zu dumm, nicht gut genug. Das gibt es nicht nur bei unangenehmen Sachen in Schule und Beruf, nicht nur beim Ausfüllen der Steuererklärung, bei Konflikten im Haus oder anderen, alltäglichen Dingen, sondern auch im Glauben. Manchmal, wenn ich mich mit Menschen über den Glauben und die Kirche unterhalte, dann kriege ich zu hören: „Ach, ich glaub zwar irgendwie an Gott, aber ich kenn mich da nicht so aus. Da gibt’s andere, die sollen das mal machen, die können das besser!“ Andere sagen: Ich bin doch nicht gut genug. Ich hab auch Zweifel, und vor allem: Ich hab in meinem Leben schon so viel Blödsinn gemacht, das wird nichts mehr!“ Und es gibt auch Menschen, die sagen: „Für den richtigen Kontakt zu Gott brauchen wir Profis. Pfarrer, Priester, die die richtigen Gebete sprechen, die den richtigen Draht zu Gott haben. So als einfacher, normaler Mensch funktioniert das nicht.“ Ja, das gab und gibt es immer wieder. Auch Menschen, die sagen: „Ja, ich bin der Profi, der dir den richtigen Weg zu Gott zeigt. Ich kenne die richtigen Gebete, die richtigen Handlungen, wenn du das so machst, wie ich es dir vormache, dann wirst du mit Gott verbunden. Oder du lässt es mich gleich ganz machen, denn ich bin was Besonderes!“ Früher, in der Zeit von Jesus und davor, hat man solche Menschen „Hohe-priester“ genannt. Das waren die einzigen, die im Tempel in das Allerheiligste durften. Das waren die, die die Opfer und Gebete richtig machen und sprechen konnten und die sozusagen zwischen den Menschen und Gott vermittelt haben.
Von so einem Hohepriester erzählt auch der Hebräerbrief, aus dem ich eben ein kleines Stück vorgelesen habe. Aber dieser Brief erzählt ganz neu und anders von diesem Hohe-priester. Er sagt nicht: Du brauchst als Christ einen anderen Menschen, der stellvertretend für dich bei Gott tätig ist. Du bist ungeeignet, deshalb brauchst du einen besonderen Menschen zwischen dir und Gott. Er sagt etwas ganz anderes: Als Christ brauchst du keinen Menschen, der vermittelt. Jesus hat dich schon längst zu Gott gebracht. Der kennt sich wirklich aus bei Gott, der ist der einzige, der weiß, was für Gott wirklich Sache ist. Er ist „der Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat“, so sagt es der Brief. Etwas, was kein Mensch von sich sagen kann. Und der kennt sich nicht nur im Himmel aus, sondern auch auf der Erde. Jesus ist keiner, der denkt, er wäre besser als wir Menschen, sondern einer, der mitleidet. Einer, der die Schwächen und die Schwachheit von uns Menschen sieht. Einer, der nicht ignoriert, wenn es einem schlecht geht, einem, dem es nicht egal ist, wenn einer sein Leben nicht in den Griff kriegt. Jesus ist als Sohn Gottes keiner, der von oben auf die Menschen herabschaut, sich für was Besseres hält, sondern einer, der da ist, wo es weh tut. Ganz wörtlich sogar. In diesen Wochen vor Ostern erinnern wir besonders an den Weg, den er gegangen ist. An den Weg, der ihn zu den Menschen geführt hat, die wirklich etwas falsch gemacht haben, die Hilfe brauchten. Dieser Weg hat ihn ans Kreuz geführt. Er wurde verraten, gefoltert. Auch deshalb, weil er eben die Menschen direkt, ohne Umwege über andere, mit Gott in Verbindung gebracht hat.
Wozu braucht man denn dann noch einen Pfarrer? Gute Frage! Aber als Pfarrer bin ich niemand, der näher an Gott ist als Isabell oder Mirjam, als Marcos oder Marlene, als David, Maurice oder irgendjemand sonst, der an Gott glaubt und seinen Weg im Glauben gehen will. Als Pfarrer kann ich niemandem den Glauben, das Vertrauen abnehmen. Ich kann niemandem Schuld vergeben oder einen neuen Anfang schenken. Das kann nur Gott. Ich kann höchstens Anregungen zum Nachdenken geben, Anstöße. Ich kann Menschen begleiten, für Menschen da sein, wenn sie Trost, Unterstützung, Rat brauchen. Aber einen besseren, direkteren Draht zu Gott habe ich nicht. Jesus hat für jeden von uns die Leitung zu Gott freigeschaltet. Und das ist der Grund dafür, dass wir mit Zuversicht, wie es Martin Luther in seiner Übersetzung sagt, offen, freimütig, mit erhobenem Haupt, wie man auch übersetzen kann, zum Thron der Gnade, zu Gott gehen kann, um Barmherzigkeit zu empfangen und Gnade zu erlangen, wenn wir Hilfe nötig haben. Gott will uns nicht fertig machen. Es geht im Glauben nicht in erster Linie darum, zu erkennen, wo ich überall nicht toll bin, wo ich versagt habe und sich deshalb klein und dumm zu fühlen. Es geht auch nicht darum, sich das alles egal sein zu lassen und sich selbst als den Größten und tollsten zu sehen, dem nichts was anhaben kann. Es geht darum, ehrlich zu sich, ehrlich zu Gott zu sein. Zu erkennen, wo ich Hilfe brauchen. Sich für Hilfe und Hilfsbedürftigkeit nicht zu schämen, sondern sie anzunehmen. Sich nicht darauf auszuruhen, sondern sie als Ansporn, dem Leben eine neue Richtung zu geben, zu verstehen.
Jeder darf zu Gott kommen. Mit erhobenem Haupt, offen, freimütig. Nicht, weil jeder so toll ist, sondern weil Gott unsere Schwächen kennt und aushält. Weil Jesus für uns da ist. Weil er weiß, wie es ist, unten zu sein. Gott ist nicht der, der uns rausreißt, wenn’s brenzlig wird. Sondern der, der uns hilft, das Brenzlige auszuhalten, und uns hilft, wenn wir uns die Finger verbrannt haben. Damit wir es anders und besser machen.
Gott nimmt uns unser Leben nicht ab. Er erspart uns auch das Schwere nicht. Er erledigt nicht unsere Aufgaben. Aber er hilft uns, mit ihnen fertig zu werden. Und er hilft uns, uns selbst und unser Leben ehrlich anzuschauen. Nicht die rosarote Brille lässt die Liebe wachsen, sondern der offene Blick aufs Leben. Wir brauchen niemanden, der uns im Leben und im Glauben vertritt, sondern Gott traut uns zu, das selbst zu können. Offen, mit erhobenem Haupt. Als Hilfsbedürftige, klar. Aber nicht als für dumm und klein gehaltene, sondern als eigene Menschen.
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