Liebe Gemeinde!
„Alles wird gut“ - Ich würde das Ihnen und Euch so gern versprechen. „Alles wird gut, macht euch keine Sorgen!“ Alles wird gut, für die Schülerinnen und Schüler, die Angst vor der nächsten Klassenarbeit haben. Die Angst davor haben, keinen vernünftigen Abschluss zu kriegen und keine Lehrstelle. Die Angst davor haben, dass auch an ihrer Schule mal jemand durchdreht und Amok läuft. Die Angst davor haben, schief angeschaut zu werden, wenn sie mit Kleidung aus der Kleiderkammer, von C&A oder takko, statt von H&M, New Yorker, Karl Kani und so weiter in die Schule kommen. Die Angst davor haben, von ihrer Clique ausgelacht zu werden, wenn sich herausstellt, dass sie in Wirklichkeit nicht so hart und cool sind, wie sie sich gern geben. Ich würde so gern sagen: „Alles wird gut, macht euch keine Sorgen!“ - Auch den Eltern, die Angst davor haben, dass ihr Kind an falschen Freunden, an Drogen, an schlimmen Erfahrungen zerbricht. Die Angst davor haben, dass ihr Kind vor ihnen stirbt. Die sich entscheiden müssen, ob sie es von dem Geld, das noch zur Verfügung ist, im Winter schön warm haben wollen oder ob sie sich und ihre Kinder gesund ernähren, weil für beides das Geld nicht reicht. „Alles wird gut, macht euch keine Sorgen“ - ich würde es den älteren Menschen gern versprechen. Denen, die Angst davor haben, am Ende allein zu sein. Denen, die Angst vor einem langen und elenden Sterben haben und denen, die Angst davor haben, in einer Welt, die sich immer schneller ändert, nicht mehr mitzukommen. Ich würde das so gern versprechen: „Alles wird gut, sorgt euch nicht, Gott gibt euch, was ihr braucht!“ Und dann fallen mir Gespräche mit Menschen ein, jungen und alten, die mich fragen, warum es sich lohnt, mit Gott im Gebet zu reden und mit ihm zu rechnen, wenn er doch trotz Gebet nicht dafür gesorgt hat, dass der Vater aufhört zu saufen und die Familie zu quälen. Wenn Gott nicht verhindert hat, dass das Kind sich regelmäßig betrinkt und kriminell wird, wenn er das qualvolle Sterben des Ehemanns nicht gemildert hat oder einem die Situation, sich zwischen Heizung und guter Ernährung zu entscheiden, nicht erspart. Man muss gar nicht bis in unterentwickelte Länder gehen, bis hin zu Kindern, die dort immer noch massenhaft verhungern und an vermeidbaren Krankheiten sterben, um Schwierigkeiten zu kriegen, dieses „Sorgt euch nicht, Gott weiß, dass ihr Nahrung, Kleidung und so weiter braucht“, zynisch zu finden. Man findet schon auf dem Richtsberg mehr als genug Gründe dafür, vorsichtig zu sein mit dem Versprechen: „Alles wird gut, sorgt euch nicht!“ „Sorgt euch nicht!“ - Wer das als einen Befehl Jesu versteht, immer fröhlich durchs Leben zu ziehen, wer daraus sogar schließt, dass jemand, der sich Sorgen macht, kein richtiger Christ ist und nicht gut und fest genug an Gott glaubt, der denkt und handelt unmenschlich. Es gibt, Gott sei es geklagt, jede Menge echter Gründe, sich Sorgen zumachen.
Die Frage, vor die uns das, was Jesus hier sagt, stellt, ist nicht die, ob wir als uns Christen Sorgen machen müssen oder dürfen. Die Frage ist vielmehr die, wie wir mit Sorgen und Nöten umgehen. Ob wir uns von ihnen vielleicht im wahrsten Sinn des Wortes auffressen lassen und langsam zugrunde gehen oder ob wir diesem Sog der Angst, der Not und der Sorge etwas entgegensetzen können. Es geht letztlich um die Frage: „Wem gebe ich Macht über mein Leben?“
Dass Jesus mit diesem „Sorgt euch nicht!“ nicht jede Angst und Sorge verbieten will, sondern dass er den Blick auf das lenken will, was Leben wirklich gut macht, zeigt schon der Zusammenhang der Verse. Direkt vor dieser Aufforderung, sich nicht um Kleidung oder Nahrung zu sorgen, steht die Aussage Jesu, dass niemand sowohl Gott als auch dem Mammon, dem Scheingott, dem Götzen des Geldes, dienen kann. Ordne ich mein Leben dem Geld unter? Geht es mir darum, mich durch das, was ich anhabe, besser als andere zu machen? Geht’s drum, mich durch meine Essgewohnheiten als besonders wichtig und wertvoll darzustellen? Weder Schampus, Kaviar und Austern noch der ausschließliche Genuss von Biogemüse, Bioeiern und Biofleisch machen einen zu einem guten Menschen. Weder der Anzug von Boss noch das T-Shirt von Ed Hardy, weder die goldene Uhr noch das schöne eigene Haus geben dem Leben wirklich Sinn. Wer nur nach diesen, manchmal vielleicht ja auch schönen und sinnvollen, Dingen schaut und sein Leben danach ausrichtet, möglichst viel davon für sich zu bekommen, wird wichtiges verpassen. Weil er vorletzten Dingen zu viel Macht einräumt. So verstehe ich Jesus hier. „Trachtet zuerst nach Gottes Reich und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen“. Nicht Schuld aufrechnen sondern Schuld vergeben, auch für mich selbst damit rechnen, dass mir vergeben werden kann und ich mir nicht alles verdienen muss, Liebe, neben den eigenen Bedürfnissen auch die der anderen wahrnehmen, ja, das kann eine Gelassenheit schaffen, die Freiheit eröffnet. Auch ein Stück Freiheit von der Sorge, zu wenig zu haben, zu kurz zu kommen, zu schlecht zu sein.
Aber für mich geht das, was Jesus will, noch tiefer. Es geht ihm nicht darum, Sorgen zu verbieten, sondern es geht Gott darum, ein Angebot zu machen, Sorgen erträglich werden zu lassen. Sich eben nicht auffressen zu lassen. Weder von den Sorgen um vielleicht manchmal zu wichtig genommene Äußerlichkeiten noch von den wirklich lebenswichtigen Sorgen. „Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“ Das sagt nicht einer, der mit Mittelstandsbauch satt und zufrieden in die Welt schaut, da geht es nicht um eine Wunschmaschine und einen Zauberer, dem man seine Wünsche anvertrauen soll und der dann schon für Erfüllung sorgt. Sondern da macht einer ein Angebot, der weiß, wie es ist, unten zu sein. Der bespuckt und geschlagen wurde, der das Gefühl kannte, allein, sogar gottverlassen zu sein. Da macht einer ein Angebot, der nicht in höheren Sphären dem Ernst des Lebens und der Härte der Welt entzogen ist, sondern der bis zum letzten auf der Seite der Menschen steht, der Leidenden, der Armen, derer, die zu kurz kommen, derer, die Angst haben. Da ist einer, der weiß wirklich, wie’s mir geht, wenn’s mir schlecht geht, dem kann ich nichts vormachen und der macht mir nichts vor. Gott macht in Jesus nicht das Angebot, Sorgen einfach so wegzuzaubern. Sondern er macht das Angebot, mitzutragen, mitzugehen, nichts unter den Teppich zu kehren, sondern durch ehrliches Anschauen des Lebens Kraft und Hoffnung wachsen zu lassen und so Sorgen loszuwerden oder wenigstens erträglich werden zu lassen.
Es geht darum, Freiheit zum Leben zu gewinnen. Durch Loslassen. Von Sorgen, vielleicht auch manchmal von Menschen. Und auch durch Loslassen von Überforderungen. Manchmal entstehen die ja auch dadurch, dass ich glaube, für alles wirklich selbst verantwortlich sein und sorgen zu müssen. Und das „ich“ meine ich jetzt ganz und gar nicht rhetorisch. Loslassen, weil ich weiß, dass ich abgeben darf. Sorgen, Ängste, Überforderungen. Und dadurch die Freiheit gewinnen, das zu tun, was in meiner Macht steht und für das ich Verantwortung trage. Vielleicht hilft dazu nicht nur mir, sondern auch anderen, die dieses kennen, ein Gebet. „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und Gott, gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Amen.