Predigttext: Lukas 17,11-19
Liebe Gemeinde!
Dienstag, 8. September, 16.55 Uhr. Seit einer Stunde liegen in Konfer sichtbar Süßigkeiten neben mir auf dem Tisch. Die Stunde geht zu Ende, ich sage den Konfis, warum sie da liegen, dass ich sie ihnen schenken möchte und dass sie sich jetzt was nehmen können. Es ist genug für alle da. Manche nehmen sich gleich zwei Teile, versuchen mit einem Grinsen noch ein drittes Teil zu kriegen. Wenn’s hoch kommt, hat die Hälfte der Konfis „Danke“ gesagt, ein paar weniger sind auf den Grund für das Geschenk eingegangen. Vielleicht hört sich das jetzt so an, als würde ich mich über die Konfis beschweren wollen und sagen: „Ja, ja, die Jugend von heute! Verwöhnte Gören! Früher hätte es das nicht gegeben!“ Aber ich glaube kaum, dass es sehr viel anders gelaufen wäre, wenn ich es mit einer beliebigen Gruppe Erwachsener gemacht hätte. Jugendliche benehmen sich in der Regel so, wie sie es vorgelebt bekommen. Und da leben wir in einer Zeit, in der ich den Eindruck habe, dass Dankbarkeit oft genug als Schwäche ausgelegt wird. „Ich nehme, was ich kriegen kann, steht mir doch irgendwie zu. Und wenn jemand so dumm ist, mir das umsonst oder zu billig zu geben, dann ist das doch sein Problem. Wer schlau ist sieht zu, dass er aus allem das Meiste rausholt!“ Es sind nicht Jugendliche, die zuerst genauso leben. Und es sind nicht nur arme Menschen, die so leben. Bei denen könnte man es ja noch verstehen. Trotz Wirtschaftskrise: Gier und Egoismus spielen immer noch eine große Rolle. Und Dankbarkeit hat in dieser Welt oft wenig Platz. Ich will mich jetzt nicht lang beschweren. Mit ungefähr 50% Dankbarkeit hatte ich im Vergleich zu Jesus ja eine Spitzenquote. Und ich hatte nur ein paar Süßigkeiten. Jesus hat in der Predigtgeschichte, die ich gerade vorgelesen habe, eine Dankbarkeitsquote von 10%. Und das, obwohl er Menschen, die unter einer schweren Krankheit litten, die wegen dieser Krankheit von ihren Familien, ihren Freunden und jeder Arbeitsmöglichkeit ausgeschlossen waren, geheilt und ins Leben zurückgeholt hat. Er hat nicht nur Schokolade verteilt, sondern den Menschen etwas wirklich Lebenswichtiges gegeben: Gesundheit und die Möglichkeit, am ganz normalen Leben teilzunehmen. Und trotzdem kommt nur einer von zehn zurück und sagt Danke. Und was macht Jesus? Er wünscht denen, die nicht zurückgekommen sind, nicht die Pest an den Hals und verflucht sie nicht und beschwert sich nicht lange. Er nimmt das Geschenk nicht zurück. Er lässt die neun ihren Weg gehen und beschäftigt sich mit dem Einen, der zurückgekommen ist.
Mir erzählt diese Geschichte eine Menge von Gott, über das Wesen des Gebens und Schenkens. Gott, der sich ja in Jesus zeigt, ist ein Gott, der Menschen die Möglichkeit zum Leben eröffnen will. In Würde, unabhängig von Almosen, die andere einem zuteilen, leben zu können: diese Möglichkeit bekommen die zehn Kranken durch Jesus geschenkt. Und dieses Geschenk wird eben nicht zurückgenommen. Jesus schenkt nicht, weil er geliebt oder bewundert werden will. Er schenkt nicht, damit sich sein Ruhm oder seine Anerkennung vermehren, sondern weil die Menschen, die ihm begegnen, hier die zehn Aussätzigen, das Geschenk brauchen. Niemand von uns hier im Gottesdienst ist Jesus. Aber im Blick auf dieses Wesen seines Schenkens sind mir mindestens zwei Beobachtungen bis heute wichtig.
Erstens: Wer schenkt, damit er geliebt oder verehrt wird, wer schenkt, um selbst gut da zu stehen, hat eigentlich schon verloren. Das, was Jesus vorlebt und was als gute Grundregel eigentlich in jeder Beziehung bis heute auch unabhängig vom Glauben gültig ist, drückt Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht über das Schenken unter anderem so aus: Schenke herzlich und frei. Schenke mit Geist ohne List. Wer schenkt, um sich Liebe zu kaufen oder um gut da zu stehen, muss sich nicht wundern, wenn Dankbarkeit fehlt. Ein Geschenk ist dann ein Geschenk, wenn es nicht um mich, sondern um den anderen geht. Für mich wird das in dem Geschenk „Gesundheit“, das Jesus hier macht, sehr deutlich. Und in der Art und Weise, wie er mit dem nicht abgestatteten Dank umgeht.
Und da ist die zweite Beobachtung, jetzt mehr im Blick auf mich als Pfarrer, auf uns als christliche Gemeinde. Einer von zehn kommt zurück zu Jesus. Einer von zehn dankt Gott. Man gibt sich Mühe. Als Pfarrer. Als Gemeinde. Man möchte einladend und ansteckend sein. Menschen für Gott öffnen und begeistern. Zu Jesus selbst kommt einer von zehn. Und Jesus gibt trotzdem nicht auf. Und in ihm begegnet Gott den Menschen selbst. Wir tun manchmal so, als sei die große Zahl wichtig. Wir lassen uns verführen von anderen, die Erfolg in Massenbewegungen messen. Nicht die große Zahl ist wichtig. Der einzelne Mensch ist es, auf den es ankommt. Für mich ist gerade dieser Teil der Geschichte ein großes Geschenk. Gerade wenn Kirchenleitungen oder amerikanisch geprägte Freikirchen oder Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet nach Wachstumszahlen fragen und hören wollen, dass Gottesdienste immer besser besucht werden, immer mehr Jugendliche aktiv werden oder, oder, oder. Wir sehen dann, dass wir es nicht schaffen. Und vergessen vielleicht hin und wieder, dass nicht wir mit unseren beschränkten Mitteln, nicht wir, die wir auch manchmal daneben liegen und frustriert sind, das Entscheidende sind, sondern dass Martin Luther Recht hatte, wenn er dichtete: „Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren. Es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren.“ Nicht die Zahl macht’s, sondern der Mensch. Nicht wir müssen alles machen, sondern wir haben einen, der schon etwas für uns gemacht hat. Und dieser Jesus, auf den wir uns berufen dürfen, steht auch nicht für den 100%-Fetischismus mancher Öffentlichkeitsarbeiter und PR-Strategen.
In der Geschichte stecken noch viel mehr schöne Geschenke. Schon der Anfang ist so ein Geschenk. Und es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog. In Jesus begegnet Gott als einer, der auf Wanderschaft ist. Er begegnet Menschen unterwegs im Leben und ist keiner, der feste Sprechstunden, Orte und Zeiten hat. Gott kommt zu uns Menschen, lange bevor wir uns zu ihm aufmachen. Es ist ein Geschenk, das wahrnehmen zu dürfen.
Auch wenn ich mich oft genug schwer damit tue, dankbar zu sein, weil sich viel zu viel Schlechtes in den Vordergrund drängt. Auch wenn ich mich mit meinem Glauben schwer tue, weil Krankheiten oder erlebtes Unrecht oder tragische persönliche Erfahrungen Zweifel an einem guten Gott aufkommen lassen: obwohl oder vielleicht sogar weil das so ist, darf ich darauf hoffen und vertrauen, dass ich nicht erst alles ausräumen muss, damit ich Gott angenehm und wertvoll genug bin, sondern dass er kommt bevor ich aufgeräumt habe.
Ein weiteres mir wichtiges Geschenk zeigt sich erst auf den zweiten oder dritten Blick. Es ist der Weg, den Jesus hier zurücklegt. Sein Weg führt ihn durch Galiläa und Samarien, er geht auf der Grenze und überschreitet Grenzen. Galiläa galt zur Zeit Jesu als eine Art Bauernland. Da wohnte eben nicht die angesehene Elite, sondern die Hinterwäldler. Und Samarien, noch schlimmer, da wohnten die, deren Glauben ein bisschen anders war, die nicht nur in den Augen der Frommen ihrer Zeit wenig wert waren und denen man nichts Gutes zutraute. Jesus gibt sich mit den Grenzen, die Menschen ziehen, mit denen Menschen sich gegenseitig in Gut und Böse, Wertvoll und Nichtsnutzig einteilen, nicht zufrieden. Er überschreitet Grenzen. Er erregt dadurch Anstoß. Aber erst durch diese Grenzüberschreitung wird das Geschenk „Leben“ erst so richtig deutlich und wertvoll. Es ist eben nicht beschränkt auf die, die schon immer dazugehört haben, auf die, denen man es selbst gern gönnt. Ein Geschenk. Und eine Einladung an die, die im Sinne Jesu leben möchten, sich eben auch nicht mit Grenzen, die Menschen ziehen, zufrieden zu geben, anstößig zu sein und so Menschen zum Leben einzuladen und zu ermutigen.
In Würde gut leben zu können - das Geschenk, das durch Jesus hier gemacht wird. Was hindert daran, dankbar zu sein? Manchmal, Gott sei Dank, eigentlich gar nichts. Dafür ist die Taufe, die wir heute feiern dürfen, ein gutes Zeichen. Auch wenn im Vorfeld nicht alles einfach war und einfach ist: ich habe sie in allen Begegnungen so erlebt, dass nicht die Schwierigkeiten im Vordergrund standen, sondern dass die Dankbarkeit dafür, dass Amelie Teil ihres Lebens geworden ist, ganz oben steht. Und dass trotz aller Traurigkeit, dass ein Mensch, der wirklich wichtig ist, nicht mehr mitfeiern kann, die Gewissheit da ist, dass trotzdem eine Verbundenheit und eine Art mitfeiern da ist, die über das Sichtbare hinausgeht. Eine Gewissheit, dass eben durch die Liebe, die Gott in Jesus hat lebendig sein lassen, Leben mehr ist als das, was wir vor Augen haben. Dass Gott wirklich Leben schenkt, Leben, das unsere Grenzen sprengt. Danke, dass wir heute mit ihnen feiern dürfen.
Es ist der Fremde, der, von dem es keiner erwarten würde, der zurückkehrt und dankt. Ich wünsche uns, dass wir immer wieder zu solchen Fremden werden. Dass wir uns nicht in scheinbare Selbstverständlichkeiten hineinbegeben, sondern uns irritieren lassen. Von Jesus, von Gott, von seinem Geschenk des Lebens.
Amen
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