Liebe Gemeinde!
Es ist schon ein bisschen seltsam, dass ausgerechnet in einer Zeit, in der deutlich wird, dass die Gier, große Gewinne bei Geschäften zu machen, zum Zusammenbruch führt, ein Gleichnis, das Jesus erzählt, als Predigttext vorgesehen ist, in dem zwei dafür gelobt werden, dass sie das eingesetzte Geld verdoppelt haben und der, der vorsichtig war, rausgeschmissen wird. Gibt’s jetzt gewissermaßen doch göttlichen Segen für die, die den Sinn des Lebens darin sehen, möglichst viel Gewinn anzuhäufen und für sich selbst möglichst viel dabei herauszuholen?
Gott als der, der hohe Gewinne fordert - auf den ersten Blick kann man diese Geschichte von Jesus so verstehen. Ein Gott, der Angst vor dem Versagen macht. Aber wie so oft im Leben täuscht der erste Blick. Eigentlich geht es um das Gegenteil. Der unermesslich reiche Mensch im Gleichnis, den man sicher in vielem mit Gott vergleichen kann, ist zuallererst nicht der, der Angst macht, sondern der, der Freiheit und Vertrauen schenkt. Er vertraut seinen Knechten, seinen Sklaven, sein Vermögen an. Es ist für alle drei mehr, als jeder von ihnen je hätte sparen können, für den ersten sogar viel mehr, als er in seinem ganzen Leben als Lohn hätte bekommen können. Er gibt keine Drohungen mit, er setzt keinen Oberaufpasser ein. Er gibt ihnen einfach sein Vermögen und sagt: „Macht was draus!“ Und dann geht er weg, ist außer Landes, außer Reichweite. Für mich ist das ein sehr gutes Bild von menschlichen Erfahrungen mit Gott. Gott lässt uns Menschen Freiheit. Er ist nicht ständig als Oberaufseher da und sagt „Tu, dies, lass das!“ Er gibt den Menschen Möglichkeiten, was zu tun - aber er nimmt Menschen das Leben, das Handeln nicht ab. Dietrich Bonhoeffer, ein Pfarrer, der seinen Einsatz gegen die Nazis mit dem eigenen Leben bezahlt hat, hat einmal gesagt: „… wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen. … Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. … Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.“ Hört sich kompliziert an. Heißt aber nichts anderes, als dass wir Gott missbrauchen, wenn wir ihn als Lückenbüßer, Joker oder Oberaufpasser darstellen. Wir müssen in diesem Leben, in dieser Welt damit fertig werden, dass wir Gott nicht immer direkt begegnen und dass er manchmal ganz weit weg zu sein scheint. Und ganz praktisch: Wenn ich einem anderen Menschen helfe und ihm was Gutes tue, dann ist es für das Ergebnis zwar egal, ob ich das tue, weil ich Angst habe, dass Gott mich sonst bestraft oder ob ich es tue, einfach weil der andere da ist und Hilfe braucht und ich die Möglichkeit dazu habe. Aber es macht mich kaputt, wenn ich ständig Angst vor Strafe haben will. Gott will, und das macht auch diese Geschichte, die Jesus erzählt, klar, die Angst vor Strafe nehmen und uns frei dazu machen, wegen unserer Möglichkeiten und weil andere es nötig haben zu handeln. Angst vor Strafe schafft eine Welt, die wirklich wie ein Gefängnis ist und in der „Heulen und Zähneklappern“, wie es im Gleichnis heißt, sein wird. Der Punkt, um den es in dem Gleichnis, das Jesus erzählt, geht, ist, dass nicht der wirtschaftliche Misserfolg bestraft wird, sondern dass sich die Angst vor Strafe und die Angst vor Misserfolg, die dazu geführt hat, das Vertrauen nicht mit eigenem Handeln zu führen, praktisch selbst bestraft. Angst und Misstrauen schaffen eine Welt, die nicht lebenswert ist. Und erst recht gilt das für das, was Jesus hier „Himmelreich“ nennt. Wer in Gott nur den strafenden Prüfer und Oberaufpasser sieht, wer geschenktes Vertrauen nicht annehmen kann, der wird die Freiheit, die Gott schenkt, das Leben, das bei ihm möglich ist, das Gute nie erfahren. Aber in dem Gleichnis stecken noch mehr Dinge, die, wie ich finde, für den Alltag ganz brauchbar sind. Da ist das Aufräumen mit dem Missverständnis, dass die Gleichwertigkeit der Menschen gleichbedeutend mit der Gleichheit sein muss. Der reiche Mann im Gleichnis verteilt sein Vermögen nach den Fähigkeiten und Möglichkeiten, die die Einzelnen haben. Wer viel hat, wer viel kann, von dem kann man viel erwarten. Es gibt andere, deren Möglichkeiten sind beschränkter, da können die Erwartungen geringer sein. Menschen sind ungleich in ihren Voraussetzungen, Fähigkeiten, Talenten. Aber auch der mit weniger Möglichkeiten und Talenten bekommt das gleiche Vertrauen in seine Möglichkeiten und am Ende wird bei denen, die nach ihren Möglichkeiten ihre Talente und Fähigkeiten eingesetzt haben, kein Unterschied gemacht. Es kommt also nicht drauf an, darauf zu schielen, was der andere vielleicht mehr bekommt oder besser kann oder sich schlecht zu fühlen, weil man manches nicht kann oder weniger hat, sondern aus dem, was man hat, was zu machen. Jeder ist es wert, dass man ihm Vertrauen schenkt. Jeder, der mit seinen Möglichkeiten was gemacht hat, egal, wie viel herauskommt, wird in dem Gleichnis gleich wert geschätzt. Ob ich reiche Eltern habe, ein Studium gemacht habe oder ob ich in Armut, vielleicht ohne Eltern und vielleicht auch ohne Schulabschluss aufwachse: ich bin nicht mehr oder weniger wert. Auch wenn manches mehr Möglichkeiten eröffnet. Aber auch wenn ich wenig habe: ich kann was draus machen. Der Dritte in dem Gleichnis macht eben nichts aus dem Vertrauen, nichts aus dem, was er bekommt. Selbst wenn es zutreffen würde, dass der reiche Mann hart und ungerecht ist, was er ja nicht ist, hätte er mit seiner Angst einen sicheren Weg gehen können, wenigstens ein Minimum aus dem Vertrauen herauszuholen. Aber er bleibt, wie gesagt, in Angst und Misstrauen gefangen. Die Angst macht ihn blind. Wenn es in dem Gleichnis um das Reich Gottes geht, das noch nicht da ist, aber mit Jesus schon angefangen hat, dann wird deutlich, dass es darum geht, dass Vertrauen Früchte bringt, dass es nicht um ungerechten Gewinn, sondern um geteilte Freude geht, dass Gott nicht fesseln will, sondern Menschen in dieser Welt zum Guten in Freiheit leben lassen will. Und es geht darum, dass Menschen unterschiedlich leistungsfähig und doch gleich viel wert sein können. Dem Leben vertrauen weil Gott uns vertraut - schöne Aussichten, wie ich finde.
Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Montag, 10. August 2009
Mehrwert - mehr Vertrauen! 9. n. Trinitatis, Reihe 1
Text: Matthäus 25,14-30
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