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Freitag, 19. September 2008

Voll das Leben - Amy, Britney, Glauben und Singen

Predigt 18. n. Tr. 08, 21.09.08, Reihe VI

Text: Epheser 5,15-21

Liebe Gemeinde!

„Es ist böse Zeit!“ Manchen hier im Gottesdienst wird der Apostel sicher auch heute noch aus dem Herzen sprechen, knapp 2000 Jahre, nachdem diese Zeilen an die Gemeinde in Ephesus geschrieben wurden. Ich glaube, dass sie mich im letzten Jahr gut genug kennengelernt haben, um zu wissen, dass ich gern lebe und vor allem gern hier und jetzt lebe. Und trotzdem glaube ich auch, dass wir in einer bösen Zeit leben. Den älteren werden vielleicht die Namen Britney Spears und Amy Winehouse nicht viel sagen. Zwei Sängerinnen, deren Musik man mögen kann oder auch nicht. Zwei Sängerinnen, die aber im letzten Jahr vor allem dadurch in Erscheinung getreten sind, dass sie mehr als einmal völlig hilflos, von Alkohol und Drogen benebelt, in der Öffentlichkeit ausgeschlachtet worden sind. Zwei kranke Menschen, die Fotografen, Schreiberlingen und Medienleuten geholfen haben, gut zu verdienen - und Millionen haben dem Verfall genüsslich zugeschaut, mit dem wohligen Gefühl: „Ein Glück, dass ich besser bin!“ Ich finde, es ist eine böse Zeit, in der Krankheit und Schwäche gnadenlos aus Profitgier ausgeschlachtet wird. Ich finde es ist eine böse Zeit, in der Nacktfotos von Exfreundinnen oder Exfrauen ins Internet gestellt werden, um sie öffentlich bloß zu stellen. Es ist eine böse Zeit, in der es eine Sendung im Fernsehen gibt, in der es nur darum geht, wie Jugendliche möglichst schnell ihre Jungfräulichkeit verlieren. Ich könnte sicher den ganzen Gottesdienst mich weiter aufregen und Beispiele finden für vieles, was heutzutage böse ist. Manches gibt es schon seit langem. Prostitution heißt nicht umsonst „das älteste Gewerbe der Welt“. Pranger, an denen Menschen bloß gestellt wurden, gab es schon im Mittelalter. Und dass Menschen versklavt wurden, unter unwürdigsten Bedingungen für andere arbeiten mussten und als Nicht-Menschen angesehen wurden, gab es schon in der ach so ruhmreichen Antike. „Böse Zeit“ - nicht nur in der Gegenwart. Das ist leider allzu menschlich. Deshalb hält sich der Brief auch gar nicht lang mit Zustandsbeschreibungen und Jammern auf. „Kauft die Zeit aus“ - nutzt eure Zeit, setzt jetzt Gegenakzente. Zeigt, dass es anders geht. Dazu wird ermutigt. Nutzt die Zeit jetzt - ihr habt keine andere Zeit. Aber wie geht das? Wie soll man die Zeit, sein Leben so gestalten, dass die Zeit nicht auch irgendwie „böse“ wird? Der Brief gibt keine so einfache Antwort. Er sagt nicht einfach: „Haltet die 10 Gebote ein, und dann geht’s schon!“ Es heißt vielmehr: „So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.“ Seht, damit fängt die Weisheit an. Macht die Augen auf, schaut hin. Habt keinen Tunnelblick, der nur das Böse oder das Gute sehen will, habt keinen Blick, der nur das sehen will, was ihr sowieso schon kennt. Seht auf das Leben. Nehmt wahr, was geschieht. Es geht also nicht nur um das bloße Hinhören und Nachsprechen von alten Weisheiten und alten Formeln, nicht nur darum, sich Traditionen anzueignen und möglichst genau nachzuleben, nicht um Patentrezepte, wie alles gut und richtig wird. Weise im Sinn von klug und verständig wird nur der, der die Augen aufmacht und wahrnimmt, was geschieht und seine Möglichkeiten auch wirklich sehen kann. Augen auf - wobei das natürlich auch übertragen gemeint ist. Ohne die rosarote Brille, die alles beschönigt, ohne die schwarze Brille, die alles nur düster erscheinen lässt, ohne Scheuklappen, die den Blick einengen, ins Leben zu gehen, hilft, auch die Weisheit Gottes für das, was richtig ist, zu entdecken. Und dann auch: Verstand einschalten. Um zu entdecken, was gut und richtig ist, darf und muss ich auch im Glauben nachdenken. Glauben heißt nicht, die Welt schlecht zu finden und so zu tun, als hätte man mit ihr nichts zu tun. Glauben hilft, die Welt zu verstehen. Weise, klug, verständig in böser Zeit zu sein heißt auch, immer wieder nach Gottes Willen zu fragen. Es geht nicht um das eigene Wissen von gut und böse, nicht um das, was Tradition, Familie, Gesellschaft vorgeben. Es geht darum, jeden Tag neu nach dem zu fragen, was Gottes Wille für die immer wieder neue, immer wieder andere Situation im Leben ist. Manchmal liegt dieser Willen ganz tief verborgen unter vielen Möglichkeiten. Weise, klug, verständig zu leben heißt, das Suchen nicht zu verlernen und nicht aufzugeben. Gottes Wille und seine Gnade sind nichts, worüber ein Mensch verfügen könnte, sondern alle Morgen neu. Nicht in dem Sinn, dass Gott ständig seine Meinung ändern wird und das, was gestern gut war, heute böse ist. Sondern in dem Sinn, das jede Situation, jeder Mensch, jede Begegnung anders ist und deshalb immer wieder neu gefragt werden muss: Wie kann ich jetzt handeln? Was muss ich tun, was soll ich lassen?

Und deshalb sind auch die praktischen Ratschläge, die der Brief gibt „Sauft euch nicht mit Wein voll, ermuntert euch mit geistlichen Liedern und Psalmen“ nicht einfach so unhinterfragt hinzunehmen. Es geht nicht darum, strenger Antialkoholiker zu sein und nur Lieder aus dem Gesangbuch zu singen, und schon ist man Christ. Es geht darum, in der jeweiligen Situation das Richtige und Nötige zu tun.

Als ich diese Verse aus der Bibel gelesen habe, habe ich mich gefragt, warum da jetzt nichts aus den Zehn Geboten kommt, warum nichts von Nächstenliebe da steht, wenn es um ein im Sinne des göttlichen Willens gutes und richtiges Leben geht, das in böser Zeit gute Zeichen setzt. Ausgerechnet „Besauft euch nicht, denn daraus folgt ein unordentliches Wesen!“ Klar, wenn man über den Richtsberg geht, dann begegnen einem viele Beispiele dafür, dass Alkohol Menschen und Familien zu Grunde richten kann. Und nicht nur hier ist das so. Und trotzdem: was würde Jesus dazu sagen, wenn man sagen würde: „Menschen, die an ihn glauben, erkennt man daran, dass sie auf Alkohol verzichten?“ Ich hoffe mal, dass er sagen würde: „Macht es euch nicht so einfach, so billig bin ich nicht zu haben. Von mir haben meine Gegner gesagt, ich sei ein Fresser und Weinsäufer und denkt auch dran, dass ich auf der Hochzeit in Kana dafür gesorgt habe, dass der Weinvorrat nicht zu Ende geht.“ Klar, das hat Jesus so nicht gesagt, dass habe ich mir überlegt. Es geht aber auch hier im Epheserbrief darum, nicht einfach zu sagen, wenn ich irgendeinem Handlungsrezept folge, dann bin ich automatisch auf der richtigen Seite. Es geht vielmehr gerade hier darum, den Blick für die Situation zu behalten. Im Blick auf den Wein könnte man das, was hier steht, mit einigem Recht wohl so übersetzen: „Geht verantwortungsvoll damit um. Glaubt nicht, dass ihr euch mit dem Rausch ein besseres Leben erkauft. Glaubt nicht, dass ihr im Rausch auf Dauer etwas findet, das euer Leben reicher und besser macht. Sucht nicht den Ersatz, sondern sucht das Leben, sucht Gott.“ Es gab in der Antike, als der Brief geschrieben wurde, bei manchen die Ansicht, durch einen Alkoholrausch könnte man dem göttlichen Willen auf die Spur kommen. Und oft genug wird einem ja auch heute gerade von Künstlern und scheinbar gebildeten Menschen erzählt, Drogen würden das Bewusstsein erweitern und einem ganz tiefe Erkenntnisse über das Leben vermitteln. Leben findet man nicht dadurch, dass man vor dem Leben in einen Rausch wegläuft. Gottes Geist befreit zum Leben, zu Erkenntnissen, die alles in den Schatten stellen, was Drogen können.- Ohne Kater, ohne schlechten Geschmack im Mund, ohne krank und süchtig zu machen. Vielleicht braucht es dazu aber ja wirklich den wachen Verstand, der nicht durch Drogen vernebelt wird. Macht euch selbst nichts vor und lasst euch nichts vormachen über wahres und gutes Leben. Für mich steckt auch diese Aussage in unserem Predigttext. Und auch die Erkenntnis, dass man immer wieder Ermunterung braucht, um im Alltag durchzuhalten. Auch und gerade als Christ. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen, so heißt es im Brief. Ich sehe schon meine Konfirmanden mit den Augen rollen, wenn es ums Singen und um Psalmen geht. Aber wer einmal auf einem Kirchentag war, oder in einem großen Fußballstadion, der weiß, welche Kraft dahinter steckt, wenn nicht nur zwei dünne Stimmchen etwas vortragen, sondern wenn Tausende und Zehntausende singen. Und das ermunterndes Singen, auch und gerade im Bereich des Glaubens, nicht heißen muss, sich zum Kaffeetrinken zu versammeln und uralte Kirchenlieder zu singen, das ist eine ganz wichtige Einsicht. Musikgeschmack ändert sich und darf auch in der Kirche unterschiedlich sein. Nur eins darf es, gerade wenn’s um Ermunterung und Stärkung im Glauben geht, nicht sein: öde und langweilig. Für mich drückt sich die Absicht des Briefabschnitts, nämlich dass ein offenes Leben im christlichen Glauben beinahe unglaublich viel Spaß machen kann, am schönsten in einem modernen Psalm einem Gebetbuch für Jugendliche aus: Halleluja, singt dem Herrn ein neues Lied. Denn es ist wunderbar, dich, guter Gott, mit einem neuen Lied zu überraschen. In unseren Gottesdiensten soll endlich was los sein. Weil deine Liebe überall ist. Lasst uns tanzen und singen. Nehmt Schellenring und Harfe, Violinen und Kontrabässe, Keyboards und E-Gitarre. Nehmt Schlagzeug und Soundprogramme und wenn ihr nichts findet, schnippst mit den Fingern und blast auf dem Kamm. Überall soll man uns hören. Dankt Gott mit Chorälen und Sinfonien. Lasst die ganze Welt erklingen. Singt aus vollen Kehlen, dass alle Traurigkeit weggefegt wird. Lobt Gott mit eurem Lachen. Lobt ihn mit Mozart, Bach und Bruckner. Lobt ihn mit Jazz und Rock, mit House und Gospel. Lobt ihn mit Hip-Hop, Rap oder erfindet was Neues. Alles, was atmen kann, lobe den Herrn!

Amen.

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