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Samstag, 11. Januar 2014

Kannste knicken?! - Nein!, 1. Sonntag nach Epiphanias, 12.01.14, Reihe VI

Text: Jesaja 42,1-4


Liebe Gemeinde!
Moment, darf ich mal? Ich hab nicht so viel! Schon weit vor der Kasse ruft die Frau das durch den Laden. Und bevor überhaupt jemand antworten kann, hat sie sich an der Kasse schon vorgedrängelt. Ich hab’s echt eilig, mein Bus geht gleich! Lautstark macht sie sich bemerkbar, schon wieder einen Platz weiter vorn ergattert. Und dann steht das schüchterne Mädchen an der Kasse, in der Hand nur eine Dose Cola und einen Beutel Gummibären, sie ist still, hat gerade schon den alten Herrn mit den Krücken vorgelassen. Und eh sie sich’s versieht ist die laute Dränglerin, die auf dem Recht, ihren Bus zu kriegen, besteht, auch noch vor ihr. Mit fast vollem Korb. Mist, denkt das Mädchen. Jetzt komme ich nach der Pause doch zu spät in die Schule und krieg schon wieder Ärger mit Frau Schulze. Aber sie sagt nichts. Die Lauten kommen voran, die Drängler, die keine Rücksicht auf Verlust nehmen. Wer leise ist, zurücksteckt, vielleicht auch tatsächlich noch für andere, die kaum noch stehen können, Platz macht, wer Menschen in Not hilft und nicht vorbeigeht, wenn’s einem selber nichts bringt, der kommt nicht vorwärts. Der bleibt hintendran, nicht nur an der Supermarktkasse. Der wird geknechtet, der bleibt Knecht. So ist das Bild, so wird’s immer wieder erzählt und deshalb scheint es immer zu einem gängigen Lebensmuster zu werden, dass sich jeder das, von dem er glaubt, dass es ihm oder hr zustehen müsste, nimmt. Ohne Rücksicht auf Verluste eben. Soll doch jeder selber für sich sorgen. Und wenn dabei einer, der sowieso schon leidet, untergeht – selber Schuld. Ich zuerst – an der Supermarktkasse genauso wie im Umgang zum Beispiel mit Flüchtlingen aus Syrien. Millionen sind auf der Flucht. Der arme Libanon hat über 1 Million Flüchtlinge aufgenommen. Und das reiche Deutschland lässt sich dafür feiern, dass es maximal 10.00 Menschen aufnehmen will. Ich zuerst – auch im Umgang mit Menschen, die noch gar nicht da sind. Mit Rumänen und Bulgaren, denen erst einmal pauschal unterstellt wird, nur auf deutsche Sozialleistungen aus zu sein. Ich bin kein Romantiker, der glaubt, das deutsche Sozialsystem sei unendlich belastbar oder der glaubt, dass das Miteinander von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit sehr unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen spannungsfrei möglich ist, wenn alle sich nur Mühe geben. Nein. Es gibt Probleme, es wird welche geben und Menschen sollen tatsächlich auch Verantwortung für sich und ihr Leben übernehmen und das, was sie können, auch selbst in die Hand nehmen. Aber das ist immer unterschiedlich viel und es geschieht mit ganz unterschiedlichen Begabungen oder Voraussetzungen. Ich bin kein Romantiker, ich bin Christ. Und als Christ höre ich auch das, was ein Prophet, dem der Name Jesaja gegeben wurde, als Gottes Wort weitergibt.
Von Gottes Knecht ist da die Rede, von dem, der von Gott gehalten wird , der Gottes Geist hat, der auserwählt ist und der das Recht zu den Völkern bringt, gerade auch zu den Menschen, die Gott gar nicht kennen. Knecht – das hört sich im Deutschen so abschätzig an. Knecht – das ist einer mit wenig oder keinen Rechten, einer der ganz
und gar abhängig ist. Aber in der Originalsprache des Propheten, im hebräischen, da ist das ein wenig anders. Das Wort, das der Prophet hier im Auftrag Gottes benutzt, das zeigt auch eine ganz besondere Nähe und ein besonderes Vertrauensverhältnis an. Eine Art Stellvertreterschaft. Das ist auch der, der stellvertretend für seinen Herrn handelt, der Ministerpräsident des Königs zum Beispiel. Knecht drückt hier keine Geringschätzung aus, sondern eine abhängige Nähe, ein besonderes Verhältnis. Ich glaube, dass es heute schon allein eine Leistung ist, so etwas zulassen zu können und von dem manchmal sehr hohen Ross, immer Herr über alles sein zu wollen oder sein zu müssen, runterzukommen. Ich bin eben nicht Herr über alles, kann und muss nicht alles bestimmen und alles muss nicht nach meiner Pfeife tanzen. Ich bin in Beziehung. Auch in Abhängigkeit. Von dem, dem ich mein Leben verdanke. Von dem, der mir Liebe schenkt. Von Gott.
Kluge Menschen haben lange gerätselt – und tun das bis heute – wer wohl dieser Knecht sein könnte. Ob das der Prophet selbst ist. Oder das Volk Israel. Oder ob Jesus gemeint wäre. Bis heute haben das auch die klügsten unter den Wissenschaftlern nicht wirklich rausbekommen. Ich denke, dass diese Schwierigkeit der genauen Bestimmung vielleicht wirklich gottgewollt ist. Das, was hier in diesen Worten des Propheten von Gott weitergegeben wird, ist ja nicht nur irgendein historische Weisheit, sondern etwas, das für konkretes Leben wichtig war – und bis heute wichtig ist. Die entscheidende Frage, warum wir in Gottesdiensten bis heute darüber hören oder predigen ist doch die: was hat das mit meinem, mit unserem Leben zu tun? Und das erste ist für mich tatsächlich die Hochachtung des Knechtseins: wenn wir alle bloß Herren wären – im Sinne von Alleinbestimmer  -, dann wären Beziehungen praktisch unmöglich. Ich lebe dann auf meiner Insel, muss meine Herrschaft gegen jeden Anspruch an mein Leben verteidigen, Liebe und Beziehung wird unmöglich, weil Liebe und Beziehung auch heißt, auf andere einzugehen und anderen etwas vom eigenen Leben abzugeben. Sicher finden wir etwas davon beim Propheten und auch im Volk Israel. Und als Christ kann ich das ganz bestimmt auch auf Jesus beziehen. Aber es hat sich damit eben nicht erledigt.
Das Zweite, was wichtig ist, ist der Auftrag, den dieser Knecht hat, der im Auftrag von Gott da ist und handelt: Er wird das Recht unter alle Völker bringen. Natürlich sind hier die biblischen Gebote gemeint. Aber wie fasst Jesus denn dieses Recht zusammen? „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Die Liebe zu Gott kann nicht losgelöst vom Umgang miteinander und mit sich selbst gesehen werden. Das Recht, von dem hier die Rede ist, ist kein großes Gesetzbuch – es steht nämlich interessanterweise nicht das Wort „Thora“ da, das für den aufgeschriebenen Teil der Gebote steht. Das Recht, das zu den Menschen aller Völker gebracht werden soll, ist das Recht auf ein verlässliches, sicheres Miteinander ohne Ausbeutung, ohne Unterdrückung. Und da frage ich mich schon, ob wir als Christen in einem reichen, sicheren Land tatsächlich für dieses Recht stehen, ob wir uns als Knechte Gottes auch in die Pflicht nehmen lassen. Spielen nicht auch Nationalität, Volkszugehörigkeit, Religionszugehörigkeit, manchmal auch der Stadtteil, in dem man lebt, eine viel zu große Rolle? Tragen wir das Recht tatsächlich auch zu denen, die ganz anders sind, leben, denken, glauben oder nur zu denen, die so sind wie wir? Der Knecht Gottes öffnet die Beziehung für alle.
Und als Drittes sind wir da, wo ich mit den Beispielen am Anfang der Predigt war. Bei den Dränglern, die lautstark ihr Recht einfordern und sich nehmen, was sie kriegen können. Er wird nicht schreien noch rufen, seine Stimme wird man nicht hören in den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Keiner, der sich aufdrängt. Nicht der, der schreit und laut ist, hat Recht, sondern der, der wahrnimmt, wo Leben geknickt ist, zu verlöschen droht. Er nutzt Schwächen nicht aus. Gibt nicht noch einen drauf, da, wo andere schon am Boden liegen. Ein völliger Gegenentwurf zu einer Welt, in der nur noch wahrgenommen wird, was laut und schrill und unterhaltsam und in 15-30 Sekunden zusammenfassbar in den Medien verbreitet wird. Für mich als Christ, der sich auf diesen Gott beruft, der sich auf diesen Knecht beruft und vielleicht auch in manchem Züge dieses Knechtes haben kann, dass nicht die Mega-Event-Gemeinde das ist, was besonders gottgefällig wäre, sondern dass da Gott wirklich begegnet, wo geknickte und fast verlöschende Existenzen spüren, dass sie sein dürfen, wo sie ernstgenommen werden, wo niemand übertönt oder überschrien wird, wo angeboten und nicht aufgedrängt wird,. Nicht irgendwelche Heilungswunder zeugen von der Gegenwart des Geistes, sondern manchmal ist es gerade die Ruhe, in der Gott wirklich begegnet, die Ruhe, in der Menschen spüren: hier darf ich sein. Hier muss ich anderen nichts vorspielen, hier darf ich auch dann sein, wenn ich fast am Ende bin. Auch mit meinem Glauben vielleicht fast am Ende bin. Hier muss ich nicht laut oder stark sein. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen – für mich ist das einer der schönsten Sätze der Bibel. Und dann: In Treue trägt er, der Knecht Gottes, das Recht hinaus.  Für mich wunderbar, aus zwei Gründen. Das Recht wird hinausgetragen – zu den Menschen. Gemeinde Gottes lebt von diesem zu den Menschen Gehen. Gemeinde Gottes fordert nichts von den Menschen, sondern bringt ihnen etwas, geht zu ihnen. Dient ihnen. Und das tut der Knecht in Treue – nicht willkürlich, nicht für die, die sich vordrängeln, nicht heute so, morgen wieder anders, sondern so, dass auch die leisen, die freundlichen und rücksichtsvollen, die sonst übersehenen und an den Rand gedrängten Existenzen merken: Gottes Recht, Gottes Liebe, Gottes Güte gilt mir. Und der Drängler, der sich etwas nehmen will, wird am Ende nicht der sein, der mehr bekommt. Gebe Gott, dass wir spüren können, dass das wahr ist.
Amen.

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