Beliebte Posts

Freitag, 26. September 2008

Mehr Schein als Sein? - 19. Sonntag nach Trinitatis, Reihe VI

Predigt 19. n. Tr. 08, 28.09.08, Reihe VI

Text: Exodus 34,4-10

Liebe Gemeinde!

Mehr Schein als Sein! Vielleicht ist das ein Motto unserer Zeit, nach dem sich immer mehr Menschen richten. Die Welt des schönen Scheins, in der Falten, Narben, Risse keinen Platz mehr haben. Spuren, die das Leben in Gesichter schreibt, graue Haare, früher ein Zeichen von Würde, werden wegoperiert, weggefärbt, weich gezeichnet, so dass man auch mit über 40 noch auf den ersten Blick für gut 20 durchgeht oder aber hoffnungslos verloren und von Gestern ist. Sicher, manchmal ist es auch ein Schutz für die eigene Seele, wenn man sich die Risse im Leben nicht ansehen lässt. Mich hat in der letzten Woche eine lange E-Mail von einer jungen Frau berührt, die ich in Fulda vor ungefähr fünf, sechs Jahren kennengelernt habe, die mal mit Konfer dort anfing, dann immer wieder schwänzte und alles hinwarf. In der Schule hielt sie damals auch nichts durch. Ich fand sie nicht unsympathisch, aber irgendwie leichtlebig. Bei „wer-kennt-wen“, einer Seite im Internet, auf der man andere treffen kann, habe ich auf der Seite einer gemeinsamen Bekannten ein Bild von ihr gesehen. Aus dem irgendwie ganz niedlichen, aber ziemlich rotzigen Mädchen ist eine hübsche junge Frau geworden. Ich habe ihr eine kurze Mail geschrieben, einen Gruß mit einem Kompliment für ihr Äußeres, das ihr gut steht. Sie hat mir ganz lang geantwortet. Sie hat davon erzählt, dass sie seit über zwei Jahren ihre schwerkranken Großeltern pflegt, um die sich sonst niemand kümmert, dass sie dadurch keine Zeit hatte, sich um Ausbildung zu kümmern und ihr Schulabschluss auch nicht so brillant war, dass sie anfängt, sich nicht nur Sorgen um die Großeltern, sondern auch um ihre eigene Zukunft zu machen. Sie hat einen Freund, der ihr Halt gibt, und für den lohne es sich, auch aufs Äußere zu achten. Das mache ihr einfach Spaß. So einfach, wie ich es mir machen wollte, konnte ich es mir nach dieser Mail nicht machen. Manchmal ist ein Schutz nötig, damit man auch mal abschalten kann. Damit man nicht kaputtgeht. Auf Dauer bringt das natürlich keinen Riss weg, ebnet keine Sorgenfalte ein. Es ist aber trotzdem ein Unterschied, ob ich aus meinen Alltagssorgen auch mal ausbrechen kann oder ob ich so tue, als gäbe es das alles nicht. Wenn ich so tue, als gäbe es keine Risse, wenn ich die Oberfläche immer glatt poliere, dann wird die Oberfläche immer dünner und bricht irgendwann mal ein. Wenn ich Risse wahrnehme, zulasse, dann weiß ich, wo ich dran bin, dann kann ich neue Wege finden, Stärken entdecken, Spalten und Spaltungen im Leben überwinden.

Vielleicht fragen sich jetzt manche, was das mit dem Stück aus der Bibel zu tun hat, das ich eben vorgelesen habe. Aber genau darum geht es auch in dieser Geschichte: Um einen Riss, der sich aufgetan hat, der nicht wegdiskutiert wird. Um eine Wunde, die heilt - aber auch eine Narbe, die bleibt.

Bei denen, die sich in der Bibel ein bisschen auskennen, klingelt es wahrscheinlich gleich beim Namen Moses. Das ist doch der, der im Auftrag Gottes das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei durch die Wüste ins gelobte Land führen soll. Moses bekam unterwegs die Zehn Gebote - aber weil den Menschen die Warterei darauf zu lange wurde, haben sie gesagt: „Wir wollen keinen Gott, den man nicht sehen kann, wir wollen was Handfestes.“ Sie ließen Aaron, den Bruder von Mose, aus dem Schmuck, den sie hatten, ein goldenes Kalb machen und beteten es als Gott an. Als Mose kam, wurde er natürlich sauer und es sah so aus, als ob die Geschichte Gottes mit diesen Menschen aus und vorbei wäre. So ein Riss ist nicht zu flicken, so ein Bruch ist nicht wieder gut zu machen. Aber die Geschichte ging anders weiter. Der Bruch hat sich als etwas Heilsames herausgestellt. Es geht weiter - nicht so, als ob nichts gewesen wäre, sondern so, dass man merkt, dass da was war, was wehgetan hat, dass das aber einer neuen, guten Beziehung nicht im Weg steht. Genau da setzt der Schnipsel aus der großen Geschichte, der heute Predigttext ist, ein. Gott lässt die Regelübertretung nicht das Ende sein, sondern die Chance für einen Neuanfang. Gott teilt Mose etwas ganz wichtiges über sein Wesen mit. Er ist barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied. Je nachdem, wie man das hört, kann man das ganz schön fies finden. Kinder und Enkel müssen unter dem leiden, was Eltern und Großeltern falsch gemacht haben! Nein, gerecht ist das nicht! Aber die Wahrheit über das Leben. Kinder, nachfolgende Generationen sind kein unbeschriebenes Blatt. Nicht nur genetisch bekommen sie einiges von den Generationen, die vor ihnen gelebt haben, mit auf ihren Weg. Und vor allem ist die Strafe ja gar nicht die Hauptsache in dem, was Gott hier über sich selbst sagt. Barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde. Das ist der entscheidende Punkt. Gottes Wesen ist Gnade, Treue, Vergebung - auch da, wo Menschen Schuld auf sich geladen haben, auch da, wo Menschen untreu werden. Gott hält die Treue. Aber keinen faulen Frieden, der so tut, als wäre nie etwas gewesen, keinen schön geschminkten Scheinfrieden, bei dem alles in Ordnung ist. Die Risse und Brüche werden klar benannt. Und erst dadurch wird deutlich, dass die Liebe Gottes, seine Gnade und Treue nicht nur billige Schminke um des guten Effektes wegen ist, sondern echte Liebe, die eben auch die Risse und Brüche aushält und deren Stärke sich genau daran zeigt. Nicht „vergeben und vergessen“, sondern „vergeben ja, vergessen nein!“ Vielleicht kann man das mit diesen einfachen Worten ausdrücken. Wer vergisst, wie weh Treuebrüche tun, wie weh es tut und wie lange es dauert, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen, der wird den gleichen Fehler wieder und wieder machen. Dort, wo der Bruch, wo der Riss nicht zugekleistert wird, dort ist auch die Möglichkeit da, ihn als Warnsignal zu verstehen, als Erinnerungsmarke: so etwas soll nie wieder geschehen. Das geht aber auch nur dann, wenn das Vertrauen da ist, dass diese Offenheit nicht ausgenutzt wird. So wie Gott hier sagt, dass sein Wesen die Vergebung ist, die die Folgen des bösen Verhaltens nicht ausblendet, so brauchen wir im Alltag auch die Gewissheit, dass Offenheit und Reue nicht ausgenutzt werden. Manchmal müssen Menschen auch vor zu viel Offenheit geschützt werden. Ich finde es unglaublich, wie viele Menschen sich im Fernsehen öffentlich lächerlich machen oder lächerlich machen lassen durch Eingeständnisse, die besser im privaten Bereich geblieben wären. Ob es ums Fremdgehen oder um andere Dinge geht -Offenheit ist gut, aber nicht um jeden Preis, sondern alles braucht seinen Rahmen - und seine Vertrautheit. Bei Gott können wir sicher sein, dass er Schwächen nicht gegen uns ausnutzt, im Gegenteil. So, wie sich das ja auch hier in der Geschichte zeigt.

Mose, der Mensch, hat da wenig Vertrauen zu seinen Leuten. Er bittet Gott, dass er, Gott, selbst mitten unter den Menschen sein müsse, weil sie sonst doch nichts kapieren. Aber Gott geht einen anderen Weg. Durch dich, Mose, durch einen Menschen, will ich unter ihnen sein, sagt er ihm. Das Wunderbare der Liebe Gottes, die trotz aller Schuld einen Neuanfang schenkt, durch die Begegnung mit einem Menschen sehen - diesen Weg ist Gott in Jesus Christus ganz konsequent zu Ende gegangen. Nicht „mehr Schein als Sein“, sondern „mehr Sein als Schein“ ist sein Weg. Gott macht uns Menschen nichts vor. Er begibt sich mit uns Menschen sozusagen auf Augenhöhe, damit wir die Wahrheit über unser Leben sehen und aushalten können, damit wir an Schuld nicht zerbrechen, sondern einen Neuanfang sehen und schaffen können. Dass ich als Mensch trotz allem, was schwer und manchmal kaum auszuhalten ist, was wert bin, das ist die Botschaft, die uns mitgegeben wird. Und diesen Wert, diesen Spaß am Leben trotz manchem Schweren, den können wir ja auch ausdrücken. Manchmal vielleicht auch wie die junge Frau aus Fulda dadurch, dass man äußerlich zeigt: ich bin mir was wert, es ist nicht alles furchtbar, auch wenn vieles schwer ist. Vielleicht steckt ja öfter als auch ich manchmal denke, hinter dem, was andere als eine zurechtgemachte Partytussi aus dem Funpark wahrnehmen, ganz viel menschliche Tiefe. Risse können heilsam sein, nicht nur in der Schminke und der Fassade von anderen, sondern auch im eigenen Denken.

Gebe Gott, dass wir uns nicht zu schnell mit dem Schein zufrieden geben, sondern bei anderen und uns nach dem Schauen, was wirklich ist, was Leben erhält und neues Leben schenkt.

Amen.

Freitag, 19. September 2008

Voll das Leben - Amy, Britney, Glauben und Singen

Predigt 18. n. Tr. 08, 21.09.08, Reihe VI

Text: Epheser 5,15-21

Liebe Gemeinde!

„Es ist böse Zeit!“ Manchen hier im Gottesdienst wird der Apostel sicher auch heute noch aus dem Herzen sprechen, knapp 2000 Jahre, nachdem diese Zeilen an die Gemeinde in Ephesus geschrieben wurden. Ich glaube, dass sie mich im letzten Jahr gut genug kennengelernt haben, um zu wissen, dass ich gern lebe und vor allem gern hier und jetzt lebe. Und trotzdem glaube ich auch, dass wir in einer bösen Zeit leben. Den älteren werden vielleicht die Namen Britney Spears und Amy Winehouse nicht viel sagen. Zwei Sängerinnen, deren Musik man mögen kann oder auch nicht. Zwei Sängerinnen, die aber im letzten Jahr vor allem dadurch in Erscheinung getreten sind, dass sie mehr als einmal völlig hilflos, von Alkohol und Drogen benebelt, in der Öffentlichkeit ausgeschlachtet worden sind. Zwei kranke Menschen, die Fotografen, Schreiberlingen und Medienleuten geholfen haben, gut zu verdienen - und Millionen haben dem Verfall genüsslich zugeschaut, mit dem wohligen Gefühl: „Ein Glück, dass ich besser bin!“ Ich finde, es ist eine böse Zeit, in der Krankheit und Schwäche gnadenlos aus Profitgier ausgeschlachtet wird. Ich finde es ist eine böse Zeit, in der Nacktfotos von Exfreundinnen oder Exfrauen ins Internet gestellt werden, um sie öffentlich bloß zu stellen. Es ist eine böse Zeit, in der es eine Sendung im Fernsehen gibt, in der es nur darum geht, wie Jugendliche möglichst schnell ihre Jungfräulichkeit verlieren. Ich könnte sicher den ganzen Gottesdienst mich weiter aufregen und Beispiele finden für vieles, was heutzutage böse ist. Manches gibt es schon seit langem. Prostitution heißt nicht umsonst „das älteste Gewerbe der Welt“. Pranger, an denen Menschen bloß gestellt wurden, gab es schon im Mittelalter. Und dass Menschen versklavt wurden, unter unwürdigsten Bedingungen für andere arbeiten mussten und als Nicht-Menschen angesehen wurden, gab es schon in der ach so ruhmreichen Antike. „Böse Zeit“ - nicht nur in der Gegenwart. Das ist leider allzu menschlich. Deshalb hält sich der Brief auch gar nicht lang mit Zustandsbeschreibungen und Jammern auf. „Kauft die Zeit aus“ - nutzt eure Zeit, setzt jetzt Gegenakzente. Zeigt, dass es anders geht. Dazu wird ermutigt. Nutzt die Zeit jetzt - ihr habt keine andere Zeit. Aber wie geht das? Wie soll man die Zeit, sein Leben so gestalten, dass die Zeit nicht auch irgendwie „böse“ wird? Der Brief gibt keine so einfache Antwort. Er sagt nicht einfach: „Haltet die 10 Gebote ein, und dann geht’s schon!“ Es heißt vielmehr: „So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.“ Seht, damit fängt die Weisheit an. Macht die Augen auf, schaut hin. Habt keinen Tunnelblick, der nur das Böse oder das Gute sehen will, habt keinen Blick, der nur das sehen will, was ihr sowieso schon kennt. Seht auf das Leben. Nehmt wahr, was geschieht. Es geht also nicht nur um das bloße Hinhören und Nachsprechen von alten Weisheiten und alten Formeln, nicht nur darum, sich Traditionen anzueignen und möglichst genau nachzuleben, nicht um Patentrezepte, wie alles gut und richtig wird. Weise im Sinn von klug und verständig wird nur der, der die Augen aufmacht und wahrnimmt, was geschieht und seine Möglichkeiten auch wirklich sehen kann. Augen auf - wobei das natürlich auch übertragen gemeint ist. Ohne die rosarote Brille, die alles beschönigt, ohne die schwarze Brille, die alles nur düster erscheinen lässt, ohne Scheuklappen, die den Blick einengen, ins Leben zu gehen, hilft, auch die Weisheit Gottes für das, was richtig ist, zu entdecken. Und dann auch: Verstand einschalten. Um zu entdecken, was gut und richtig ist, darf und muss ich auch im Glauben nachdenken. Glauben heißt nicht, die Welt schlecht zu finden und so zu tun, als hätte man mit ihr nichts zu tun. Glauben hilft, die Welt zu verstehen. Weise, klug, verständig in böser Zeit zu sein heißt auch, immer wieder nach Gottes Willen zu fragen. Es geht nicht um das eigene Wissen von gut und böse, nicht um das, was Tradition, Familie, Gesellschaft vorgeben. Es geht darum, jeden Tag neu nach dem zu fragen, was Gottes Wille für die immer wieder neue, immer wieder andere Situation im Leben ist. Manchmal liegt dieser Willen ganz tief verborgen unter vielen Möglichkeiten. Weise, klug, verständig zu leben heißt, das Suchen nicht zu verlernen und nicht aufzugeben. Gottes Wille und seine Gnade sind nichts, worüber ein Mensch verfügen könnte, sondern alle Morgen neu. Nicht in dem Sinn, dass Gott ständig seine Meinung ändern wird und das, was gestern gut war, heute böse ist. Sondern in dem Sinn, das jede Situation, jeder Mensch, jede Begegnung anders ist und deshalb immer wieder neu gefragt werden muss: Wie kann ich jetzt handeln? Was muss ich tun, was soll ich lassen?

Und deshalb sind auch die praktischen Ratschläge, die der Brief gibt „Sauft euch nicht mit Wein voll, ermuntert euch mit geistlichen Liedern und Psalmen“ nicht einfach so unhinterfragt hinzunehmen. Es geht nicht darum, strenger Antialkoholiker zu sein und nur Lieder aus dem Gesangbuch zu singen, und schon ist man Christ. Es geht darum, in der jeweiligen Situation das Richtige und Nötige zu tun.

Als ich diese Verse aus der Bibel gelesen habe, habe ich mich gefragt, warum da jetzt nichts aus den Zehn Geboten kommt, warum nichts von Nächstenliebe da steht, wenn es um ein im Sinne des göttlichen Willens gutes und richtiges Leben geht, das in böser Zeit gute Zeichen setzt. Ausgerechnet „Besauft euch nicht, denn daraus folgt ein unordentliches Wesen!“ Klar, wenn man über den Richtsberg geht, dann begegnen einem viele Beispiele dafür, dass Alkohol Menschen und Familien zu Grunde richten kann. Und nicht nur hier ist das so. Und trotzdem: was würde Jesus dazu sagen, wenn man sagen würde: „Menschen, die an ihn glauben, erkennt man daran, dass sie auf Alkohol verzichten?“ Ich hoffe mal, dass er sagen würde: „Macht es euch nicht so einfach, so billig bin ich nicht zu haben. Von mir haben meine Gegner gesagt, ich sei ein Fresser und Weinsäufer und denkt auch dran, dass ich auf der Hochzeit in Kana dafür gesorgt habe, dass der Weinvorrat nicht zu Ende geht.“ Klar, das hat Jesus so nicht gesagt, dass habe ich mir überlegt. Es geht aber auch hier im Epheserbrief darum, nicht einfach zu sagen, wenn ich irgendeinem Handlungsrezept folge, dann bin ich automatisch auf der richtigen Seite. Es geht vielmehr gerade hier darum, den Blick für die Situation zu behalten. Im Blick auf den Wein könnte man das, was hier steht, mit einigem Recht wohl so übersetzen: „Geht verantwortungsvoll damit um. Glaubt nicht, dass ihr euch mit dem Rausch ein besseres Leben erkauft. Glaubt nicht, dass ihr im Rausch auf Dauer etwas findet, das euer Leben reicher und besser macht. Sucht nicht den Ersatz, sondern sucht das Leben, sucht Gott.“ Es gab in der Antike, als der Brief geschrieben wurde, bei manchen die Ansicht, durch einen Alkoholrausch könnte man dem göttlichen Willen auf die Spur kommen. Und oft genug wird einem ja auch heute gerade von Künstlern und scheinbar gebildeten Menschen erzählt, Drogen würden das Bewusstsein erweitern und einem ganz tiefe Erkenntnisse über das Leben vermitteln. Leben findet man nicht dadurch, dass man vor dem Leben in einen Rausch wegläuft. Gottes Geist befreit zum Leben, zu Erkenntnissen, die alles in den Schatten stellen, was Drogen können.- Ohne Kater, ohne schlechten Geschmack im Mund, ohne krank und süchtig zu machen. Vielleicht braucht es dazu aber ja wirklich den wachen Verstand, der nicht durch Drogen vernebelt wird. Macht euch selbst nichts vor und lasst euch nichts vormachen über wahres und gutes Leben. Für mich steckt auch diese Aussage in unserem Predigttext. Und auch die Erkenntnis, dass man immer wieder Ermunterung braucht, um im Alltag durchzuhalten. Auch und gerade als Christ. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen, so heißt es im Brief. Ich sehe schon meine Konfirmanden mit den Augen rollen, wenn es ums Singen und um Psalmen geht. Aber wer einmal auf einem Kirchentag war, oder in einem großen Fußballstadion, der weiß, welche Kraft dahinter steckt, wenn nicht nur zwei dünne Stimmchen etwas vortragen, sondern wenn Tausende und Zehntausende singen. Und das ermunterndes Singen, auch und gerade im Bereich des Glaubens, nicht heißen muss, sich zum Kaffeetrinken zu versammeln und uralte Kirchenlieder zu singen, das ist eine ganz wichtige Einsicht. Musikgeschmack ändert sich und darf auch in der Kirche unterschiedlich sein. Nur eins darf es, gerade wenn’s um Ermunterung und Stärkung im Glauben geht, nicht sein: öde und langweilig. Für mich drückt sich die Absicht des Briefabschnitts, nämlich dass ein offenes Leben im christlichen Glauben beinahe unglaublich viel Spaß machen kann, am schönsten in einem modernen Psalm einem Gebetbuch für Jugendliche aus: Halleluja, singt dem Herrn ein neues Lied. Denn es ist wunderbar, dich, guter Gott, mit einem neuen Lied zu überraschen. In unseren Gottesdiensten soll endlich was los sein. Weil deine Liebe überall ist. Lasst uns tanzen und singen. Nehmt Schellenring und Harfe, Violinen und Kontrabässe, Keyboards und E-Gitarre. Nehmt Schlagzeug und Soundprogramme und wenn ihr nichts findet, schnippst mit den Fingern und blast auf dem Kamm. Überall soll man uns hören. Dankt Gott mit Chorälen und Sinfonien. Lasst die ganze Welt erklingen. Singt aus vollen Kehlen, dass alle Traurigkeit weggefegt wird. Lobt Gott mit eurem Lachen. Lobt ihn mit Mozart, Bach und Bruckner. Lobt ihn mit Jazz und Rock, mit House und Gospel. Lobt ihn mit Hip-Hop, Rap oder erfindet was Neues. Alles, was atmen kann, lobe den Herrn!

Amen.

Freitag, 12. September 2008

Was heißt hier mutig? - 17. nach Trinitatis, Reihe VI

Text: Epheser 4,1-6
Liebe Gemeinde!

Wer von ihnen, wer von euch ist eigentlich der Mutigste? Wenn man das irgendwie messen oder vergleichen wollte, was für Eigenschaften fallen einem da ein? Dass man sich traut, von hohen Wänden zu springen? Verbotene Dinge zu machen? Ganz schnell Auto zu fahren? Steile Skihänge hinabzufahren? Nachts allein auf den Friedhof zu gehen? Je nach Alter und Vorlieben fallen einem vielleicht noch viel mehr Dinge ein, an denen man Mut messen könnte. Was einem aber wahrscheinlich nicht einfällt, sind Eigenschaften wie Geduld, Freundlichkeit oder die Bereitschaft, anderen zu dienen. Wer so was macht, der ist nicht mutig. Vielleicht nett, vielleicht ein bisschen verstaubt. Aber mutig? Mutig ist es doch, ungeduldig zu sein. Alles zu wagen, alles sofort haben zu wollen - und zu kriegen. Mutig ist es doch, sich durchzusetzen, Freundlichkeit ist einem da doch eher im Weg. Sicher ist vieles Klischee. Aber ich finde es erschreckend, wenn in einem Bewerbungsgespräch oder in einem Fernsehinterview auf die Frage, was denn eine negative Eigenschaft der eigenen Persönlichkeit sei, mit einem Augenzwinkern „Ungeduld“ genannt wird. Man will damit ja nichts Schlechtes über sich sagen, sondern dass man schnell ist, entscheidungsfreudig und modern. Ungeduld - eine schlechte Eigenschaft, die heute scheinbar positiv bewertet wird.

Aber ich finde es viel mutiger, sagen zu können: „Ich kann mir auch mal Zeit lassen, abwarten, bis ich an der Reihe bin. Abwarten, bis eine Entscheidung wirklich fällig und gut durchdacht ist.“ Und ich finde es auch mutig, freundlich zu sein. Man macht sich angreifbar, wenn man anderen einen Vertrauens- und Freundlichkeitsvorschuss gibt. Man weiß nie, wie der andere reagiert, ob er das als Schwäche auslegt oder ausnutzt. Und ich finde es auch mutig, dienstbereit zu sein. Nicht zu erwarten, dass alle etwas für mich machen, sondern auch ohne, dass ich dran bin, bezahlt werde oder einen sichtbaren Vorteil habe, für andere was zu machen. Also: Wer ist der Mutigste? „Lebt so, dass man erkennt, dass ihr auf Gott vertraut, dass ihr Christen seid! Lebt mutig: mit Demut, dem Mut, zu dienen, mit Sanftmut, dem Mut, freundlich zu sein, mit Langmut, dem Mut zur Geduld“. Das steht am Anfang der Verse, die ich eben als Predigttext vorgelesen habe. Zwar nicht wörtlich, aber dem Sinn nach. Ich finde schon, dass Mut nicht heißt, irgendwelche verwegenen, manchmal sinnlosen Aktionen zu machen, sondern dass es mutig ist, sich im Alltag nicht von dem, was allgemein als normal angesehen wird, platt machen zu lassen, sondern sich dem normalen, alltäglichen Egoismus auch mal entgegenzustellen und als Christ zu sagen und zu zeigen: „Es geht auch anders!“

Ich will jetzt nicht auf die heutige Zeit und schon gar nicht auf die Jugend von heute schimpfen. Was Egoismus angeht ist die heutige Zeit nicht besser und nicht schlechter als jede andere Zeit auch. Am letzten Donnerstag habe ich in meiner 7. Klasse einen Selbsttest zum Thema „Gewissensentscheidungen“ machen lassen. Wenn`s um das Leben von anderen geht, waren sich alle einig, dass man da helfen muss. Wenn man selber sich nicht traut, dann holt man wenigstens Hilfe. Aber an einem Verletzten vorbeigehen, ohne was zu tun, das geht nicht. Anders sah es bei der Frage aus, ob man 20 Euro, die man von einer Supermarktkassiererin zu viel bekommen hat, zurückgeben soll. „War doch nicht meine Schuld. Und wenn sie es aus eigener Tasche ausgleichen muss - sie hätte besser aufpassen sollen!“ So war die Mehrheitsmeinung. Ich glaube schon, dass diese Haltung normal ist. Nicht nur für Siebtklässler, nicht nur für Menschen, die wenig Geld haben. Es gehört schon Mut dazu, sich hier auch offen gegen die Mehrheitsmeinung zu stellen und zu sagen: „Ich will nicht die Schwächen anderer ausnutzen. Ich will sie vor den Folgen ihrer Schwächen bewahren, wenn ich es kann.“

Ich denke, dass sich in solchen scheinbar ganz kleinen, unspektakulären Dingen zeigt, was es heißt, wenn im Epheserbrief steht: „Ertragt einer den anderen in Liebe“. Da ist nicht das große Gefühl gemeint, dass ich irgendwie Schwitzehändchen und rote Ohren bekomme, wenn mir ein anderer Christ, ein anderer Mensch begegnet, sondern die scheinbare Kleinigkeit, dass ich zum Beispiel Schwächen, die ich beim anderen sehe, nicht ausnutze, sondern ihm helfe, darüber hinweg zu kommen. Ich finde es eigentlich beruhigend, dass es in den Briefen an die ersten Gemeinden vor fast 2000 Jahren auch um solche Dinge geht. Das zeigt ja, dass eben nicht immer nur alles gut war und dass wir heute irgendwie schlechte Christen sind, weil es uns ja nun wirklich nicht immer gelingt, gut und überzeugend zu leben. Ich finde, der Glauben und das Leben im Glauben und in der Gemeinde haben da von Anfang an etwas mit der großen Liebe, die man gefunden hat, gemeinsam. Wenn man frisch verliebt ist, da gibt’s nichts anderes im Leben. Und wenn man merkt, dass es so richtig schön wird, dann tut man alles füreinander, man unternimmt ständig was gemeinsam, kleine und große Abenteuer werden erlebt. Und dann kehrt langsam der Alltag ein. Statt wegzugehen macht man es sich auf der Couch gemütlich, statt Kino berieselt der Fernseher, und man hat sich tatsächlich viel weniger zu sagen als am Anfang. Meistens jedenfalls. Im schlimmsten Fall wird aus dem Miteinander ein Gegeneinander, in leider vielen Fällen ein Nebeneinander. Klar, je länger und besser man sich kennt, desto deutlicher werden auch die Unterschiede und die Marotten, die nicht immer liebenswert sind. Und hier setzt ja auch unser Predigttext an. „Seid mutig, passt auf, dass aus eurem Miteinander kein bloßes Neben- oder gar Gegeneinander wird!“ So kann die große Rede „Ertragt einer den andern in Liebe. Seid darauf bedacht die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens zu wahren“ ganz alltäglich verstanden werden.

Es geht nicht darum, Unterschiede, Gegensätze wegzuleugnen, zuzukleistern und klein zu reden. Das ist, in einer partnerschaftlichen Liebesbeziehung ebenso dumm wie in einer Gemeinde und Gemeinschaft, die sich im Glauben an Gott findet. Es geht darum, den wahren Grund der Einigkeit, die Tiefendimension der Liebe wahrzunehmen und lebendig werden zu lassen. Und das ist eben nicht der alles zusammenmatschende Einheitsbrei, sondern die Fähigkeit und die Gewissheit, aus unterschiedlichen Perspektiven auf den gleichen Punkt, der Halt und Sinn gibt, sehen zu könne und die unterschiedlichen Blickwinkel auszuhalten. „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über, durch und in allen ist“. So drückt es der Epheserbrief aus. Eine Liebe, die aber, je nach Standpunkt, nach Blickwinkel, Wahrnehmungsmöglichkeiten durchaus unterschiedlich und eigen erfahren werden kann.

Es geht nicht um den großen Einheitsbrei, auch nicht in der Kirche. Bei Kirche, da denken wir meistens zuallererst an das, was wir hier, an unserem Ort erleben. Aber ist denn da wirklich alles eins und alles gleich und von Liebe getragen? Ich glaube nicht, dass ich meinen Konfirmanden weh tue und die Unwahrheit über sie erzähle, wenn ich behaupte, dass sie sich in der Gruppe nicht gerade einig sind. Als Pfarrer denke ich immer, das müsste doch ganz anders sein. Nicht nur bei den Konfis. Es ist eine bestimmt verlockende Vorstellung in einer Zeit, in der alles immer beliebiger wird, in der Menschen immer mehr Möglichkeiten haben und aus immer mehr Möglichkeiten wählen können, in der es normal ist, mehr als 30 Fernsehprogramme sehen zu können, in einer Welt, deren Vielfalt und deren Möglichkeiten oft genug erschlagend wirken, auf Einheit und Einheitlichkeit zu hoffen. Wenigstens in der Kirche. Da soll sein, was sonst nicht ist. Aber Kirche ist nun mal mehr als das, was wir auf dem Richtsberg oder in Marburg oder in Deutschland finden. Das, was vereint, über alle Grenzen hinweg, das ist der Glaube daran, das Gottes Liebe in Jesus Christus erschienen ist. Das, was vereint, ist der Glaube, der uns sagt: dieser Jesus allein ist Weg, Wahrheit und Leben. Und nicht unsere menschlichen, unvollkommenen Vorstellungen von ihm. Wir haben unsere eigene Lebensgeschichte. Unsere eigene Glaubensgeschichte. Als einzelner Mensch und auch als Gemeinde. Und deshalb erleben wir, im wahrsten Sinn des Wortes, Gott auch in unserem Leben aus unterschiedlichen Perspektiven. Wir sehen immer nur einen Ausschnitt. Ein Glaube. Der aber in jedem Leben neu gelebt werden will und deshalb neu erfahren wird. Und ein Herr. Auch dazu gehört Mut, das zu bekennen. Ein Herr. Einer soll letzte Macht über mein Leben haben. Nicht mein Chef. Nicht mein Klassenlehrer. Nicht meine Eltern. Mein Partner. Meine Clique. Das Geld. Die Meinung der anderen. Gott mit seiner Liebe. Die oft genug auch schonungslos aufdeckt, was schief läuft. Nicht nur in der großen weiten Welt und bei anderen, sondern auch bei mir. Ein Herr. Ein Glaube. Und: eine Taufe. Da wird die Gemeinschaft, die größer ist als unsere Vorstellung, ganz konkret. Durch die Taufe bleibt die Gemeinschaft, die Gott mit sich und untereinander schenkt, nicht bloß fromme Idee. Durch sie gehöre ich mit meinem Leben da hinein. Ob ich mit 6 Monaten, 6 Jahren, als Konfirmandin oder mit 40 getauft wurde. Ob ich aus Russland, Korea, Amerika oder Deutschland stamme. Und da, wo ich als Getaufter den Mut habe, sanftmütig, geduldig und dienstbereit zu sein, wo ich den Mut habe, ausgetretene Pfade und scheinbare Mehrheitsmeinungen zu verlassen und nicht neben- oder gegeneinander, sondern miteinander zu leben, da wird diese Gemeinschaft ein Stück Wirklichkeit. Getauftsein, Christsein macht mutig. Gott gebe, dass dies wahr ist. Amen.

Donnerstag, 4. September 2008

Leben ist immer lebensgefährlich - 16. Sonntag n. Trinitatis

Reihe III „Wünsch dir was“ Predigt Klimawandel Text: Klagelieder 3,22-26.31-32

Liebe Gemeinde!

Wissen Sie, wie viel Energie ihr Kühlschrank verbraucht? Schalten Sie den Fernseher nur dann ein, wenn sie wirklich etwas sehen wollen und danach wieder richtig aus oder lassen sie ihn im Standbybetrieb Energie verschwenden? Wenn sie ein Auto haben: Verbraucht das wenigstens weniger als 7 Liter auf 100 km und hat einen CO2 Ausstoß von weniger als 140 g pro km? Kaufen sie wenigstens Obst und Gemüse der Saison und möglichst aus heimischem Anbau oder kaufen sie in Energie verschwendenden Gewächshäusern in aller Welt Gezogenes, das mit viel Aufwand hierher transportiert wird? Langweilen sie sich jetzt vielleicht? Prima, ich mich auch! Klimawandel war als Thema für diese Predigt gewünscht. Was hat der Pfarrer dazu zu sagen. Es vergeht ja praktisch kein Tag, an dem nicht in der Zeitung oder im Fernsehen darüber spekuliert wird, wo es in 20 Jahren nicht mehr schneien wird oder welche Landstriche in 30 Jahren verwüstet sein werden. Und spätestens seit ich vor ein paar Wochen gelesen habe, dass Bio-Rindfleisch klimaschädlicher als konventionelles sein soll, habe ich mir gedacht: am Besten nimmst du dir den Strick! Ich will’s nicht mehr hören! Ausatmen, auf Toilette gehen, Sport treiben, alles produziert CO2, lasst mich doch in Ruhe! Augen zu und durch, schon der Schriftsteller Erich Kästner hat gesagt: „Sein wir mal ehrlich, das Leben ist immer lebensgefährlich!“ Also, Klimawandel ist vielleicht ein Thema für die Nachrichten, für die Politik oder für Naturwissenschaftler, aber nicht für einen Gottesdienst. Was soll denn da rauskommen? Aufrufe wie „Als Christ darfst du kein Auto fahren und nicht in den Urlaub fliegen?“ Mal ehrlich, Christ bin ich nicht durch die Automarke, die ich fahre oder den Kühlschrank, den ich habe, sondern dadurch, dass ich Gott vertraue und mir das zu Herzen nehme, was er durch und in Jesus Christus den Menschen gezeigt hat.

Und als ich mir das so überlegt habe, da war ich dann doch plötzlich wieder beim Klimawandel, ohne dass ich es wollte. Wer heute jünger als 50 ist und in einem Land mit Industrie aufgewachsen ist, hat nie mitbekommen, dass eine Abhängigkeit von der Natur besteht. Und auch für die Älteren ist das erstmal nur Erinnerung an schlechte Kriegs- und Nachkriegszeiten. Ingenieure, Techniker, wissenschaftlicher Fortschritt, alles hat dafür gesorgt, das schlechtes Wetter bei uns keine Hungersnot mehr auslöst, dass die Folgen von extremen Wetterlagen gemildert werden und dass man das Gefühl haben konnte: mit wissenschaftlicher Hilfe kriegen wir alles in den Griff. Ungefähr in der Zeit als ich selbst Konfirmand war, gab es eine Studie, Global 2000 hieß die, in der ausgerechnet wurde, dass die Erde ungefähr im Jahr 2000 unbewohnbar sein wird, wenn man so weitermacht wie in den 70er Jahren. Die Weltbevölkerung, die Industrialisierung und der Rohstoffverbrauch sind mittlerweile viel stärker gestiegen, und doch war die Welt im Jahr 2000 noch gut bewohnbar. Weil Wissenschaft und Technik noch größere Fortschritte gemacht hatten. Eigentlich haben wir alles im Griff und das, was wir nicht im Griff haben, kriegen wir schon hin. Wo hinein können wir Vertrauen setzen? In Wissenschaft und Technik, die richten es schon. So war bis vor kurzem das allgemeine Lebensgefühl. Jetzt merken Menschen immer stärker: wir sind ausgeliefert. Und zwar der Natur. Nicht nur arme Menschen in Bangladesh, nicht nur Menschen in Afrika. Wir haben unsere Grenzen. Und auch die Fähigkeit, Probleme in den Griff zu kriegen, ist sehr beschränkt. Wir haben eben unser Leben und unsere Zukunft nicht wirklich in der Hand. Selbst wenn wir uns in Deutschland oder Europa einig wären und ganz vorbildlich leben würden: Was ist mit den Milliarden Chinesen, Indern? Weder wir selbst noch irgendwelche Politiker oder irgendwelche Wissenschaftler haben DEN Schlüssel für eine gute Zukunft. Es ist schwer, zu akzeptieren, dass man vieles im Leben nicht selbst in der Hand hat und ausgeliefert ist. Grenzen können wehtun. Übrigens nicht nur beim Klimawandel oder so. Sondern auch die Grenzen, die wir sonst spüren. Wenn Eltern ihren Kindern Grenzen setzen. Wenn Eltern merken, dass ihr Einfluss auf die Kinder nur begrenzt ist. Wenn Krankheiten oder auch der Tod uns unsere Grenzen sehr deutlich machen. Wem vertraue ich, worauf hoffe ich, wem vertraue ich, wenn ich meine Grenzen spüre? Das ist eine ganz wichtige Frage - und da wird für mich das Thema Klimawandel auch wieder ein Thema für die Kirche und für eine Predigt. Stecke ich den Kopf in den Sand, Ohren zu, ich will nichts hören, weil ich merke, dass ich die Grenzen nicht aushalte? Oder mache ich weiter, nicht nur wie immer, sondern eigentlich stärker, schlimmer, weil ich denke: es kann nicht sein, was nicht sein darf und wenn sowieso alles den Bach runtergeht, warum soll ich denn nicht das letzte bisschen Leben genießen? Oder schaffe ich es, Vertrauen zu haben, dass meine Grenzen nicht die absoluten Grenzen sind? Finde ich das Vertrauen, meine Grenzen anzunehmen, auszuloten, wo es geht, auch zu erweitern? Oder lasse ich mich von der Angst besiegen? Finde ich neue Spielräume zum Leben und Handeln dadurch, dass ich es aufgeben kann, alles in der Hand haben und bestimmen zu wollen? Kann ich auch andere Menschen, auch Wissenschaftler und Politiker, entlasten, indem ich nicht von ihnen alles erwarte, sondern Realist bleibe? Schaffe ich es, ehrlich in die Welt, in das Leben zu sehen, ohne an dem, was ich sehe, zu verzweifeln und zu Grunde zu gehen?

Für mich sind das Fragen, die nicht nur mit dem Klimawandel und unserem Umgang damit, sondern die mit meinem Umgang mit dem Leben überhaupt zu tun haben. Und da hat der Glaube an Gott eine ganze Menge Gutes und Richtiges zu sagen. Eine ganze Menge von dem, was Vertrauen ins Leben herstellen kann ohne dabei die Grenzen und Schwierigkeiten wegzudrücken. Eine für mich dabei ganz wichtige Bibelstelle findet sich im 3. Kapitel des Buches Klagelieder Jeremia und sie ist für den 16. Sonntag nach Trinitatis, den wir heute feiern, auch als Predigttext vorgeschlagen. Dort steht: 22 Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, 23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. 24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. 25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. 26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. 31 Denn der HERR verstößt nicht ewig; 32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Manchmal werden diese Worte aus dem ersten, dem Alten Testament so ausgelegt, dass gesagt wird: „Ist doch alles halb so schlimm, auf Regen folgt wieder Sonnenschein, der liebe Gott wird es schon richten!“ Aber so harmlos sind die Worte gar nicht gemeint. Als sie aufgeschrieben wurden, da war für die Menschen um Jeremia herum und für ihn selber eine Welt zusammengebrochen. Jeremia wurde verfolgt und gedemütigt, weil er im Auftrag Gottes dem Volk und dem Machthaber, dem König, schonungslos die Wahrheit sagte und deutlich machte, dass ein schlichtes „Weiter so“ den Untergang bedeutet. Hoffnung in die Vernunft und Klugheit von Menschen war nicht gerade von Erfolg gekrönt. Aber es war auch nicht so, dass Gott wie von Zauberhand plötzlich alles anders gemacht hätte, ohne das Zutun von anderen Menschen. Sondern Menschen haben auch in schwierigen Lagen nach Gott gefragt, haben ihre Grenzen gesehen und waren mit Gott zusammen in der Lage, etwas zu ändern. Gescheitert waren diejenigen, die glaubten, ohne Gott auskommen zu können und die sich allein auf ihre eigene Stärke, ihr eigenes Wissen oder ihre eigene Macht verlassen wollten. Auf Gottes Treue, auf seine Barmherzigkeit und Güte können wir trauen. Es geht nicht darum, sich selbst klein zumachen und Gott als eine Art Zaubermeister zu sehen, der alles irgendwie wieder hinbiegt. Sondern es geht darum, mit Gottes Hilfe Vertrauen nicht zu verlieren, Grenzen ehrlich zu sehen und neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Ohne dieses Grundvertrauen, ohne das Eingeständnis auch eigener Rat- und Hilflosigkeit wird alles nur purer Aktionismus bleiben, der scheitert. Leben ist und bleibt tatsächlich lebensgefährlich. Wir haben nur ganz wenig, manchmal fast nichts in der Hand. Aber mit dem, was wir in der Hand haben und mit dem Vertrauen, zu dem wir fähig sind, mit der Rückbindung an den Grund allen Lebens könne wir aus dem, was wir in der Hand haben, etwas tun. Wir müssen weder den Kopf in den Sand stecken noch so tun, als wäre überhaupt nichts schlimm, noch verzweifeln. Die richtige Balance zu finden zwischen Tun und Lassen, zwischen Handeln und Hoffen, dazu helfe uns Gott immer wieder. Nicht nur, wenn’s um Fragen des Weltklimas geht. Gerade auch dann, wenn es um unser Leben auf und in dieser Welt geht. Um unsere Ratlosigkeit, mit der wir manchmal als Eltern und Kinder, als Paare und Einzelne leben. Um unsere Angst vor so vielem, um unsere Freude und Stärke. Wir können was, aber wir müssen nicht alles können. Gottes Treue, Güte und Barmherzigkeit haben kein Ende. Sie sind jeden Morgen neu. Weil wir immer wieder das brauchen: Liebe, gute Worte, Hilfe, denn unsere Macht und Kraft hat Grenzen.

Amen.