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Freitag, 21. Juni 2013

Enttäsuchend? Kein Porno, aber eine Zumutung! - 4. Sonntag n. Trinitatis, 23.06.2013

Liebe Gemeinde!
Die Geschichte hat es in sich! Auf den ersten Blick sieht man ihr das wahrscheinlich nicht an. Da sind vielleicht manche enttäuscht. Enttäuscht, weil gar nicht geschildert wird, wie der Ehebruch so geschah und was passiert ist oder was die Gründe dafür waren. Wir leben in einer pornografischen Welt. Und damit meine ich NICHT, dass es zu viele nackte Geschlechtsteile zu sehen gäbe oder Filme, in denen Sex die Hauptrolle spielen würde. Pornografie ist ein bisschen was anderes. Pornografie ist die Geschäftemacherei mit dem Intimen, die öffentliche Zurschaustellung  und Instrumentalisierung von dem, was eigentlich ganz persönlich ist. Der Körper. Die Liebe. Mit all ihren Facetten. Aber auch die seelische Verfassung, die Not des Menschen. Pornografie ist die Geschäftemacherei, die Bloßstellung, die den Menschen nicht Mensch, Subjekt, sein lässt, sondern zu einem Objekt macht, mit dem Geschäfte gemacht werden können, das in seiner Privatheit und Menschlichkeit zur Schau gestellt wird. Zu beobachten nicht nur in zweifelhaften Internetvideos oder einschlägigen Kinos, sondern auch im Fernsehen auf fast allen Kanälen. Nicht die Nacktheit macht den Porno, sondern die Ausbeutung und Zurschaustellung der Not oder Hilflosigkeit des Menschen. Wir leben in einer Gesellschaft, in einer Zeit, in der das alltäglich ist – und die Geschichte bedient diese Art pornografischer Sehnsucht NICHT. Für manche vielleicht enttäuschend. Enttäuschend aber vielleicht auch, weil nichts davon erzählt wird, was mit der Frau passiert, als sie nach Hause kommt. Oder enttäuschend, weil Jesus seine Gegner nicht fertig macht. Oder enttäuschend, weil der Satz „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ mittlerweile oft zu einer beliebigen Allerweltsentschuldigung für alles verkommen ist: „Ich tu dir nicht weh und du tust mir auch nicht weh, irgendwie hat doch jeder Dreck am Stecken.“
Aber obwohl so viel Enttäuschendes in der Geschichte liegt, hat sie es in sich, vielleicht auch erst auf den zweiten Blick. In den ältesten Fassungen des Johannesevangeliums ist die Geschichte nicht zu finden, obwohl ziemlich sicher fest steht, dass sie schon erzählt wurde, bevor die Geschichten von Jesus aufgeschrieben wurden. Manche Bischöfe und Gemeindeälteste fanden es anscheinend unerträglich, dass die Frau davonkommt, dass Jesus ihr noch nicht einmal eine Strafpredigt hält. Das kann nicht sein, das untergräbt die Moral! Wo kommen wir denn hin! So werden viele, die am Anfang mitentschieden haben, welche Geschichten in die Bibel kommen und welche nicht, gedacht haben. Die Geschichte hat es in sich, weil sie keine moralische Geschichte mit erhobenem Zeigefinger ist und ganz einfach anzuwenden wäre. Sie stellt Ansprüche ans Mitdenken.
Und sie hat es in sich, weil sie zeigt, wie Männer Frauen missbrauchen. Die Geschichte ist nicht nur, aber auch eine Missbrauchsgeschichte. Natürlich schlagen oder vergewaltigen die Schriftgelehrten und Pharisäer die Frau nicht. Aber sie machen sie zum Objekt. Genau das meine ich mit der pornografischen Gesellschaft, in der wir leben. Da werden Probleme oder Freuden, da wird Liebe,
da werden Menschen zum reinen Zweck. Die Frau ist den Schriftgelehrten und Pharisäern egal. Und im Grunde eigentlich auch, was sie getan hat. Sie wird nur gebraucht, um Jesus eins auszuwischen. Missbrauch fängt nicht beim ersten Schlag an, Pornografie nicht bei der nackten Brust, sondern beides fängt da an, wo Menschen entmenschlicht und zum Zweck werden.
Die Geschichte hat es in sich – weil Jesus diese Entmenschlichung durchbricht, weil Jesus nicht als Moralapostel auftritt, weil die Lust am Skandal oder am Blick ins Schlafzimmer anderer Menschen nicht befriedigt wird und weil Jesus auf Provokation nicht mit Gegenprovokation oder Gewalt, sondern mit Ruhe und dem Vorhalten eines Spiegels antwortet.
Wie gesagt, den Schriftgelehrten und Pharisäern in dieser Geschichte geht es nicht darum, die öffentliche Moral zu verbessern. Ihnen geht es darum, Jesus so darzustellen, dass keiner mehr glauben, kann, Jesus sei Gottes Sohn, sondern dass alle denken, Jesus würde das Gegenteil von dem tun, was Gott will. Und da kommt ihnen die Frau gerade Recht. Irgendwo in der Thora, dem göttlichen Gesetz, gibt es die Aufforderung, Ehebrecher zu steinigen. Das wurde auch zur Zeit von Jesus praktisch nie gemacht, aber es steht nun mal da. Wenn Jesus sagen würde: „Ist doch alles Quatsch, lasst die Frau frei“, dann würde er sagen: Gottes Gesetz ist nicht wichtig. Wenn er sagen würde: „Ja klar, steinigt sie“, dann würde er das verraten, was er bisher gepredigt hat, nämlich dass Gott gnädig und barmherzig ist und vergeben kann. Jesus geht nicht auf die Provokation ein. Er hockt sich hin und malt in den Staub.  Er läuft nicht weg. Er wird nicht laut. Er provoziert und verstört dadurch, dass er das normale Verhaltensmuster durchbricht. Aber so erst gibt er denen, die ihn provozieren wollen, Gelegenheit, ihre Menschlichkeit zu entdecken. Er lässt sie nicht das Gesicht verlieren, er macht sie nicht fertig und klein, sondern er lässt sie Mensch sein, indem er sie auf ihre Menschlichkeit hinweist. Auf Dauer wird kein Konflikt dadurch gelöst, dass ich dem anderen alle Wege dadurch verbaue, dass ich ihn entmenschliche und meine Stärke ausspiele, sondern dass ich ihm helfe, seine Menschlichkeit zu entdecken. Ein für mich bis heute großartiges Beispiel dafür ist der Wiederaufbau Westdeutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Die Sieger haben das Land nicht vernichtet, sondern dabei geholfen, stabile demokratische Strukturen aufzubauen. Sicher kann man viel kritisieren, auch, dass dieses Beispiel lange her ist. Aber hier wird für mich auf anderer Ebene greifbar, was Jesus hier vormacht. Er entzieht sich dem Konflikt nicht, läuft nicht weg, sondern gibt die Möglichkeit, durch Erkennen eigener Schuld, ohne dass dabei irgendjemand bloßgestellt wird, Verhalten zu ändern.
Durch die bloße Aussage „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“ wird eine ganze Welt geöffnet. Eine Welt, die deutlich werden lässt, worum es in Gottes Geboten geht und worum nicht. Es geht um die Erkenntnis des Menschen, um das, was im Leben weiterbringt, was Mitmenschlichkeit und ein Leben ermöglicht, in dem jeder zu seinem Recht kommt. Es geht darum, die Schwachen vor den Starken zu schützen. Es geht auch darum, Liebe und Beziehungen einen sicheren Raum, in dem sie wachsen und sich entfalten dürfen, zu geben. Es geht darum, dass Gott Gott ist und der Mensch sich nicht anmaßt, an seine Stelle zu treten, in dem er über das Innerste von Menschen richtet und Menschen das Leben nimmt oder das Recht auf Leben abspricht. Es geht im Gesetz Gottes nicht darum, Menschen zu vernichten oder zu bestrafen. Es geht nicht um die Tat, nicht um die Sensation. Es geht um den Menschen. Es geht darum, dass Menschen sich auf den Weg machen, das zu werden, was sie sind. Mit-Menschen. Menschen, die Gott das Richten überlassen können. Menschen, die die Freiheit haben, eigene Schuld zu sehen und anzunehmen. Menschen, die die Freiheit haben, die Steine, mit denen sie nach anderen werfen wollen, fallen zu lassen und sich als geliebt und vergebungsbedürftig begreifen zu können. Keiner ist ohne Schuld. Nicht, weil alle Ehebrecher oder Diebe oder irgendwas anderes wären. Sondern weil wir immer wieder Menschlichkeit schuldig bleiben. Und so auch an Gott schuldig werden, der allein Richter über den Menschen ist und der in Liebe und Barmherzigkeit richtet. Das Gesetz Gottes will nicht hinrichten, nicht die Tat und die Strafe in den Vordergrund stellen, sondern aufrichten, Orientierung geben und Erkennen helfen, was gutes und gerechtes Leben ausmacht.
Der Mensch darf menschlich werden – die Pharisäer und Schriftgelehrten dadurch, dass sie die Steine fallen lassen und Leben nicht vernichten, sondern ein Stück weit ihr eigenes Leben erkennen. Die Frau dadurch, dass Jesus sie ganz ausdrücklich zum Subjekt macht, zum Menschen, der selber handelt. Selbst Jesus verzichtet auf Anklage oder eine genaue Darstellung dessen, was passiert ist. Als alle weg sind, kommt sie selbst zu Wort.  Nein, keiner verklagt sie. Und sie muss sich nicht erklären, nicht nach billigen Entschuldigungen und Erklärungsmustern suchen. Was geschehen ist, war falsch. Aber der Blick ist nicht auf das Vergangene gerichtet, sondern Jesus richtet ihren Blick auf die Zukunft. Geh hin und sündige nun nicht mehr. Seine Worte. Es ist dien Weg, der vor dir liegt. Und du entscheidest mit, wohin er geht. Der Blick geht nicht nach unten und hinten, sondern der Blick kann offen nach vorne gehen. Jesus richtet auf. Er traut der Frau zu, er mutet der Frau zu, ihren Weg zu finden. Den Weg, der zum Leben führt. Den Weg, der sich an dem orientiert, was dem Leben dient. Dabei mutet er der Frau zu, ihre Schuld zu tragen. Auch auf dem Weg, der direkt vor ihr liegt, auf dem Weg zu ihrem Mann, zu ihrer Familie. Ob der Mann, ob die Familie in der Lage ist, den Blick auch in die Zukunft zu richten? Wir wissen es nicht und müssen nicht spekulieren. Was wir wissen können ist, dass die Begegnung mit Jesus, dass der Glauben an ihn Räume öffnet, Wege zeigt, den Blick aufrichtet. Eine Zumutung, weil wir auch schwere Dinge sehen, auch Schuld, eine Zumutung, weil wir Wege selber gehen müssen und Jesus uns Wege nicht abnimmt, eine Zumutung, weil wir den Lebensraum selbst gestalten müssen. Eine Zumutung, weil wir und andere nicht einfach willenlose Objekte sind, sondern eigene, von Gott gewollte Menschen.  Die Geschichte hat es in sich. Sie ist eine Zumutung. Jesus mutet uns zu, Schuld zu sehen, Schuld als eigene Schuld anzunehmen, neue Wege zum Leben zu finden und zu gehen.
Amen

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