Die folgende Ansprache wurde am 30.07.12 beim gesundheitspolitischen Montagsforum in der Elisabethkirche Marburg gehalten. Sie ergänzte ein "Wort zur Sache" der Betreibsratsvorsitzenden des Uniklinikums Marburg
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Der Mensch, gottähnlich, da kommen nicht nur positive Gedanken hoch. Manchen ist das vielleicht zu viel. Da kommen Bilder von Menschen hoch, die sich, beinahe gottgleich, an die Spitze setzen und im Namen Gottes, im Namen der Wissenschaft, im Namen ihrer Geburtsrechte oder was auch immer unter Berufung auf eine angeblich göttliche Schöpfungsordnung die Welt, die Natur, andere Menschen ausbeuten. Der Mensch, wenig niedriger als Gott – man mag skeptisch sein angesichts dessen, wozu Menschen fähig sind, angesichts der Fehlbarkeit auch von Menschen guten und besten Willens. Skepsis hat jede Menge gute Gründe.
Aber für mich gibt es gute Gründe, in das Staunen des Psalmbeters vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden einzustimmen. „Was ist ausgerechnet der Mensch, diese unvollkommene Ansammlung von Zellen, dass Gott sie mit so vielen Möglichkeiten, so vielen Freiheiten, so viel Würde ausgestattet hat und ihr mit so viel Liebe begegnet?“ „Was ist der Mensch?“ – Da fängt für mich das wunderbare an dieser Betrachtung schon an. Es wird nicht unterschieden zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, zwischen Wohlhabenden und Armen, zwischen Gebildeten und ganz einfachen, zwischen Kranken und Gesunden. Was ist der Mensch? Die Professorin und der Hausmeister, der Arzt und die Reinigungskraft, die Krankenschwester und der Vorstandsvorsitzende, der Pfarrer und die von Gott Enttäuschte, der Olympiasieger und die bettlägerige Seniorin, die Bundeskanzlerin und der Patient im PKH, die Betriebsrätin und der phlegmatische, vom Leben Enttäuschte, der Mensch eben. In der Vielfalt seiner Daseinsmöglichkeiten. Dem Menschen wird von Gott Würde zugesprochen. Die Würde der Beziehungsfähigkeit, die Würde der Freiheit, auch wenn sie als einzelner Mensch immer wieder Grenzen hat, die Würde der LiebensWÜRDIGKEIT. Dem Menschen, nicht nur dem gesunden, gebildeten, wohlhabenden Menschen, nicht nur den sogenannten Stützen der Gesellschaft.
Diese grundsätzliche, unaufhebbare Würde des Menschen ist es, die Fragen an die Systeme stellt, in denen wir leben und arbeiten. An unser Gesundheitssystem, an Kliniken, an Universitäten, an Kommunen, Staaten, Kirchen, Schulen – Ist die Art und Weise, wie wir die Systeme gestalten, in denen wir leben, hilfreich, um möglichst allen Menschen dabei zu helfen, die Würde, die ihnen zu eigen ist, zu finden, zu behalten, wiederzuentdecken? Oder behindert oder verhindert das System dieses? Jedes System, das von Menschen erdacht und gestaltet wird, ist daran zu messen, ob es dabei hilft, Menschen in Würde zu leben.
Dazu gehört ganz konkret: sehe ich im anderen den Menschen oder einen Kostenfaktor und eine Möglichkeit, Gewinne zu machen und Einnahmen zu generieren? Ökonomie ist Teil des Menschseins, aber wo die ökonomische Verwertbarkeit des Menschen im Vordergrund steht, läuft ein System aus dem Ruder. Das gilt für Gesundheitssysteme genauso wie für Bildungssysteme, für Sozialsysteme ebenso wie für Kirchen.
Zur Würde gehört für mich auch der verantwortungsvolle Umgang mit Sprache. Wie rede ich mit Menschen, wie rede ich von und über Menschen? Mitarbeiter oder Humankapital? Nur eine von ganz, ganz vielen Möglichkeiten, bis in den Alltag von jedem und jeder von uns. Zur Würde gehört für mich auch, das Anderssein und die Freiheit des Anderen zu respektieren und damit auch zu respektieren, dass ein anderer Meinung sein kann. Zur Würde gehört auch, angstfrei anderer Meinung sein zu dürfen.
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Dort, wo wir einander helfen und ermöglichen, diese Würde, diese Ehre und Herrlichkeit zu sehen – im eigenen Leben genauso wie im Leben des anderen, dort wird die Welt ein wenig menschlicher. Weil etwas von dem wahr wird, zu was wir bestimmt sind – nicht dazu, egoistisch-überhebliche Halb- oder Dreiviertelgötter zu sein, sondern Menschen, die in ihrer Gesamtheit als Menschheit von Gott begabt und geliebt und mit würde versehen sind.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Dienstag, 31. Juli 2012
Donnerstag, 26. Juli 2012
Von Huren und Freiheit - 8. Sonntag n. Trinitatis, 29.07.12, Reihe IV
Text: 1. Korinther 6,12-20
Liebe Gemeinde!
Also, zuerst einmal: liebe Männer! Geht nicht zu Huren, zu Prostituierten, ihr habt ja gehört, was in der Bibel steht! Und dann noch: liebe Frauen und Mädchen: Werdet nicht zu Huren, zu Prostituierten, ihr habt ja gehört, was Paulus da so in seinem Brief an die Leute in Korinth schreibt!
Amen.
Hier könnte die Predigt eigentlich aufhören, wenn man das, was Paulus vor fast zweitausend Jahren uns völlig fremden Menschen im heutigen Griechenland geschrieben hat, einfach so liest und wortwörtlich nimmt. Wenig überraschend, dass in der Kirche gesagt wird: Hurerei ist nicht unser Ding! Und wahrscheinlich doch zu Recht werden die allermeisten, die heute in Deutschland in Gottesdienste gehen und sich diese Lesung aus der Bibel anhören, zu Recht sagen: „Das betrifft mich nicht so wirklich!“ Wieso sollte ich also mehr zu diesem Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief sagen als „Gut, wenn das bei euch und ihnen nicht so ist, passt auf, dass es nicht anders wird?“
Für mich hat das mehrere Gründe. Der banalste Grund ist, dass ich schließlich auch dafür bezahlt werde, Predigten zu halten und mir ein paar Gedanken zu machen und nicht zu schnell faul zu werden und mit bequemen kurzen Aussagen mich aus der Affäre zu ziehen. Aber das ist das Unbedeutendste. Wichtiger ist mir selber, dass wir uns als Christen auch mit Dingen beschäftigen, die wir gern von uns schieben. Jesus ist schließlich auch nicht vor den unbequemen Dingen davongelaufen. Er hat sich, das ist ganz gut überliefert, auch mit Huren unterhalten und hat ihnen Men-schenwürde zukommen lassen. Wir könnten natürlich sagen: „Das ist ein Bääh-Thema, mit dem wollen wir uns nicht beschäftigen!“ Aber das ist, glaube ich, nicht im Sinne von Jesus. Prostitution hat es immer schon gegeben und wird es immer geben, in christlichen und muslimischen und jüdischen Gesellschaften, in Gesellschaften, denen Religion egal ist, in reichen und armen Ländern. Daran ändert auch eine moralische oder religiöse Verurteilung nichts. Oft genug bleibt das moralische Urteil an den Frauen hängen: „Das sind schlechte Frauen, die sowas tun, mit denen gibt man sich im Alltag nicht ab!“ So denkt man oft genug, leise oder laut. Ich glaube aber, dass es im Sinne Jesu eher andersherum eine Frage nach den Männern sein sollte, die Nöte von Frauen ausnutzen: die Not, ein Kind oder eine Familie durchbringen zu müssen und keinen anderen Weg zu sehen, die Not, sich Drogen beschaffen zu müssen oder die Not, verraten und verkauft zu werden und unter Vorspiegelung falscher Versprechungen ihrer Rechte und ihrer Würde beraubt zu werden. Und da sind wir auch bei Paulus und bei dem Abschnitt, den ich eben vorgelesen habe. Und bei meinem wichtigsten Grund, doch noch weiter zu predigen. Paulus hält sich nicht bei moralischen Urteilen über die Frauen, Huren, Prostituierte auf, sondern er redet eigentlich zu den Männern, die diese Dienste in Anspruch nehmen. Es macht was mit euch,
Liebe Gemeinde!
Also, zuerst einmal: liebe Männer! Geht nicht zu Huren, zu Prostituierten, ihr habt ja gehört, was in der Bibel steht! Und dann noch: liebe Frauen und Mädchen: Werdet nicht zu Huren, zu Prostituierten, ihr habt ja gehört, was Paulus da so in seinem Brief an die Leute in Korinth schreibt!
Amen.
Hier könnte die Predigt eigentlich aufhören, wenn man das, was Paulus vor fast zweitausend Jahren uns völlig fremden Menschen im heutigen Griechenland geschrieben hat, einfach so liest und wortwörtlich nimmt. Wenig überraschend, dass in der Kirche gesagt wird: Hurerei ist nicht unser Ding! Und wahrscheinlich doch zu Recht werden die allermeisten, die heute in Deutschland in Gottesdienste gehen und sich diese Lesung aus der Bibel anhören, zu Recht sagen: „Das betrifft mich nicht so wirklich!“ Wieso sollte ich also mehr zu diesem Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief sagen als „Gut, wenn das bei euch und ihnen nicht so ist, passt auf, dass es nicht anders wird?“
Für mich hat das mehrere Gründe. Der banalste Grund ist, dass ich schließlich auch dafür bezahlt werde, Predigten zu halten und mir ein paar Gedanken zu machen und nicht zu schnell faul zu werden und mit bequemen kurzen Aussagen mich aus der Affäre zu ziehen. Aber das ist das Unbedeutendste. Wichtiger ist mir selber, dass wir uns als Christen auch mit Dingen beschäftigen, die wir gern von uns schieben. Jesus ist schließlich auch nicht vor den unbequemen Dingen davongelaufen. Er hat sich, das ist ganz gut überliefert, auch mit Huren unterhalten und hat ihnen Men-schenwürde zukommen lassen. Wir könnten natürlich sagen: „Das ist ein Bääh-Thema, mit dem wollen wir uns nicht beschäftigen!“ Aber das ist, glaube ich, nicht im Sinne von Jesus. Prostitution hat es immer schon gegeben und wird es immer geben, in christlichen und muslimischen und jüdischen Gesellschaften, in Gesellschaften, denen Religion egal ist, in reichen und armen Ländern. Daran ändert auch eine moralische oder religiöse Verurteilung nichts. Oft genug bleibt das moralische Urteil an den Frauen hängen: „Das sind schlechte Frauen, die sowas tun, mit denen gibt man sich im Alltag nicht ab!“ So denkt man oft genug, leise oder laut. Ich glaube aber, dass es im Sinne Jesu eher andersherum eine Frage nach den Männern sein sollte, die Nöte von Frauen ausnutzen: die Not, ein Kind oder eine Familie durchbringen zu müssen und keinen anderen Weg zu sehen, die Not, sich Drogen beschaffen zu müssen oder die Not, verraten und verkauft zu werden und unter Vorspiegelung falscher Versprechungen ihrer Rechte und ihrer Würde beraubt zu werden. Und da sind wir auch bei Paulus und bei dem Abschnitt, den ich eben vorgelesen habe. Und bei meinem wichtigsten Grund, doch noch weiter zu predigen. Paulus hält sich nicht bei moralischen Urteilen über die Frauen, Huren, Prostituierte auf, sondern er redet eigentlich zu den Männern, die diese Dienste in Anspruch nehmen. Es macht was mit euch,
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