Text: Römer 13,8-12
Liebe Gemeinde!
Zeit der Liebe, Zeit der Geschenke - jetzt fängt sie wieder an. Die Adventszeit. Die Zeit, in der ich als Pfarrer immer die mitfühlendsten Blicke und Bemerkungen bekomme. „Für sie beginnt ja jetzt die Hauptarbeitszeit. Da kommen sie doch zu kaum was anderem!“ So höre ich es oft. Ich finde es schön, dass es Menschen gibt, die versuchen, sich ein bisschen in mich hinein zu denken. Es gibt für mich als Pfarrer Zeiten, die ähnlich mit Arbeit voll gestopft sind. Trotzdem ist es schön, dass Menschen mich und meinen Beruf wahrnehmen. So ein bisschen fühle ich mich in die-sen Momenten, als bekäme ich etwas von dem, was hier im Römerbrief geschrieben steht: „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr euch untereinander liebt.“ Was heißt das eigentlich, einander zu lieben? Nicht zuletzt doch auch: offene Augen für den Anderen zu haben. Anteil am Leben des Anderen zu nehmen und nicht zu denken: „Der ist mir doch grad egal!“ Adventszeit - Zeit der Liebe, Zeit der offenen Augen, Zeit der Geschenke. Zumindest Zeit der Gedanken rund um die Geschenke, die anderen gemacht werden sollen oder die ich mir von anderen wünsche. Adventszeit - nicht zuletzt auch Zeit gut gemeinter Ratschläge und erhobenen Zeigefinger. Gerade wenn’s um Geschenke geht. An Geschenken wird nicht gespart! Das war jetzt wie-der in einer Umfrage zu hören. Geschenke sind doch nicht das Wichtigste! Tausendmal gehört. Mit Liebe schenken. Ja doch. Schenk doch mal dich selbst, Zeitgutscheine, Gut-scheine für Spaziergänge, gemeinsame Kinobesuche, Kaffeenachmittage oder was auch immer. Es muss doch nicht viel kosten, Hauptsache du bist mit ganzem Herzen dabei. Dankeschön, kann ich da nur sagen. Wenn mir was Stress macht, dann ist es das Gefühl, meine Zeit noch mehr festlegen zu müssen. Im Namen der Liebe! Statt hilfreicher Tipps kriege ich ein schlechtes Gewissen. Es ist eben Advent. Zeit der Liebe? Zeit des schlechten Gewissens? „Bleibt niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt!“ Manchmal ist gerade in diesen Tagen die Angst die dunkle Schwester der Liebe. Mir wurde das deutlich bei einem Gespräch zwischen acht jungen Müttern, dass ich zuerst unfreiwillig wegen der Lautstärke, in der es geführt wurde, dann aber sehr interessiert in einer Pizzeria belauscht habe. Da ging es um die Weihnachtsgeschenke. Um die Angst, sich zu blamieren, wenn das ausgesuchte Geschenke nicht groß genug ist. Um die Angst der Großeltern mütterlicherseits, dass die Enkel sie weniger lieben, wenn ihr Geschenk billiger war als das der Großeltern väterlicherseits. Um die Angst davor, dass die Kinder denken könnten, man hätte sie nicht lieb, wenn sie beim Familientreffen am 1. oder 2. Weihnachtstag feststellen, dass die Cousins und Cousinen mehr Geschenke bekommen haben. Besserwisserisch und rechthaberisch kann man werden und sagen, wie pervers die Adventszeit doch geworden ist, wenn sie für viele Menschen anscheinend mit so viel Angst verbunden ist. Besserwisserisch und rechthaberisch kann man sagen: „Da sieht man mal, wie es ist, wenn die Adventszeit von allem christlichen Inhalt und Sinn entleert wird und es sich nur noch um Kaufen, Geschenke, Bräuche dreht!“ - Am besten sogar mit dem Nachsatz: „Gut, dass ich anders bin! Gut, dass bei mir weihnachtsmannfreie Zone ist und ich gar nichts oder Zeitgutscheine oder nur selbst Gebasteltes ver-schenke!“ Ich finde es schade. Gut gemeinte Ratschläge werden anderen lieblos um die Ohren gehauen. Gut, dass ich so schlau bin und weiß, was richtig bist. Du bist ja dumm. So kommen diese gut gemeinten Ratschläge manchmal an. Auch bei mir, obwohl ich kein so großer Geschenkefreak bin und mir diesen Schuh, glaube ich, eigentlich nicht anziehen muss. Aber Besserwisserei und Rechthaberei werden auch nicht durch einen christlichen oder kirchlichen Rahmen gut. Oft spricht nämlich aus ihnen nicht die Liebe für die, die in ihren vielleicht ja tatsächlich ganz falschen Vorstellungen und Gedanken gefangen sind. Oft spricht Verachtung und das Gefühl, durch Abgrenzung besser sein zu können oder zu wollen, aus solchen Ratschlägen. „Seid niemandem etwas schuldig, außer, dass ihr einander liebt!“ Ein guter Wegweiser. Nicht nur für die Adventszeit. Vielleicht zu allgemein? Kann sein. Aber Gott hat uns schließlich einen Kopf zum Denken gegeben, ein Herz zum Fühlen und Hände zum Handeln. Und von Liebe kann man auf der einen Seite nur ganz allgemein reden, weil sie sich auf der anderen Seite nur ganz persönlich mit Leben füllen lässt. Liebe ist immer abhängig von mir selbst. Als Mensch, der liebt. Als Mensch, der geliebt wird. Liebe braucht mich. Aber was ist das eigentlich? Was heißt das? Gerade in dieser Zeit? Paulus hat einen schönen Satz geschrieben, der vielleicht erst einmal verwirrend klingt. „Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!“ Die Werke der Finsternis. Das ist für mich zuallererst die Angst. Die Angst, zu kurz zu kommen und deshalb egoistisch alles nehmen zu müssen, auch das, was mir nicht gehört. Die Angst, nicht geliebt zu werden und mir deshalb Liebe kaufen zu müssen. Durch teure Ge-schenke genauso wie durch gekaufte Liebe in jeder Form. Die Angst vor eigener Schwäche. Und deshalb den anderen mit Gewalt zeigen, wie stark ich bin oder durch möglichst viele Geliebte wie potent ich bin oder durch möglichst viele Liebhaber, wie attraktiv ich bin. Es ist kein böser Teufel, sondern viel zu oft die Angst, die Leben finster macht. Du musst deine Angst nicht leugnen, sie nicht verstecken und ihr dadurch erst so richtig Macht über dich geben. Du darfst sie ablegen und eintauschen gegen die Waffen des Lichts. Gegen die Liebe, die der Angst Grenzen setzt. Für mich ist das die Grundbotschaft, die Paulus nicht nur den Menschen in Rom vor langer Zeit geschrieben hat. Bis heute spielt die Angst eine viel zu große Rolle. Und leider ja auch in der Liebe. Denn selbst dann, wenn ich mich begeistert auf die Liebe, auf den Glauben und das Vertrauen stürze, bin ich nicht sicher vor dem Gefühl, nicht genug lieben zu können. Zu schwach zu sein, in meiner Liebe das falsche zu tun oder eben nicht so lieben zu können, wie es eigentlich nötig wäre. Ich spüre in der Liebe meine Grenzen und die machen mir auch wieder Angst. „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern“, schreibt Paulus. Die Nacht ist vorge-rückt - und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht. Vielleicht sind wir gerade da, wo es grau wird. Noch nicht wirklich Licht. Angst ist noch da. Im Alltag. In der Liebe. In der Adventszeit. Zu Weihnachten. Aber sie muss nicht mehr alles bestimmen. Da ist einer, der liebt mich wirklich. Der gibt mich nicht auf, auch wenn ich kurz davor bin, mich selbst aufzugeben. Da ist einer, der hat mir tatsächlich das ganz große Geschenk gemacht: Liebe, die auch Angst, Schuld und Versagen aushält. Weihnachten ist nicht mehr weit. Das Fest, an dem wir uns alle Jahre wieder versichern lassen dürfen und feiern dürfen, dass Gott durch den Menschen Jesus, sich selbst und seine Liebe in diese Welt gebracht hat. Das Fest, an dem wir feiern dürfen, dass das keine fromme Einbildung ist, sondern dass die Liebe greif-bar geworden ist. Weihnachten ist nicht mehr weit - Advent ist da. Die Zeit, in der wir uns im Blick auf diese Liebe un-seren Ängsten, der Finsternis stellen können, vielleicht auch müssen. In der Hoffnung, die Paulus beschreibt: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nicht mehr fern!“ Und schwarz wird zu grau wird zu rot wird zu Licht. Grau vielleicht im Moment, mit viel schwarz. Noch nicht Licht. Die Werke der Finsternis, die Angst und alles, was aus ihr kommt - die sind noch nicht ganz abgelegt. Aber die Waffen des Lichts, die Liebe, die die Angst besiegt, die stehen bereit. Zeit für Liebe, Zeit für offene Augen, Zeit, ohne Angst zu schenken und Geschenke anzunehmen - ich wünsche es uns allen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Sonntag, 29. November 2009
Montag, 23. November 2009
Mit allem rechnen - Ewigkeitssonntag, 22.11.09, Reihe I
Text: Matthäus 25,1-13
Liebe Gemeinde!
Ein Notfallkoffer, damit ich auf alles vorbereitet bin, was passieren kann. Vieles kann passieren. Straßenkarten sind drin, damit ich mich ohne Navi nicht verfahre. Handschuhe, falls ich jemand Krankes oder Blutendes anfassen muss. Taschenlampe und Ersatzbatterien. Spielzeug, falls Kinder-getröstet werden müssen. Bibel und Gebetbuch, falls mir eigene Worte fehlen. Kerzen und Kreuz, sogar Traubenzucker, falls die eigenen Energiereserven zur Neige gehen. Jetzt kann’s losgehen, jetzt bin ich auf alles vorbereitet. Ein Notfallkoffer. Was wäre eigentlich in eurem, in ihrem Notfallkoffer? --- Bilder von den Liebsten? Versicherungen? Geld? Egal. Vorbereitet sein ist wichtig. Man muss mit allem rechnen.
Wirklich? Muss man das? Kann man das? Seit Monaten liegt der Mann schwerstkrank im Bett. „Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen“ hat der Arzt gesagt. Gespräche mit-einander, Trauer, Angst, mal versteckt, mal offen voreinander gezeigt. Er wird sterben, klar. Gebete vorher, Gebete jetzt. Er stirbt. Und trotz aller Vorbereitung ist die Lücke so groß, dass Loch so tief, und Angst da, nie mehr rauszukommen. Vorbereitet sein? Der Unfall stellt das ganze Le-ben auf den Kopf. Alle Versicherungen, alle Vorsorgemaß-nahmen haben nicht davor bewahrt, dass das Leben völlig umgekrempelt wird. Vorbereitet sein? „Ich kriege keinen mehr ab! Alle haben einen Liebsten gefunden! Ich muss mich drauf einstellen, allein zu bleiben.“ Und dann kommt aus dem Nichts die Begegnung, die alles verändert. Es gibt wieder Grund zur Freude, und Liebe ist nichts, was in Büchern steht, worüber Filme gedreht werden und was immer nur anderen passiert, sondern Liebe wird Teil des eigenen Lebens.
„Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Trotz Vorbereitung und Notfallkoffer stehe ich oft genug da und merke, dass ich alles, was ich gedacht habe, nicht brauchen kann. Trotz Vorbereitung und Vorwarnung tut Abschied nehmen weh und Liebe, meistens wenigstens, gut. Und wirklich vorbereiten kann man sich auf Beides nicht. Die Wirklichkeit ist anders als alle Träume und alle Ängste.
Mit allem rechnen, auf alles vorbereitet sein. Eine Ge-schichte aus der Bibel, aus dem Matthäusevangelium:
Mt 25,1-13
Wir denken heute besonders an die Menschen aus unserer Gemeinde, die im letzten Jahr gestorben sind. Manche sind heute hier, weil sie sich auch an Menschen erinnern, die schon länger in ihrem Leben fehlen. Und dann eine Geschichte von Jesus, in der er von einer Hochzeit, etwas ganz Fröhlichem redet. Die, die nicht ordentlich vorbereitet sind, dürfen erst gar nicht mitfeiern. Ein bisschen hart und grausam. Du kommst hier nicht rein! Ganz offensichtlich scheint es das zu geben. Leute, die von Jesus weggeschickt werden, die zu spät kommen, weil sie nicht mehr mit ihm gerechnet haben. Die Hoffnung auf ein besseres Leben bei Gott, die Hoffnung auf eine völlige Neugestaltung der Welt, auf ein Leben mit Gott als Fest ohne Tränen und Schmerzen wird zur Angst, da nicht dazugehören zu dürfen. Oder wenigstens: Sie kann zu dieser Angst werden. Bin ich einer von denen, die gut vorbereitet sind? War mein Mann, meine Mutter, mein Vater gut vorbereitet? Oder gehöre ich, gehören die, die mir lieb waren und sind, zu denen, die draußen bleiben müssen? Ich weiß es nicht. Gott sei Dank. Gott sei Dank bin ich nicht der Türsteher. Ich weiß, dass ich mich oft schwer damit tue, viel Hoffnung zu haben und damit zu rechnen, dass die Party bei Gott, die Hochzeit, das schöne und gute Leben bei ihm endlich losgehen. Ich kann die Frauen aus der Geschichte gut verstehen, die beim Warten auf das Fest müde geworden sind und einschlafen. Es gibt vieles, was müde macht. Auch heute, wenn Menschen darauf warten, dass es mit dem Himmelreich endlich losgeht. Heute, am Totensonntag, da denke ich zu-erst natürlich an die Macht, die der Tod immer noch hat. An Schmerzen und Trauer über Verluste. Ich denke an Menschen, die bei Unfällen sterben, an andere, die keinen Ausweg mehr sehen und sich selbst töten, an Kinder, die sterben. Die Bilder von sinnlosen Opfern bei Selbstmordattentaten kommen hoch und die schon fast vergessenen Bilder von Kindern und Erwachsenen, die sterben, weil sie nichts zu essen haben. Mich macht es müde, auf die Welt ohne Schmerz und Tränen zu warten, die Gott verspricht, weil ich immer wieder sehe, dass es trotz aller Gebete und aller Hilfsmaßnahmen sinnlose und vermeidbare Tote gibt. Ich glaube auch, dass ich eigentlich gar nichts mehr aufzählen muss, was Hoffnung schwer macht. Ich glaube, dass es nicht lang dauert, bis jedem von uns noch etwas einfällt, was die eigene Hoffnung darauf, dass die Welt einmal wirk-lich gut wird, müde werden lässt.
Jesus weiß das und leugnet es nicht. Mir macht das Mut und Hoffnung. Die zehn Jungfrauen, die sind ein Bild für alle, die gern glauben möchten, die gern mit Gott wirklich feiern möchten und auf das Gute warten. Und die werden müde. Weil die Zeit richtig lang werden kann. Der Glauben an Gott, die Hoffnung darauf, dass das, was er verspricht, wahr wird, ist kein Aufputschmittel, kein Ecstasy, mit dem ich mich schlagartig gut fühle, die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehme und nur noch grinsend durchs Leben laufe. „Hipp hipp hurra, alles ist super, alles ist wunderbar!“ Nein. Jesus ist realistisch. Party, ja klar. Aber der Weg dahin - der kann schon müde machen. Glauben verdrängt nicht die Wirklichkeit, sondern er lebt in der Wirklichkeit. Und lässt die Party bei Gott, das Gute dann anfangen, wenn es soweit ist. Ohne Absturz, ohne Kater, ohne Nebenwirkungen.
Es geht in der Geschichte nicht um die Angst, die Party, das große Fest, das Gute zu verpassen und nicht dazuzugehören. Es geht darum, einen Notfallkoffer zu haben, wenn ich müde werde, wenn meine Hoffnung müde wird. Ein kleines Fünkchen Hoffnung, ein kleines Tröpfchen Öl. Das Warten wird ein Ende haben. Sicher nicht dann, wenn ich meine, dass es soweit sein müsste. Wir dürfen mit dem Besten rechnen. Auch wenn wir es ganz lange nicht im Blick haben. Für mich ist mein Notfallkoffer, dass Gott mir sagt: „Du darfst auch zwischendurch müde werden. Es ist nicht leicht!“ Ich muss nicht so tun, als wäre alles immer leicht, als müsste das Leben im Glauben immer eine Riesenparty sein. Ich darf traurig sein, verzweifelt, müde, vielleicht sogar denken, dass ich keine Hoffnung mehr habe. Komischerweise ist es genau das, was mir Hoffnung macht. Da ist keiner, der sagt: „Du musst wach bleiben und immer gut drauf sein.“ Nein. Da ist einer, der sagt: „Lebe, und wenn du zwischendurch müde wirst, dann komme ich trotzdem auch zu dir und weck dich wieder auf.“ Da ist einer, der nimmt mich ernst. Der fordert nichts Unmögliches von mir. Das ist mein Notfallkoffer, mein Tröpfchen Öl, von dem ich hoffe, dass es meine Lampe am Brennen hält, wenn das Fest losgeht. Nicht meine Planun-gen und Vorbereitungen sind entscheidend. Es kommt so-wieso anders und ich kann nie vorhersehen, wann ich wie-der das Gefühl habe, dass Leben gut ist. „Ich mach dir nichts vor. Ich verspreche dir nicht, dass es nur Gutes gibt. Aber ich verspreche dir, dass du was Richtiges zum Feiern erleben wirst. Die Müdigkeit wird nicht das Letzte sein.“ diese Zusage Gottes ist für mich besser als jeder von mir gepackte Notfallkoffer. Und was ist ihr Notfallkoffer?
Amen
Liebe Gemeinde!
Ein Notfallkoffer, damit ich auf alles vorbereitet bin, was passieren kann. Vieles kann passieren. Straßenkarten sind drin, damit ich mich ohne Navi nicht verfahre. Handschuhe, falls ich jemand Krankes oder Blutendes anfassen muss. Taschenlampe und Ersatzbatterien. Spielzeug, falls Kinder-getröstet werden müssen. Bibel und Gebetbuch, falls mir eigene Worte fehlen. Kerzen und Kreuz, sogar Traubenzucker, falls die eigenen Energiereserven zur Neige gehen. Jetzt kann’s losgehen, jetzt bin ich auf alles vorbereitet. Ein Notfallkoffer. Was wäre eigentlich in eurem, in ihrem Notfallkoffer? --- Bilder von den Liebsten? Versicherungen? Geld? Egal. Vorbereitet sein ist wichtig. Man muss mit allem rechnen.
Wirklich? Muss man das? Kann man das? Seit Monaten liegt der Mann schwerstkrank im Bett. „Sie müssen mit dem Schlimmsten rechnen“ hat der Arzt gesagt. Gespräche mit-einander, Trauer, Angst, mal versteckt, mal offen voreinander gezeigt. Er wird sterben, klar. Gebete vorher, Gebete jetzt. Er stirbt. Und trotz aller Vorbereitung ist die Lücke so groß, dass Loch so tief, und Angst da, nie mehr rauszukommen. Vorbereitet sein? Der Unfall stellt das ganze Le-ben auf den Kopf. Alle Versicherungen, alle Vorsorgemaß-nahmen haben nicht davor bewahrt, dass das Leben völlig umgekrempelt wird. Vorbereitet sein? „Ich kriege keinen mehr ab! Alle haben einen Liebsten gefunden! Ich muss mich drauf einstellen, allein zu bleiben.“ Und dann kommt aus dem Nichts die Begegnung, die alles verändert. Es gibt wieder Grund zur Freude, und Liebe ist nichts, was in Büchern steht, worüber Filme gedreht werden und was immer nur anderen passiert, sondern Liebe wird Teil des eigenen Lebens.
„Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ Trotz Vorbereitung und Notfallkoffer stehe ich oft genug da und merke, dass ich alles, was ich gedacht habe, nicht brauchen kann. Trotz Vorbereitung und Vorwarnung tut Abschied nehmen weh und Liebe, meistens wenigstens, gut. Und wirklich vorbereiten kann man sich auf Beides nicht. Die Wirklichkeit ist anders als alle Träume und alle Ängste.
Mit allem rechnen, auf alles vorbereitet sein. Eine Ge-schichte aus der Bibel, aus dem Matthäusevangelium:
Mt 25,1-13
Wir denken heute besonders an die Menschen aus unserer Gemeinde, die im letzten Jahr gestorben sind. Manche sind heute hier, weil sie sich auch an Menschen erinnern, die schon länger in ihrem Leben fehlen. Und dann eine Geschichte von Jesus, in der er von einer Hochzeit, etwas ganz Fröhlichem redet. Die, die nicht ordentlich vorbereitet sind, dürfen erst gar nicht mitfeiern. Ein bisschen hart und grausam. Du kommst hier nicht rein! Ganz offensichtlich scheint es das zu geben. Leute, die von Jesus weggeschickt werden, die zu spät kommen, weil sie nicht mehr mit ihm gerechnet haben. Die Hoffnung auf ein besseres Leben bei Gott, die Hoffnung auf eine völlige Neugestaltung der Welt, auf ein Leben mit Gott als Fest ohne Tränen und Schmerzen wird zur Angst, da nicht dazugehören zu dürfen. Oder wenigstens: Sie kann zu dieser Angst werden. Bin ich einer von denen, die gut vorbereitet sind? War mein Mann, meine Mutter, mein Vater gut vorbereitet? Oder gehöre ich, gehören die, die mir lieb waren und sind, zu denen, die draußen bleiben müssen? Ich weiß es nicht. Gott sei Dank. Gott sei Dank bin ich nicht der Türsteher. Ich weiß, dass ich mich oft schwer damit tue, viel Hoffnung zu haben und damit zu rechnen, dass die Party bei Gott, die Hochzeit, das schöne und gute Leben bei ihm endlich losgehen. Ich kann die Frauen aus der Geschichte gut verstehen, die beim Warten auf das Fest müde geworden sind und einschlafen. Es gibt vieles, was müde macht. Auch heute, wenn Menschen darauf warten, dass es mit dem Himmelreich endlich losgeht. Heute, am Totensonntag, da denke ich zu-erst natürlich an die Macht, die der Tod immer noch hat. An Schmerzen und Trauer über Verluste. Ich denke an Menschen, die bei Unfällen sterben, an andere, die keinen Ausweg mehr sehen und sich selbst töten, an Kinder, die sterben. Die Bilder von sinnlosen Opfern bei Selbstmordattentaten kommen hoch und die schon fast vergessenen Bilder von Kindern und Erwachsenen, die sterben, weil sie nichts zu essen haben. Mich macht es müde, auf die Welt ohne Schmerz und Tränen zu warten, die Gott verspricht, weil ich immer wieder sehe, dass es trotz aller Gebete und aller Hilfsmaßnahmen sinnlose und vermeidbare Tote gibt. Ich glaube auch, dass ich eigentlich gar nichts mehr aufzählen muss, was Hoffnung schwer macht. Ich glaube, dass es nicht lang dauert, bis jedem von uns noch etwas einfällt, was die eigene Hoffnung darauf, dass die Welt einmal wirk-lich gut wird, müde werden lässt.
Jesus weiß das und leugnet es nicht. Mir macht das Mut und Hoffnung. Die zehn Jungfrauen, die sind ein Bild für alle, die gern glauben möchten, die gern mit Gott wirklich feiern möchten und auf das Gute warten. Und die werden müde. Weil die Zeit richtig lang werden kann. Der Glauben an Gott, die Hoffnung darauf, dass das, was er verspricht, wahr wird, ist kein Aufputschmittel, kein Ecstasy, mit dem ich mich schlagartig gut fühle, die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehme und nur noch grinsend durchs Leben laufe. „Hipp hipp hurra, alles ist super, alles ist wunderbar!“ Nein. Jesus ist realistisch. Party, ja klar. Aber der Weg dahin - der kann schon müde machen. Glauben verdrängt nicht die Wirklichkeit, sondern er lebt in der Wirklichkeit. Und lässt die Party bei Gott, das Gute dann anfangen, wenn es soweit ist. Ohne Absturz, ohne Kater, ohne Nebenwirkungen.
Es geht in der Geschichte nicht um die Angst, die Party, das große Fest, das Gute zu verpassen und nicht dazuzugehören. Es geht darum, einen Notfallkoffer zu haben, wenn ich müde werde, wenn meine Hoffnung müde wird. Ein kleines Fünkchen Hoffnung, ein kleines Tröpfchen Öl. Das Warten wird ein Ende haben. Sicher nicht dann, wenn ich meine, dass es soweit sein müsste. Wir dürfen mit dem Besten rechnen. Auch wenn wir es ganz lange nicht im Blick haben. Für mich ist mein Notfallkoffer, dass Gott mir sagt: „Du darfst auch zwischendurch müde werden. Es ist nicht leicht!“ Ich muss nicht so tun, als wäre alles immer leicht, als müsste das Leben im Glauben immer eine Riesenparty sein. Ich darf traurig sein, verzweifelt, müde, vielleicht sogar denken, dass ich keine Hoffnung mehr habe. Komischerweise ist es genau das, was mir Hoffnung macht. Da ist keiner, der sagt: „Du musst wach bleiben und immer gut drauf sein.“ Nein. Da ist einer, der sagt: „Lebe, und wenn du zwischendurch müde wirst, dann komme ich trotzdem auch zu dir und weck dich wieder auf.“ Da ist einer, der nimmt mich ernst. Der fordert nichts Unmögliches von mir. Das ist mein Notfallkoffer, mein Tröpfchen Öl, von dem ich hoffe, dass es meine Lampe am Brennen hält, wenn das Fest losgeht. Nicht meine Planun-gen und Vorbereitungen sind entscheidend. Es kommt so-wieso anders und ich kann nie vorhersehen, wann ich wie-der das Gefühl habe, dass Leben gut ist. „Ich mach dir nichts vor. Ich verspreche dir nicht, dass es nur Gutes gibt. Aber ich verspreche dir, dass du was Richtiges zum Feiern erleben wirst. Die Müdigkeit wird nicht das Letzte sein.“ diese Zusage Gottes ist für mich besser als jeder von mir gepackte Notfallkoffer. Und was ist ihr Notfallkoffer?
Amen
Montag, 9. November 2009
Die Zeichen stehen auf... - Drittletzter Sonntag d. Kirchenjahres, 08.11.2009, Reihe I
Liebe Gemeinde!
Unruhig geht er hin und her. Immer wieder schaut er auf die Uhr. „Sie müsste doch schon längst zu Hause sein!“ denkt er immer wieder. „Ob was passiert ist?“ Sicher, die letzten Wochen waren alles andere als einfach. Da war so viel Streit. Über Kleinigkeiten. Die offen gelassene Zahnpasta-tube, die Hosen, die auf dem Fußboden gelandet sind. So viel nerviger Kleinkram. Ins Bett gehen - ohne Kuss, ohne freundliches Wort, einfach so. „Ich halt das nicht aus. Es geht alles kaputt.“ So hat er mehr als nur einmal gedacht. „Aber jetzt, wenn sie reinkommt, die Blumen sieht, lächelt, dann wird alles gut. Ja, wenn sie lächelt, dann ist es ein gu-tes Zeichen. Dann wird alles gut.“ Aber sie kommt nicht. Wieder ein Blick auf die Uhr. „Ob ihr was passiert ist? Oder macht sie sich einfach so aus dem Staub. Ohne Gruß, ohne Abschied. Sie hätte doch wenigstens anrufen können. Aber es ist doch ein gutes Zeichen, dass das Telefon nicht geklin-gelt hat. Wenn sie einen Unfall gehabt hätte, dann hätte sie angerufen. Wenn ihr was passiert wäre, dann hätte das Krankenhaus angerufen. Es ist ein gutes Zeichen. Oder nicht? Wenn ich von rechts die Scheinwerfer sehe, dann ist das ein gutes Zeichen, dann kommt sie. Direkt von der Ar-beit. Dann wird alles gut. Da ist Licht! Endlich. Das ist die falsche Seite. Mist! Das ist bestimmt die Polizei, die fahren so langsam. Die suchen bestimmt unsere Hausnummer. Und dann steigen sie aus und fangen an: Wir haben ihnen leider eine traurige Mitteilung zu machen… - Aaah, ein Glück, vorbei. Falscher Alarm. Da, jetzt, von rechts. Endlich! Der blöde Paketdienst. Wo bleibt sie denn? Wenn sie rein-kommt, lächelt, die Blumen sieht, die Tischdecke, die Kerzen, die Weingläser. Dann muss sie doch lächeln. Frauen stehen auf so was, hat Sven gesagt. Das klappt. Du wirst schon sehen. Du musst einfach die richtigen Zeichen setzen. Sven kennt sich aus. Seit acht Jahren glücklich verheiratet. Wenn der es nicht weiß… - Endlich! Das ist ihr Auto. Aber warum von links? Sie hat bestimmt einen anderen und war noch bei ihm. Warum passiert ausgerechnet mir immer so was? Aber wenn sie jetzt reinkommt und lächelt, wenn sie die Blumen sieht, den Tisch, den Wein…“. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Die Tasche, der Mantel, einfach in die Ecke geschleudert. Er scheint Luft zu sein. Kein Lächeln, kein freundliches Wort. Blumen, Tisch - das existiert gar nicht. Sie wirft sich auf die Couch, dreht das Gesicht zur Wand. In diesem Moment scheint der sowieso schon schwarze Himmel völlig auf ihn einzustürzen und ihn zu Tode zu quetschen. Alle Zeichen stehen auf…
Aus dem Lukasevangelium im 17. Kapitel:
Lesen: Lk 17,20-24
Die Zeichen stehen auf… - Ja, auf was denn nun? Men-schen sind da, die Zeichen wollen. Pharisäer. Die wollen sehen, wo Gottes Reich ist. Die wollen Gott hier auf dieser Welt sehen. Die wollen eine gerechte Welt sehen, auf der sich jeder ganz selbstverständlich an das hält, was Gottes Willen ist. Gottes Reich. Einfach gut. Einfach schön. Das muss doch möglich sein! Das muss man doch sehen können. „Jesus, du erzählst doch davon! Zeige es uns!“ „Das Reich Gottes ist mitten unter Euch!“ Sagt Jesus. „Wenn ihr auf sichtbare Beweise wartet, wenn ihr hofft, euch absichern zu können, wenn ihr in mir nicht eure Hoffnung sehen könnt, werdet ihr das, was ihr euch erhofft, nie sehen können.“ Die Zukunft hat mit mir angefangen. Sagt Jesus.
Auf was stehen die Zeichen eigentlich? „Ihr werdet euch noch wünschen, wenigstens an einem Tag wieder zu sehen, dass ich Liebe, Gerechtigkeit, Gesundheit für Kranke, Ann-erkennung für Außenseiter und so viel mehr gebracht habe und immer noch bringe! Aber ihr erdet dann nichts sehen.“ Sagt Jesus zu denen, die eigentlich wirklich ihre Hoffnung auf ihn setzen. Fromme Wünsche haben die Jünger damals. Fromme Wünsche sind das heute erst recht.
Stehen die Zeichen nicht schon längst drauf, dass die Welt zum Teufel geht? AIDS - es gibt genug, die sagen: „Das ist eine Strafe Gottes. Sex zum Spaß, Homosexuelle - Gott haut mit AIDS rein“, sagen sie, die glauben, dass sie wissen, was Gott will. Klimakatastrophe, Inselstaaten, die es viel-leicht bald nicht mehr geben wird, Dürren und Überflutun-gen, alles Gottes Strafe für den sorglosen Umgang mit sei-ner Schöpfung. Sicheres Zeichen für den Weltuntergang. Gottes Gericht. Sagen nicht wenige, die glauben, dass Gott ihnen seine Weisheit gegeben hat. Finanzkrise, Arbeitslo-sigkeit, Hungerkatastrophen. Sichere Zeichen, dass die Welt zum Teufel geht und nur die davon kommen, die als Frau lange Haare und Röcke tragen, die auf die richtige Art beten und nicht fernsehen, die Gesetze und Regeln befolgen, von denen behauptet wird: „Das ist Gottes endgültiger Wille!“
Jesus bleibt da ganz gelassen. „Lauft denen nicht nach, die euch erzählen wollen: Wir wissen, welche Zeichen Gott be-nutzt!“
Worauf die Zeichen stehen, was die Zeichen bedeuten, das weiß ich nicht. Aber das weiß niemand. Kein noch so frommer Christ, kein Moslem, kein Buddhist, kein Wis-senschaftler, kein Politiker. Für mich stehen die Zeichen nicht drauf, dass der Himmel einstürzt und die Welt zum Teufel geht und Gott anfängt, die zu vernichten, die seinem Willen irgendwie im Weg stehen. Benutzt euren Verstand, eure Möglichkeiten und fangt an das, was ihr verbockt habt, aufzuräumen. Darauf weisen für mich die Zeichen hin. nicht mehr. Das wär’ doch schon was.
Außerdem frage ich mich die ganze Zeit: „Warum suchen Menschen schon seit Jahrtausenden immer wieder in Ka-tastrophen und schlechten Dingen Anzeichen dafür, dass Gott endlich wiederkommt und die Welt zum Guten bringt?“ Ich finde keine Antwort auf diese Frage. Ich finde es doch viel logischer, bei dem Guten anzufangen. Gott ist die Liebe. Jesus hat Kranke gesund gemacht. Er ist zu den Opfern gegangen. Er hat Menschen vergeben, die sich selbst nicht vergeben konnten. Selbst der Tod war nicht das Ende. So viel Gutes und noch viel mehr. Und dann suchen Menschen im Bösen Zeichen dafür, dass die Welt besser wird? Versteh ich nicht.
Was ich verstehe, ist was anderes. Wir Menschen brauchen Zeichen. Wir sehnen uns nach Sicherheit. Und scheinbar geben uns Zeichen genau das. Wenn der Lehrer die Arbeit in der Mitte mit einem Lächeln zurückgibt, kann sie nicht schlecht gewesen sein. Wenn ich meinen Glücksschuh trage, schieße ich bestimmt ein Tor. Wenn meine Frau mein Lieblingsessen kocht, dann hat sie bestimmt gute Laune und ich kann ihr auch was Unangenehmes sagen. Moment mal! Hat sie vielleicht ein schlechtes Gewissen und will mir was beichten und mit dem Essen gut Wetter machen? Zeichen halt.
Wenn der Menschensohn kommt, wenn das, wofür Jesus steht, wenn das Gute, wenn die Liebe diese Welt endgültig und total verändern, dann ist das nicht vorhersehbar. Wie ein Blitz, der den ganzen Himmel hell macht. Plötzlich, oh-ne Vorhersage, werden wir das Gute, das neue Leben haben. Plötzlich, ohne Vorwarnung, werden wir eins sein mit Gott. Nicht durch die Zeichen, bei denen wir glauben, wir müss-ten ihnen irgendwie nachlaufen.
Liebe kann ich nicht planen. Liebe kann ich nicht vorherse-hen. Sie trifft mich, sie trifft die Welt wie ein Blitz. Oder gar nicht.
Wenn sie jetzt reinkommt und lächelt, wenn sie die Blumen sieht, den Tisch, den Wein…“. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Die Tasche, der Mantel, einfach in die Ecke geschleudert. Er scheint Luft zu sein. Kein Lä-cheln, kein freundliches Wort. Blumen, Tisch - das existiert gar nicht. Sie wirft sich auf die Couch, dreht das Gesicht zur Wand. In diesem Moment scheint der sowieso schon schwarze Himmel völlig auf ihn einzustürzen und ihn zu Tode zu quetschen. Alle Zeichen stehen auf…
Wie von ganz weit weg hört er ihre Stimme. „Schatz, die letzten Wochen waren so blöd. Du weißt schon. Lass uns essen gehen. Ich hab keine Lust, zu kochen oder aufzu-waschen. Ich mach mich nur schnell frisch…“ Sie steht auf, nimmt ihn in den Arm, gibt ihm einen Kuss auf die Nase, lächelt, geht ins Bad. Und der Himmel…
Amen
Unruhig geht er hin und her. Immer wieder schaut er auf die Uhr. „Sie müsste doch schon längst zu Hause sein!“ denkt er immer wieder. „Ob was passiert ist?“ Sicher, die letzten Wochen waren alles andere als einfach. Da war so viel Streit. Über Kleinigkeiten. Die offen gelassene Zahnpasta-tube, die Hosen, die auf dem Fußboden gelandet sind. So viel nerviger Kleinkram. Ins Bett gehen - ohne Kuss, ohne freundliches Wort, einfach so. „Ich halt das nicht aus. Es geht alles kaputt.“ So hat er mehr als nur einmal gedacht. „Aber jetzt, wenn sie reinkommt, die Blumen sieht, lächelt, dann wird alles gut. Ja, wenn sie lächelt, dann ist es ein gu-tes Zeichen. Dann wird alles gut.“ Aber sie kommt nicht. Wieder ein Blick auf die Uhr. „Ob ihr was passiert ist? Oder macht sie sich einfach so aus dem Staub. Ohne Gruß, ohne Abschied. Sie hätte doch wenigstens anrufen können. Aber es ist doch ein gutes Zeichen, dass das Telefon nicht geklin-gelt hat. Wenn sie einen Unfall gehabt hätte, dann hätte sie angerufen. Wenn ihr was passiert wäre, dann hätte das Krankenhaus angerufen. Es ist ein gutes Zeichen. Oder nicht? Wenn ich von rechts die Scheinwerfer sehe, dann ist das ein gutes Zeichen, dann kommt sie. Direkt von der Ar-beit. Dann wird alles gut. Da ist Licht! Endlich. Das ist die falsche Seite. Mist! Das ist bestimmt die Polizei, die fahren so langsam. Die suchen bestimmt unsere Hausnummer. Und dann steigen sie aus und fangen an: Wir haben ihnen leider eine traurige Mitteilung zu machen… - Aaah, ein Glück, vorbei. Falscher Alarm. Da, jetzt, von rechts. Endlich! Der blöde Paketdienst. Wo bleibt sie denn? Wenn sie rein-kommt, lächelt, die Blumen sieht, die Tischdecke, die Kerzen, die Weingläser. Dann muss sie doch lächeln. Frauen stehen auf so was, hat Sven gesagt. Das klappt. Du wirst schon sehen. Du musst einfach die richtigen Zeichen setzen. Sven kennt sich aus. Seit acht Jahren glücklich verheiratet. Wenn der es nicht weiß… - Endlich! Das ist ihr Auto. Aber warum von links? Sie hat bestimmt einen anderen und war noch bei ihm. Warum passiert ausgerechnet mir immer so was? Aber wenn sie jetzt reinkommt und lächelt, wenn sie die Blumen sieht, den Tisch, den Wein…“. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Die Tasche, der Mantel, einfach in die Ecke geschleudert. Er scheint Luft zu sein. Kein Lächeln, kein freundliches Wort. Blumen, Tisch - das existiert gar nicht. Sie wirft sich auf die Couch, dreht das Gesicht zur Wand. In diesem Moment scheint der sowieso schon schwarze Himmel völlig auf ihn einzustürzen und ihn zu Tode zu quetschen. Alle Zeichen stehen auf…
Aus dem Lukasevangelium im 17. Kapitel:
Lesen: Lk 17,20-24
Die Zeichen stehen auf… - Ja, auf was denn nun? Men-schen sind da, die Zeichen wollen. Pharisäer. Die wollen sehen, wo Gottes Reich ist. Die wollen Gott hier auf dieser Welt sehen. Die wollen eine gerechte Welt sehen, auf der sich jeder ganz selbstverständlich an das hält, was Gottes Willen ist. Gottes Reich. Einfach gut. Einfach schön. Das muss doch möglich sein! Das muss man doch sehen können. „Jesus, du erzählst doch davon! Zeige es uns!“ „Das Reich Gottes ist mitten unter Euch!“ Sagt Jesus. „Wenn ihr auf sichtbare Beweise wartet, wenn ihr hofft, euch absichern zu können, wenn ihr in mir nicht eure Hoffnung sehen könnt, werdet ihr das, was ihr euch erhofft, nie sehen können.“ Die Zukunft hat mit mir angefangen. Sagt Jesus.
Auf was stehen die Zeichen eigentlich? „Ihr werdet euch noch wünschen, wenigstens an einem Tag wieder zu sehen, dass ich Liebe, Gerechtigkeit, Gesundheit für Kranke, Ann-erkennung für Außenseiter und so viel mehr gebracht habe und immer noch bringe! Aber ihr erdet dann nichts sehen.“ Sagt Jesus zu denen, die eigentlich wirklich ihre Hoffnung auf ihn setzen. Fromme Wünsche haben die Jünger damals. Fromme Wünsche sind das heute erst recht.
Stehen die Zeichen nicht schon längst drauf, dass die Welt zum Teufel geht? AIDS - es gibt genug, die sagen: „Das ist eine Strafe Gottes. Sex zum Spaß, Homosexuelle - Gott haut mit AIDS rein“, sagen sie, die glauben, dass sie wissen, was Gott will. Klimakatastrophe, Inselstaaten, die es viel-leicht bald nicht mehr geben wird, Dürren und Überflutun-gen, alles Gottes Strafe für den sorglosen Umgang mit sei-ner Schöpfung. Sicheres Zeichen für den Weltuntergang. Gottes Gericht. Sagen nicht wenige, die glauben, dass Gott ihnen seine Weisheit gegeben hat. Finanzkrise, Arbeitslo-sigkeit, Hungerkatastrophen. Sichere Zeichen, dass die Welt zum Teufel geht und nur die davon kommen, die als Frau lange Haare und Röcke tragen, die auf die richtige Art beten und nicht fernsehen, die Gesetze und Regeln befolgen, von denen behauptet wird: „Das ist Gottes endgültiger Wille!“
Jesus bleibt da ganz gelassen. „Lauft denen nicht nach, die euch erzählen wollen: Wir wissen, welche Zeichen Gott be-nutzt!“
Worauf die Zeichen stehen, was die Zeichen bedeuten, das weiß ich nicht. Aber das weiß niemand. Kein noch so frommer Christ, kein Moslem, kein Buddhist, kein Wis-senschaftler, kein Politiker. Für mich stehen die Zeichen nicht drauf, dass der Himmel einstürzt und die Welt zum Teufel geht und Gott anfängt, die zu vernichten, die seinem Willen irgendwie im Weg stehen. Benutzt euren Verstand, eure Möglichkeiten und fangt an das, was ihr verbockt habt, aufzuräumen. Darauf weisen für mich die Zeichen hin. nicht mehr. Das wär’ doch schon was.
Außerdem frage ich mich die ganze Zeit: „Warum suchen Menschen schon seit Jahrtausenden immer wieder in Ka-tastrophen und schlechten Dingen Anzeichen dafür, dass Gott endlich wiederkommt und die Welt zum Guten bringt?“ Ich finde keine Antwort auf diese Frage. Ich finde es doch viel logischer, bei dem Guten anzufangen. Gott ist die Liebe. Jesus hat Kranke gesund gemacht. Er ist zu den Opfern gegangen. Er hat Menschen vergeben, die sich selbst nicht vergeben konnten. Selbst der Tod war nicht das Ende. So viel Gutes und noch viel mehr. Und dann suchen Menschen im Bösen Zeichen dafür, dass die Welt besser wird? Versteh ich nicht.
Was ich verstehe, ist was anderes. Wir Menschen brauchen Zeichen. Wir sehnen uns nach Sicherheit. Und scheinbar geben uns Zeichen genau das. Wenn der Lehrer die Arbeit in der Mitte mit einem Lächeln zurückgibt, kann sie nicht schlecht gewesen sein. Wenn ich meinen Glücksschuh trage, schieße ich bestimmt ein Tor. Wenn meine Frau mein Lieblingsessen kocht, dann hat sie bestimmt gute Laune und ich kann ihr auch was Unangenehmes sagen. Moment mal! Hat sie vielleicht ein schlechtes Gewissen und will mir was beichten und mit dem Essen gut Wetter machen? Zeichen halt.
Wenn der Menschensohn kommt, wenn das, wofür Jesus steht, wenn das Gute, wenn die Liebe diese Welt endgültig und total verändern, dann ist das nicht vorhersehbar. Wie ein Blitz, der den ganzen Himmel hell macht. Plötzlich, oh-ne Vorhersage, werden wir das Gute, das neue Leben haben. Plötzlich, ohne Vorwarnung, werden wir eins sein mit Gott. Nicht durch die Zeichen, bei denen wir glauben, wir müss-ten ihnen irgendwie nachlaufen.
Liebe kann ich nicht planen. Liebe kann ich nicht vorherse-hen. Sie trifft mich, sie trifft die Welt wie ein Blitz. Oder gar nicht.
Wenn sie jetzt reinkommt und lächelt, wenn sie die Blumen sieht, den Tisch, den Wein…“. Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Die Tasche, der Mantel, einfach in die Ecke geschleudert. Er scheint Luft zu sein. Kein Lä-cheln, kein freundliches Wort. Blumen, Tisch - das existiert gar nicht. Sie wirft sich auf die Couch, dreht das Gesicht zur Wand. In diesem Moment scheint der sowieso schon schwarze Himmel völlig auf ihn einzustürzen und ihn zu Tode zu quetschen. Alle Zeichen stehen auf…
Wie von ganz weit weg hört er ihre Stimme. „Schatz, die letzten Wochen waren so blöd. Du weißt schon. Lass uns essen gehen. Ich hab keine Lust, zu kochen oder aufzu-waschen. Ich mach mich nur schnell frisch…“ Sie steht auf, nimmt ihn in den Arm, gibt ihm einen Kuss auf die Nase, lächelt, geht ins Bad. Und der Himmel…
Amen
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