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Freitag, 30. Oktober 2009

Hohe Berge - Reformationstag 2009, Reihe I


Text: Mt 5,2-10

Liebe Gemeinde!

Wer ist eigentlich wirklich ein Christ? Bin ich überhaupt ein Christ? Wie komme ich zu Gott? Der ist doch weit weg, der interessiert sich doch nicht für mich! Das ist mir zu schwer, zu kompliziert, Christ zu sein! Ich glaube zwar an Gott, aber trotzdem lebe ich doch nicht christlich. Fragen, Aussagen von Zehntklässlern in einer Vertretungsstunde in der letzten Woche. Und nicht nur bei Zehntklässlern oder manchmal auch Konfirmanden, auch bei Taufeltern oder älteren Menschen, die ich bei Geburtstagsbesuchen kennen lerne, bei Angehörigen, die im Altenheim zu Besuchen dazu kommen tauchen genau die Fragen und Bemerkungen auf. Menschen, die nicht selbstverständlich regelmäßig in den Gottesdienst kommen, die nicht selbstverständlich in der Bibel lesen oder beten haben oft den Eindruck, dass es ganz schwer ist, Christ zu sein, an Gott zu glauben und auf ihn zu vertrauen. Und wenn ich mich selbst anschaue, dann merke ich, dass auch ich als Pfarrer manchmal ganz ähnliche frage oder denke: Was muss ich eigentlich machen, damit ich ein guter Christ bin? Schaffe ich das überhaupt? Ist das nicht in einer Welt wie heute, in der Leben so vielfältig und kompliziert geworden ist, nicht viel zu schwer?

Ich habe heute ein Bild verteilt. Der Mount Everest ist darauf zu sehen, der höchste Berg der Welt, fast 9000 Meter erhebt sich der Gipfel über den Meeresspiegel. Wer mich kennt und weiß, dass ich Berge mag, findet es vielleicht nicht ganz so merkwürdig, aber es hört sich trotzdem vielleicht komisch an: dieser Berg, der Predigttext von heute und die Erinnerung daran, dass wir heute auch den Reformationstag nachfeiern und uns an Martin Luther erinnern, haben mir dabei geholfen, bei den ganzen Fragen über die Schwierigkeiten, Christ zu sein und als Christ zu leben, etwas klarer zusehen. Zwei, drei Punke gibt es, bei denen ich glaube, dass der Berg, das Gebirge, manches wirklich anschaulich machen kann.

Da ist einmal die Frage: Wie komme ich da hoch? Auf den Mount Everst kommt nicht jeder. Da braucht es jahrelanges Training, Ausdauer, Geschick, und vor allem: viel, viel Geld. Ich muss die Anfahrt bezahlen, Bergführer bezahlen, die Ausrüstung bezahlen. Es ist schwer und teuer. Christsein als Frage des Geldes und der Anstrengung? Das hat schon Martin Luther beschäftigt. Es gab damals Menschen, Tetzel hieß einer von ihnen, die haben den Menschen erzählt, sie müssten nur für ihre Sünden bezahlen und schon hätte Gott sie wieder liebe. Und es gab Menschen, die haben erzählt, dass man sich nur genug Mühe geben müsste und genug gute Taten vollbringen müsste, möglichst perfekt werden müsste, und schon wäre man ein guter Christ und Gott nahe. Martin Luther hat erkannt, dass beides nicht stimmt. Weder Geld noch eigene Anstrengung bringen Menschen auf Dauer Gott nahe. Da bin ich wieder beim Berg, der ja in vielen Religionen als Wohnsitz der Götter angesehen wird und auch im Judentum, zum Beispiel bei den 10 Geboten, und im Christentum, unser Predigttext ist ja Teil der Bergpredigt, ein Bild dafür ist, Gott nahe zu sein. Ich kann mir noch so viel Mühe geben, mich noch so sehr anstrengen, noch so viel Geld ausgeben und noch so viel tun, um das Ziel, am Gipfel anzukommen, zu erreichen: ich werde nie am Gipfel bleiben. Am Ende stehe ich wieder unten. Vielleicht mit dem schönen Gefühl, es mal geschafft zu haben. Aber auf Dauer kann ich nicht oben bleiben. Auf Dauer bringt mich nichts, was ich tun kann, wirklich nahe zu Gott. Immer wieder gibt es im Leben auch Abstiege und die Erfahrung, dass Anstrengungen, gut zu sein, Gutes zu tun, nicht reichen, sondern dass sich auch immer wieder die andere, dunkle Seite im Menschen, das Aufgeben, nach unten gehen, bemerkbar macht. Wer aus der Bergpredigt den Schluss zieht, er müsse alle Anstrengungen unternehmen, um immer friedfertig, barmherzig, sanftmütig, reinen Herzens und gerecht zu sein, wird scheitern. Jesus sagt in der Bergpredigt nicht: Ihr müsst euch anstrengen, dass ihr sanftmütig, friedfertig, reinen Herzens seid und wenn ihr das geschafft habt, seid ihr selig, seid ihr besonders nahe bei Gott. Sondern er stellt ganz einfach fest: dort, wo das jetzt da ist, wo Menschen an Unrecht leiden, wo Menschen friedfertig sind und barmherzig sind, also vergebungsbereit und bereit, auf den eigenen Vorteil zu verzichten, da ist jetzt schon ein Stück Himmel auf der Erde. Die, von denen man vielleicht sagt: Das sind doch die Opfer, die am Boden liegen, das sind die, die eigentlich auf dem Gipfel stehen.

Und da bin ich beim zweiten Punkt, der mir diesen Berg für die Bergpredigt so wichtig gemacht hat. Das, was unten liegt, wird ins Licht gestellt und nach oben geholt. Die größten Berge der Welt sind so ähnlich entstanden. Da sind zwei Kontinente, zwei Welten aufeinander geprallt und das, was ganz unten, unsichtbar, war ist nicht nur ans Licht gekommen, sondern hat sich zu beeindruckenden, majestätischen Gebirgen aufgetürmt. Da stoßen zwei Wirklichkeiten zusammen. Die Welt, die Erfolge sehen und messen will. Die Welt, in der Opfer nichts gelten, die Opfer, Schwache braucht, damit andere oben stehen können. Die Welt, die das Unrecht feiert, weil der Stärkere es nutzen kann, um sich vom Schwächeren zu nehmen. Die Welt, in der nicht Barmherzigkeit, Vergebung, Verzicht auf den eigenen Vorteil, sondern das oft genug rücksichtslose Durchsetzen der eigenen Interessen, das Aufrechnen und Gegenrechnen von Schuld wichtig ist. Diese Welt stößt zusammen mit der Welt Gottes. In Jesus greifbar geworden. Mit der Welt Gottes, der auf der Seite der Opfer steht. Mit der Welt Gottes, der Liebe und Vergebung und nicht Rache und Gewalt will. Mit der Welt Gottes, in der Liebe stärker als der Tod ist. Da stoßen zwei Welten zusammen - und erstmal wird nichts vernichtet, aber eine neue Wirklichkeit wird sichtbar. Eine Wirklichkeit, die größer und schöner ist als das, was bisher für normal und richtig und unverrückbar gehalten wurde. Die Opfer der alten Welt kommen nicht nur ans Licht, sondern ihnen wird eine besondere Würde und Wertschätzung zugesprochen. Die alte Welt ist noch da. Aber die Zeichen für das neue, für die große Wirklichkeit der Liebe Gottes werden unübersehbar. Wie beim Entstehen der Gebirge geschieht dieses Auffalten der neuen Wirklichkeit nicht ohne Brüche und Schmerzen, nicht ohne Widerstände. Und so, wie die Gebirge auch heute noch wachsen, wächst die neue Wirklichkeit weiter. Sie ist noch nicht fertig. Aber wir können sie sehen und staunend davor stehen.

Und da ist das dritte, was mir am Bild des Berges wichtig geworden ist, das ist das, was ein Mensch sehen kann, wenn er tatsächlich vor einem Berg steht. Wenn ich hoch schaue, erkenne ich, wie klein ich eigentlich bin, wie schutzbedürftig, manchmal auch schwach, wie arm angesichts dieser Größe. „Selig sind, die geistlich arm sind“ - für mich heißt das nicht nur: Gott hat ein besonders Auge auf die, die mit nicht so viel Intelligenz ausgestattet sind, Gott hat ein Auge auf die in ihrem Geist und ihrer Seele Kranken, auf die mit geistigen Einschränkungen. Das heißt es für mich sicher auch. Aber es heißt auch, gerade im Blick auf die mit weniger solchen Einschränkungen: Gott ist denen besonders nahe, die sich ihrer eigenen Armut, ihrer eigenen Fehlbarkeit und ihrer eigenen Schwäche bewusst sind. Denen, die sich trauen, das ehrlich einzugestehen. Denen, die wissen, dass sie sich oft genug schwer tun mit dem Glauben, mit der Liebe, mit der Hoffnung, die aber nicht aufgeben wollen. Denen, die anderen keine geistige oder moralische Größe vormachen, die sich nicht aufblasen, sondern die als Arme und Bedürftige unter Armen und Bedürftigen leben. Für mich ist dieses Dastehen vor dem Berg aber nichts, was mich hoffnungslos macht. Als Christ muss ich weder mir noch anderen ständig sagen, wie schlecht die Welt im Ganzen ist und ich im Besonderen bin. Nein, ich darf staunend dastehen: obwohl ich so klein bin, so arm, ist diese große andere, neue Wirklichkeit auch Teil meiner Wirklichkeit. Ich darf mich am Berg, an der Güte Gottes freuen. Ich darf staunen, wie anders die Welt sein kann.

Sind das nicht am Ende doch nur romantische Träumereien? Was haben die Opfer davon, dass in der Bibel steht, dass Gott ihnen besonders nahe ist? Was haben die, die auf Gewalt verzichten, davon Gottes Kinder zu sein, wenn sie, wie Dominik Brunner in München, erschlagne werden. Was haben die, die verfolgt werden, weil sie sich für Gerechtigkeit einsetzen davon, dass ihnen der Himmel gehört, wenn sie auf der Erde gefoltert werden, in Gefängnissen sitzen oder, weniger dramatisch, entlassen werden oder schlechte Noten bekommen? So, wie die Berge kein Traum sind, ist diese neue Wirklichkeit da. Sie kann Kraft geben. Hans Kammerlander, ein Extrembergsteiger, wurde mal gefragt, warum er immer wieder auf diese Berge steigt. Er hat gesagt: „Weil sie da sind“. Ja, die Wirklcihekit sit da. Wir werdne nie perekte Liebende und Gerechte sein und Anstrengungen werden scheitern. Wir bleiben angesichts der Größe der Liebe Gottes Arme und Bedürftige. Aber wir dürfen uns von dieser neuen Wirklichkeit anspornen lassen. Auch wenn mit unserer Macht und Kraft nichts getan ist. Wir müssen diese Wirklichkeit nicht herstellen. Aber wird dürfen mit ihr leben, auf sie zu gehen und aus ihr Kraft und Trost und Hoffnung gewinnen. Wir dürfen uns an ihr freuen. Sie ist da. Auch, wenn sie manchmal, wie ein Berg, nebelverhangen ist, unsichtbar zu sein scheint und an manchen Tagen vielleicht nur als schwaches Bild in unserer Erinnerung scheint. Amen

Lass mich nicht in Ruhe! - 17. n. Tr., 11.10.2009, Reihe I

Text: Mt 15,21-28

Liebe Gemeinde!

„Lasst mich doch einfach mal in Ruhe!“ - Können Sie sich vorstellen, dass Jesus so gedacht hat? Jesus war doch mehr als nur ein guter Mann. Als Gottes Sohn war er rund um die Uhr im Einsatz für die Kranken, Armen, Bedürftigen, für die großen und kleinen Sorgen und Nöte der Menschen. Wahrer Gott eben. Nein, so einer wird nie müde, will nie Ruhe haben. Aber Jesus ist eben nicht nur wahrer Gott, er ist auch wahrer Mensch. Was für mich eigentlich das Schönste am christlichen Glauben ist, ist, dass Gott uns Menschen da abholt, wo wir sind. Durch Jesus und in ihm kommt uns Gott entgegen. Er sagt nicht: „Bevor ich irgendwie für euch da bin, müsst ihr viele tausend Regeln befolgen und Bedingungen erfüllen und mir eure Liebe und Verehrung beweisen.“ Er sagt: „Bevor ihr überhaupt wirklich lieben könnt, komme ich euch entgegen, hole ich euch da ab, wo ihr seid, kenne ich längst eure Nöte. Ich bin für euch da, bevor ihr für mich da sein könnt. Ich liebe euch. Und deshalb könnt ihr auch lieben.“ Jesus ist eben auch wahrer Mensch. Und deshalb kann er den Menschen, uns Menschen, wirklich helfen und uns wirklich nahe sein. Hier, in dieser Geschichte aus dem Neuen Testament, wird das für mich wieder sehr deutlich. „Lasst mich doch einfach mal in Ruhe!“ Dieses Gefühl: Ich brauche jetzt mal Abstand, das außer mir sicher auch noch andere hier kennen, das steht ganz am Anfang. Jesus zieht sich zurück in die Gegend von Sidon und Tyrus. So fängt die Geschichte an. Er geht weg von den Menschenmassen, in eine Gegend, in der die Menschen eine ganz andere Religion haben. In eine Gegend, in der ihn vermutlich keiner kennt und keiner was von ihm will. Vorher wird erzählt von großen Reden, die Jesus gehalten hat, von Heilungen, von vielen Menschen, denen er begegnet ist und die etwas von ihm wollten. Jetzt reicht es ihm scheinbar. Mit seinen engsten Freunden will er auftanken. Neue Kraft für neue gute Taten sammeln. Und ausgerechnet da, wo man gar nicht vermuten kann, dass ihn überhaupt jemand kennt und was von ihm will, ausgerechnet da belästigt ihn eine Frau. Eine mit einer fremden Religion, eine, für die er doch gar nicht zuständig ist. „Sorg doch dafür, dass sie endlich Ruhe gibt“ - die Jünger, die Freunde von Jesus, sie sind genervt. Und Jesus reagiert gar nicht. So kennen wir ihn gar nicht, oder? Jesus, einer von uns, einer wie wir? Genervt, Ruhebedürftig, schlecht gelaunt?

Oder ist die Frau eine wie wir? Eine, die verzweifelt ist. Ihre Tochter ist schwer krank. Keiner kann der Tochter helfen. In ihrer Not sind ihr der Anstand, die Sitten, die Bräuche, die Religion egal. Hauptsache, ihrer Tochter wird geholfen. Dass eine Frau einen Mann anspricht - damals undenkbar. Dass eine Heidin, eine Ungläubige, etwas von einem jüdischen Lehrer und Meister will - ging gar nicht. Und dass sie ihn dann auch noch mit den besonderen Ehrentiteln „Sohn Davids“ und „Herr“ anredet, dass darf sie doch eigentlich gar nicht, sie glaubt doch an andere Götter! Aber in ihrer Not weiß sie sich nicht anders zu helfen. Für ihre Tochter tut sie alles. Und wenn Jesus wirklich so ein Freund der Menschen ist, wie immer erzählt wird, dann muss er doch auch für sie da sein! Ja, ich hoffe, dass die Frau eine von uns ist. Ich hoffe, dass wir wie die Frau sind. Dass wir uns nicht abspeisen lassen und nicht schnell zufrieden geben, wenn es um das Leben von Menschen geht, die uns wichtig sind. Dass wir uns trauen Jesus, Gott, anzusprechen, ihn auf die Liebe, die er doch nicht nur sein will, sondern auch ist, festnageln und uns nicht damit zufrieden geben, dass er manchmal einfach schweigt. Im Konfirmandenunterricht haben wir in den vergangen Wochen auch über das Gebet geredet. Und mehrere Konfirmanden haben das gesagt, was doch jeder, der es einmal ernsthaft mit dem Beten versucht hat, wahrscheinlich nachvollziehen kann: „Aber Gott antwortet doch nicht. Er lässt auch sinnvolle Bitten unerfüllt, er spricht nicht direkt so, dass ich es verstehen könnte.“ Ich wünsche allen, die diese Erfahrung machen, die Kraft der Frau in der Geschichte, die sich vom Schweigen nicht irre machen lässt, die dagegen hält, als sie eine Antwort bekommt, die sie nicht versteht, ich wünsche allen, die diese Erfahrung machen, die Kraft, dranzubleiben, dagegenzuhalten, die Hoffnung nicht zu verlieren. Wir dürfen Gott mit unseren Anliegen wirklich ansprechen. Das macht die Geschichte deutlich. Glauben, der Zweifel und Zurückweisung überwindet, hat eine Hoffnung und eine Verheißung.

Mir ist diese Geschichte wichtig geworden. Nicht nur, weil Jesus hier auch menschlich begegnet, und ich so wissen darf, dass mich auch meine manchmal schwierigen Seiten, Gereiztheit, Ruhebedürftigkeit und manches andere mehr nicht von ihm trennen. Gott kennt mich und meine Schwächen. Und in dieses Leben kommt er. Nicht in ein ideales Leben. Mir ist die Geschichte nicht nur wichtig, weil sie von der Hoffnung erzählt, dass Gott zuhört, dass er Not wirklich wendet. Mir ist sie vor allem auch deshalb wichtig, weil er das so tut, dass er auch Grenzen, die Menschenziehen, überwindet. Dass er auch die Grenzen, die auf ihn zurückzuführen sind, die Grenzen der Religionen, überwindet. Gottes Liebe macht nicht dort Halt, wo der Glauben an ihn seine Grenze hat. Die durch Jesus sichtbare Menschlichkeit Gottes lässt Menschen die Menschenfreundlichkeit Gottes erkennen. Es ist menschlich, dass wir Grenzen brauchen. Wir wären von einer Forderung nach Grenzenlosigkeit überfordert. Grenzen geben auch Halt und Orientierung. Da, wo zum Beispiel auch in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Grenzen vorenthalten werden, wird Leben schnell unmenschlich. Wir brauchen Grenzen. Nicht als absolute Trennung, sondern zur Orientierung, als Einladung, daran zu wachsen, zu schauen, wo sie nötig oder überflüssig sind. Aber diese Grenzen von uns dürfen wir nicht zu Grenzen Gottes machen. Hilfe, Zuwendung, zuhören, reden nur für die, mit denen, die so sind, so denken, so glauben wie wir - das ist nicht Gottes Programm. Menschsein, Menschlichkeit - das hat keine Grenze, das darf keine Grenze haben. Der wahre Mensch Jesus hat Gottes Liebe, Gottes Kraft über die Grenzen hinaus getragen und so Wege zu Gott geöffnet, von denen die Menschen, die an Gott glaubten, dachten, dass es sie gar nicht gäbe. Wenn wir als Menschen Gottes Liebe einschränken wollen, anderen vielleicht auch Glauben absprechen wollen, dann müssen wir mehr als nur vorsichtig damit sein. Jesus ist für Überraschungen gut, Gottes Liebe ist für Überraschungen gut.

Aber bei allem, was für mich in dieser Geschichte schön und wichtig ist, eine Frage bleibt. Die Tochter wird gesund. Der große Glaube der Frau hat geholfen. Aber wie ist das bei den vielen Söhnen und Töchtern, die nicht gesund werden? Bei dem Sohn, der an Leukämie stirbt und nach dessen Tod die Familie zerbricht? Bei dem Mädchen, dass die Schrecken des Missbrauchs nie verkraftet hat und dessen Leben in eine tödliche Spirale aus Abhängigkeiten gerät? War dort, war bei viel zu vielen anderen Fällen der Glauben etwa nicht groß genug? Nicht jeder, der glaubt, erfährt wirklich diese Hilfe - oder, und da sind wir wieder bei den Schwierigkeiten, die nicht nur Konfirmandinnen und Konfirmanden mit dem Beten haben, er erfährt diese Hilfe nicht so, dass er sie als Hilfe auch erkennt und wahrnimmt. Auch wenn ich lange predigen und reden kann - manchmal bin ich auch sprachlos. Gerade wenn es um die Erfahrungen geht, die in der Geschichte auftauchen. Um Krankheit und erfolgreiche oder eben erfolglose Versuche, sie zu beseitigen. Glauben und Gesundheit - nein, einen automatischen und immer erkennbaren Zusammenhang kann ich nicht sehen. Ich wünsche mir dann, dass ich auch dann so sein kann wie die Frau - mit Durchhaltevermögen und dem Mut, auch kritische Fragen zu stellen. Und dass ich die Hoffnung auf eine Antwort, die ich verstehe, nicht verliere. Diese Hoffnung und diese Kraft wünsche ich uns allen. Damit wir mitten in diesem oft so fragwürdigen Leben Gottes Zuwendung und Nähe erfahren, die Liebe des Mensch gewordenen Gottes, der unsere Not kennt, der uns liebt, bevor wir überhaupt auf die Idee kommen, ihm irgendetwas zurückgeben zu müssen. Ich wünsche uns, dass wir die Hoffnung behalten, auch dann, wenn wir uns schwer tun. Damit wir unsere Grenzen aushalten und Gott zutrauen, dass er größer ist als unsere Grenzen. Auch wenn wir manchmal zu anderen sagen: „Lasst mich doch in Ruhe“ - Gott lässt uns nicht endgültig in Ruhe. Wir sind geliebt. Gott sei Dank.

Überflüssig!? - Erntedankfest 2009

Text: Lk 12,16-21>

Anspiel:

A: sehr habgieriger Mensch / B: macht bei A mit, wird dann von ihm im Stich gelassen, C, D: erstmal Opfer der Habgier von A (und B)

A: Ich bin froh, dass ich genug Kohle hab. Hartz IV und immer rechnen, das wär nichts für mich!

B: Ja, da müsste man immer in so Billigkram rumlaufen. Und iPod oder iPhone wären auch nicht drin, höchstens so’n blödes altes Zeug.

A: Klar, aber guck mal. Siehst du den da drüben? Der hat auch n krasses Handy. Das hat der doch echt nicht verdient. Wollen wir ihm das abziehen?

B: Verdient hat der’s nicht, das Opfer. Aber lass den ruhig mal in Ruhe. Wir haben doch unsere iPhones.

A: Na und? Der Trend geht klar zum Zweithandy. Und ich brauch jetzt noch eins. Ich will doch nicht jeden Tag mit dem Gleichen telefonieren!

C: Hallo!

A: Was quatscht du uns denn an? Wer hat dir das denn erlaubt?

C: Ich geh ja schon, schon gut!

B: Moment, so einfach kommst du hier nicht weg.

C: Lasst mich doch in Ruhe!

A: Das könnte dir so passen. Du hast was, was eigentlich uns zusteht!

C: Quatsch!

A: Du hast so ein Handy gar nicht verdient. Nen Blackberry könnte ich gut gebrauchen.

C: Aber du hast doch schon ein iPhone! Mein Patenonkel hat mir das geschenkt, sonst hätte ich es mir ja nie leisten können.

B: Siehst du, du hast es nicht verdient.

A: Und jetzt her damit. Du kennst doch Sascha und Kolja. Und wenn wir denen erzählen, was du neulich in der Schule über die gesagt hast und dass du damit dafür gesorgt hast, dass die jetzt fliegen…

C: Macht das nicht!

B: Dann her mit dem Blackberry!

A: Und zwar sofort. Und wehe, du sagst was! Du bist doch versichert. Erzähl doch, dass ein Laster drüber gefahren ist! Los, her damit und hau ab!

Kurz danach

B: Ich hab jetzt Hunger.

A: Ich auch. Guck mal, da kommt einer, der bestimmt Geld dabei hat.

B: Den kenn ich, der hat bestimmt nichts. Der geht nie auf Geburtstage, weil die es sich nicht leisten können, Geschenke zu kaufen.

A: Aber heute wird das Geld für die Klassenfahrt eingesammelt. Und ich weiß, dass der immer ein bisschen bezahlt, den Rest kriegt er vom Förderverein. Und das bisschen Geld hat er jetzt dabei. Reicht bestimmt für zweimal Subway!

B: Hey, komm mal her!

D: Ich?

A: Siehst du sonst noch jemanden? Wir haben Hunger!

D: Und?

A: Kohle her oder ich mach dir das Leben hier an der Schule so zur Hölle, dass du dir wünscht, nie geboren worden zu sein.

D: Aber ich brauch doch das Geld für die Klassenfahrt!

B: Quatsch, du erzählst halt, dass es diesmal gar nicht reicht und der Förderverein alles bezahlen muss. Und jetzt her damit und wehe du sagst was!

Einige Tage später

B: Hey, Glück muss man haben! Weißt du noch, das Preisausschreiben von neulich? Wir haben gewonnen! 5.000,-- Euro!

A: Ich weiß!

B: Woher denn? Die Mail hab ich doch gekriegt!

A: Bist du so blöd oder tust du nur so? Ich kenn doch dein Passwort. Meinst du, du kannst das an mir vorbei machen?

B: Wollte ich doch gar nicht! Du bist total fies!

A: Quatsch, ich geh nur gern auf Nummer sicher. Und deshalb habe ich denen auch schon meine Kontonummer gegeben. Und das Geld ist auch schon da.

B: Dann kannst du mir ja meinen Anteil überweisen. Aber fies ist das schon!

A: Wovon träumst du nachts? Du kriegst gar nichts! Wer so blöd ist wie du, hat es nicht besser verdient!

B: Und ich dachte, wir wären Freunde…

Liebe Gemeinde!

Freundschaft kann man nicht kaufen, nicht klauen, nicht erpressen. Für manche Menschen ist es das Wichtigste auf der ganzen Welt, möglichst viel für sich zu haben. Nicht viel Freundschaft, sondern viel Geld, viel Besitz, egal, wie es dazu kommt. Echte Freunde dabei zu finden, das geht gar nicht. Andere Menschen sind gut, solange sie einem dabei helfen, was für sich zu kriegen. Und sie sind lästig und im Weg, wenn man mit ihnen teilen muss. Das, was ich für mich habe, ist das einzige was zählt. Egal, mit welchen Mitteln und woher ich das kriege. So leben diese Menschen. Das ist schon ein bisschen anders, als es in der Geschichte aus der Bibel war, die wir vor dem Lied gehört haben. Der Bauer in der Geschichte hat seinen Reichtum ehrlich bekommen. Aber er hat auch gedacht, dass sein Besitz ihn von allen seinen Sorgen befreit und dass materieller Besitz das Wichtigste im Leben ist. Was gehört mir eigentlich im Leben? Was brauche ich? Was ist mir geschenkt? Wofür kann ich eigentlich wirklich „Danke“ sagen? Und kann ich das überhaupt noch? Oder habe ich das Gefühl, alles selbst nehmen oder machen zu müssen? Das Erntedankfest, das wir heute feiern, ist für mich ein Fest, in dem es nicht nur darum geht, was eigentlich im letzten Jahr auf dem Feld oder im Garten gewachsen ist, und wofür ich da dankbar sein soll oder kann. Erntedankfest ist für mich ein Fest, das die Chance bietet, mal drüber nachzudenken, welche Einstellung ich zum Leben, zum Besitz, zum Verdienen habe. Und vielleicht auch einen Ort zu finden, an dem die Seele wirklich Ruhe finden kann, einen Ort, der sicherer ist als volle Scheunen, volle Bankkonten, teure Handys oder scheinbare Freunde, die doch nur dazu gut sind, beim Ausnutzen von anderen zu helfen.

Etwas ganz anderes haben wir am Anfang vom Gottesdienst heute gesungen: Danke für alle guten Freunde, danke oh Herr für jedermann - für mich ist das der Beginn eines ErnteDANKfestes, wenn ich mich als Mensch unter Menschen begreifen kann. Der Beginn einer gesunden Seele, die sich nicht als Insel begreift, in der man sich gegen andere absichert, sondern einer Seele, die sich für das Leben, die Menschen und auch die Unsicherheiten öffnet. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele schaden nimmt? so heißt es an anderer Stelle in der Bibel. Dadurch, dass ich mich als Mensch unter Menschen sehen kann, dass ich die Welt nicht als Eigentum, sondern als gute Leihgabe sehen kann, öffne ich mich, meine Seele, für Gottes Geschenk, für das Leben. Wenn ich mich abschließe von anderen, vom Leben, das manchmal auch Risiken hat, schließe ich mich damit auch von Gott ab. Das wollte der Bauer in der Geschichte. Und das wollte die eine, die zum Schluss übrig blieb, in der Geschichte der Konfis.

Mensch unter Menschen sein, das Leben mit seinen Möglichkeiten als Leihgabe und nicht als Eigentum sehen - geht das denn? Sind wir nicht doch eher Egoisten, Menschen die alles haben wollen? Sicher, perfekt sind wir nicht. Und ich glaube auch, dass es eine Überforderung wäre, wenn wir auf alles, was wir über das absolut Notwendige hinaus haben, verzichten müssten. Aber ich glaube auch, dass es gut ist, sich immer mal wieder darauf zu besinne, woher mein Leben eigentlich kommt, was ich eigentlich alles habe. Und wofür ich auch dankbar sein kann, was oft genug auch wirklich unverdient gut ist.

Hier vorn auf dem Altar gibt es zwei Teile: der eine Teil, den man vom Erntedankfest auch erwartet. Brot, Obst Gemüse, Blumen. Lauter eigentlich selbstverständliche Sachen. Ich will jetzt nicht mit dem Zeigefinger drohen und sagen: dafür müssten wir alle immer dankbar sein. Zu viele Menschen auf der Welt haben das nicht. Wer im Krieg oder in anderen Notzeiten froh war, wenn es überhaupt Brot gab und wenn das Wasser genießbar war, der weiß das zu schätzen. Meine Generation und erst recht die, die noch jünger sind, haben doch nur den zumindest relativen Überfluss erlebt. Ich will jetzt kein schlechtes Gewissen machen, nur weil Gott sei Dank vieles für uns selbstverständlich ist.

Auf dem anderen Teil des Altars sind andere Dinge zu sehen. Sekt. O-Saft. Exotische Lebensmittel. Computer. Schulheft. Ein Autoschlüssel, weil das Auto doch zu groß war. Zeichen für zumindest ein bisschen Luxus. Ich will jetzt kein schlechtes Gewissen machen und sagen: wir müssen lernen, auf so was zu verzichten, wir müssen uns auf die Natur und was Gott uns durch sie schenkt konzentrieren.

Nein. Ich bin dankbar, dass unser Leben meistens eben kein Kampf um das tägliche Überleben ist, sondern dass wir mehr haben. Ich bin dankbar, dass Kinder bei uns in die Schule gehen dürfen und nicht unter unwürdigen Bedingungen als Sklaven arbeiten müssen. Ich bin dankbar, dass ich nicht nur Wasser zu trinken habe und dass wir mobil sein können und dadurch andere Städte und Länder, andere Menschen und Ideen kennen lernen können. Dankbar, dass ich damit leichter als Mensch unter Menschen leben kann und nicht gegen andere um mein Dasein kämpfen muss. Dankbar, dass ich leben darf - und dass mit manches im Leben leichter fällt oder gemacht wird. Dankbar leben - das ist das Stichwort. Gott hat uns die Erde mit ihren Möglichkeiten gegeben, damit wir LEBEN - wer wie der Bauer oder die eine im Anspiel nur den Besitz sieht und glaubt, der würde Ruhe und Sinn verschaffen, der verpasst das Leben. Weil er sich an letztlich tote Dinge hängt. Weil er Hilfsmittel, Nebensächlichkeiten, zur Hauptsache werden lässt. Dankbar LEBEN - für mich heißt das, die Möglichkeiten erkennen und annehmen und, trotz allem, was dabei schief geht, etwas damit machen. Für andere und für sich. Andere zum Leben einzuladen, so wie Gott uns zum Leben einlädt. Immer wieder neu. Auch dann, wenn wir uns schwer mit dem Leben tun. Gott gibt uns nicht auf. Gebe Gott, dass wir daraus Kraft zum dankbaren Leben als Mensch unter Menschen ziehen. Amen