Liebe Gemeinde!
Was für ein Typ sind sie? Sind sie eher jemand, der vor Energie sprüht, tausend gute Gedanken hat und gar nicht weiß, wie er sie alle umsetzen soll? Sind sie deshalb auch manchmal traurig und brauchen jemanden, der tröstet, weil nicht alles so geklappt hat, wie sie es wollten? Oder sind sie eher jemand, der oft nicht so genau weiß, was nun das Richtige ist, sich schwer entscheiden kann, jemand, der sich manchmal sich bequem vor Entscheidungen drückt oder sich oft genug nicht traut? Brauchen sie dann Aufmunterung, jemanden, der sie stark macht? Egal, welcher Typ sie sind: Sie sind ein klarer Fall für den Heiligen Geist. Heute feiern wir Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes - ihr Fest, unser Fest. Im Johannesevangelium, ich habe es eben vorgelesen, beschreibt Jesus den Heiligen Geist genau so: „der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Jesus hat ja nicht deutsch gesprochen und das Neue Testament ist auch nicht in Deutsch aufgeschrieben worden. Das Wort, das im Griechischen für „Tröster“ da steht, das heißt noch viel mehr. Es heißt nicht nur „Tröster“ sondern auch „der, der einen aufmuntert, der einen antreibt, der einen stärkt“. Wenn ich es möglichst kurz sagen soll, dann würde ich sagen: „der, der zum Leben anstiftet“. Ich glaube, dass diese ganzen verschiedenen Bedeutungen eigentlich zusammengehören. Jeder von uns kennt, denke ich, Zeiten im Leben, in denen Trost wirklich nötig ist. Am auffälligsten ist das dann, wenn man sich allein und verlassen fühlt. Weil ein Mensch, den man liebt, gestorben ist. Weil ein Mensch, den man liebt, einen verlassen hat. Weil ein Mensch, dem man vertraut hat, einen enttäuscht hat. Natürlich fallen einem da in allererster Linie Menschen ein, die einen trösten. Vielleicht dadurch, dass sie gut zuhören oder einen guten Rat geben können, vielleicht aber auch, weil sie im richtigen Moment einfach mal den Mund halten können und einfach nur da sind. Klar, diese Menschen sind erstmal nicht Gottes Heiliger Geist. Aber vielleicht ist sich ja doch die Frage erlaubt, wer oder was diesen Menschen die Kraft gibt, im richtigen Moment das Richtige zu tun um zu trösten. Getröstete Menschen können sich wieder neu dem Leben widmen, nach vorne sehen und einen Weg finden. Für mich ist das auch eine Gabe, eine Wirkung des Geistes Gottes. Und das gilt nicht nur für Situationen, in denen man Trost braucht - oder vielleicht auch andere trösten kann - sondern auch dann, wenn man mal wieder einen Antrieb braucht, weil man denkt, dass sich sowieso alles nicht lohnt, eine Aufmunterung oder eine Stärkung, weil man glaubt, dass einem alles über den Kopf wächst und man gar nicht alles schafft, was jetzt nötig ist. Gottes Geist stiftet zum Leben an. Vielleicht gar nicht immer direkt, so dass ich sagen kann: „Ha, das war er jetzt, der gute Geist!“, sondern oft sicher auch so wie bei einem Billardspiel: da wird ein anderer angestoßen, der mich dann anstößt, so dass es mit mir und meinem Leben weitergeht. Aber nicht irgendwie und egal wohin, sondern Jesus sagt ja: über den Tröster, den Stärker, den Mutmacher: der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Je nachdem, wo man gerade im Leben steht, stellt man sich da vielleicht ganz verschiedene Möglichkeiten vor. Als Jugendlicher hört man da vielleicht zuerst die Spaßbremse, die einem alles verbieten will und dafür sorgen will, dass man ein langweiliges und angepasstes Leben führt. Da ist schon wieder einer, der einen in eine bestimmte Richtung drängen will. Kann man vielleicht gerade gar nicht gebrauchen. Oder vielleicht gerade doch. Weil man nicht so richtig weiß, wo’s langgeht, weil man sich zerrissen fühlt, weil man es niemandem Recht machen kann - da wäre es ja gut, wenn einer mal sagt, wo’s gut und richtig ist.
Auch als Erwachsener gibt es diese Spannung. Manchmal hat man das Gefühl, nichts hören zu wollen - man weiß doch selbst, was für einen am Besten ist, man hat alles schon hundert mal gehört und es ändert sich nichts. Aber manchmal braucht man auch Hilfe und Anregungen, um aus den eigenen Denkblockaden wieder hinaus zu kommen. Um wieder mal mehr sehen zu können, als nur sich und seine kleine Welt. Oder aber man braucht die Bestätigung, dass der eigene Weg gut und richtig ist.
Heiliger Geist, der Tröster, der Anstifter zum Leben - der ist weder Nervensäge noch Spaßbremse. Es geht wirklich drum, wieder klar sehen und denken zu könne und eine gute Richtung zu bekommen. Jesus steht dafür, dass der Tod nicht die letzte Macht über das Leben hat. Jesus steht dafür, dass Leben Spaß machen darf, aber nicht auf Kosten von anderen. Jesus steht dafür, dass auch die dunklen Seiten im Leben, Schuld und Versagen, angeschaut werden können und dass Vergebung möglich ist, Umkehr von falschen Wegen. Jesus steht dafür, dass wir nicht festgelegt und festgenagelt werden, sondern befreit leben können. Nicht gegeneinander, nicht auf Kosten der Schwachen, sondern füreinander.
Wo das geschieht, da wohnt Gott. Mitten in dieser Welt, mitten in diesem Leben. „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ So drückt es Jesus aus. Gott wohnt nicht weit weg im Jenseits. Er ist obdachlos in dieser Welt - solange Menschen niedergemacht werden, so lange Menschen ausgebeutet werden, so lange Menschen die Augen vor ihrem eigenen Versagen zu machen und das nicht sehen wollen. So lange Menschen sich gegenseitig nicht Liebe, Respekt und Vergebung, sondern Neid, Missgunst und Rache schenken. Aber wie die Obdachlosen bleibt er da, Stein des Anstoßes, auch als Mahnmal dafür, dass es so nicht sein darf. Und dort, wo anders gelebt wird, wo Trost wächst, wo Menschen nicht niedergemacht, sondern stark gemacht werden, wo mit offenen Augen und Herzen gelebt wird, wo Vergebung keine leere Versprechung bleibt, findet Gott Heimat, Wohnung mitten im Leben. Für mich sind das die ersten und wichtigen Gaben und Auswirkungen von dem, was wir Heiliger Geist nennen.
Ich gebe es zu, dass ist nicht die große Show, von der die Bibel auch redet. Wir haben es eben gehört: Pfingsten, da soll konnten die Jünger plötzlich Fremdsprachen sprechen ohne sie lernen zu müssen - ein unerfüllter Traum von tausenden von Schülern, aber eine tolle Show. Und an anderen Stellen wird von wunderbaren Heilungen unheilbarer Krankheiten und anderen spektakulären Dingen erzählt. „Warum erzählt denn der Pfarrer nicht davon, von der großen Show? Wäre doch viel werbewirksamer.“ Wenn versprochen würde, Pfingsten heilt der Geist in unserer Kirche Krebskranke oder Rheumapatienten - die Bude wäre voll. Aber wenn der Geist wirklich Gottes Geist ist - wer bin ich denn, dass ich über ihn bestimmen könnte und ihm befehlen könnte, das zu tun, was mir gerade in den Kram passt. Und außerdem: ich denke, dass die größte Show überhaupt wäre, wenn das Wirklichkeit und spürbar wird, was Jesus sagt und was ich vorhin vorgelesen habe: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ Ohne Frieden - mit Gott, mit sich, in der Welt - bleibt alles andere zweitrangig. Man kann körperlich krank sein, aber trotzdem Frieden gefunden haben und dadurch andere begeistern und zum Guten anstecken. Man kann kerngesund sein und so unzufrieden, dass man nicht nur sich, sondern auch andern das Leben schwer macht. Von Neid, Ehrgeiz, Egoismus zerfressen. Die Welt gaukelt uns vor, dass wir Frieden finden, wenn wir reich sind oder Modelmaße haben oder stark und schön sind. Wenn Erfolg messbar oder sichtbar ist. Aber was heißt das schon? Ein Frieden, der darauf gründet, sich gegen andere abzugrenzen, ist bestenfalls ein Waffenstillstand. Der Geist gibt uns dagegen die Gewissheit, nicht um Liebe oder unseren Wert kämpfen zu müssen, sondern leben zu dürfen. Und in diesem Geist andere zum Leben zu ermutigen. Ein Frieden, der Unrecht und Ungerechtigkeit nicht um des lieben Friedens in Kauf nimmt, sondern der sich, im wahrsten sinn des Wortes begeistert, dran macht, die Wurzeln von Unrecht und Ungerechtigkeit anzugehen, damit wirklich Frieden wird. Dazu gebe uns Gottes Geist Mut, Kraft und Trost, wenn wir scheitern und auch schuldig an diesem Frieden werden. Damit wir nicht aufgeben, sondern Leben. Begeistert und begeisternd. Amen
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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Montag, 1. Juni 2009
Ansteckend leben - Pfinsgstsonntag 2009, Reihe I
Text: Johannes 14,23-27
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