Text: Lukas 15,11-32
Liebe Gemeinde!
Und wie geht es dann weiter, wenn die Kinder groß sind? Noch sind Amely und vor allem Noel in einem Alter, in dem sie zwar langsam einen eigenen Kopf und Willen entwickeln, aber trotzdem doch noch eine ganze Weile meistens das machen werden, was ihre Eltern ihnen sagen und als gut und richtig vorleben. Aber wie wird das sein, wenn sie im Alter von Feli oder Kata, von den Konfis sind, oder noch älter, 18, 22, 30? Werden sie dann immer noch machen, was gut und richtig ist? Werden sie immer noch auf einem Weg sein, den die Eltern gut finden oder werden sie ganz woanders landen?
Ich glaube, das schwierigste am Elternsein - und vielleicht auch am Pfarrersein, am Lehrersein, am Kirchengemeindesein - ist das Loslassen. Kinder, Jugendliche, manchmal ja auch Erwachsene loszulassen und sie einen Weg gehen zu lassen, mit dem man ganz und gar nicht einverstanden ist. Das tut weh, wenn man merkt, dass der Weg richtig schlecht ist. Deshalb habe ich jede Hochachtung vor dem Vater in der Geschichte, die wir gerade gehört haben. Er zickt nicht lange rum, er macht dem Sohn keine Vorwürfe und gibt keine gut gemeinten Ratschläge. Er lässt ihn seinen Weg gehen. Ich könnte das nicht. Die Geschichte ist ja auch ein Gleichnis, das Jesus erzählt, um den Menschen klar zu machen, wie Gott ist. Wenn der Vater also sozusagen für Gott steht, dann heißt das auch ganz klar: im Glauben darf kein Zwang sein. Ich kann niemanden dazu zwingen, an Gott zu glauben und ein Leben zu führen, in dem deutlich wird, dass er ein Christ ist. Ich muss damit leben, dass es Menschen gibt, denen meine Werte nicht wichtig sind.
Was jetzt in der Geschichte kommt, das könnte man missbrauchen. Ich könnte als Pfarrer, man könnte als Eltern oder Lehrer ganz einfach sagen: „Hör gut zu, das wird dir passieren, wenn du von Gott weggehst, aus der Gemeinde rausgehst, die guten Ratschläge der Eltern nicht befolgst!“ Aber Jesus erzählt das Gleichnis nicht als Moralkeule, mit der alle, die irgendwie abweichen, erschlagen werden sollen. Ihm geht es darum, eine Einladung für die auszusprechen, die sich verrannt haben und ganz unten sind. Das, was dem Sohn passiert, erzählt vom Leben. Von Freunden, die abhauen, wenn die Party vorbei ist. Von dem vergeblichen Versuch, sich mit Geld Liebe kaufen zu wollen. Mit Nutten bringt er das Geld durch. Sex kann man kaufen. Triebe kann man mit Geld befriedigen. Aber die tiefe Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit, Anerkennung die ist nicht käuflich. Das merkt er, als es zu spät ist. „Als Pfarrer dürfen sie doch so ein Wort wie Nutten nicht sagen“ hat jemand aus der Konfergruppe gesagt. Aber das Leben ist eben nicht immer ein schöner Ponyhof. Jesus redet Klartext. Und als Pfarrer oder Kirchengemeinde muss man auch klar von den harten und weniger schönen Seiten im Leben reden. Bei seinem Versuch, sich ein gutes Leben kaufen zu wollen, rutscht der jüngere Sohn noch unter die Schweine ab - man muss wissen, dass Schweine für Juden unreine Tiere sind und dass das wirklich die Extremform von Armut und Verletzung der Menschenwürde damals war. Tiefer kann man nicht sinken. Und da, ganz unten, passiert etwas. Er erinnert sich an seinen Vater und daran, wie gut der selbst zu seinen Arbeitern ist. Als Sohn traut er sich nicht zurück, aber vielleicht hat er als Arbeiter eine Chance. Er kommt zurück, wir kennen die Geschichte ja, der Vater ist total gerührt, macht eine Riesenparty für ihn, er darf wieder Sohn sein, Friede, Freude, Eierkuchen! Pustekuchen! So einfach geht’s nicht. Mindestens aus zwei Gründen. Erstens könnte man, wenn man es sich so einfach macht, ganz leicht auf die Idee kommen: „Egal was ich verbockt habe, egal wie viel wirklich schlechtes Zeug ich gemacht habe: Mein Vater, meine Mutter, Gott, egal wer, muss mir vergeben. Steht ja so in der Bibel.“ Wer so denkt hat nicht kapiert, was der Sohn kapiert hat. Es gibt keinen Anspruch auf Vergebung. Vergebung ist ein unverdientes Geschenk. Der Sohn stellt überhaupt keinen Anspruch und er zeigt echte Reue. „Ich habe gegen dich und gegen Gott gesündigt, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“ Er steht nicht nur zu seinen Fehlern, sondern er weiß, dass er damit wirklich Grenzen überschritten hat. Die Sünde gegen Gott, die besteht nicht darin, dass er nicht auf den Vater gehört hat. Sie besteht darin, dass er nur sich selbst und seine Welt, seinen Willen sehen wollte. Jesus sagt an anderer Stelle mal: „Eigentlich gibt es nur zwei Gebote, die wirklich wichtig sind: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Diese drei Pole der Liebe: Die Liebe zu Gott, die Nächstenliebe und die Liebe zu mir, die gehören zusammen. Ich kann nicht eins wegnehmen ohne dabei schuldig zu werden. Der Sohn steht zu seiner Schuld und verlangt nichts. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir oft ganz schnell sagen: „Ich hab ja meine Fehler gebeichtet, jetzt muss aber wieder gut sein!“ Es muss halt gar nichts. Und hier kann es auch entlastend sein, sich noch mal klarzumachen, dass der Vater in der Geschichte auch für Gott steht. Gott kann vergeben. Er ist die Liebe. Aber wir Menschen sind nicht Gott. Es gibt Dinge, da können Menschen vielleicht nicht vergeben. Wenn ein Kind von seinem Vater vergewaltigt wird. Wenn jemand ein Kind umbringt. Ich kann nicht dem Vergewaltigungsopfer oder den Eltern befehlen: „Du musst vergeben“ nur weil sich der Vergewaltiger oder der Mörder eines besseren besonnnen hat und dazu steht, dass er mit seiner Tat wirklich Schuld auf sich geladen hat. Gott ist nicht überfordert mit Liebe und Vergebung. Menschen manchmal schon. Da ist dann auch der zweite Grund, warum es zu einfach ist, alles nur schön zu sehen. Der ältere Bruder. Er will Gerechtigkeit. Vergebung ist ungerecht. Immer. Weil sie drauf verzichtet, aufzurechnen und Schuld wirklich zu bezahlen. Wir suchen und wollen Gerechtigkeit. Aber wir brauchen Vergebung. Immer wieder. Wie kann man enttäuschtes und missbrauchtes Vertrauen wieder gut machen? Vieles kann man nicht wieder gut machen. Höchstens beim nächsten Mal besser oder anders. Ich finde es gut, dass Gott vergibt. Ich finde es gut, dass Liebe in Geschenk ist, das nicht gekauft werden kann. Und ich wünsche uns allen, dass wir das in unserem Leben erfahren. Amen.