Gehalten am 11.01.09. 1. n. Ep., Text: Matthäus 2,1-12
in Verbindung mit dem Bild "Die Heiligen Drei Könige" von Beate Heinen
Liebe Gemeinde!
Der Stern bleibt stehen. Hier muss es sein. Hier ist der Ort, an dem Gott in dieser Welt sichtbar wird. Auch für die, die aus anderen Ländern kommen, die Gott gar nicht kennen, an einen anderen Gott oder andere Götter glauben. Hier ist der Ort, an dem auch ganz kluge Menschen einfach nur staunen und beten können. Hier. Mitten in der Stadt. zwischen Cola- und Whisky-Werbung, zwischen dem Autoverkehr und Menschen, die über Bürgersteige hetzen oder ins Restaurant zu einem guten Abendessen wollen. Hier, wo alles an Geschäft und Hektik, an Nachtleben erinnert und nichts Beschauliches hat. Hier steht der Stern still. Zumindest auf dem Bild der Künstlerin Beate Heinen. Die Geschichte der Heiligen Drei Könige, oder, etwas richtiger gesagt: der Drei Weisen aus dem Morgenland, gehört zu den Bibelgeschichten, die neben der Weihnachtsgeschichte selbst am Bekanntesten sind. Kluge Menschen, Wissenschaftler, die Gott gar nicht kennen, machen sich aus ihrer Heimat, vermutlich dem Gebiet des heutigen Irak oder Iran, auf und suchen einen neugeborenen König. Sie haben nichts als einen ungewöhnlichen Stern als Wegweiser, aber dem vertrauen sie. Natürlich suchen sie zuerst im Palast in der Hauptstadt. Der eifersüchtige und hinterlistige König weiß natürlich von nichts, möchte aber einen möglichen Konkurrenten ausschalten. Fies, wie er sie als Spione missbrauchen will. Sie finden den Weg, auch mit Hilfe des Sterns, und finden den König, den sie suchen, eben nicht im Palast, sondern in einem Stall in Bethlehem. Kostbare Geschenke machen sie ihm und auf dem Rückweg meiden sie den hinterlistigen Herodes. So weit, so bekannt. Eine schöne Episode, die sich Kindern hübsch erzählen lässt. Die aber, gerade weil sie so leicht und gut vorstellbar ist, leider auch viel zu schnell an einem vorbeirauscht. Kenn ich schon, weiß schon was passiert, weiter geht’s. Dabei lohnt es sich, sich wie die drei Weisen mal Zeit zu nehmen, hinzuschauen, was da eigentlich passiert ist und nicht gleich weiterzugehen. In die nächste Arbeitswoche, zur nächsten Bibelgeschichte oder was auch immer.
Schon mit dem Namen des Tages, der diese Geschichte in den Mittelpunkt stellt, fängt es an. Ich hab mich früher immer geärgert, dass wir Evangelischen oft so kompliziert sind. Bei den Katholiken heißt dieser Tag schlicht „Dreikönigstag“. Da weiß man, was los ist. Bei uns Evangelischen heißt er Epiphanias. Fremdwort, kompliziert. Übersetzt heißt das aber: „Sich zeigen, in Erscheinung treten“. Und darauf kommt’s mir heute bei der Geschichte an. Das Wichtige ist nicht, dass da drei Leute waren oder was die so waren, sondern dass Gott sich Menschen zeigen will. Menschen, die ihn gar nicht kennen, Menschen aus anderen Ländern. Das Gott sich nicht versteckt, dass er sich finden lässt. Dass Gott sich aber nicht so zeigt, wie man ihn erwartet, sondern dass er dort, wo er erscheint und sich zeigt, Überraschungen bereithält. Und deshalb finde ich auch das Bild so schön. Wo könnte heute der Stern stehen bleiben?
Vielleicht über dem Richtsberg? Über der 1 oder der 17, den ganz großen Häusern? Über der 88 oder dem Christian-Wolff-Haus mit den vielen Menschen aus aller Herren Länder? Über St. Jakob? Über dem Kindergarten in der Berliner Str.? Über dem Gertrudisheim? Über einem der großen Blocks in der Sudetenstr.? Über einem Haus im Pommernweg oder der Erfurter Str.? Oder vielleicht doch über einer der Kneipen oder dem russischen Supermarkt in der Friedrich-Ebert-Str.? Ich weiß es nicht. Anders als die Weisen damals haben wir keinen großen Stern, der uns den Weg weisen würde. Aber vielleicht gilt ja heute wie damals, dass Gott sich dort offenbart, dass er dort spürbar und sichtbar wird, wo man ihn nicht unbedingt vermutet. Vielleicht kommt es darauf an, wie die drei Weisen zu werden. Zeichen wahrzunehmen, dass etwas geschieht. Den Mut haben, aufzubrechen, Neues sehen zu wollen und dabei das richtig zu deuten, was es zu sehen gibt. Es geht nicht darum, irgendetwas schön zu reden. Hier auf dem Richtsberg gibt es sehr vieles, das nicht in Ordnung ist. Es gibt Gewalt, es gibt Armut, es gibt Gleichgültigkeit, es gibt menschliche Kälte und jede Menge Menschen, die von einem Glauben an Gott überhaupt nichts wissen wollen. Und es bringt gar nichts, immer wieder zu betonen, dass es das auch anderswo gibt, manches sogar vielleicht extremer. Schlechtes wird nicht dadurch gut, dass es anderswo auch vorkommt. Eine böse Tat ist nicht dadurch zu rechtfertigen, dass andere sie auch tun. Sie bleibt böse. Das Schlechte bleibt schlecht. Die Stadt auf dem Bild, sie ist ja auch keine ideale Stadt. Offensichtlich gibt es viel Anonymität, offensichtlich steht Werbung, Kommerz, Geschäfte machen im Vordergrund. Aber das Gute, die Liebe, die Wärme, die Gegenwart Gottes wird erst dadurch erkennbar, dass es anders ist als das Schlechte, Böse, Lieblose. Wenn Schlechtes nicht schlecht sein darf, kann Gutes nicht gut sein. Den Stern, der auf Gottes Gegenwart im Leben verweist, erkenne ich ja dadurch, dass er sich von den Werbelichtern abhebt. Wichtig ist, dass ich offen bin, so wie die drei Weisen, und Gott zutraue, in jeder Wirklichkeit, auch in der, die gar nicht meinen Vorstellungen von dem, was majestätisch oder schön ist, da zu sein. Und so ist auch der Richtsberg weder gottverlassen noch gottlos und der Stern würde vielleicht tatsächlich hier stehen bleiben. Wo? Schauen sie sich doch mal um! Ich muss zum Beispiel immer wieder einmal an ein Gespräch mit Schülern denken. Fünfzehnjährigen, die oft hart und wenig liebevoll von anderen reden, mit Ausdrücken, die mir völlig gegen den Strich gehen. Mit sehr deutlichen und harten Worten haben sie von einer älteren Frau erzählt, die sie aus vielen Gründen unmöglich und eklig finden, unter anderem deshalb, weil sie extrem ungepflegt ist. Ich hätte das mit anderen Worten gesagt, konnte sie aber verstehen. Und im gleichen Atemzug haben sie erzählt, wie sie ihr vom Bus in die Wohnung geholfen haben, weil sie in dem Augenblick total verwirrt und noch hilfloser als sonst war und die Einkaufstaschen haben sie auch ausgeräumt. Der Stern strahlt heute leider nicht mehr so hell wie in Bethlehem und manchmal ist das, auf das er strahlt, auch nicht so eindeutig zu erkennen. Aber es ist da.
Vielleicht ist auch die Frage, wo Gott und seine Liebe zu finden sind, gar nicht die einzig wichtige. Vielleicht ist auch die Frage: „Wer sind eigentlich heute die drei Weisen?“ gar nicht so abwegig. Klar, jeder der sich aufmacht, Gott zu suchen kann zu einem solchen Weisen werden. Aber wenn wir ernst nehmen, dass diese drei nach damaligen Maßstäben Wissenschaftler waren und noch dazu aus einem fremden Land kamen und an Gott gar nicht glaubten - ich denke, dann sollten wir heute viel vorsichtiger sein, wenn es darum geht, das Verhältnis von Glauben und Vernunft, von Glauben und Wissenschaft zu beschreiben. Es wird oft so getan, als seien das totale Gegensätze. Von beiden Seiten. Aber ein Glaube, der meint, sich von der Vernunft verabschieden zu können, wird zur gefährlichen Ideologie, die nicht mehr befragt werden darf. Und eine Wissenschaft, die meint, nur sich selbst sehen zu müssen, die sich selbst genug ist, steht in Gefahr, zur menschenverachtenden Technik zu werden, einer Gesellschaft Vorschub zu leisten, in der alle, die nicht dem Ideal von Nützlichkeit und Gewinnmaximierung genügen, fehl am Platz sind. Menschen, die beides zusammensehen können: Wissenschaftler, die sich nicht vor Anfragen des Glaubens und der Verantwortung für das Leben und Zusammenleben drücken, Glaubende, die sich Fragen stellen und öffnen, die nicht verbohrt auf ihren Standpunkten beharren und sich dabei fälschlicherweise auf Gott glauben berufen zu können, auch das sind für mich die Nachfolger der Drei Weisen aus dem Morgenland. Menschen, die über ihre eigenen Grenzen hinausschauen können.
Und hier taucht auch die Frage auf, wer der moderne Herodes ist. Der, der aus Angst die Liebe Gottes vernichten will. Für mich sind das heute der Fundamentalismus, auch der christliche, der lieblos ist, weil er, anders als Jesus Christus, dem anderen keine Chance lässt. Weil sich hier Menschen in ihrer Auslegung des Glaubens an Gottes Stelle setzen und dem lebendigen Geist Gottes weniger zutrauen als ihren kleinen, begrenzten Ansichten. Und es ist die Gleichgültigkeit. Die Gleichgültigkeit von Wissenschaftlern und Politikern über die Folgen ihres Handelns. Die ganz große Gleichgültigkeit von so vielen in unserer Gesellschaft, die sich, egal wo sie stehen, egal, wie arm oder reich sie sind, selbst genug sind. Die zu faul sind zu denken, die nur ihren eigenen Vorteil sehen und wollen.
So wie wir den Stern heute an vielen Orten finden könnten, könnten wir auch die Weisen und Herodes an vielen Orten finden.
Wer sind wir in dieser Geschichte? Wer bin ich? Vermutlich lässt sich das gar nicht so ein für allemal festlegen. Gebe Gott, dass wir Suchende sein oder werden und bleiben können, dass wir auch dort, wo wir es nicht vermuten, Gott und seine Liebe finden, dass wir aber auch den mut behalten, uns nicht damit zufrieden zu geben und stehenzubleiben, sondern wie die Sternsucher in der alten Geschichte immer wieder ins Leben aufbrechen.
Amen.
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