Text: Matthäus 17,1-9
Kann man Gott eigentlich sehen? „Wenn ich ihn sehen könnte, dann könnte ich auch an Gott glauben!“ So höre ich es immer wieder von Menschen, die ihre Zweifel haben, zuletzt am Donnerstag im Religionsunterricht der 7. Klasse. Jetzt könnte man natürlich ganz genau sein und sagen: „Wenn du ihn sehen könntest, dann wäre es ja kein Glauben mehr!“ Aber damit ist die Frage ja nicht wirklich beantwortet. Es ist, und das macht es wirklich nicht immer leicht an Gott zu glauben, leider sehr viel einfacher zu sagen, wo man Gott überall nicht sehen kann. In dieser Woche denke ich da an die Konzentrationslager Auschwitz und andere, in denen Menschen wegen ihrer Religion oder ihrer politischen Meinung gequält und vernichtet wurden. Vor 64 Jahren wurden sie befreit und es gibt immer noch Leute, auch unter Menschen, die behaupten an Gott zu glauben, die diese gottlosen Verbrechen verharmlosen, verschweigen, klein reden. Gott ist nicht da, wo Menschen anderen Menschen Gewalt antun oder wo Menschen Gewalt verharmlosen und schönreden. Ich denke an die Brutalität, mit der in Frankenberg letztes Jahr ein junger Mann zum Krüppel geschlagen wurde, ich denke an Kinder, die von ihren Eltern missbraucht werden. Ich denke an zerschossene Häuser in Gaza, an Familien, auch hier aus unserer Nachbarschaft, die dabei Familienangehörige verloren haben. Ich denke an das Gespräch mit einer Frau aus unserem Partnerkirchenkreis Moretele in Südafrika, die sehr eindrücklich erzählt hat, mit wie viel Angst und Misstrauen voreinander man dort oft lebt. Was gottlos ist, das lässt sich ziemlich genau sagen. Aber positiv ganz eindeutig sagen zu können, wo Gott nun ganz eindeutig zu finden ist, das überfordert mich. Mehr als Hinweise wie „Schau doch mal hier!“ wenn Menschen sich unaufgefordert und uneigennützig helfen oder „Denk doch mal darüber nach“ wenn einer nicht zurückschlägt, sondern bereit ist, zu vergeben, kann ich eigentlich nicht geben.
Gott kann man leider nicht wirklich so ganz direkt begegnen, ihn fotografieren und die Begegnung für die Ewigkeit festhalten, so dass man immer wieder, wenn man zweifelt oder wenn andere zweifeln, das herausholen und sich vergewissern könnte. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um den es auch in dem zugegeben etwas merkwürdigen Predigttext für heute geht.
Wenn man noch mal versucht, das alles ein bisschen auf die Reihe zu kriegen, wovon Matthäus erzählt hat, dann ist da zuerst die Rede davon, dass Jesus mit einigen Jüngern auf einen Berg ging. Das ist kein Zufall. Manchmal, so deute ich das, muss man raus aus dem Alltag, raus aus dem Trott. Auch wenn Gott sicher im Alltag da ist - manchmal brauche ich eben den freien Blick, das Abschalten vom Gewöhnlichen, um frei zu sein, auch etwas Außergewöhnliches wahrnehmen zu können. Dann kann ich das, was ich kenne, was eigentlich Teil meines Alltags ist, in einem neuen Licht sehen. So geht es ja den Jüngern hier mit Jesus. Da wird von einer unbeschreiblichen Lichterfahrung erzählt. Heute würde man leicht sagen: die waren high, stoned, haben was geraucht oder eingeworfen. Aber gerade dann, wenn man in dem, was bisher eher gewöhnlich und normal war, etwas wirklich besonderes entdeckt, redet man ja bis heute von lichten Momenten, davon, dass einem was klar wird, dass einem ein Licht aufgeht, dass man etwas in einem ganz neuen Licht sieht. Und in dem neuen Licht sehen die Jünger, die mit auf dem Berg waren, zwei Gestalten. Es wird immer seltsamer, diese Geschichte, der Verdacht auf Drogenmissbrauch würde sich heute tatsächlich schnell einstellen. Aber man verpasst viel Wichtiges, wenn man solche merkwürdigen Bibelgeschichten gleich abtut. Da sehen die Jünger auf einmal, wie Jesus sich mit Mose und Elia unterhält. Jesu Wurzeln sind im Alten Testament, im Volk Israel. In Jesus findet das, was im Gesetz, auch in den 10 Geboten steht und das, was die Propheten verkündet haben, seine Erfüllung. Die Juden sind nicht unser Unglück, wie manche bis heute behaupten, sondern unsere Wurzel.
Aber viel interessanter als diese symbolische Bedeutung finde ich, dass ausgerechnet bei Mose und Elia die Bibel erzählt, dass sie Gott gesehen haben. Und diese Formen und Erlebnisse sind bis heute wichtig, wenn ich gefragt werde oder mich selbst frage: „Wo und wie kann ich Gott eigentlich sehen?“ Da ist einmal Elia. In einem ganz leichten, kaum wahrzunehmenden Windhauch begegnet ihm Gott. Vorher gab es Sturm, Felsen wurden zerstört, es gab Erdbeben, Feuer, das volle Programm. Und nirgends war Gott. Erst als alles fast schon vorbei schien, da war er da. Um Gott zu begegnen, braucht es Aufmerksamkeit. Nicht das Gewaltige, Vordergründige, Zerstörerische ist der Ort, an dem ich Gott begegne. Nicht die große Show mit sensationellen Effekten. Das macht mir auch die Thomaskirche so sympathisch. Sie ist nicht die Kirche für die große Show.
Und dann Mose. Zwei Begegnungen von ihm mit Gott sind mir bis heute wichtig. Einmal will er Gott sehen. Gott willigt ein, aber Mose kann Gott nur sehen, nachdem er vorübergegangen war. Von hinten. Eigentlich kann ich, eben bis heute, erst hinterher sagen: Ja, das war so ein Erlebnis, da bin ich Gott irgendwie begegnet, da habe ich was über ihn gemerkt und erfahren. Ich kann ihn nicht festhalten, nicht alles sehen und auch nicht im Voraus sagen: hier wirst du Gott begegnen. Ich kann keinem Konfi sagen: bei deiner Konfirmation wirst du dann Gott wirklich erkennen, ich kann keinem Menschen sagen, dass er am 1.2.2009 um 10.37 Uhr im Gottesdienst am Ende meiner Predigt Gott sehen wird. Das macht es ja so schwer, Zweiflern und Suchenden befriedigend antworten zu können. Und Gott ist Mose in einem brennenden Dornbusch erschienen und hat sich da sozusagen selbst erklärt: „Ich werde sein, der ich sein werde“, so hat Gott sich Mose vorgestellt. Ich lasse mich nicht auf Bilder von Menschen festlegen. Ich bin kein geschnitztes Stück Holz, das sich genau beschreiben lässt und das immer für alle gleich aussieht. Sondern ich werde unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Zeiten immer neu begegnen. Ich werde mich immer wieder neu und überraschend zeigen. Ich bin ganz anders - und bin doch da. Gott versteckt sich nicht im Himmel vor den Menschen und wartet drauf, dass sie sterben und irgendwann zu ihm kommen. Sondern er lässt sich im Leben finden. Aber eben nicht direkt, dafür überraschend, oft genug nachträglich, nicht festzulegen, unvorhersehbar. Dabei wollen wir Menschen doch, wie die Jünger in der Geschichte, gern das, was wir als gut und schön und hilfreich erleben, festhalten. Die Jünger wollen Hütten bauen. Und wir, wir wollen, dass der Augenblick nie vorbeigeht. Wenn ich am Moretelesonntag heute zum Beispiel an die Partnerschaft denke, dann glaube ich, dass diejenigen von uns, die schon mal dort zu Besuch waren, viel auch für den eigenen Glauben mitgenommen haben. Die Zuversicht, die die Menschen dort auch in schweren Zeiten geben, die Unmittelbarkeit, mit der viele ihren Glauben geben, die Selbstverständlichkeit, mit der Gottesdienste gefeiert werden - wer das erlebt hat, möchte das konservieren und behalten.
So wie alle möglichen anderen guten und schönen Erfahrungen auch. Aber nichts im Leben kann ich wirklich festhalten. Auch nicht meinen Glauben. Auch nicht die Momente, in denen ich mich Gott ganz nahe fühle und glaube, alles zu wissen und zu erkennen und einen ganz festen Glauben zu haben. Ich muss zurück in den Alltag. In der Geschichte werden die Hütten nicht gebaut, die Jünger müssen mit Jesus vom Berg wieder absteigen.
Gott, so wird erzählt, bestätigt ihnen gegenüber Jesus als seinen Sohn. Eigentlich nichts Neues. Gerade Petrus hat das kurz vorher Jesus gegenüber so bekannt. Das Erlebte wird nicht als Erfindung und Hirngespinst abgetan, sondern es gibt eben außergewöhnliche Erfahrungen mit Gott. Die den Alltag bereichern, vielleicht auch verändern. Die aber trotzdem immer wieder in den Alltag zurückverweisen. Und die sich nicht herbeizwingen lassen.
Wo kann ich, wo können Johanna oder Denise oder jemand anders Gott sehen? Dort, wo er sich zeigt. Dort, wo wir merken, dass unser Leben in einem neuen Licht gesehen werden kann. Ich kanns nicht zwingen, und selbst dann, wenn ich’s erlebt habe, nicht behalten. Aber ich kann darauf vertrauen, dass auch dadurch Mut, Hoffnung, Kraft und Liebe im Leben, trotz allem Bösen, dass es gibt, stark werden. In meinem Leben.
Amen.
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