Text: 1. Kor 3,9-15
Liebe Gemeinde!
Prüfungsangst. Ich weiß nicht, wer von ihnen und euch das kennt. Vor einer wichtigen Klassenarbeit, vor einer Prüfung morgens schon schweißnass aufzuwachen, nichts runterzukriegen, zittrig da zu sitzen und zu denken: Das schaffe ich nie, ich versage bestimmt. Ich hatte eine Mitschülerin, die war wirklich gut - aber sie hat drei Anläufe gebraucht, um die Theorieprüfung beim Führerschein zu bestehen. Vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, hat sie plötzlich nichts mehr machen können und versagt.
Cool und locker bleiben, wenn’s um Prüfungen und Beurteilungen geht, das können längst nicht alle. Wenn die Arbeit, wenn das Verhalten beurteilt wird, da ist einem nicht immer angenehm zumute. Das kann ja viele Konsequenzen haben. Für den Beruf, den man hat oder haben will, für die Schulbildung und damit auch für manche Chancen im Leben, für die Wahl des Partners oder der Partnerin fürs Leben. Für ganz vieles. Klar, wenn man etwas geschafft hat, wenn man gut beurteilt wird, vielleicht sogar besser, als man es erwartet hat, dann ist das ein wunderbares Gefühl. Aber wenn der Daumen nach unten ging, wenn das Ziel nicht erreicht wurde? Nicht gerade angenehm, so ein Gedanke!
Und wenn das schon bei Prüfungen so ist, die man wiederholen kann oder deren Ergebnis man später noch mal korrigieren kann, nach deren Ergebnis aber irgendwann keiner mehr fragt - wie zum Beispiel mein Abi oder mein Examen als Pfarrer ausgefallen ist, interessiert heute keinen mehr - wie ist das dann bei einer Prüfung, die ein allerletztes Gesamturteil über das Leben für alle Ewigkeit spricht? Paulus erzählt hier von so einer Prüfung. Am Ende wird’s ein Gericht geben, das Gott hält, so schreibt er. Und mit Feuer wird Gott prüfen, was der Mensch in seinem Leben aufgebaut hat. Und vieles wird verbrannt werden und nicht bestehen. Muss das sein, wenn man an Gott glauben will, so ein Drohen mit einem Gericht für die Ewigkeit? Brauchen wir überhaupt ein Jenseits, etwas, das außerhalb von unserem Leben liegt? Beweisen kann man das ja sowieso nicht. Lebt der Glaube von einer solchen Angst davor, am Ende seines Lebens für immer in ein großes Nichts zu fallen, in die Hölle zu kommen und vielleicht zu schlecht zu sein? Was wäre denn, wenn alle Menschen auf der Welt sagen würden: „Ich lebe hier und heute. Gericht, das interessiert mich nicht. Was nach diesem Leben kommt, dafür gibt’s doch keine Beweise, ich mache jetzt, was ich will und für mich für richtig halte.“ Eigentlich finde ich es traurig, wenn Menschen so denken. Nicht, weil dann mein Beruf vielleicht überflüssig wäre und ich mir einen neuen suchen müsste. Das wäre zu verschmerzen. Traurig ist, dass die Menschen dann Leben, Zukunft, Freiheit und Hoffnung verlieren, wenn sie sich selbst einsperren in die 40, 70, 90 oder 100 Jahre, die sie leben, in die Gedanken, die sie denken können, in die Fehler, die sie garantiert machen. Ich finde, es ist ein Geschenk, das unglaublich viel Freiheit schon in diesem Leben eröffnet, wenn ich nicht glaube, in diesem Leben alles leisten und können zu müssen, um ihm einen Sinn zu geben, sondern wenn ich darauf vertrauen kann, dass die Zukunft nicht mit meinem Tod aufhört. Wenn ich denke, dass nur mein Leben jetzt zählt, ICH würde dann verzweifeln. Ich sehe doch, was ich alles nicht schaffe. Wenn ich nur dran denke, was ich mir für die Sommerferien alles vorgenommen hatte: Büro aufräumen, viele Leute besuchen, Schule und Konfer gut vorbereiten - geschafft habe ich nur einen kleinen Teil. Die Ferien waren zu kurz. Sind sie aber jedes Jahr. Und wenn das im Kleinen schon so ist: wie ist das erst im Großen? Ich weiß nicht, ob 90 oder 100 Jahre reichen würden, um das Gefühl zu haben, am Ende des Lebens alles geschafft zu haben. Und wenn ich, wie Frau Huhn, die ich neulich zum Geburtstag besuchte, 105 werden würde: immer wäre noch was, was ich nicht geschafft habe. Und wenn ich auf das Chaos und die Probleme in der Welt gucke: nach jeder Antwort auf ein Problem haben sich fünf neue Probleme aufgetan, auf die es noch keine Antworten gibt. Selbst noch so kluge und wohlmeinende Politiker, Wirtschaftsbosse, Gelehrte oder engagierte Aktive kriegen die Welt nicht in den Griff. Einzelne Sachen kann man vor Ort sicher gut machen. Aber es bleiben immer und überall Reste, neue Probleme, vieles, was auch mit größter Anstrengung nicht fertig wird.
Die Zukunft hängt nicht von dir und dem, was du hast, kannst und bist ab, sondern die Zukunft ist dir geschenkt. Du hast Zukunft - über dein Leben, das du kennst, hinaus. Du verdankst dein Leben nicht dir selber, du musst es nicht allein leben und du darfst Hoffnung haben, auch über die Zeit, die du denken und wahrnehmen kannst hinaus. Du musst nicht alles allein und perfekt machen. Das ist die gute, die frohe Botschaft, die Paulus hier eigentlich weitergibt.
Aber wie passt das zu der Rede vom Gericht? Macht es nicht Angst, wie am Anfang gesagt? Was ist, wenn ich zu ewiger Verdammnis verurteilt werde? Wenn Paulus heute leben würde und so reden würde, wie jüngere Menschen manchmal reden, dann würde er vielleicht sagen: Macht euch locker! Da werden nicht die Eintrittskarten für die besten Plätze im Himmel oder der Fahrschein in die Hölle verteilt. Da kommt die Wahrheit über das Leben raus. Da bleibt nur noch das übrig, was echt gut ist. Das andere wird keine Rolle mehr spielen und vernichtet. Paulus benutzt dafür das Bild vom Feuer, in dem vieles verbrannt wird. Ich finde das Bild gut. Feuer ist gefährlich, der Kontakt mit Feuer tut weh. Und so ist das auch mit der Wahrheit, gerade mit der Wahrheit über das eigene Leben. Es tut weh, vor Augen geführt zu bekommen, wo man versagt hat. Wo man anderen wirklich wehgetan hat. Es tut weh, sich eingestehen zu müssen, dass manches, was man für ganz toll hielt, nichts wert war. Wenn jetzt jemand sagt: „Jetzt hör mal auf, drumrum zu reden, sag doch mal als Pfarrer, was genau das ist, was zum Beispiel zu den Dingen gehört, die verbrannt werden, die nicht bestehen!“, dann muss ich ihn - oder sie - enttäuschen. Klar, Mord und Totschlag, Diebstahl und so was, das wäre einfach zu sagen. Aber die Wahrheit ist doch, dass das längst nicht alles ist. Es gibt vieles, was jedem Einzelnen von uns unglaublich wichtig ist, wo ich mir was aufbaue, was ich für toll halte - aber ob’s wirklich gut ist oder nicht doch andere in ihrem Leben behindert hat, ob’s mich nicht doch abhängig gemacht hat und blind für vieles andere - das kann und will ich manchmal gar nicht erkennen. Als Pfarrer bin ich da nicht weniger blind als viele andere auch. Es tut eben oft genug weh, sich mit der Wahrheit auseinanderzusetzen. Du wirst verändert aus diesem Prozess, aus diesem Gericht hervorgehen, nicht ohne Schrammen, aber du wirst das Ergebnis aushalten können, schreibt Paulus. Weil das Fundament stimmt und das eben bleibt, egal was an wenig Feuerfestem obendrauf steht. Deshalb muss unsere Perspektive weder die Angst vor dem Jenseits noch die Sehnsucht danach sein, weil wir entweder zu schlecht im Leben wären oder alles in der Gegenwart so schlecht wäre. Jesus Christus ist dieses Fundament. In ihm ist das, was über unseren immer begrenzten Horizont hinausgeht, mit unserem ganz konkreten Leben verbunden. Er hat als Mensch unter Menschen gelebt. In ihm hat Gott deutlich werden lassen, dass er nicht nur irgendwann vor aller Zeit mal die Welt und das Leben in Gang gesetzt hat und dann sich selbst überlassen hätte oder dass er am Ende dessen, was für uns zeitlich greifbar ist, über ewiges Wohl oder Wehe entscheidet, sondern dass hier und jetzt, in unserem Leben, Hoffnung besteht. Hoffnung, die uns handeln lässt. Hoffnung, die uns nicht ängstlich macht und nicht überfordert, sondern die uns die Angst nimmt. Für mich ist es eine große Hoffnung, dass es ein Gericht gibt, dass eben nicht egal ist, wie Menschen miteinander umgehen. Für mich ist es eine Hoffnung, dass sich herausstellt, was gut und was böse war. Und dass das Gute bleibt. Ich finde es schlimm, wenn das Böse, wenn Lüge, gnadenloser Egoismus und noch viel Schlimmeres triumphieren würden. Obwohl ich weiß, dass auch ich vor meine Lügen und vor meinen Egoismus gestellt werde und das weh tun wird. Aber ich weiß, dass ich das aushalten werde. Und ich weiß, dass ich schon jetzt anders handeln kann, auch wenn ich dabei immer wieder Fehler mache. Ich weiß, dass ich keine Angst vor Fehlern haben muss, sondern Freiheit zum Leben und Handeln gewinne. Nicht Gott oder die Kirche brauchen das Jenseits, sondern der Mensch. Weil er so eine Hoffnungsperspektive für das Leben im Diesseits gewinnen kann. Weil er so frei von Angst werden kann. Von der Angst, endgültig zu versagen. Von der Angst, selbst das vollkommene Leben abliefern zu müssen, von der Angst, nicht gut genug zu sein. Diese Freiheit kann die Augen öffnen für das, was trotz allem, was in der Welt und im eigenen Leben schief läuft, an Gutem schon da und schon möglich ist. Und diese Freiheit macht hoffentlich Lust, daran auch mitzuarbeiten. Die Zukunft kommt auch ohne mich und mein Tun. Aber ich kann und darf daran mitarbeiten - ohne vollkommen sein zu müssen. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“. Weil er zum Leben anstiftet und frei macht. Jetzt, und nicht erst irgendwann und irgendwo.
Amen.
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