Text: 1. Samuel 2,1-2.6-8
Liebe Gemeinde!
Es gibt, Gott sei Dank, viele Gründe, die Menschen dazu bringen, von Herzen dankbar zu sein und richtig große, schöne, ansteckende Worte der Freude und Dankbarkeit zu finden. Es kann sein, dass ein Mensch in der Schule nicht ernst genommen wurde. „Du bist dumm, mit dir kann man nichts anfangen!“ – das haben nicht nur manche Lehrerinnen und Lehrer, das haben auch Mitschüler ihm immer wieder gezeigt. Und dann – ein Praktikum, in dem dieser Mensch merkt: Ich kann etwas, das gebraucht wird. Menschen interessieren sich für ihn und seine Fähigkeiten. Anders als bei anderen, die ihn vorher klein gemacht haben, klappt es doch mit einem Ausbildungsplatz und einem Beruf, der Zufriedenheit verspricht. Oder ein Mensch hat das Gefühl, nie jemanden abzukriegen. Alle anderen um einen herum haben feste Beziehungen. „So, wie du rumläufst, so, wie du dich anziehst oder schminkst oder dich gibst, wird das nie etwas!“ Das ist das, was, laut oder leise, transportiert wird. Und dann kommt DER Mensch, der alles verän-dert. Liebe ist da, und das nicht nur einseitig, sondern gegenseitig. Es gibt, Gott sei Dank, viele Gründe, die Menschen dazu bringen, von Herzen dankbar zu sein und diese Dankbarkeit auch laut werden zu lassen. Die Erfahrung, krank zu sein und wieder geheilt zu werden. Oder die Erfahrung, von anderen wegen etwas für minderwertig gehalten zu werden – und dann dreht sich das Leben und sehnsüchtige Wünsche werden erfüllt. So erging es Hanna, von der die Bibel erzählt, dass sie lange keine Kinder bekommen konnte. Eine andere Frau gab ihr das Gefühl, deshalb minderwertig zu sein. Hanna klagt Gott ihr Schicksal. Und dann wird sie schwanger. Niemand schaut mehr auf sie herab. Sie wird aufgerichtet, ihr Leben hat wieder Halt und Tiefe. Es gibt viele Gründe, dankbar zu sein. Hannas Grund ist einer davon. Und es ist kein Wunder, dass sie Gott überschwänglich dankt. Sie hat das Gefühl, tot gewesen zu sein, lebendig tot. Man atmet, man funktioniert, aber man lebt nicht. Und dann kehrt das Leben zurück, die Freude und auch die Erfahrung, dass Gott die, die sich für etwas besseres halten und die andere wegen ihrer scheinbaren Fehler klein machen und für minderwertig oder dumm halten, am Ende eben nicht siegen lässt, sondern dass am Ende die, die sich dem Tod nahe gefühlt haben, mit Gottes Hilfe wirklich stark und Sieger sein werden.
Auferstehung mitten im Leben – so kann man diese Erfahrung vielleicht nennen.
Und ich will sie ganz bestimmt nicht schlecht machen. Wer einmal erlebt hat, wie es ist, wirklich unten zu sein und dann wieder neuen Lebensmut geschöpft hat, der weiß, wie unvergleichlich dieses Gefühl ist und wieviel Dankbarkeit, auch Gott gegenüber, da mitschwingen kann. Aber ist das wirklich schon Ostern? Ist das, was da erzählt wird, dass Jesus begraben war und am dritten Tag nach seinem Tod wirklich lebendig wurde, tatsächlich nicht mehr als ein Symbol dafür, dass Gott auch bei den Tiefpunkten im Leben da ist und dass Gott einen auch aus den Tiefpunkten herausholt?
So wichtig das ist, so schön diese Erfahrung von Auferstehung mitten im Leben ist: Ostern ist mehr. Es geht wirklich um das ganze Leben. Ostern ist die totale Erfüllung von dem, was sich in Hannas Worten so anhört: „Der Herr tötet und macht lebendig, er führt hinab zu den Toten und wieder herauf“. Man kann diesen Satz auf zwei Arten missverstehen. einmal in der Art, dass man sagt: Ganz willkürlich und undurchschaubar nimmt Gott manchen das Leben und manchen gibt er es oder schenkt es ihnen wieder, nachdem er es genommen hat. Das wäre das eine Missverständnis. und das andere wäre: Es gibt halt gute und schlechte Zeiten im Leben, so dass man sich wie tot fühlt, und Gott kann einem aus den schlechten Zeiten raushelfen und ist auch in den guten Zeiten da. Beides trifft es nicht richtig. Gott ist der absolute Herr des Lebens. Und er ist das nicht willkürlich, sondern der Tod hat überhaupt keine Macht mehr. Erst wenn dieser Satz so gehört und verstanden werden kann, erst dann wird er zu einem Ostersatz.
Natürlich erleben wir im Alltag das oft genug ganz anders. Da hat der Tod noch ganz schön viel Macht. Da sterben junge Menschen lange vor ihren Eltern. Da wird Menschenmit Gewalt ihr Leben genommen. Durch Mord und Totschlag, durch Verkehrs- und andere Unfälle, auch durch staatlich legitimierten Mord wie die Todesstrafe, in Kriegen auch. Da sterben Menschen sinnlos und die zurückbleiben, leben oft mit einem wahnsinnigen Schmerz weiter. Menschen können sich gegenseitig das Leben nehmen. Menschen sterben an schrecklichen Krankheiten. Immer noch. Trotz Ostern. Das, was Ostern, die Auferstehung Jesu, die Herrschaft Gottes über Leben UND Tod, sagen will, ist nicht, dass es ein leidloses Leben in dieser Welt geben wird, in der alles immer nur schön ist. Es geht darum, dass der Tod nicht das letzte Wort behält. Darum, dass der Tod nicht von Gottes Liebe trennt, darum, dass die Beziehung zu Gott durch den Tod nicht ausgelöscht wird.
Ostern erzählt nicht von Gedankenspielen und Symbolen, sondern von einer Wirklichkeit des Lebens, die die Grenzen unseres Verstandes sprengt. Vielleicht können wir von dieser Wirklichkeit gar nicht richtig reden, weil uns die Worte, das so auszudrücken, dass es der Verstand fassen kann, fehlen. Vielleicht können wir nur singen, so wie Hanna es lange vor Jesus tat. Ostern ist ein Fest, das wir nicht verstehen können. Weihnachten können wir einigermaßen verstehen - die Freude über ein Kind, das geboren wird, über ein Kind, in dem Gott seine Liebe zu den Menschen offenbaren wird. Ein Kind, schutzlos, greifbar – das muss man einfach gern haben! Auch den Karfreitag können wir einigermaßen verstehen. Das Unschuldige leiden müssen, dass Menschen für andere zu Tode gequält werden – leider ist das eine Erfahrung, die viel zu viele Menschen bis heute machen müssen. Gewaltsamer, trauriger, unschuldiger Tod. Aber Ostern? Da können wir uns nur unvollkommen helfen. Wir können uns freuen an bunten Ostereiern, die als Symbol des Lebens verschenkt werden. Wir können uns am Gefühl freuen, dass nach einem langen Winterschlaf und viel grau die Welt wieder grün und bunt wird, Blumen aufblühen und die ersten zarten Blätter an den Bäumen zu sehen sind. Und, wenn es sehr gut läuft, dann können wir uns, wie Hanna, an den Auferstehungen mitten im Leben freuen. An Genesung nach langer Krankheit. Am Gefühl, nach einer großen Enttäuschung wieder lieben zu können. Am Erfolg, den man hat, obwohl einem niemand was zutraut. Oder. Oder. Oder. Aber das alles ist nur ein klitzekleiner Abglanz von dem, was Ostern ist: der endgültige Sieg über den Tod. Wir können es nicht beweisen. Wir können es nicht verstehen. So wenig, wie wir die Liebe beweisen und verstehen können. Für mich ist der Sieg über den Tod der höchste Ausdruck der Liebe Gottes. Er will nicht, dass seine Liebe zu uns ein Ende hat. So, wie wir schon in der Liebe zwischen Menschen auf Glauben und Vertrauen angewiesen sind und die Zeichen, die wir wahrnehmen, eben nicht die Liebe selbst sind, sondern nur ein Ausdruck der Liebe, so ist das hier erst recht. Wir können glauben und vertrauen und uns an den Zeichen freuen und darauf hoffen, dass alles, was im Weg steht, uns nicht irre macht. Wir werden manchmal zweifeln – aber wir haben alles zu gewinnen und nichts zu verlieren. Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden. Und die Liebe hat kein Ende. Auch der Tod löscht sie nicht aus.
Amen.
Predigten und Gedanken aus der Thomaskirche auf dem Richtsberg in Marburg
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