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Sonntag, 4. Juli 2010

Das Kreuz mit dem Kreuz - 5. Sonntag nach Trinitatis, 04.07.2010, Reihe II

Text: 1. Korinther 1,18-25

Liebe Gemeinde!
Manche Menschen tragen ein Kreuz an einer Kette. Für die einen ist es bloß ein Modegag, für andere ein Bekenntnis ihres Glaubens, für andere ein Schutz vor Unglück und dem Bösen. In alten Horrorfilmen hat es geholfen, dem Bösen, dem Vampir, dem Dämon oder dem Satan ein Kreuz vorzuhalten – und schon ist er geflohen und hatte keine Chance mehr. Gegen dieses starke Zeichen kam auch das Böse nicht an. In den modernen Horror- und Gruselfilmen hilft selbst das Kreuz nicht mehr. Hat das Kreuz seine Kraft verloren? Nicht nur in schlechten Filmen, sondern auch im Leben? Ja, vielleicht ist es entzaubert worden. Ich finde das nicht schlimm, sondern eigentlich gut und richtig. So schön es wäre, wenn ein christliches Zeichen Zauberkräfte hätte oder Zauberkräfte verleihen würde – mit dem wofür das Kreuz steht und was Jesus wollte, hätte es nichts zu tun. Im Gegenteil. Wenn wir einem Zeichen solche Kraft und Macht geben, würden wir die Lebenskraft, die Gotteskraft, die Paulus hier in seinem Brief an die Korinther beschreibt und die im gekreuzigten Christus liegt, verlieren. Ich gebe es ja zu, das hört sich kompliziert an. Und ich gebe es auch zu: Paulus schreibt, dass die, die sich für schlau halten, das Wichtigste nicht verstehen. Aber vielleicht ist es doch nicht so kompliziert, wie es sich anhört. Genauso wenig wie es reicht, sich eine Dose Red Bull reinzuschütten, um fliegen zu können, oder ein Nutellabrot zu schmieren, um ein guter Fußballer zu sein, reicht es, sich ein Kreuz umzuhängen um wirklich aus der Liebe, die Gott uns schenkt, Kraft für das Leben zu bekommen und das Böse zu besiegen.
Paulus hat ein Problem in der Gemeinde in Korinth gesehen, das es bis heute gibt. Vielen, die sich irgendwie zur Gemeinde hielten und die an Gott glaubten, war das Kreuz irgendwie zu lächerlich. Die einen haben gesagt: „Was soll denn das mit dem Kreuz? Wir machen uns doch lächerlich, wenn wir anderen erzählen, dass Gott dort gewesen sein soll. Ausgerechnet im Tod, ausgerechnet bei der schlimmsten aller möglichen Strafen. Gott muss doch groß sein, er muss doch logisch handeln. die Philosophen und Wissenschaftler sollen uns doch nicht für verrückt halten. Wir dürfen uns mit sowas wie dem Kreuz nicht lächerlich machen!“ Studenten, Menschen mit Abitur, haben im vergangenen Jahr in der ganzen Stadt ein gekreuzigtes Schwein mit den Worten „Jesus, du Opfer“ an Wände gesprayt. Man kann sich für noch so schlau halten – aber gerade die, die sich für schlau halten, und es auf vielen Gebieten ja sind, provoziert das Kreuz bis heute.
Anderen aus der Gemeinde von Paulus ging es weniger darum, dass ihnen das zu unlogisch war und sie befürchteten, von den Klugen lächerlich gemacht zu werden. „Wir brauchen Wunder, die die Menschen sehen! Gott muss doch stark sein! Heilungen, Speisungen, Budenzauber, damit alle Respekt haben. Nicht so einen Schwächling am Kreuz! Vor dem hat doch keiner Respekt! Einer, der zeigt, wo’s lang geht, den wollen wir“. Zeichen, an denen man sich festhalten kann. Wunder, an denen man sieht, wie mächtig und stark Gott ist. Ja, ich glaube, dass wir, je nachdem, was unsere persönlichen Wünsche sind, beide gut verstehen können und beide kennen: Diejenigen, die immer alles logisch und wissenschaftlich erklärbar wollen, damit man sich ja nicht lächerlich macht und diejenigen, die sich nach dem starken, mächtigen, sichtbaren Gott sehnen. Dem Helden, der Respekt einflößt. Dem Gott, mit dem man vor anderen vielleicht auch angeben kann.
Beides kann doch nicht funktionieren. Was wäre das denn für ein Gott, der sich wissenschaftlich vollkommen erklären ließe? Ein Gott, der kleiner ist als die Philosophen, Physiker, Wissenschaftler, ein solcher Gott ist doch nichts anderes als eine nutzlose Spielerei. Ich glaube schon, dass man das Denken und die Vernunft nicht ausschalten und abgeben soll, wenn’s um den Glauben geht. Und ich glaube auch, dass einem die Wissenschaft helfen kann, Glauben besser zu verstehen. Aber Glauben, der in Wissenschaft aufgeht, ist kein Glauben. Und ich glaube auch, dass Gott Dinge wirklich werden lässt, die wir nur als Wunder bezeichnen können. Aber ein Glaube, der sich daran hängt, wird keinen Bestand haben. Wenn ich mich abhängig mache, dass das passiert, was ich mir wünsche, ob das eine Heilung oder was auch immer ist, auch so passiert, dann wird Gott der Sklave meiner Wünsche und taugt nicht als mein Erlöser.
Und genau darum geht es Paulus, wenn er betont, wie wichtig das Wort vom Kreuz, die Rede vom gekreuzigten Christus, der Glauben an das, was da geschehen ist, wirklich ist. Nicht das bloße Kreuz als Zeichen ist wichtig. Auch wenn es als Mensch manchmal gut tut, Zeichen zu haben, die einen an etwas erinnern. Dazu taugt das Kreuz, nicht als Vampirvertreiber und nicht als Unfallschutz gegen mangelnde Vorsicht.
Es geht um das, was am Kreuz geschehen ist. Gott macht sich klein. Er hält es aus, ganz unten zu sein, Opfer zu sein. Da, wo Menschen zu Opfern gemacht werden, ist Gott auf der Seite der Opfer. ganz klar. Das fängt da an, wo andere genauso beschimpft werden: „Du Opfer“. Da, wo Kinder misshandelt werden, wo Menschen ausgebeutet werden, wo geschlagen wird: Gott ist auf der Seite der Opfer. Auch dann, wenn die Täter ihn für sich in Anspruch nehmen wollen. Er macht das, so glaube ich, nicht, weil er nicht anders könnte, sondern weil er die Opfer ins Recht setzen will. Die Opfer bekommen die Würde, die ihnen von Menschen, von uns, abgesprochen wird. Gott macht sich klein, damit die, die von anderen klein gemacht werden, nicht länger übersehen werden oder sich klein fühlen müssen, sondern wissen dürfen: da ist einer auf meiner Seite. Da ist Liebe auch da, wo ich nur das Dunkel, vielleicht auch den Tod sehe. Das kann den Mut machen, frei zu werden. Innerlich, aber auch tatsächlich. Nicht umsonst hat gerade der Glauben an diesen Gott, der sich nicht mit den Mächtigen und Gewalttätigen verbündet, Sklaven in den USA die Kraft gegeben, für ihre Freiheit aufzustehen, gedemütigte Schwarze ermutigt, sich für ihre Rechte einzusetzen. Oder Christen, die in Diktaturen verfolgt werden oder wurden den Mut, durchzuhalten und nicht aufzugeben. Und auch anderen, denen immer wieder gesagt wurde, ihr seid nichts wert, zu klein, zu dumm, sich nicht damit zufrieden zu geben, sondern gegen Unrecht aufzustehen. Gott macht sich klein, damit die, die klein gemacht werden, Mut bekommen.
Das ist das eine. Das andere ist für mich, dass uns das Kreuz auch vor unser Versagen stellt. Es ist nicht ein blindes Schicksal, dass Jesus ans Kreuz geführt hat, sondern menschliches Versagen, menschliche Schuld. Intoleranz, Egoismus, Feigheit, der Wunsch, über anderen zu stehen und andere zu unterdrücken. Für mich zeigt das Kreuz und das an sich ja total ungerechte Leiden von Jesus, wozu wir Menschen sind, wozu auch ich fähig bin. Vielleicht kann man diese Botschaft vom Kreuz auch so zusammenfassen: „Sieh genau hin. Erschrick ruhig über das, was möglich ist, auch über diene Schuld. Aber ich will dich wieder zurecht bringen. Du brauchst dir keine Opfer zu suchen, damit du dich groß und stark fühlst. Ich will dir einen neuen Weg zeigen“. Die scheinbare Schwäche wird zur Stärke. Stark ist nicht der, der sich mit aller Kraft rächt, sondern der, der auf Rache verzichtet und Liebe gegen Gewalt setzt. Das führt zum Leben. Und deshalb bleibt die Botschaft vom Kreuz, das Wort vom Kreuz ja eben nicht beim Kreuz stehen, sondern sie endet mit dem neuen Leben. Ohne Ostern, ohne das neue Leben, das dem Erschrecken über die Folgen der Schuld folgt, wäre der Tod sinnlos gewesen. Das, was von Menschen für schwach, unlogisch, oder verachtenswert gehalten wird, der, der zum Opfer gemacht wird, das Verzichten, das Vergeben, das alles führt zu neuem Leben, das stärker ist als der Tod. Wer nur auf seinen Verstand vertraut, auf die Stärke, wer Rache statt Versöhnung fordert, der bleibt in der Logik der Welt gefangen, letztlich im Tod, in der Schuld.
Aber das Wort vom Kreuz führt zum Leben. Weil es unsere Logik wirklich durchkreuzt. Weil es kein Zauberzeichen, sonder ein Lebenszeichen ist. Weil es uns Mensch sein lässt. gebe Gott, dass wir die Kraft haben, dieses Wort vom Leben nicht nur zu hören, sondern im eigenen Leben fruchtbar werden zu lassen.
Amen